Kulturkampf
Inhalt
2002–2007 / 2008 / 2009–2011 / 2012

Bereit für Melancholie?
George Michael auf Orchester-Tour

„Für einen Wunsch, der keine Flügel hat“
Nach der Kant- kommt keine Kleistkrise

Sage mir, was du siehst...
Harry Potter und die Heiligtümer des Todes

Ab morgen wird zurück gelächelt!
Klaus Maria Brandauer, der Krug und die Truppe

"Freunde"

O ohne dich
Ein Abend mit Selig

Könige vor dem Britpop
SUEDE in der Columbia-Halle

Eine Nacht mit den wilden Preiselbeeren
The Cranberries in der Columbia-Halle

Fliederbaumverbrechen


Fans im Jacko-Fieber
Show über den King of Pop tourt durch Europa

Geburt des Irrsinns
Es ist... ein Kreditmediator!

Lukas, werd’ doch VWLer
oder
Potsdam, was wirret dir -

Wir sind Obama

Nachlese 2008:
Das Phänomen
Thomas Godoj in der Columbiahalle Berlin
 

 

Bereit für Melancholie?
George Michael auf Orchester-Tour
Von Astrid Mathis

 

Roter Vorhang: George Michael erhebt die O2 World an der Warschauer Straße in Berlin am Montagabend, 5.September, zum Theater. "Ladies and Gentlemen", wie auf dem gleichnamigen Album, scheint er zu sagen, ohne überhaupt auf der Bühne zu sein. Der Künstler beehrt mit "Symphonica - The Orchestral Tour" seine Fangemeinde nach fünf Jahren Pause. Der Bart ist leicht angegraut. Das ist offensichtlich die einzige Veränderung des Briten. Er singt "I'm through" und erklärt, wie satt er die Ketten hat und das Gefühl, gejagt zu werden. Die Ornamentoptik auf der Leinwand verschlingt ihn schließlich, aber George Michael kann aufhören davonzulaufen. Applaus brandet auf. Als er einen Song von Terence Trent Darby ankündigt, muss er sich korrigieren, er sagt: "Oh, dear, I got my setlist wrong", eine Welle der Sympathie schlägt ihm entgegen. Sein Anzug sitzt aber auch zu gut. Nur selten zeigt er sich in Großaufnahme, es dominiert die Musik. Gänsehaut-Gefühl. Streicher und Pianoklänge umschmeicheln die Stimme des Sängers, wenn er den Titel "Kissing a fool" aus den 80ern ins Mikrofon haucht, dann wieder wirkt das Orchester wie eine Big Band und bietet bei "My baby just cares for me" sein ganzes Klangvermögen auf.

George Michael begibt sich musikalisch zu seinen Kollegen Rufus Wainwright ("I'm so tired of America") und Amy Winehouse. "Love is a losing Game" ist sein Lieblingssong von Amy. Das Publikum applaudiert begeistert, oder besser gesagt: ein Großteil. Der andere Part hat vielleicht ein Popkonzert erwartet, schleicht sich aus der Halle oder holt sich zur Überbrückung der Schmusesongs Schweinsbraten im Brötchen und Bier. In der Pause wird kräftig auf der Terrasse geraucht, man fotografiert den Sonnenuntergang und fachsimpelt über George Michael. Der ist wenigstens nach 20 Minuten pünktlich zurück und wechselt seine Position immerhin zwischen Barhocker und Rumstehen und Singen. Schließlich kündigt er einen Song für seinen Ex-Freund Kenny an, sein "I'm sorry" geht durch Mark und Bein.

Dazu passen alle anderen Lieder, die danach erklingen, wie "A different corner", "One more try" und "Praying for time". Man könnte meinen, George Michael will den Herbst einläuten oder zumindest den Lebensherbst verabschieden. Doch da! Er schmettert den letzten Song über die Rampe: "Feeling good". Nur schade, dass der von Michael Bublé stammt.

Egal. Die poppigen Zugaben á la "Freedom" beglücken die Zuhörer. Sie sind aufgesprungen, klatschen und knipsen.
Wieder am 15. November in der O2-Arena Berlin. Um auf den Herbst einzustimmen, genau das Richtige. Aber bitte, lasst den Schweinsbraten draußen!

 

"Für einen Wunsch, der keine Flügel hat..."
Nach der Kant- kommt keine Kleistkrise
Von Sandra Schramm


Kleist hat in diesem Jahr seinen 200. Todestag und Berlin und Brandenburg erinnern sich an ihn, der selten lange an einem Ort blieb und fast ruhelos durch Europa reiste. Aber geboren ist er in Frankfurt/Oder und zum Sterben hat er sich Berlin auserwählt. An diesem Anfangs- und Endpunkt seines Lebens werden ihm nun zwei Ausstellungen gewidmet, die unter dem Titel ‚Kleist: Krise und Experiment’ eine werden sollen.

Und es lohnt sich nach Frankfurt/Oder ins Kleistmuseum zu fahren, wenn es auch eine lange Strecke ist und eine recht kleine Ausstellung. Sie werden durch einen der schönsten Teile von Frankfurt kommen, wenn Sie einfach vom Bahnhof durch den Park an der St. Gertraudkirche laufen. Hier finden Sie auch gleich das Kleistdenkmal und können viel im schönen Grün über den inszenierten Kleist nachdenken. Weiter geht’s in Richtung Oder, vorbei an und/ oder hinein in zwei kleine/n Cafés. Die Stadt scheint sich ihrer Schätze nicht bewusst, also erwarten Sie auch im Kleistjahr keine großen Schilder, die den Weg zum Museum oder zur Ausstellung weisen würden – drucken Sie sich einen Plan aus und folgen Sie diesem.

Dann stehen Sie davor und werden sich sagen, ach bitte lass die Ausstellung im gesamten Haus sein – und Sie werden feststellen, unten ist natürlich die ständige Ausstellung und nur oben sind ein paar kleine Räume für das Experiment bereit gestellt. Das ist keine Ausstellung, wie wir Sie heute ganz oft in Berlin gewohnt sind – dort wird uns soviel gezeigt und es will uns soviel gesagt werden, dass wir zum Schluss, getrieben von körperlichen Beschwerden (Kopf-, Rücken- und andere Schmerzen), fluchtartig das Gebäude verlassen. In Frankfurt werden Sie sich wohl oder übel für das Gesehene und Gehörte Zeit nehmen können, ja müssen, denn sonst werden Sie nach der langen Fahrzeit bitter enttäuscht sein – Sie wohnen doch auch nicht in Frankfurt / Oder?

Nehmen Sie sich Zeit für die vielen Porträts und die unterschiedlichen Perspektiven, die sie bieten, für Ulrike und Heinrich und für nicht erwartete Einblicke durch die Ausblicke in den Garten. Hier finden Sie eine Ausstellung, die mehr leistet, als die Texte aus dem Katalog an Wände zu drucken – hier wird Raum gestaltet – und nach dem Besuch haben Sie genug Energie um das Gebäude hocherhobenen Hauptes zu verlassen. Was das Haupt dazu verleiten kann neue Energie zu generieren oder sich über Altvertrautes Gedanken zu machen... Und dann finden Sie vielleicht auch Neues auf Ihren Schmierpapieren:

Ein Heinrich und eine Ulrike

Eine Ulrike liebte einen Heinrich!
Oder war es der Heinrich, der eine Ulrike liebte?
Vielleicht liebten sie die Möglichkeit im Anderen.

Sein Sein, weil das eigene Sein mit Nicht-Sein gefüllt war.
Dafür hatten Beide viel Eigensinn.

Sie kennten wir ohne den Anderen nicht und der Heinrich wäre ohne sie gar nicht er gewesen.

Hätte die Ulrike ein Mann sein können, wen hätte es nicht gefreut.
Aber es wäre für Beide vom Traum zum Sein gekommen.

Wer liebte wen und was am Anderen?

Auch wenn der Katalog erst zu Ende Juni fertig wurde, fand sich doch so Einiges an anregendem Papier, die ‚kleine’ Katalogzeitung sei dabei sehr zu empfehlen. Da fiel mir doch auch gleich der Literaturwettbewerb “KLEIST & ICH” des Freien Deutschen Autorenverbandes in die Hände. Nun leider mussten da bis zum 15. Juni die Werke als Papierausdruck und als Datei auf CD-ROM an eine Postanschrift gesendet werden. Wir Emailverseuchten denken natürlich, da könnte ja schnell um 23.51 Uhr noch eine Mail gesendet werden... Konnte nicht, deshalb hat der Wettbewerb die Blüte bestäubt, aber die Frucht nicht erhalten... Schauen Sie ruhig, wer gewonnen hat...

Du, Kleist und Ich

Du Großer im Wollen
Du Zeremonienmeister des Scheiterns
Du der Du dich nicht leben kannst

Der Du immer auf der Suchflucht bist

Egal, ob Du das Ziel fest vor Augen hast
Oder verzweifelst, weil Du nichts hast
Du kommst niemals an

In atemlosem Voraneilen schreibst Du deine Texte

Hier kommst Du an
Hier hält deine Seele inne
Hier hörst Du dir selber zu – ganz kurz

Ein Ganzes, das zerrissen ist und wird
Und durch die Risse trete Ich ein

Du hast deine Flügel im Hier nicht gefunden,
lese Ich deine Worte, höre Ich ein Rauschen in der Luft.

Aber damit sind Sie noch nicht entlassen, denn Sie haben noch nicht alles gesehen: Das Ephraim-Palais im Nicolai-Viertel wartet noch auf Sie. Es wird mehr Ihren Ansprüchen nach einer großen Kleistausstellung gerecht werden. Die kreative, offene und anregende Gestaltung der Räume wird aber auch hier nicht aus den Augen verloren. Die Informationen des Audioguides sind wieder wohl formuliert, ergänzend und passend zum Ausgestellten gesprochen. Sie werden alles hören wollen. Bringen Sie also auch diesmal Zeit mit, hier wird auf 3 Etagen vieles angesprochen, nicht nur der private, auch der preußisch-verstrickte Kleist wird beleuchtet, der Möchtegernbauer, Zeitungsherausgeber … Und auch seinem Nachhall in anderen Köpfen wird u.a. mit einer schönen Heiner Müller Mediencollage Raum gegeben.

Wer da schreibt oder Geschriebenes liebt oder auch Geschichten über Menschen, wie sie früher einmal durch die Welt flohen, reisten und manchmal ankamen, wird diese Ausstellung sehr mögen. Die KleistspezialistInnen werden vieles wiederkennen und die Sorgfalt und Leidenschaft wahrnehmen, mit der es neu angeordnet wurde. Alle anderen werden sich wundern und sich erfreuen an diesem vielen schönen Neuen. Einiges an Experiment wurde gewagt ... Aber damit werden die BesucherInnen nicht in die Krise gestürzt.


Wer da Text schreibt, ist glücklich dabei?
Wird glücklich damit?
Verdient sein Geld mit dem Schreiben?
Schreibt Seelenteile aufs Papier?
Kann nicht anders?

Will dich damit beeindrucken?

Wer da Text schreibt, ist unglücklich?
Wird unglücklich?
Macht sich unglücklich?

Auf den ist nicht Verlass, verschließt sich vor dem Leben?

Wer da schreibt, ist nur manchmal ein Kleist.
Nimmt seine Seele in die Hände und schaut woanders hin.

 

Die Ausstellungen sind noch zu besuchen bis zum 29. Januar 2012. Mehr Informationen finden Sie hier.


 

Sage mir, was du siehst...
Harry Potter und die Heiligtümer des Todes
Von Sandra Schramm


Alle Harry-Potter-Premieren haben wir im Thalia Kino in Potsdam gesehen, großartiges Eis gegessen, leckeren Tee getrunken, auf unseren Lieblingsplätzen gesessen und uns auf den Film gefreut ... und...

... erlebten am letzten Mittwoch ein trauriges Ende. Über den Film wird noch zu sprechen sein, aber zu allererst macht uns diese Premiere ganz viel vergangene Zeit bewusst. Ron (Rupert), Hermine (Emma) und Harry (David) sind ge- und erwachsen in und mit diesen Filmen. Sind wir das auch? Sie sind Stars geworden und reich sind sie auch geworden, das sind wir nicht. Aber wir mussten auch nicht mit einem Hollywoodkino kämpfen, um studieren zu dürfen, vielleicht haben wir ein wenig mit unseren Eltern gerungen.

Und weil dieser Film über weite Teile unterhält, aber nur ganz selten die Stimmung, das Gefühl der Vorlage trifft und ihre Schwächen verstärkt (im Buch kämpfen die mächtigsten magischen Wesen – die Hauselfen - mit Gabeln und Messern, auf der Leinwand kämpfen sie gar nicht mehr), wird man im Dunkeln oft auf sich Selbst geworfen.

Wenn der Film das intendiert hätte, wäre er ein ganz großer geworden. Stellen Sie sich vor, er hätte GEWOLLT, dass wir an den Tod unserer eigenen Eltern denken und nicht mehr an den Dumbledores. Eigentlich doch müssten wir an Hermine, Ron und Harry kleben, die da durch die Trümmer der magischen Orten laufen, die wir so lieben gelernt haben, aber leider sehen die dabei nur so aus als müssten sie ein starkes Stück Arbeit verrichten. Nun: Wenn etwas auf ihren Gesichtern aufblitzt und wir neugierig hinein schauen, dann sieht es ein bisschen nach Erleichterung aus, dass das wohl alles so schnell nicht wieder aufgebaut werden kann und sie dann zu alt sein werden, um zurück zu kommen.

Ich habe die Hoffnung auf ein gutes Ende schon aufgegeben, als uns Herr Yates erhalten blieb. Er kann vieles und hat mir Einzelszenen aus den Büchern präsent gemacht, die für mich als Leserin kaum Gewicht hatten, aber die magische Welt ist ihm immer etwas suspekt geblieben. Herr Yates mag diese Kinder, aber so richtig erwachsen, dürfen sie bei ihm nicht werden. Erstaunlich fand ich den ersten Teil des Endes, hier entwickelte sich zwar die Chemie zwischen Personen, die es im Buch nicht gibt, aber die Beziehung von Harry und Hermine bekam eine ungeahnte Komplexität... Was Hermine von Ron will: Wer hat es je verstanden?

Aber diese ganze Zauberkraft stört ihn doch und ist höchstens Mittel zum Zweck für bunte Bilder und viel Action. Frau Rowling führt mit den Heiligtümern des Todes eine andere Ebene hinter den Zaubertränken, -sprüchen, -pflanzen und fliegenden Besen ein. Hier ist ein nicht erklärbarer magischer Mythos im Spiel. Herr Yates wehrt sich dagegen, so vehement er kann.

Dieser Film ist groß darin seine eigene Kraft und die seiner Vorlage zu verleugnen. Doch damit führt er einen zurück zu sich selbst und löst nicht nur den Wunsch aus die Bücher wieder zu lesen, sondern eigene Visionen zu entwickeln. Das ist nicht das Fallen lassen, Verschwinden können, lustvolle Eintauchen, das mir die wirklich guten Filme und Bücher ermöglichen. Aber vielleicht ist es schwer sich der Angst vor dem Älter werden, dem Verlust von Geliebten und Familienmitgliedern und einer nicht greifbaren Transzendenz auf einer solchen großen Hypebühne wie Harry Potter zu stellen.

Frau Rowling scheitert im siebten Band an ihrer eigens geschaffenen Fülle.

Der Film bietet ganz oft Leere – für unsere eigenen Träume?


 

Ab morgen wird zurückgelächelt!
Klaus Maria Brandauer, der Krug und die Truppe
Von M. Gänsel


Beim Schlussapplaus feiert Klaus Maria Brandauer auf der Bühne sich, genießt, flirtet mit den ersten Reihen, lacht, beugt sich, hüpft. Der Rest der Truppe schaut ernst, lacht trotz anhaltender Beifallerei (Wir kennen das ja: Wenn die Masse klatscht, klatscht die sich in etwas rein, das in keinem Verhältnis zum Beklatschten mehr steht.) kein bisschen, freut sich null, hat etwas Angepisstes. Dann erst, am Ende, fügen sich Beobachtungen der gut zweistündigen Theatererfahrung.

Es gab den Krug vom Kleist, mit dem Brandauer als Richter Adam, eine Stein-Inszenierung, hier mal am Berliner Ensemble in B.

Schon zu Beginn hat man das Gefühl, als warte man dort auf der Bühne auf Brandauer. Der kommt einen Tacken zu spät, scheint es. Spielt sich dann aber recht schnell in die Rolle, eine halbe Stunde lang geht alles ganz gut, dann kommt der Text nicht mehr ganz so flüssig. Die Mitspielenden haben teils große Probleme ihre Einsätze zu bemerken.

Nun sei es Brandauern gegönnt zu extemporieren. Bei Kleist ist das nur so eine Sache, denn der Text ist wunderschönschwierig und wer ihn KANN, darf gern den Pfad der puren Wiedergabe verlassen. Brandauer dagegen wiederholt dann eben mal, um nach so einer Volte wieder ins Getriebe der nächsten Zeilen zu kommen.Die Mitspielenden schauen zausig heraus und suchen ihren Anschluss.

Roman Kaminski als Richter Walter, Michael Rotschopf als Licht und sogar Roman Kanonik (Ruprecht) sind teils gezwungen, Brandauer die Show zu stehlen, weil der sich in Launen verliert (hier wird der Wiener Schmäh ausgepackt, da wird die Ruprecht-Imitation zu lange ausgedehnt, dort wird das Gespräch zum Monolog-Austausch erklärt) und dabei eben immer wieder Texthängerchen hat. Als Muhme Brigitte (Ilse Ritter) derart aus ihrem Text gebracht wird, dass ihr die Worte fehlen, nimmt sie einmal gar Brandauers Hand, um ihn zu bremsen. Während des Schlussapplauses gehen die Schauspieler von der Bühne um gleich wiederzukehren – einer ihrer Kollegen (nicht Brandauer) legt den Arm um sie.

Das war kein Fest. Das war auch kein Reinfall. Schön zu sehen, wie fit Brandauer auf der Bühne ist. Schade zu sehen, wieviel Potenzial links, rechts, oben ungenutzt herumlag. Der Krug kann eine Ensemble-Freude sein, ein Fest auch für die auf der Bühne – das wünschte man sich ja fast sehnlicher als die Erfüllung eigener Erwartungen. Dass DIE Spaß haben, war an jenem Abend nicht zu spüren (Büttel Michael Kinkel: ok, für zwei Heller).

Warum am Ende (Unverständliches) GESUNGEN wird, mag Peter Stein wissen.

Auch wird zuviel gerufen in deutschen Theatern. Man will es nicht schreien nennen, es ist ein Rufen, ein lautes, sich steigerndes Aussprechen, der Text verliert, wird unverständlich. Derart rufend hat Tina Engel als Marthe Rull so manchen Monolog versemmelt – sie WEISS, wes Schuld dies ist.

Die frenetischen Feierrezensionen im Netz mögen das Stück alle vor zwei Jahren gesehen haben. Vielleicht war es im Januar, als es den Publikumspreis des Berliner Ensembles bekam, ein ganz ganz wunderfröhliches Theatererlebnis.

Auch wenn niemand fragt, tät ich für künftige Aufführungen in dieser Besetzung allen außer Klaus Maria Brandauer anraten sich so launig wie jener aufzuführen, um immerhin selbst Spaß zu haben. Damit ihr euch beim Schlussapplaus nicht ärgert über s.o. und so ernst und bitter schaut. Damit ihr lächeln könnt, all so:

Zurück lächeln.


 

"Freunde"

Von Astrid Mathis


Ich weiß, ich bin etwas altmodisch. Ich bin nicht bei Facebook und habe noch nie meine Freunde gezählt. Es gab Zeiten, da hat mich zur Weißglut getrieben, wenn mich meine schwangeren Freundinnen gefragt haben, wann es bei mir so weit wäre; die Frage kam aber nicht so oft wie die wegen des Internetportals. Jetzt hakt jede Woche ein anderer nach: „Wann ist es denn bei dir endlich soweit?“

Ich habe festgestellt, dass es viel weniger Schwangere gibt als Leute, die nur noch diese eine Kommunikationsquelle kennen. Anders sind sie nicht mehr erreichbar. Öfters beklage ich mich, warum meine E-Mails nicht beantwortet werden. E-Mail – das war doch auch mal eine Kommunikationsmöglichkeit. Geht nicht mehr. Sie sagen dann solche Sachen wie: „Du, das habe ich alles schon bei Facebook reingeschrieben, dann ist das für mich als Information weg, außerdem ist es ganz praktisch, man kann einfach allgemein einladen zum Theater oder zur Party, ohne aufdringlich zu sein. Du wirst sehen, man spart Zeit und hält trotzdem zu allen Kontakt, komm doch zu Facebook.“ Pah! Natürlich – wenig Zeit investieren und gleichzeitig gut dastehen.
Neulich war ich allerdings fast so weit: Ich hatte einen Theater-Pressetermin und viele Bilder geschossen, ebenso meine Freundin Moni. Hinterher habe ich sie gefragt, ob ich mir die Fotos mal ansehen könnte, vor allem die von meinen Lieblingsdarstellern. „Die stelle ich ins Netz, da kannst du sie dir angucken.“ Meine Kinnlade klappte nach unten. Ich wollte doch nur einen Blick auf das Display werfen…

Damit nicht genug. Ich hörte sie sagen: „Martin ist übrigens auch bei Facebook. Ich bin seine Freundin. Hat zwar sechs Wochen gedauert, und zuerst hat er mich ignoriert, aber jetzt habe ich es geschafft.“ – Martin, hm, ich überlege, ob ich ihr eine knalle. Das ist doch mein Favorit! Und jetzt sind die Zwei Facebook-Freunde. Nach nur sechs Wochen. Schlampe! Moni ist jetzt nicht mehr meine Freundin. Ich stehe kurz davor, mein altmodisches Gehabe sein zu lassen und alle Leute zu fragen, ob sie meine Freunde werden wollen, bei Facebook.

Das hat Moni ganz genauso gemacht. Ich glaube, sie hat 138.

Nun bin ich aber immer noch nicht bei Facebook. Martin hat nämlich einfach auf meine Mail geantwortet. Vielleicht frage ich ihn bei Gelegenheit, ob er mein Freund sein will. Momentan habe ich dafür keine Zeit: Ich mache die Steuer. Alle machen die Steuer. Das weiß ich auch ohne diese Internet-Rundinfo, weil das am Ende das Jahres immer so ist. Seit vier Wochen liegt sie schon auf meinem Tisch, und sie wird einfach nicht fertig. Ich frage mich, wie das andere Leute machen. – Ich frage meine Sachbearbeiterin, wie das andere Leute machen. Sie meinte: „Schicken Sie mir das bloß nicht wieder handschriftlich zu, das ist altmodisch, dafür gibt es die Internetvariante.“
Ich glaube, ich könnte mal wieder Fenster putzen. Das erscheint mir gerade viel wichtiger, als die Steuererklärung abzuschließen. Oder ich könnte mein Fahrrad reparieren oder mein Auto. Ja, mein Auto. Oder ich gehe doch zu Facebook. Dann habe ich sowieso für nichts anderes mehr Zeit. Und da frage ich Martin auch, ob wir schon Freunde sind. Ja, Freunde. Vielleicht kann ich damit die Schwangerschaftsfrage gleich mit erledigen. Das ist weniger persönlich, weniger aufdringlich.

Nun bin ich also bei Facebook. Es ist toll. Und vor allem sind da alle Freunde, von denen ich seit Ewigkeiten nichts gehört und gelesen habe. Juhu! Sie haben sofort entdeckt, dass ich eingestiegen bin. Ich bekomme Post mit Glückwünschen, dass ich jetzt zu ihnen gehöre, und sie schicken mir Fotos mit lustigen Motiven, da sind Galerien, die ich stundenlang anklicke und mich die Zeit vergessen lassen, meine Steuererklärung, meinen Wellensittich, meine Mutter. Außerdem erfahre ich bei der Gelegenheit endlich, wer auf dieselben Filme steht wie ich und das Buch mit dem Briefwechsel von A. R. Gurney hat. Das gab es nicht einmal auf Deutsch im Zentralen Antiquariat… und ich habe es monatelang gesucht! Was könnte ich denn noch herausfinden wollen…? Ach, ich hab’s: Ich stelle erst einmal eine Einladung zu meiner nächsten Lesung rein. Mal sehen, wer kommt. Wo ich doch jetzt nicht so aufdringlich bin, da müssen ja die Massen herbeiströmen. Moni hat mich übrigens gefragt, ob ich ihre Freundin sein will. Ich habe sofort zugesagt, ich bin ja nicht nachtragend, vielleicht kommt sie zu meiner Lesung. Davon abgesehen habe ich mit ihr schon insgesamt 142 Freunde, das sind drei mehr, als sie dann hat, und das gibt mir ein verdammt gutes Gefühl. Übrigens habe ich Martin tatsächlich gefragt, ob er mein Freund sein will, per Facebook. Er hat mir daraufhin eine Mail geschrieben und erklärt: „Was soll die Frage? Wir sind doch sowieso schon Freunde.“

Wenn er mir jetzt noch sagt, dass er ein Kind von mir will, wird das noch ein richtig gutes Jahr.

O ohne dich
Ein Abend mit Selig

Von Astrid Mathis

„Wir sind Selig – ich hoffe, ihr seid es auch!“

Als Jan Plewka am Montagabend das Wortspiel in der ausverkauften C-Halle in Berlin zum besten gibt, hat er Mütze und Tuch schon abgelegt. Dem Sänger, der zuletzt mit Songs von Rio Reiser von sich reden machte, scheint seine Hüpftechnik zu Kopf gestiegen zu sein. Vielleicht ist das erste Mal in der Columbiahalle auch einfach zu aufregend.

Er wischt sich die Schweißperlen von der Stirn. Das Publikum vor seiner Nase umweht der Hauch der 90er Jahre, erinnert sich an den größten Hit „Ohne dich“ und will noch nicht so richtig mithüpfen, als Jan Plewka motivierend in die Hände klatscht. Noch singt er „Ich erwarte keine Wunder mehr zwischen dir und mir“. Ein Liebeslied. Ein Abschiedslied?

Es wird nicht das letzte sein, denn auf Herzensangelegenheiten versteht er sich. Und da will noch einer sagen, mit traurigen Texten lasse sich nicht Staat machen. Die größte Liebeserklärung kündigt er an, manch einer erwartet schon „Ohne dich“, aber ohne Plewka. Er singt „Von Ewigkeit zu Ewigkeit“ und „mein Herz ist schwer seit Tagen“. Passend zur Winterdepression sozusagen. Augenzwinkernd fragt er kurz darauf in die Runde, wer die Band einmal im Knaack, Huxleys oder Metropol erlebt hätte. Es melden sich drei Leute, jüngere, und Plewka scherzt über das Alter, schafft die Überleitung zum nächsten Titel: „Schade. Ich dachte, wir könnten die Besten sein“.
Nee, also, dazu ist es nicht gekommen. Die Konzertbesucher beweisen, soweit hat es über die Jahre nicht gereicht. Selig füllt nicht die Max-Schmeling-Halle. Na ja, die Band hat sich ja auch erst jetzt wieder zusammengefunden. Ist eigen.

Was Plewka immer wollte.

Während der Show hält der Sänger immer wieder ein Silbertablett mit der Aufschritt „Selig“ in die Menge. Begeistert ruft er: „So sollte jede Woche anfangen. Es ist ein Fest!“ Er hat die Leute jetzt da, wo er sie haben wollte. In Feierlaune. Bei den ältesten Titeln ist die Stimmung auf dem Höhepunkt.

Genug der Schmusemusi verkündet der Sänger einmal und setzt dann ein mit „Lass mich los! Die Welt ist zu klein für uns beide“, schließt an mit „Hey ho, wie geht’s dir jetzt“. Die Männer sollen singen „Hey ho“, die „Frauen „wie geht’s dir jetzt?“ – „Wie im richtigen Leben“, kommentiert Plewka ironisch. Es geht fast immer um gebrochene Herzen, aber davon gibt es genug. Der Blues trifft offenbar den Nerv des Publikums.

Für die Zugabe hat Selig noch zwei Titel parat: „Wenn ich wollte, könnt ich wirklich, doch ich will dich nicht“ Und ein Lied, „das wir schon seit 1000 Jahren singen.“ Am Ende scheinen sogar die Gitarren aufzuheulen. Plewka beginnt im Dunkeln: „Langeweile besäuft sich.“ (Ohne dich) Vor mir liegen sich drei Männer, die wie Türsteher aussehen, in den Armen, wiegen sich im Takt. Ich spüre, wie meine Augen feucht werden. Allein für dieses eine Lied hat sich der Weg durch den Schnee gelohnt.

O, du Selig(e)!

Könige vor dem Britpop
SUEDE in der Columbia-Halle

Von Astrid Mathis

Sie waren schon lange vor den anderen da – Blur, Oasis – wie sie alle hießen und den Britpop erfunden haben sollen. Oder wollen. Suede war Britpop – vor ihnen – und anders. Spezieller. Oder sagen wir: besser. Doch kein Britpop. (Nach Andersons Interpretation jedenfalls nicht.) Alternativer Rock, könnte man auch sagen. Anfang der 90er erlebte die Londoner Band Suede den Höhepunkt ihrer Karriere. Anfang Dezember gaben die Jungs um Sänger Brett Anderson in der C-Halle Berlin das einzige Deutschlandkonzert innerhalb einer Mini-Europatournee. Best of. Die Gesichter um mich herum, Suede-Liebhaber. Die von damals, die nach der Auflösung der Band 2003 noch einmal so ein Gefühl von früher wahrnehmen wollen.

Dann betritt Brett Anderson die Bühne – wie seine Musikkollegen ganz in Schwarz gekleidet, aber bestens aufgelegt. Dabei sind sie doch für ihre melancholischen Songs bekannt. Nichts da. Anderson haut gleich die Hits raus „She“ und „Filmstar“, „So young“, reservierte Plätze vor der Bühne gibt es nicht. Die Halle vibriert. Ja, die Fans sind gekommen, um sich zu verausgaben, springen mit Anderson, als gäbe es kein Morgen mehr. Für Außenstehende ein Bild wie von einer Gruppe, die rhythmische Sportgymnastik zelebriert. Die Zeit steht still.

Dass Anderson (der wie ein 20-Jähriger herumspringt und sich Posen ergibt) einmal ein privates Wort sagen würde, ist nicht zu erwarten. Wie eine Figurine tänzelt er um das Mikrofon, schwingt wie je damit herum, verfängt sich sogar manchmal – egal. Er ist cool und weit von einer Wachsfigur entfernt. Das Hemd fast ganz aufgeknöpft, wird er nicht ausziehen, auch wenn Rufe danach laut werden. Statt dessen reicht er immer wieder seine hageren Hände ins Publikum, wandert durch die ersten Reihen, badet in der Menge, singt mit Zartgefühl und Wucht. Die Stimme, die Anderson seinem mageren Körper entlockt, feiert, jammert, betört. Er kann es noch. Bühnenshow im Lichterglanz hat er nicht nötig. Er ist die Show. Der Samtvorhang im Hintergrund wechselt von Zeit zu Zeit seine Farbe, das ist schon alles.

Am Ende sitzt Brett Anderson allein mit seiner Gitarre auf der Bühne, seine Lippen formen die Worte „I have to go“ (The living dead). Schließlich “if you stay… we’ll be the wild ones” (The wild ones).

Möchte’ ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch, du bist so schön.

Eine Nacht mit den wilden Preiselbeeren
The Cranberries in der Columbia-Halle

Von Sandra Schramm

Ich gehe nicht gern in die Columbiahalle, aber wenn eine Band eine Reunion macht und das vielleicht ihre letzte Tour ist und die Dinge ja gefeiert werden sollten, wie sie fallen – Wer weiß schon, was da kommen mag? – dann gehe ich trotzdem in die Columbiahalle.

So wie neulich – The Cranberries – waren in der Stadt und sie waren göttlich. Es gibt Musik, die sollte am besten zu Hause gehört werden, weil z.B. kein Soundcheck mit Tori Amos' Stimme und dem Klavier gleichzeitig klar kommt.
Und dann gibt es Musik, die müsste eigentlich jeden Abend live zu hören sein. Damit der Stress und der Druck und alle diese üblen kleinen und großen Dinge einfach so von einem abfallen und einem SALVATION zuteil wird.

Ich hatte wirklich vergessen, wie sehr ich diese Musik einmal gemocht habe.
Ich hatte vergessen, was Dolores O'Riordan für eine Stimme mit doppelten Boden hat und ich hatte tatsächlich, unglaublicherweise, ZOMBIE vergessen. Natürlich weiß ich, dass das ein Cranberries-Song ist, aber ich wusste nicht mehr, wie großartig es ist ZOMBIE mitzusingen.

Im Konzert sagte Dolores O'Riordan, dass es eine Sache ist, Songs zu schreiben und was sie zu diesem Zeitpunkt für dich bedeuten, dass sich dies aber irgendwann ändern kann und das sie die Lieder heute aus anderen Gründen und mit anderen Bildern im Kopf singt.

So ging es auch mir mit den Cranberries. Ich bin zu dem Konzert gegangen, weil ich jemanden begleiten wollte und mich dunkel daran erinnert habe, dass ich früher sehr begeistert vor meiner Stereoanlage herumgesprungen bin und weinend bei ‚I'm Free To Decide, I'm free to decide And I'm not so suicidal after all (at all, at all)’ mitgegrölt habe. Also hielt ich es für möglich, dass ich vielleicht etwas wehmütig werde und mich dann recht schnell langweile, mich die Konzertbegeisterung aber vielleicht doch durch die Zeit trägt.

Doch die Cranberries waren da, weil sie es wirklich wollten, sie haben über ihre Träume gesungen.

Träume altern wohl doch weniger, als ich gedacht habe.

Und so habe ich mit den Cranberries in der Columbiahalle geträumt.

Es waren schöne Träume, und laute.

DANKE CRANBERRIES für dieses unerwartet wohlschmeckende und wunderbare Beerenabendessen, dass das klatschfaule Berliner Publikum nicht kaputt machen konnte, nur leider unnötig verkürzt hat.

‚I'll be dreaming my dreams with you
And there's no other place
that I'd lay down my face
I'll be dreaming my dreams with you’ (Cranberries-Lyrics)

Fliederbaumverbrechen
Von Sandra Schramm


Hinter unserem Haus stand ein Fliederbaum,
er stand da schon sehr lange, deshalb war er kein Busch mehr.
In dem Garten waren immer mal zwei ältere Herren und
schauten in die Sonne
und ihr Hund flitzte durchs Gras.
Irgendwann war es nur noch ein älterer Herr
Und nun schaute er aus dem Fenster in den Garten,
wo der Hund gemächlich durch Gras wanderte.
Und dann waren die Gardinen ab und die Zimmer ganz leer.
Wir wissen nicht wohin sie gegangen sind.
Weil wir heutzutage zwar fast alles wissen, aber nicht die Namen der zwei älteren, netten Herren von nebenan.

Dann drangen eine Woche lang sehr laute Geräusche aus der Wohnung.
Die Wände sind seitdem weiß gestrichen und bunt abgesetzt und warmes Licht fällt abends auf die Straße.
Sie grüßen nicht zurück und schauen immer etwas verstockt, wenn sie angelächelt werden.
Gestern haben sie den Fliederbaum beschnitten.
Sie haben den Fliederbaum zerrupft und seine Äste abgerissen.
Jetzt sieht er aus wie ein gruseliger Baum aus einer Gespenstergeschichte – hoffen wir, dass ein kopfloser Reiter ihn rächen wird.
Noch vor ein paar Wochen sind durch den Schnee auf den Zweigen viele kleine Vögel zum Futterhaus gehüpft und im Sommer davor hat er immer Schatten gespendet, wenn es in der Küche am wärmsten wurde.

Und natürlich war er ein Fliederbaum – ob ohne ihn die Nächte im Mai wohl trotzdem süß werden?


 

Fans im Jacko-Fieber
Show über den King of Pop tourt durch Europa
Von Astrid Mathis

Der King of Pop - er lebt. Zumindest ist Michael Jackson unsterblich und mit ihm die Hits einer ganzen Generation. Seine Erfolge sind unerreicht. 750 Millionen verkaufte Alben sprechen für sich. In der Show "Thriller live" vom Londoner West End, die am Mittwochabend ihre Berlin-Premiere feierte, lebt die Erinnerung an Michael Jackson weiter. Wer so gefeiert und verehrt wird, kann nicht vergessen werden. Und kopiert werden schon gar nicht. Um Michael Jacksons Hits zu präsentieren, bedarf es eben mehrerer Musiker, inklusive einer Frau. Darum interpretieren in der Show von Adrian Grant auch gleich vier Sänger (Ian Pitter, Carol Stennett, Dwayne Wint und JP Castillo) den Ausnahmekünstler und zwei Darsteller, von denen allenfalls der Jüngste (Jordan Bratton) äußerlich Ähnlichkeit mit MJ hat und sogar Parallelen in seiner Lebensgeschichte aufweist. Somit sind die vier Oktaven von Michaels Stimme gut aufgeteilt.

Mit dem Song "Remember the Time" gibt das Ensemble den Startschuss für die Zeitreise von den Jackson 5 bis zum Solokünstler mit dem Silberhandschuh. Da tönt es aus dem Publikum zum ersten Mal "Uh" und "Ah", ein paar Fans stehen auf und tanzen mit. Schiefe Blicke von den Sesselhockern. Am Ende wird es niemanden mehr auf den Sitzen halten. Michael Jackson selbst war hin und weg, als er sich 2006 das Debüt von dem Schöpfer und Co-Produzent Adrian Grant ansah. Die Idee für das Musikereignis entstand 2001 nach der zehnten von Grant kreierten Annual Michael Jackson Celebration, die er 1991 ins Leben gerufen hatte. Nach viel Bürokram und einem Start bei Null schuf er die Show für das Londoner West End. Mit Gary Lloyd konnte Grant einen Experten in Sachen Regie und Choreographie gewinnen, der nicht floppen würde.
 
Allein die Kostüme, die in der Show aufgefahren werden, sind eine Augenweide - von den Karo-Schlaghosen über den Auftritt in Weiß mit breitem Gürtel bis hin zum Nadelstreifenanzug mit kurzem Bein, so dass die Socken gut zu sehen sind, reine Perfektion. Dazu die Lichteffekte, die dem Ganzen mit schillernden Farben oder Schattenspielen die richtige Optik geben, in der sich die Tänzer bewegen. Ganz im Stile Jackos, mal hart, mal soft, mal langsam, mal schnell, aber immer akkurat auf dem Punkt. Wie es in dem Film "This is it" noch einmal jeder zu sehen bekam.

Als der Michael Jackson-Interpret JP Castillo "She's out of my life" in das Mikrofon haucht, nein: flüstert, letztlich sogar schmettert, bricht danach unter den Zuschauern ein Begeisterungssturm los, der alle seine Auftritte begleiten wird. Ob zu "Beat it", wobei sich JP mit langem schwarzen Mantel zwischen verfeindete Gangs stellen wird, oder zu "Dirty Diana", bei dem zwei Amazonen in Lederkluft mit Helmbusch um ihn herumtanzen. Nicht minder umwerfend die Nummer "The way you make me feel", in der sich Carol Stennett sexy vom Tanzensemble umgarnen lässt. Vor allem im zweiten Teil punktet die Show mit Nummer-1-Titeln, die ohne Zweifel eine Show für die Fans ist. Schließlich legt der Haupttänzer Jovanny Pichardo mit Hut und Handschuh geschmeidig den Moonwalk hin, synchron zum Ensemble, begeistert zu "Smooth Criminal" und "Dangerous" und lässt das Publikum jubelnd zurück.

Als Jordan Bratton zart "Heal the World" zu singen beginnt, steht die Menge stumm, Leuchtstäbe überall, Männer und Frauen liegen sich in den Armen. Nicht nur, weil Weihnachten noch gar nicht so lange her ist. Zuletzt gehört "Black or White" dem gesamten Ensemble. Sie alle leben den Traum, ihr Idol auf der Bühne zu feiern. Michael Jackson - er ist der King of Pop, Rock und Soul, wie Ian Pitter einmal sagt. Die Show, die an den King of Pop erinnert, die seine größten Hits ins Theater bringt - sie lässt ahnen, was Michael Jackson im Sommer 2009 in der Londoner O2-Arena auf die Bühne gezaubert hätte. Sie ist kein Ersatz dafür, aber ein Muss - zumindest für jeden Jacko-Fan.

Bis September tourt "Thriller live" noch durch Europa.
Infos auf www.semmel.de.
Fotos: Mit freundlicher Genehmigung des Veranstalters.

 

Geburt des Irrsinns
Es ist... ein Kreditmediator!
Von M. Gänsel

Jahaaa, jawoll, DAS ist mal das richtige Zeichen: Wenn die Banken den Firmen keine Kredite geben wollen, kommt der Onkel Kreditmediator und stößt den Banken mal Bescheid! Ach nee, die stoßen ja weniger, die mitteln ja, die rütteln ja, die hören ja nur zu und dann sagen sie dem einen, was der andere gesagt hat. Oder gemeint. Und dann sagt der andere: „Ach so!“ Und gibt, in diesem Falle, einen Kredit. Weil vorher hat der Firmenonkel immer nur „hrjfgasrztz“ gesagt, dass hat der Bankenonkel nicht verstanden.

Verstehen Sie mal nicht falsch, ich find den Beruf des Mediatoren ganz wunderbar, es ist ein Zeichen dieser unserer Zeiten, dass wir Menschen brauchen, die unsere Sache mal so formulieren, wie wir sie eigenlich, ohne Hass / Ärger / Wut meinen. Netto quasi.

Der Anfechtungen sind gar viele im Alltag, da passiert es Ihnen und mir schon mal, dass wir an falscher Stelle das noch falschere Wörtchen wählen, das das Gegenüber nach hinten über fallen lässt vor Enttäuschung / Irritaion / Schiss. Wenn dann immer jemand da wäre, der uns aufs eine Bein, den andern aufs andere Bein setzen lässt und gaaanz leise murmelt: „Nun sag mal in ganz einfachen Worten, was du vom Dieter möchtest“, dann wäre das schon eine ganz prima Sache.

Ein Berufsparadies tut sich auf!

Sozialkompetenz-Mediator!
Hundehaltertütchen-Ausgabestelle-Mediator!
Mario-Barth-Fan-Mediator!
Rolltreppen-unten-stehen-bleiber-Mediator!
Spam-Mail-Mediator!
Nichtrauchergeruch-in-Zügen-(Schuppen, Schnuppen, Schweiß)Mediator!
Schneeregen-Mediator!
Genrerell-ungehöriges-Verhalten-in-der-Öffentlichkeit-Mediator!
und...
und...
und...

Vorschläge?

Obige Kreditmediatoren sind natürlich Schwachsinn. Zeigt mir EINEN Bankenonkel, der nach dem Mediatorengespräch Kohle fließen lässt. Werde die Adresse www.dankesehrfein-kreditmediator.de einrichten, dann können sich die Firmenonkel online bedanken.

Lukas, werd’ doch VWLer
oder
Potsdam, was wirret dir -
Von Sandra Schramm

Warum darf jemand Macbeth inszenieren, der beides hasst - das Theater und Shakespeare?! Außerdem verachtet dieser jemand scheinbar die Menschen, die heute noch ihren Weg ins Theater finden. Und er hat natürlich recht. Es gibt keinen Grund in das Hans-Otto-Theater zu gehen, um sich die Macbeth-Inszenierung anzuschauen. Alles wäre besser gewesen, als das Potsdamer Theater zu besuchen – Katherine Heigl und Gerard Butler in der x-ten Variante eines Datingmovie zu beobachten, wäre unterhaltender gewesen. Aber dieser Inszenierung fehlte es nicht nur an Unterhaltungswert, Humor oder Professionalität. Auch intellektuelle Schärfe oder ein ausgeprägter Zynismus mit Ziel fand sich nicht.

Sollte ich provoziert werden durch gähnende Langeweile, durch schlechte Anspielungen auf das Skandaltheater der 70er – ein nackter Po, schreiende und Spaghetti spuckende SchauspielerInnen, Jugendliche mit deutsch-türkischem Opferslang in amerikanischen Superheldenkostümen? Wenn mich das alles an der Existenzberechtigung großer öffentlicher Bühnen zweifeln lassen sollte, hat es sein Ziel erreicht, denn so gelangweilt hat mich Kunst noch nie.

Und währenddessen fand im T-Werk die Odin-Inszenierung statt, ein Feuerwerk des Geschichtenerzählens, an großen Ideen und wundervoll kleinen leidenschaftlichen Umsetzungen. Aber ich wollte dem HOT nach der sehr langatmigen, aber nach dem gestrigen Theaterabend im neuen wunderbaren Licht erscheinenden Bernhard-Desiree-Nick-Inszenierung, eine zweite Chance nach dem Umzug geben. Weil davor gab es Unvergessenes - den witzigen und klugen Gemüsekrieg im König Ubu, die Wanderung über die Bühne mitten in Kleists Hermannsschlacht hinein und ein intimes Zuhören beim Krieg und beim Frieden wurde in der Französischen Kirche möglich gemacht. Doch jetzt gibt es im großen Theater Provinzmöchtegerns. In Potsdam wäre manches möglich – hier könnten sie sich des spannenden Hinterlandes bewusst werden, die Vielschichtigkeit der Preußen endlich entdecken oder aber die Freiheit der Provinz nutzen.

Aber das HOT langweilt sich und mich – also gehen wir lieber ins Thalia, gehen wir weiter ins T-Werk und freuen uns auf das Unidram, freuen wir uns auf die Winterspielpläne des Deutschen Theaters, vielleicht findet sich ja noch eine Alice-im-Wunderland-Überraschung. Oder googeln, blackeln Sie freien Herzens und suchen Sie nach einer schottischen Inszenierung des Macbeths - Samantha Bond als Lady Macbeth und Sean Bean als Macbeth.

Doch bitte meiden Sie das Hans-Otto-Theater oder aber kündigen Sie das Ganze als Potpourri aus 4 Jahrzehnten schlechter Inszenierungsideen an, gerade junge Studierende ersparen sich damit viele andere qualvolle Ausflüge in die Theaterwelt.

Und um auf die Überschrift dieses Wutbriefes zurück zu kommen: Viele Menschen, die VWL, BWL, Jura oder anderes studiert haben, träumen heute noch jede Nacht vom Theater, aber es sollte eben nicht sein.

Herr Lukas Langhoff , wenn Sie die Möglichkeit haben, da Sie vielmehr davon zu träumen scheinen, auf keinen Fall weiter ins Theater zu müssen, studieren Sie noch einmal. Vielleicht helfen Ihnen ja gerade die Zahlen und die mathematischen Beweise dabei Ihren Weg in ein theaterloses Leben zu finden. Warum Sie das Theater auch immer hassen, bitte richten Sie es nicht weiter zu Grunde.

Weil ich das Theater weiter lieben will!

Wir sind Obama
Von A. Mathis

Wir waren ja schon so allerlei. Zu Anfang hieß es "Wir sind das Volk", später "Wir sind Deutschland", danach "Wir sind Papst", und jetzt sind wir wohl Obama. Barack Obama, 44. Präsident der Vereinigten Staaten, ist nicht nur Hoffnungsträger für die USA. Die Deutschen zitterten bei der Wahl mit und sehen nun einen politischen Traum erfüllt - ein Schwarzer sitzt im Weißen Haus. Vorbei mit der Ära George W. Bush.

Zur Vereidigung des fünftjüngsten Präsidenten in der amerikanischen Geschichte feierten auch die Deutschen. Drei große Feiern gab es in Berlin, mal abgesehen von vielen kleinen Privatpartys. Eine von den großen hatte der Texaner Jon Gerdes gemeinsam mit Sarah Dransfield und Tomás Vancá in der Kneipe "Irish Harp" in Berlin Charlottenburg organisiert.

"Wir saßen in der Wahlnacht zusammen und dachten: Wie können wir eine Party schmeißen, die authentisch ist mit gutem Essen und der richtigen Stimmung, ohne über teure Agenturen zu gehen?" Wenn schon, denn schon, war das Motto. Irgendwann vor Weihnachten hörten die Drei auf, regelmäßig zu essen, zu schlafen und Freunde zu treffen. Die Feier im Irish Harp sollte perfekt werden. Also Sticker und T-Shirts importiert aus den USA mit "Barack Obama" darauf, weiß-rot-blaue Girlanden gekauft - und die Freelance Incorporated gegründet, um das ganze Brimborium zu finanzieren Zwei Musikakte -CBJespersen&Band und die Motown Lovers -sollten das amerikanische Programm abrunden.

"Jetzt hat er die Scheiße am Hacken", sagt ein deutscher Journalist an der Bar des "Irish Harp", als Barack Obama gegen 18 Uhr deutscher Zeit seine Rede beginnt. Ja, so kann man es auch sagen. Auf ein neues Zeitalter soll sich die Nation vorbereiten, betont der 3. Präsident aus Illinois, der immer wieder gern mit Abraham Lincoln verglichen wird. Er spricht von Gleichheit, von Freiheit, davon, dass wir die Hoffnung gewählt haben und dafür arbeiten müssen, um alles gut zu machen: Schulen und Universitäten zu reformieren, Jobs für die Familien zu schaffen, zwischen Sicherheiten und Ideen zu wählen. Er redet von unterschiedlichen Religionen, Kulturen, Sprachen, die Amerika ausmachen, von einer neuen Ära des Friedens, die mit ihm seinen Anfang nehmen werde. Amerikaner sollen sich nicht dafür entschuldigen müssen, wie sie sind. Die Welt habe sich verändert, betont Obama, wir müssen uns darin selbst ändern, Verantwortung übernehmen, zur Wahrheit zurückfinden, zu Freiheit, Hoffnung und Tugend.

Von Zeit zu Zeit wird die glühende Ansprache von Barack Obama durch Ausrufe der Begeisterung unterbrochen, doch die meisten der internationalen Gäste sitzen mit offenem Mund da und starren auf die Leinwand. So ein Staatsoberhaupt kann neidisch machen.
Beim Quiz, das Jon Gerdes nach der Amtseinführung austeilt, sind die Landsleute von Obama klar im Vorteil. Zumindest beim Essen können dann alle mithalten. Südstaatenbuffet mit texanischem Chili und vegetarischer Lasagne Chicagoer Art erwartet die Obama-Anhänger. Bevor sie gehen, nehmen sie noch einen Sticker mit der Aufschrift "Obama" mit. Man darf ja wieder pro Amerika sein. Yes, we can!

Das Phänomen
Thomas Godoj in der Columbiahalle Berlin
Von A. Mathis

Er scheint keine Eintagsfliege zu sein, auch keine werden zu können. Thomas Godoj, der Sieger der letzten Staffel von "Deutschland sucht den Superstar" 2008, zieht alle in seinen Bann und irritiert zugleich. Man möchte meinen, die Beatles treten auf, als er sein erstes Konzert in der Hauptstadt gibt. Der Altersdurchschnitt in der ausverkauften Columbiahalle liegt vermutlich bei 40 Jahren, wobei 30 Prozent der Gäste nicht bloß 20 Dienstjahre im Betrieb hinter sich haben, sondern schon einige Zeit Rente beziehen. Leute also, für die ich in der S-Bahn aufstehe, um ihnen einen Sitzplatz anzubieten, schlagen sich bei Thomas Godoj in die erste Reihe durch. Leute, die auf Krückstöcken und mit Armbandagen gepeinigt sind und sich das Gedränge trotzdem antun. Und genauso fanatisch zeigen sich Grundschüler, die mit Mutti und Vati in die Halle gekommen sind. Eine unglaublich große Alterssparte, die der Rocker aus Recklinghausen begeistert.

"Bin ich aufgeregt! Das erste Konzert in meinem Leben", sagt eine Mittvierzigerin und schiebt gegenüber ihren Kolleginnen noch aufgeregter nach: " Und dann auch noch bei Thomas. Hammer." Im Forum sind die Damen, nach ihrem Grundwissen zu urteilen, offenbar regelmäßig zu Gast. Leute also, die sonst Probleme haben, ein E-Mail-Programm zu öffnen. Geht alles. Wegen Thomas. Der rockt die komplette Scheibe "Plan A" runter und noch mehr. Nach den ersten vier Titeln ruft die Menge "Ausziehen!", was der Sänger schmunzelnd ignoriert, bis er es irgendwann nicht mehr kann. "Ihr denkt immer nur an das Eine", bemerkt er, und sein Bandkollege ergänzt: "Du wirst total auf deinen Körper reduziert." - "Wenn, dann mach´ ich das vom Gefühl her", verspricht der Sänger daraufhin, er, der einst eine Lehre als Maschinenbauschlosser machte und davon zumindest das systematische Abhaken von Arbeiten beibehalten hat. Sein Programm teilt er nämlich in einen englischen Part, einen deutschen, einen gemütlichen (mit Liebesliedern) und einen DSDS-Teil ein. Beim Aufbranden der "Ausziehen"-Rufe meint er schließlich: "Das ist unglaublich. Es macht auch Spaß, aber ich krieg´ bald Alpträume davon." Alles habe er für die Musik aufgegeben, betont er und wird mit "Und war richtig" unterbrochen. Es folgt der Titel "Plan A", er muss einfach folgen. Die Stimmung ist längst auf dem Siedepunkt, "es läuft alles nach Plan A", singt der DSDS-Star. Tom Fronza zaubert kurz danach auf dem Didgeridoo Töne, die etwas ungewöhnlich Meditatives an sich haben. Und Thomas Godoj hebt die Arme hoch, schließt die Augen, dann die Hände zu Fäusten. Derweil man sich fragt, ob jetzt eine Gruppentherapie folgt, beginnt der Sänger auf Polnisch mit "Urke", und am Ende bleibt die Frage, wieso eigentlich nicht ER den Titelsong zu dem Film "Krabat" singt. Mit seinen Versionen von "Chasing Cars" (Snow Patrol) und "Suspicous Minds" (Elvis Presley) will er sich verabschieden. Dabei kommt es ihm selbst vor, als hätte er erst 20 Minuten auf der Bühne gestanden. Sagt er. Und geht. Wartet die Zugabe-Rufe ab, die sich überschlagen. Erschöpfte Fans werden aus der Masse gezogen, als Thomas zum letzten Akt ansetzt - und tatsächlich sein T-Shirt lüpft. "Heut´ ist einer der Tage, wo alles gelingt" beginnt er und endet immer wieder mit "Helden gesucht, die unter Feuer was vertragen." Als er zur Beatles-Hymne "Let it be" anhebt, ist das Publikum nur noch ein einziger großer begeisterter Schrei. Thomas Godoj lässt sich durch die Reihen tragen und wird gefeiert. Verschwindet dann endgültig hinter der Bühne, um wenig später sehr zum Erstaunen der Fans Autogrammkarten zu schreiben.

Wenn er so weitermacht, läuft alles noch lange, sehr lange nach Plan A mit ihm.


 

© POTZDAM 2009