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"Alexandrie Alexandra
ha!"
Aime moi! Liebe mich! Im Grünen Salon der Volksbühne
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Von Astrid Mathis
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Der Titel sagt es schon, es geht um Liebe. Ja, ja,
und nochmals ja. Allerdings erzählt Michaela
Benn mit Mireille-Mathieu-Frisur und im Glitzer-Look
erst einmal von monogamen Präriewühlmäusen.
Das Publikum kann sich im Laufe des Abends Gedanken
darüber machen, zu welcher Gattung Mäuse
es sich zählt. Es wird also ein lustiger Abend.
Christian-Gilles Sabot stimmt mit seiner Konzertgitarre
das erste Duett an: "Ich liebe dich, mein Schatz.
Wir lieben einander." Das wird nicht so harmonisch
bleiben, ist aber ein guter Anfang. Denn am Anfang
steht die Leidenschaft.
Christian-Gilles Sabot lässt die
Musik seiner Jugendzeit auf die Zuhörer wirken.
"Que je t'aime" haucht die Sängerin
an seiner Seite, mal singt sie auf Deutsch, mal auf
Französisch. Es soll ja jeder im Salon etwas
vom Inhalt der Texte mitkriegen, denn die sind außergewöhnlich.
Sie sind direkt. Michaela Benn singt: "Ich liebe
dich, wenn dein Mund weich wird und dein Körper
hart, wenn mein Körper auf deinem liegt wie ein
totes Pferd." Jawohl, es ging ganz schön
ab in dem Lied von Johnny Hallyday (Text: Jean Renard)
aus dem Jahre 1969. Aber natürlich gibt es auch
Lieder voller Liebestrauer und Zeilen wie "Ich
höre in mir Worte, die ich nicht sagen werde...
ich könnte sterben vor Einsamkeit... ich will,
aber ich kann nicht." Die "Message Personal"
kommt an.
Und schon betreten die Musiker auf die
Bühne: Stefan Max Wirth mit Saxophon (Echo-Nominierung,
ausgezeichnet als einer der besten deutschen Jazzsaxophonisten),
Dirk Lüdtke am Bass, Tim Schönfelder Percussion
(ehemaliger Schlagzeuger von Tim Fischer in der "Bar
jeder Vernunft", Berlin).
Dann wird Klartext gesprochen, zackig
in die Saiten gegriffen und im Diskobeat gesungen:
"Alexandrie Alexandra ha!". Erst mal auf
Französisch. "Ich übersetze",
sagt Michaela Benn wenig später, es klingt wie
eine Warnung. Was da locker anfängt, endet mit
Hippie-Message: "Ich steck' in deinem Leben und
gleich in dir". Es geht nicht anders, man muss
lachen. "Ich trink' den ganzen Nil, wenn du nicht
zu mir kommst", heißt es. Interessant.
Das rhythmische "Je danse" im Refrain hält
kaum in den Sitzen. Benn und Sabot nehmen das Lied
mit Humor und gewinnen das Publikum. Den Abschluss
des ersten Teils macht ein Stück einer 80er Jahre
Band namens Les Rita Mitsouko. Die Sängerin Catherine
Ringerund der Gitarrist Fréderic Chinin haben
eine seltsame Beziehung und drücken diese in
ihrem Lied "Marcia Baila" aus, das Sabot
und Benn eindrucksvoll interpretieren. Pause.
Mireille Mathieu ist weg. Michaela Benn
erscheint im zweiten Teil in neuem Gewand und beginnt
mit der Geschichte einer einsamen Schlange, die sich
morgens bis abends durch die Düne schlängelt
und behauptet: "Mein Reich ist das Meer aus Sand,
die schöne heiße Wüste." Ach,
hat diese Geschichte schöne Zischlaute! Ein sprachliches
Hors d'oeuvre hat die Schauspielerin noch auf Lager,
den Zungenbrecher mit der Katze und den vielen Tatzen.
Es ist die Einleitung für das Lied "Nachts
sind alle Katzen grau", ein Duett mit Christian-Gilles
Sabot, das von dem bunten Katzenvolk über der
Stadt Paris erzählt. Schallalala und huhu! Noch
eine Tiergeschichte. Diesmal von einem Marabu, der
so gern ein Flamingo wäre. Der Song macht Stimmung,
die Leute im Salon klatschen lachend mit. Viel haben
sie gelernt über die Tierwelt an diesem Abend.
Aber es soll doch um Liebe gehen. Eine Liebesgeschichte,
die nicht gut endet, müssen sie an diesem Abend
noch hören, muss das Saxophon von Stephan Max
Wirth zum Klingen bringen: "Comme d'habitude"von
Claude Francois. Besser bekannt ist dem Publikum die
englische Variante "My way". Wir sind beim
Adieusagen. Wie soll man das bloß sagen? "Du
drehst dich weg - so wie immer... Ganz schnell geh
ich aus dem Haus... Draußen ist es grau - so
wie immer. Den ganzen Tag werde ich tun, als ob nichts
wär'". Und so weiter. Schön, einmal
den wahren Text zu dieser Melodie zu hören, die,
von den Musikern so hingebungsvoll gespielt, die Worte
von Michaela Benn unterstreicht.
Der Abend ist tatsächlich noch von
einem Song zu toppen, ebenfalls ein Hit, der in Frankreich
seinen Ursprung hat: "L'été indien"
("Indianischer Sommer" oder zu Deutsch "Altweibersommer")
Wir hören, wie er beginnt: "Es war vor einem
Jahr, es war vor einem Jahrhundert..." raunt
Michaela Benn getragen ins Mikrofon, bevor sie im
Refrain nur noch ein "Bababa babababa ba"
anstimmt und alle mitsingen. Diese unglaublich tiefen
Worte, die das Lied ankündigt, kann sich jeder
denken. Das ist der Beweis dafür, dass es nur
einer verdammt guten Melodie bedarf, um einen Hit
für die Ewigkeit zu schaffen.
Fakt ist, französische Popmusik der
70er und 80er macht viel Spaß, vor allem, wenn
sie von einem so starken Ensemble präsentiert
wird.
Klar, dass es bei der Zugabe noch einmal heißt:
"Alexandrie Alexandra ha ha". Auf die Fortsetzung
kann man sich schon freuen.
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Von Astrid Mathis
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Der Boxring im Zuschauerraum, das hat schon was, das
zieht. Aber erst mal ist alles Kuddelmuddel. Rocky
alias Drew Sarich wirkt verloren zwischen den anderen
Boxern; kein Wunder, dass sein Spint von einem anderen
besetzt wird. Der Slow-Motion-Effekt verliert sich
dann auch noch. Er ist nicht mehr "in",
Jüngere sind am Zug. "Ich weiß, was
ich will und was ich kann" singt Rocky, aber
das will ihm keiner recht glauben. Der Golden Circle
scheint utopisch für ihn. Held sein ebenso. Er
ist Außenseiter: Der Kampf des Jahrhunderts
wird angekündigt, und Rocky erkennt: "Meine
letzte Chance, und ich hab' keine Chance." Herz
hat er, aber keinen Spint. Egal. Er trainiert, und
endlich, endlich, vielleicht durch den Kulthit "Eye
of the tiger", kommt der Zuschauer zu Gänsehaut.
Rocky rennt, die Bilder im Hintergrund jagen den Betrachter
mit. Das muss alles einen Sinn haben, der Traum muss
wahr werden, "wahres Glück", von dem
er singt. Doch das wahre Glück, das ist noch
woanders. Es ist Adriana, die Schwester seines Kumpels,
die im Zoogeschäft arbeitet und in die Rocky
ganz vernarrt ist. Diese kleine schüchterne graue
Maus - er sagt: "Ich will die Welt anhalten für
dich", und sie erwidert: "Du musst Achtung
vor dir haben." Als Drew Sarich anfängt,
den Titel "Die Nase hält noch" zu singen,
da hat er sie und uns um den Finger gewickelt. Wietske
von Tongeren ist bezaubernd und macht Dampf. Ihren
Bruder singt sie an die Wand. Und was soll schon passieren,
wenn eine solche Frau einem Mann den Rücken stärkt?!
Als der Boxring zum Einsatz kommt und die Zuschauer
im Musicaltheater Zuschauer des Kampfes werden, bei
dem es nur einen Sieger geben kann, ist Jubel vorprogrammiert.
Mit
Drew Sarich als "Underdog" und von der Art
Verlierer, die wenigstens einmal den großen
Coup landen muss, dazu eine strahlende Wietske von
Tongeren, die mit jedem Ton direkt ins Herz singt,
kann nichts schief gehen. Die klasse inszenierten
Boxchoreographien sind Beilage, nicht Hauptgericht.
Der Rhythmus, der im ersten Teil unstet daherkommt,
findet letztlich zu einer Form, die den Zuschauer
abholt und auf eine Reise einer tollen Filmfigur mitnimmt.
"Rocky" feiert in Hamburg sein Comeback.
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"Ihre Einsätze bitte!"
Roger Vontobel "Wolf unter Wölfen" am
Deutschen Theater
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Von Astrid Mathis
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Roter Vorhang! Katharina Marie Schubert - in Glitzer-Aufzug mit Hut -
eine Dame vom Varieté? Eine Nutte? - informiert über die Inflation. Mit
französischem Akzent. Für diejenigen, die nichts darüber wissen, weil die
Schule schlecht war oder sie zu besoffen waren. Es wird keine Komödie.
Trotzdem nicht. In einem Wort: Es war recht, aber nicht billig - dieser
Versailler Vertrag mit den Reparationszahlungen.
Der Goldregen kommt. Fällt auf das Roulette, über das Wolf
läuft, springt! Dieses Berlin ist zum Kotzen. Alles sieht normal aus,
aber es ist faul. Und beide, Petra und Wolf, sie sagen: "Ich mach'
da nicht mehr mit." Die Nutte singt: "Schade, dass der Krieg
vorbei ist", die Band rockt. Das ist die Revue, die immer sichtbare
Band. Und immer wieder Bilder, die man nicht vergisst. Wolf und Petra. Er
hat nichts, sie will nichts. Warum nicht zusammenbleiben? Als alles
vorbei ist und Wolf auf dem Land hockt, sagt er, was er denkt. Es war
doch nicht viel anders mit ihr als mit den andern, nur länger, weil
netter, und an jeder Ecke steht eine andere, aber das ist es ja gerade,
dass es eine andere ist, denn glücklich kann nur dieselbe machen.
"Ich suche immer nur dieselbe", sagt er darum auch.
Also kein Geld, und er weiß, wenn er 24 Stunden zuvor beim
Spiel gewonnen hätte, 17 auf Rot, dann wären sie verheiratet, aber er war
ein Spieler, zur falschen Zeit Gewinn ist eben kein Gewinn. Er fragt
seinen Freund von Zecke, der im Geld schwimmt, nach Barem. Für die Hochzeit.
Die Hose, sie ist Wolf zu weit, seinem Freund mit Geld passt sie gerade
so. Reichtum hinter Gittern. Er kann Geld haben, sagt von Zecke arrogant,
wenn er es nicht verspielt, aber Wolf will nicht gequält werden. Soll er
sein Geld behalten, der reiche Sack. Da schreit eben der: "Ich bin
immer für dich da", und Wolf springt quer durch das Roulette. Rennt
zu seiner Mutter, die wie versteinert daherkommt, unberührt, für Petra
will sie das Geld geben, nicht für eine Hochzeit, aber Wolf will Peter, wie
er seine Liebste nennt, rausholen aus dem Knast, in den sie gesteckt
wurde, weil sie mal mit Männern mitgegangen ist, als sie kein Geld hatte,
als sie Wolf nicht hatte. Die Vermieterin Frau Thumann,
sie hat die Faxen dicke. Auf wen wartet das Mädchen? Doch nicht auf Wolf!
Da kommt doch nie Geld. Und dann wird sie auch noch frech. Und wofür das
alles? Peter, die nur mit Wolfs Jacke dasteht, so verloren. Sie könnten
heiraten, sie hätten verheiratet sein können. Doch das Gefängnis kam
dazwischen und das Spiel. Wolf: "Einmal noch und dann nie
wieder." Und er weiß nichts von dem "nie wieder".
Er ist mit dem Rittmeister von Prackwitz
und Studmann, die ihren Platz in der Welt mit
dem Militärposten verloren haben, im Spiel. Alle lügen mit dem Mund, aber
mit den Augen, das kann keiner. Alle spielen um des Lebens willen, Wolf
spielt um des Spielens willen. "Wenn nichts mehr zu spielen ist,
kann ich ja gehen", sagt Wolf schließlich. Und geht mit den beiden
aufs Land, lässt Peter zurück, vergisst die Heirat. Es sieht nach Dorfidylle
aus.
Peter Jordan (in der Rolle des von Prackwitz)
springt ins kühle Nass, als wäre er zu Hause, als wäre alles gut, aber
das ist es nicht. Studmann bringt es ans Licht.
Pacht muss der Rittmeister zahlen, viel zu viel, ungerechtfertigt, an den
Herrn Schwiegervater. Die teure Gattin ist für Studmann
vollkommen, aber sie ist die Frau seines Freundes. Was zählt das am Ende,
wenn eh alles den Bach runtergeht?
Ja,
mein Gott! Als Michael Thalheimer "Emilia Galotti"
inszeniert, den Buchschluss im eigentlichen Sinne gestrichen und eine
Szene vorgezogen hat, - kurz und schmerzlos - hat sich kein Mensch
aufgeregt, obwohl so eine Drama-Umsetzung schon aufregend sein kann. Viel
mehr Aufregung gibt es aber, wenn Romane auf die Theaterbühne kommen. Wie
soll das gehen?
"In
Zeiten des abnehmenden Lichts" ist so ein Beispiel dafür. Ich habe
den Roman gelesen, etwas überschätzt gefunden und mich in die Vorstellung
des Deutschen Theaters gesetzt, um festzustellen, dass mich das Stück auch
nicht vom Hocker reißt. Zu genau, meckerten manche, Phantasie fehlte,
meinten andere. Kurzum, die Inszenierung ist weit entfernt von einem
Knaller, selbst wenn die Schrankwand mit den scheinbar 100 Schubladen,
Fächern und Türen ein starkes Bild ist und es schöne Momente gibt.
Nun
also "Wolf unter Wölfen" von Hans Fallada. Um mir das Stück
nicht durch die Lektüre zu verderben und unvoreingenommen reingehen zu
können, habe ich das Lesen auf hinterher verschoben, was offensichtlich
ein Vorteil war. Man kann keinen 1200 Seiten langen Roman auf die Bühne
bringen, ohne Verluste in Kauf zu nehmen. Nicht mal einer Inflationsrevue
kann das gelingen. Bisschen wenig Revue, vielleicht Musik hier und da.
Erst nach eineinhalb Stunden schreit einem Wolf alias Ole Lagerpusch
ordentlich Sound um die Ohren. Vielleicht geht Revue heute eher so.
Petra (Meike Droste) hält die Lederjacke ihres Bräutigams umschlungen wie
ihn und kann sich doch nicht retten. Vor der gescheiterten Hochzeit, vor
dem Gefängnis, vor einer Riesenschmach.
Wolf
(Ole Lagerpusch) macht auf Spieler und wird doch irgendwie zum Spielball,
ein Revoluzzer, seiner Mutter gegenüber und dem stinkreichen Freund. Er
läuft über das Roulette, und wo auch immer er stehenbleibt, wird das
Spiel weitergehen oder das Leben. Aber wer weiß das schon so genau?
Das könnte "Kabale und Liebe" werden. Wird es aber nicht. Die
zwei Romanteile splitten auch das Stück, trennen die Helden. "Warum
sollte ich tun, was du für richtig hältst, wenn alles, aber auch alles,
was du machst, falsch ist?" fragt Eva ihren Mann, den Rittmeister,
der ein Retter sein sollte in dieser verfahrenen Situation.
Sie
sind ja doch alle irgendwie verloren, fehlt nur der Satz: Jeder stirbt
für sich allein. Ihn denken wir uns. Wir sind bei Fallada. Mit Band. Und
sehen sogar das Humorige zwischendrin.
"Wolf
unter Wölfen" - vom Roman zum Stück, es ist tatsächlich geglückt,
als tragikomische Revue mit Neigung zum Tiefgang, mit phantastischen
Bildern, mit Gefühl.
Sicher
kann man es anders machen, aber das erste Mal nimmt ihnen keiner mehr.
Nochmal
am Sonntag, 29. September und Freitag, 25. Oktober 2013
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"Und auf einmal Stille"
André Erkau "Das Leben
ist nichts für Feiglinge"
nach dem Roman von Gernot Gricksch
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Von Astrid Mathis
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Tod - geht ganz schnell so was. Sagt Kim (Helen Woigk)
aus dem Off. Steht am Grab mit Kopfhörern im Ohr, mit Vater und Oma an
ihrer Seite. Regen perlt auf Blätter, Tropfen halten für Zehntelsekunden
inne. Die Mutter ist tot, hat sich an der Halskette stranguliert. Wie ist
das zu ertragen, das Leben danach? Kim, in Schwarz und dauerbeschallt von
ihrer Musik - Gothic, na, klar -, sieht sich
ihrem Vater Markus (Wotan Wilke Möhring) sprachlos gegenüber. Oma
Gerlinde (stark: Christine Schorn) behauptet, sie würde verreisen und
sagt statt dessen dem verheimlichten Feind, dem Krebs, den Kampf an. Weil
sie Markus verschweigt, um die trauernde Familie nicht zu belasten, wird
ihr die lebenslustige Pflegerin Paula (Rosalie Thomass)
aufgedrückt, an die sich Gerlinde erst mal gewöhnen muss. "Erst wenn
ich mir in die Hosen pisse, Mädchen, kannste
mich duzen", begegnet ihr die Kranke trocken. Indessen lernt Kim den
Schulabbrecher Alex aus reichem Elternhaus
(Frederick Lau) kennen, Einzelkind: "Ich dachte, ich hätte keine Zukunft."
Kim weiß darauf nur eine Antwort: "Zukunft wird überschätzt."
Und Markus gesteht mitten im Party-Service-Job: "Manchmal möchte ich
so laut schreien, dass meine Trommelfelle platzen, dann ist Ruhe,
Frieden."
So sehr Markus und Kim auch unter dem Verlust leiden, so
unfähig sind sie, miteinander umzugehen. Wirklich besser wird es nicht,
als auffliegt, dass Gerlinde Familie hat und Paula diese mit der
Krankheit von Gerlinde konfrontiert, woraufhin die Oma einzieht. Obwohl
die Kekse, die Paula der Kranken gibt, für Stimmung sorgen und alle ja
irgendwie näher zusammenrücken. Als Alex eines Tages Kims Verehrer
verprügelt und er fürchtet, von der Polizei geschnappt zu werden, flieht
er mit Kim nach Dänemark ans Meer. Dort verlebte Kim glückliche Tage mit
ihrer Familie, dort will sie jetzt wieder glücklich sein. Klar, dass
Markus und Gerlinde vor Sorge fast verrückt werden, bis Markus Kims Handy
findet und die Nachrichten an ihre Mutter liest, die unabgeschickt
im Postfach liegen. "Du warst überall... Es war, als ob mein Leben
seinen Geschmack verliert", steht da, und auf einmal sind Markus und
Kim in ihrem Schmerz verbunden, lässt auch er Trauer zu. Es kann nur
einen Ort geben, an den Kim gegangen sein kann, und er wird sie finden.
Man
könnte behaupten, der Film wird von der Geschichte getragen, aber die
Musik, die trägt mit, die schreit, wenn keiner es kann, und weint
anstelle von Markus, Kim und Gerlinde. Und trotzdem ist dieser Film einer
mit komischen Momenten, in denen man einfach lachen muss, wie wenn Gerlinde
sich an Haschkeksen berauscht und ihr Sohn sich empört. Oder wenn Paula
am Telefon eine russische Diva mimt. Der Film ist in Balance. Immer
wieder bringt er sich und den Zuschauer aus dem Gleichgewicht, um dann
aufzufangen. Schließlich sagt Gerlinde zu Paula: "Du hast es doch
gar nicht nötig, vorzugeben, ein anderer zu sein." Und dann ist
plötzlich Frieden.
Die
Kinotour-Vorführung von FEIGLINGE findet in
Potsdam am 19. April - einen Tag nach Kinostart - im Thalia Kino statt.
Beginn der Vorführung ist um 19.00 Uhr, Regisseur André Erkau und Rosalie Thomass
(Paula) stehen anschließend gegen 20.40 Uhr für Fragen aus dem Publikum
bereit!
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"Und der Himmel stand still - der
Zauber ist weg"
Zum Tod des Schauspielers Sven Lehmann (1965–2013)
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Von Astrid Mathis
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Es war Sonntag, der 7. April, als ich in Richtung Deutsches Theater
spazierte, um nach 2011 wiederholt Gorkis "Kleinbürger"
anzusehen. Wer weiß, was mich an jenem Sonntag dorthin gezogen hatte. Ich
war schon ein paar Schritte vor dem Eingang hin und her gegangen - das
Bild von Sven Lehmann im mittleren Schaukausten
hatte ich gleich entdeckt - es mögen nur Sekunden gewesen sein. Ich sah
immer wieder darauf, und auf einmal las ich: "Wir trauern um Sven
Lehmann." Das haute mich um. Ich war erschüttert, spürte, wie meine
Augen feucht wurden. Erst wenige Tage zuvor hatte ich einem Freund von
ihm erzählt, erzählt, dass er krank sei und ich hoffe, er werde wieder
gesund. Er sei eine Klasse für sich. Es war Mittwoch, 3. April, sein
Todestag.
Sven
Lehmann ist tot. Wo soll ich nur hin? Wie kann ich jetzt in dieses Stück?
Ich wusste es nicht, erinnerte mich an meine erste bewusste Begegnung.
Als ich 1997 zur Universität wechselte, hatte ich nur einen Grund: Ich
wollte näher ans Theater, wollte zum Theater. Meine Studentenbude in
Potsdam-Golm konnte mich nicht davon abhalten, die lange Fahrt nach
Berlin nicht schrecken. Ich fuhr zum Deutschen Theater, erlebte Dieter
Mann, Dagmar Manzel, schließlich Sven Lehmann.
"Emilia Galotti", 2001. Erste Reihe.
Studentenkarte. Luxus. Ich liebte ihn als Mephisto in "Faust I"
und "Faust II" und schrieb begeistert über "Eines Tages
lange Reise in die Nacht". Jeder Gang ins DT war es wert, gegangen
zu werden. Sven Lehmann war es wert. Ich ging so oft ins DT, dass er mich
schließlich grüßte, wenn er mir nachts in der Kastanienallee auf dem
Fahrrad entgegenkam. Sein John in Hauptmanns "Ratten" war
Theaterhochgenuss. Ich erlebte ihn in vielen Stücken, und jedes Mal war
da diese unverkennbare Stimme, der knarrige
Ton, das grandiose Spiel und Lehmanns eindringliche, zärtliche Art, die
vergessen ließ, wo man sich befand. Man war in seiner Geschichte! Bei der
Applausordnung sein schüchternes Lächeln, wenn
Bravo-Rufe durch das DT hallten. Diesen Blick wird keiner vergessen.
Vor
ein paar Monaten wollte ich noch einmal zu "Faust I".
Wenigstens das. Sven Lehmann kaum im Spielplan und an diesem Tag
Spielausfall wegen Krankheit. Ich ging statt dessen in Veiels
"Himbeerreich". Aber wie soll man "Himbeerreich"
finden, wenn man auf Goethe eingestellt ist? Es sollte nicht sein.
Jetzt
also "Kleinbürger." Trotz allem. Weil ich eine Karte habe, weil
ich eine gute Karte habe, weil ich nicht weiß, wohin in solch einem
Moment. Natali Seelig alias Tatjana erzählt gleich zu Anfang von einem
Zauber, den ich mit Sven Lehmann verbinde, der jetzt verschwunden ist.
"Was spielen die da? Worüber streiten die?" will ich fragen.
Sven Lehmann ist tot! Und Natali singt: "Und der Himmel stand
still". Katrin Wichmann erklärt, dass sie mit unglücklichen Menschen
nichts zu tun haben will und solchen, die sich selbst suchen, denn was
glauben die zu finden, wenn sie sich gefunden haben? Vielleicht ist da
gar nichts - und was dann? Ole Lagerpusch stolpert als Pjotr in eine
Liebeserklärung für Jelena (Katrin Wichmann) und will nicht mehr zurück.
Im Videoeinspieler sagt er: "Ich mache
nichts immer wieder, nur, weil es mir einmal Spaß gemacht hat. […] Wenn
ich Sehnsucht habe, was mache ich dann? - Trinken?!" Am Schluss des
Stücks langer Applaus. Gejohle. Aufstehende Zuschauer. Ich gehe in die
Bar und bestelle Wein wie Lehmann früher. Auf Sven! Der mir viele
berührende und bewegende Theatermomente geschenkt hat. Chapeau! Möge er
unvergessen bleiben.
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© POTZDAM 2013
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