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Von
M. Gänsel
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Die letzte
Klage über modische Unzulänglichkeiten liegt
eine Weile zurück. Dies mag einerseits einer Einsicht
ins unabwendbare, für jetzt und alle Zeiten eben
hässliche Berliner Mode-Geschick zu schulden, andererseits
im nur splitterhaft wahrgenommenen Elend begründet
sein man schaut ja nicht mehr auf, wenn man auf
der Straße unterwegs und einigermaßen selbstliebend
ist.
In einem anderen Berlin lief gerade die Berliner Fashion
Week in einem anderen Berlin lief Frau P. neben
Frau C. in ebenfalls hässlichen, aber immerhin
passenden, sauberen Kleidern über Laufstege. In
diesem anderen Berlin trägt die Dame Kleidchen,
Röckchen, Höschen und sieht gar wundersam
rein, frisch ganzkörperrasiert und zu keiner Schandtat
bereit aus. Aber die Sachen PASSEN wenigstens.
Denn dieser m.W. seit geraumer Zeit an Kleidung gestellter
Anspruch wird in MEINEM Berlin fröhlich ignoriert.
Die Rede ist weder von diesen nicht vorhandenen Jungshintern
noch von trotzig Wade zeigenden Mitvierzigern. Das ist
alles nicht schön, schränkt aber die Träger
nicht ein, ganz im Gegenteil in solcherart Kluft
lässt sich das Gemächte noch einmal so schön
zurecht rücken.
Wer unter dem Nicht-Passen mal wieder am meisten zu
leiden hat, sind die Mädchen. Die jungen Frauen.
Und ja es sind die Vollproletten.
Das Sujet: ein auf die Höhe der Hüftknochen,
welche je nach Körperfettanteil zu sehen oder nicht
zu sehen sind, gequetschter und geschlossener Hosenbund.
In der Mitte des Bundes befindet sich ein Reißverschluss,
der sich schräg, Wellen werfend und zum Bersten
gespannt über die zweite Hälfte von dem quält,
was W. Droste die Rolle der Frau nennt.
Der Stoff links und rechts vom Reißverschluss
tut dasselbe. Von vorn gesehen, schließen sich
nun zwei knalleng bespannte Oberschenkel an, die durch
den Druck und den schiefen Sitz der Hose nach innen
gedrückt werden. Ab Knie stellt sich die Hose,
weil un-mög-lich geschnitten, spontan nach links
und rechts aus. Der Knöchel wird in den meisten
Fällen geradeso vom Stoff erreicht. Von hinten
ergibt sich ab Oberschenkel und Knie dasselbe Bild,
der Hintern ist nicht mehr vorhanden, da die Hose mit
ihren Taschen alles ab Kimme zu einem lustfernen Brei
zusammenquetscht, der dann plötzlich einfach aufhört.
Ganz unten, an den Füßen, wird zumeist etwas
Flaches getragen, was nach eingehender Recherche einer
Art Resignation zu schulden ist. Bei dieser anatomischen
Ausgangslage ist ein Gang vorprogrammiert, der die Hüfte
seitenwechselnd nach vorn schiebt und gleichzeitig hofft,
dass die jeweils dazugehörenden Beine die Bewegung
aufnehmen. Es folgt ein Schlenkern knieabwärts,
das eher unkontrolliert wirkt. Das Mädchen KANN
nix anderes als irgendwas Flaches dazu anziehen. Jeder
Absatz forderte Verletzungen, böse.
Die Botschaft dieser Hosen ist: Ich habe dicke Oberschenkel.
Natürlich haben nicht alle der diese Hosen tragenden
Mädchen dicke Oberschenkel. Aber diese Hosen MACHEN
allen Mädchen dicke Oberschenkel.
Das sieht, einem jeden wird es einleuchten, selbst unter
toleranten Schönheitsmaßstäben POTTEHÄSSLICH
aus. Und macht doch bestimmt keine Laune. Wo haben die
das her? Warum machen die das? Wer hat denen erzählt:
Wenn du wahrscheinlich nicht so bald einen Ausbildungsplatz
finden wirst, musst du solche Hosen tragen?
Liebe Gesellschaft, so was ist gemein. Ich meine, stellen
Sie sich doch mal die vielen 14- und 15-Jährigen
vor, die allabendlich stöhnend vor Erleichterung
sich dieser Frechheit entledigen, mit rotgequetschten
Oberschenkeln und Hinterbacken, die Füße
dank Flachlatschen kaputt geschlurft. Das KANN doch
nicht das sein, was wir der Jugend wünschen.
Ich möchte die Lesenden ermutigen: Sprechen Sie
an. Weisen Sie darauf hin, dass es auch bequemer geht.
Dass es nicht unmöglich ist, einen Fuß vor
den anderen zu setzen. Dass Reißverschlüsse
länger als sechs Zentimeter oder gar Knöpfe
sein können. Dass man abends etwas Schönes
kochen könnte. Na ja. Aber versuchen Sie's. Bitte.
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Elisabeth
Und
ewig lockt der Tod
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Von
Astrid Mathis
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Die Sissi in Berlin. Da ist sie nun, die Kaiserin Elisabeth
von Österreich.
Hochgeschnürte Busen überspielen die fehlenden
Wespentaillen im Foyer. Umsonst. Alles umsonst. Im Theater
des Westens wird niemand den Glanz von Elisabeth überstrahlen.
(c) www.stage-presse.de (mit freundlicher
Erlaubnis)
Düster
beginnt das Musical, an das Harry Kupfer nach der Welturaufführung
1992 in Wien (Text: Michael Kunze, Musik: Sylvester
Levay) ein weiteres Mal Hand angelegt hat. Der Meister
hält sich nicht nur an die letzte Wiener Inszenierung,
mit Uwe Kröger als Tod und Pia Douwes als Elisabeth
bringt er auch noch die Originalbesetzung von damals
mit. In Berlin ist das längst kein Garant für
den Erfolg eines Musicals, das anderswo Jahre für
ein ausverkauftes Haus sorgte. Und doch ... das Kabinettstück
gelingt. Die abgestaubte Elisabeth hat wenig von dem
Image, das ihr anhaftet - und berührt.
Luigi Lucheni (Bruno Grassini), der Mörder Elisabeths,
steht zum wiederholten Male vor einem imaginären
Gericht im Reich der Toten und soll die Hintergründe
für seine Tat nennen. Er ist seit 100 Jahren nicht
mehr unter den Lebenden. Wie Elisabeth, die er ja nur
ermordete, weil er gerade in der Stadt war und den Grafen
von Orléans nicht traf, den er eigentlich töten
wollte. Hintermänner für das Verbrechen gibt
es nicht. Nur den Tod. Und den liebte die Kaiserin.
Also tat er ihr im Prinzip bloß einen Gefallen.
Die Schwebebühne ragt wie die Feile in den Raum,
die sie später bei einem Attentat das Leben kostet.
Der Tod spaziert darauf entlang und liefert sich ein
Gesangsduell mit Lucheni. Das ist erst der Anfang. Kröger
in Weiß und blond, Grassini in Schwarz und dunkelhaarig,
so stehen sich die Männer gegenüber. Irgendwie
sind sie einander absurd ähnlich in ihrer Selbstverständlichkeit,
Elisabeth eines Tages zu besitzen. Von einem Engel haben
beide wenig. Dieser Part steht Pia Douwes zu. Sie singt
"Ich gehör nur mir", während sie
im goldenen Käfig sitzt und die Grenzen ihres neuen
Lebens erkennt. Ihre Kinder werden ihr entrissen, Franz
Josef steht eher zu seiner Mutter als zu ihr. Was bleibt,
ist die natürliche Schönheit, die sie fortan
als Waffe benutzen wird. Und immer wieder tritt der
Tod an sie heran und will sie entführen. Als sie
heiratet, taucht er auf wie ein Unglücksprophet,
als ihr Kind stirbt, thront er über ihr und streckt
die Hand aus. Selbst als ihr Mann sie mit einer Geschlechtskrankheit
infiziert, steht er zur Seite und erwartet die Kaiserin.
Doch Elisabeth wehrt sich, sie schreibt Gedichte, sie
liest Heine, sie schließt sich vor der Welt ein
und weist ihren Sohn ab, als dieser um Hilfe bittet.
Franz Josef bleibt dabei stets eine blasse Figur ohne
Aussicht, seine Frau jemals wirklich zu erreichen. Derweil
erzählt Lucheni ihre Geschichte lakonisch und schnörkellos
mit einem Charme und Witz, der Elisabeth lange schon
abhanden gekommen ist. Abhanden kommen musste. Viel
zu ähnlich ist ihr Sohn Rudolf der früheren
Elisabeth, als dass sie ihn ertragen und für ihn
einstehen könnte. Sein Tod trifft sie, aber ihre
Todessehnsucht bleibt noch unerfüllt. Der Tod wählt
den Zeitpunkt selbst aus, wann der Schleier fällt.
(c) www.stage-presse.de
(mit freundlicher Erlaubnis)
Uwe Kröger
spielt seine Rolle unterkühlt und mit der Gewissheit,
dass ihm am Ende ohnehin alle erliegen. Jeder Blick,
jeder Ton spiegelt eine Selbstgefälligkeit wider,
die zum Tod passt, jedoch begehrendes Verlangen vermissen
lässt. Pia Douwes hingegen ist mit ihrer Stimmgewalt
und Zartheit eine Elisabeth voller Sehnsucht und Selbstzweifel,
voller Liebe, Wut und Angst, die trotz Eitelkeit und
Egoismus unprätentiös und verletzlich daherkommt,
weil ohne Fächer alle Schwächen offensichtlich
sind. Schwächen, die sie menschlich machen und
eine andere Elisabeth zeigen, als auf den Souvenirs
abgebildet ist, eine Frau, die sich vor dem Nichts fürchtet.
Zweifellos bleibt die Musik in der Berliner Inszenierung
ein Meisterwerk, das in der Musicalszene nicht ohne
Grund seinen hohen Stand behauptet, und trägt den
Zuschauer mit eingängigen Melodien durch die Zeit
der k.u.k.-Monarchie. Allerdings ist das spartanische
Bühnenbild auffällig, besonders in der zweiten
Hälfte sticht die Leere ins Auge. Schwarze Federn
hier und da, die Flügel des Todes, sind eben kein
Ersatz für eine goldene Kutsche, von der er herabsieht,
der personifizierte verführerische Tod. Wenngleich
der rote Schleier von dem ebenso rot gefärbten
k.u.k.-Doppeladler provokant in den Raum fällt
und ebenfalls seinen Reiz hat. In einem Rot, vor dem
sich Tod und Elisabeth teils tanzend, teils kämpfend
bewegen, wohlbemerkt.
Das Schachbrett, auf dem sich Erzherzogin Sophie (Christa
Wettstein) mit ihrem Gefolge in Wien neue Spielzüge
überlegt, ist lediglich Projektion im Hintergrund.
Genauso wie vieles andere. Und auch das goldene Bett,
auf dem Rudolf und Tod "Die Schatten werden länger"
singen, fehlt, und um so schmerzlicher, wenn sich die
Männer statt dessen auf einem in eine schwarze
Feder eingebetteten unverzeihlichen dünnbeinigen
Küchentisch räkeln. Das Karussell in der Bordell-Szene
fällt kurzerhand weg, die Dirnen marschieren einfach
so auf die Bühne.
Manch Bühnenbild-Reduktion tut nicht weh, wiederum
manch Rück-Projektion tut nicht not. Doch Gottseidank!
- weder Projektion noch Reduktion vermögen die
Klasse der Inszenierung zu schmälern. Mit Pia Douwes
als Elisabeth hat das Theater des Westens seit dem 20.
April eine Elisabeth in der Hauptstadt, an die sich
nicht nur eingefleischte Musicalfans noch lange erinnern
werden.
"Elisabeth" läuft noch
bis zum 28. September im Theater des Westens Berlin.
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"Es
gibt kein richtiges Leben im valschen"
Michael
Nast und die Supernanny
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Von
M. Gänsel
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Die
Medialisierung des Privaten inform von Kindererziehungs-,
Wohnungseinrichtungs- und Schuldenverminderungs-Sendungen
im TV lockt heutzutage keinen Empörer mehr hinter
seiner FAS hervor. Man kann ja wegschauen. Es kann jedoch
guten Gewissens behauptet werden, dass gerade diese
Sendungen den Bloggereien des Internets den Weg nicht
nur geebnet, sondern geradezu vorgeschrieben haben.
Dort (TV) entscheidet das von pfiffigen Praktikantenredakteuren
definierte Ausmaß des Elends über die Teilnahme
an einer öffentlichen Destruktion, hier (Internet)
entscheide ICH glaube ich zumindest. Denn eine
wichtige Voraussetzung möchte der Blogger hier
wie dort erfüllen: Wasche Wäsche, möglichst
schmutzig. Dies dient der Unterhaltung.
Natürlich
gibt es auch Blogs, die sich der Information, der Aufklärung
verschrieben haben. Die schaffen es jedoch m.W. nicht,
aus der virtuellen Spielwiese hinaus und Samstagnacht
in einen Berliner Club hinein zu treten, was sich durch
den Mangel an Massentauglichkeit bei ersteren und einer
Art Big-Brother-Anmutung von letzterem erklären
lässt.
Dass
die plötzliche Popularisierung zum Massengeschmack
die Initiatoren gern selbst überrascht, weil das
eigentliche Anliegen durch ein kicherndes, von Highlight
zu Highlight jagendes Klatschpublikum verwässert
wird, hat die BILD-Blog-Lesung unlängst gezeigt.
Beim hier im Mittelpunkt stehenden Autor Michael Nast
führte es an jenem Samstagabend dazu, dass sich
die Protagonisten seiner Kolumnen entsprechend ihrer
in diesen Kolumnen beschriebenen sozialen Defizite verhielten
und ihm schlicht ihre Aufmerksamkeit versagten. Herr
Nast und Herr Korittke lasen (Und beide können
nicht sehr gut vorlesen, leider.) sieben Texte
mindestens vier gingen im an- und ab-, später nur
noch anschwellenden Nichtigkeitenaustausch der Club-Besucher
unter. Es sei jedoch erwähnt, dass sich im dem
Podium zunächst befindlichen VIP-Bereich (ein VIP-Bereich,
hahaha!) eine wackere Schar Bekannter (Nast)
und sicher auch Freunde (Nast) befand, die
sich an der Beschreibung ihrer unmittelbaren Vergangenheit
offensichtlich nicht satthören konnten und ein
ums andere Mal pointenunproportional in Gekreische und
Gejohle ausbrachen, weil sie wussten, was jetzt kommt.
Michael
Nast beschreibt in diesen Kolumnen Erlebnisse und Beobachtungen
aus seinem Leben. Mit nicht allzu forscher Feder dekonstruiert
er sein Sozialleben, nicht ohne diese Dekonstruktion
in Ansätzen zu erklären, ja gar zu verhindern
zu suchen. Erst denunziert er Bekannte (Nast),
dann, wenn er gehasst wird, bemüht er sich, seine
Worte mit Bedacht zu wählen. Mir gelingt es nicht
immer. (Nast) Für die Bekannten und Freunde
von Herrn Nast ist es ein Leichtes, ihren Stand auf
der Nast'schen Sozialkontakt-Skala herauszufinden: Sie
müssen nur lesen. Es gibt ganz offensichtlich ein
Beleidigungs-Ranking.
Da
in den meisten Fällen nur ein Satz zitiert oder
eine Handlung beschrieben wird, um die Unzulänglichkeit
des Bekannten (Nast) zu belegen, korrespondieren
die Texte sehr schön mit den o.g. TV-Sendungen.
Da erfahren wir ja auch nur, dass Frau B. zu doof ist,
ihren Kevin schön mit Vorlesen und allem ins Bett
zu bringen. Ob Frau B.'s Doofheit in diesem Fall zu
erklären, ja vielleicht mit einer Klugheit bezüglich
Pferdepflege oder Dendrochronologie zu ergänzen
ist, verbleibt im Unklaren. In keinem der (gelesenen)
Texte Nasts etwa gibt es einen wirklichen Anhaltspunkt
dafür, warum um alles in der Welt er mit solchen
Leuten unterwegs ist. Das Schreiben seiner Kolumne führt
als Rechtfertigung in die Ich brauchte das Geld
/ den Ruhm / den Lacher-Richtung. Was zählt,
ist die Pointe. Was unterhält, ist nicht kompliziert.
Oder vielschichtig. Oder realistisch.
Fürderhin
sei angemerkt, dass eine Selbstbezichtigung als Spießer
(Nast) seit den späten 90ern mitnichten ein hohoho
provoziert. Spießer existiert nicht
mehr als Kategorie, weil der Gegenpool (Revoluzzer,
Langhaariger, den Gruftis kritisch gegenüberstehender
Freak) nicht mehr existiert. Durch unsere Gesellschaft
flattern zehn bis zwanzig Werte, deren Annahme jedem
einzelnen von uns zur Wahl steht. So er sie erkennt.
TV und ein fast anrührend zu lesendes Rumlavieren
um das Thema Arschficken* fördern diese Erkenntnis
mitnichten.
So
sei denn abschließend bemerkt, dass der Herr Michael
Nast natürlich schreiben kann, was er will. Eine
Lesung von ihm kann hier nur bedingt empfohlen werden.
Für Menschen, die selbstreferentielle Systeme gern
aus zoologischem Interesse beobachten, sowie für
alle Leute, die Michael Nast kennen, mit ihm bekannt
werden wollen oder ihn mal gekannt haben, mag ein solches
Event einen im TV-Sinne unterhaltenden Charakter haben.
Erwarten Sie nicht mehr. Aber auch nicht weniger.
* Irgendwann
sagte mein Bekannter zu meiner Freundin: 'Frauen, die
sich nicht in den Arsch ficken lassen, sind in meinen
Augen keine Frauen.' Ich sah auf. Hier lief definitiv
etwas in die falsche Richtung. Susanne sah mich fassungslos
an. Ich sah meinen Bekannten fassungslos an. Es war
mir unangenehm. Ziemlich unangenehm sogar. Mein unangenehmes
Gefühl werden jetzt sicherlich die wenigsten verstehen
können. Ich kann den Grund dieses Gefühls
leider nur folgendermaßen erklären: Es ist
so ein Spießerding. Mehr? Hier!
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Von
Ste
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Natürlich
ist Regen angesagt. Ich gehe trotzdem hin.
In der U-Bahn nach Kreuzberg denke ich an meinen ersten
Besuch beim Karneval. Es muss bald elf Jahre zurückliegen.
Alles war wunderbar bunt und ungezwungen. Und heute?
Ich steige Hallesches Tor aus der U-Bahn. Der Geruch
von Bratwurst schlägt mir schon auf dem Bahnsteig
entgegen. Ich kämpfe mich zum Blücher Platz
und sehe eine Stadt von Fressständen. Wo kommen
die alle her? Was wollen die hier? Wer soll das alles
essen?
Es muss diese ureigene Angst des Berliners sein, dass
er, sobald er seinen Bezirk verlässt, Gefahr läuft
einen grausamen Hungertod zu sterben. Diese Angst zieht
die Fressstände dieser Welt magisch an. Wer in
diesem Moment irgendwo anders eine Bratwurst essen möchte,
muss schon selber grillen. Alle Imbissstände des
Erdballs sind hier versammelt.
Haben Sie schon einmal eine Brauerei besucht? Das erste,
was die Leute bemerken, ist der extrem unangenehme Gestank
der vergorenen Hefe. Es gibt nur ein Gegenmittel: ein
Glas Bier. Selbst die Arbeiter einer Brauerei trinken
jeden Morgen eins. Es hilft.
Also kaufe ich mir, um mich nicht gleich zu übergeben,
eine Bratwurst als Gegengift. Aber nicht am erstbesten
Stand. Erfahrungsgemäß schwanken die Preise
erheblich. Ich kenne meine Stadt. Und wie erwartet changiert
das Angebot zwischen einem Euro fünfzig und drei
Euro. Ich steige bei eins fünfzig in das Geschehen
ein. Gute Wahl. Ohne Anstehen, nicht roh, nicht verbrannt
und vom Holzkohlegrill. Das Brötchen zwar nicht
geröstet, aber ausreichend groß, sodass man
die Wurst halten kann, ohne sich die Finger zu verbrennen.
Der Senf durchschnittlich. Insgesamt gute Wahl.
Mit der Wurst in der Hand gehe ich über das Volksfest
und schaue mich um. Neben Bratwurst gibt es noch: Schweinenackensteaks
in zwei Variationen (knochentrocken oder blutig), Asiapfannen
in unzähligen Varianten, allerhand Exotisches,
also irgendwelche Getreideklopse mit seltsamen Gewürzen
und natürlich Crepes. Die Fressstände wechseln
sich mit Bier- oder Calpiständen ab.
Besonders originell sind die Cocktailstände. Ein
Calpi besteht in der Regel aus einigen Stücken
strohiger Limone (oder noch grüner Zitrone), ganz
viel Eis, einem Strohhalm und ein wenig Flüssigkeit,
bei der der Konsument davon ausgeht, dass sie Alkohol
enthält. Das Ganze für vier Euro. Ich rechne
ja manchmal noch um: Acht Mark für ?üssiges
Limonen/Zitronen- Wassereis? Ja, ja, ich weiß.
Ich bin ein Kleingeist. Der Calpi gehört nun mal
dazu. Ist doch Kult. Also schweig.
Die Bratwurst ist vertilgt und ich versuche mich vom
Volksfest zum Umzug durchzukämpfen. Ich gehe einen
kleinen Umweg, unter der Hochbahn entlang. Hier sind
nicht so viele Leute und die Hochbahn schützt vor
dem einsetzenden Regen.
Ich erreiche den Umzug, und sie sind alle schon da.
Kein Gedanke daran einen Blick auf den Umzug zu werfen.
Tausende Menschen versperren mir den Zugang. Aus sicherer
Entfernung schaue ich auf die Masse am Strassenrand.
Es ist das typische Berliner Publikum.
Der Karneval der Kulturen ist ein Aushängeschild
unserer Stadt. Da muss man hin. Hier ist doll was los.
Also kommt jedermann aus seinem Loch gekrochen und bestaunt
das bunte Treiben und vor allem sich selbst. Alle sind
sie da, um den bunten Zug zu bestaunen.
Wagen um Wagen zieht vorüber, laut bejubelt vom
Straßenpublikum. Biedere Senatsangestellte, Seit
an Seit mit Kreuzberger Altlinken, beklatschen euphorisch
die einzelnen Wagen des Umzuges. Ältere, bierbäuchige
Herren wippen im wilden Takt von afrikanischen oder
Techno Rhythmen und alternative Szenetypen sind ganz
verzückt, wenn die Südamerikanische Folklore
Gruppe El Condo Pasa anstimmt.
Und immer wieder Samba Truppen. Seit in der UFA Fabrik,
in den achtziger Jahren, die ersten Hausfrauen anfingen
den Samba Grundrhythmus zu pauken, gehört dieser
Trommelschlag einfach zu Berlin. Egal, ob Karneval,
Marathon oder Love Parade.
Ich gehe auf der anderen Straßenseite dem Zug
entgegen. Die Musik wummert laut genug und ich schaue
fassungslos auf das sich mir bietende Schauspiel.
Ohne Alkohol ist das nicht zu ertragen. Ich schaue mich
nach einem günstigen Bier um. Auch hier schwanken
die Preise ähnlich dramatisch wie bei der Bratwurst.
Ein fliegender Händler erhält den Zuschlag.
Becks für einen Euro und kalt. Was will man mehr.
Ich gehe weiter. Die Flasche Bier lässig in der
Hand. Das ist ja heute so üblich. Als ob manauf
einer Party wäre. Ich habe mich immer gefragt,
was die Leute mit den leeren Flaschen machen. Da ist
doch Pfand darauf. Doch man stellt die Flasche einfach
am Straßenrand ab. Es gibt inzwischen eine ganze
Armee von Flascheneinsammlern. Da muss die Stadtreinigung
gar nicht mehr groß ran. Ganz wie in der Natur.
Was am Wegesrand übrig bleibt, wird von den Aasgeiern
aufgesammelt. Das ist, glaube ich, das, was die Mächtigen
mit Chancen der Globalisierung meinen. Es bleibt für
jeden was übrig.
Das erste Bier ist weg und muss gleich wieder raus.
Es gibt ausreichend mobile Plastikklos. Ich überwinde
meinen Ekel und frage mich, was so schlimm daran ist
in einer Chemie-Fabrik in Nordkorea zu arbeiten. Im
Vergleich zum Berliner Dixiklo muss ein Job dort die
reine Wellnesskur sein.
Das nächste Bier ist teurer und wärmer. Dafür
regnet es immer stärker.
Ich schaue mir die Leute an. Obwohl das Wetter schlecht
ist, könnte man doch ein wenig besser angezogen
sein. Es überwiegen kurze Hosen und T-Shirts mit
einem lustigen Spruch auf der Brust. Mit dem aufkommenden
Regen werden farbenfrohe Regenjacken übergeworfen.
In der Regel Exemplare der Sorte: Für Sie
und Ihn im gleichen Look.Oder: Kaufe zwei
zum Preis von einem!"
Und Sandalen. Jeder Mann und jede Frau trägt Sandalen.
In China ist die Abbildung der Füße eines
Menschen verpönt. Wir können noch viel von
anderen Kulturen lernen.
Trotz
der Regenjacken spannen alle eine Regenschirm auf. Die
Masse wälzt sich den Zug entlang. Die einen entgegen
der Zugrichtung, die anderen mit ihm. Wie viele Augen
wurden an diesem Tag durch Regenschirme ausgestochen?
Nicht wieder kleinlich sein. Da muss man drüber
stehen. Immerhin brauche ich keinen eigenen Regenschirm.
Mit ein wenig Geschick kann man sich trockenen Fußes
unter den ganzen Schirmen bewegen ohne nass zu werden.
Das zweite Bier muss, kaum ist es getrunken, schon wieder
raus. Bin ich froh ein Mann zusein. In Berlin gibt es
nicht nur den Tiergarten, den man(n) vollpinkeln kann.
Die Hasenheide tut es auch. Nicht auffallen, so bin
ich erzogen worden. Also schiffe ich im Kollektiv in
die Berliner Parklandschaft.
Erleichtert drehe ich nochmals meine Runde. Eine Gruppe
schlägt wie jedes Jahr am Rande des Geschehens
auf ihre Trommeln ein. Trotz des Regens lohnt sich der
Anschlag auf mein Hörvermögen. Endlich kommt
ein wenig Stimmung auf.
Doch das Wetter verleidet die Show. Ich gehe weiter,
wieder in Richtung Volksfest. Die erste Wurst liegt
zwar noch schwer im Magen, doch um das Fest unbeschadet
zu durchqueren, brauche ich noch eine. Ich wähle
den gleichen Stand wie zu Beginn. Immer noch eine gute
Wahl.
Der Regen hat aufgehört. Die Sonne kommt heraus.
Ich hab genug gesehen. Nach Hause oder noch wo anders
hin? Ich schaue an mir hinab. Trotz Regenjacke und der
Schirme der anderen bin ich durchnässt. Die Klamotten
hängen feucht an mir herunter. Ich habe den penetranten
Geschmack von Bier und Bratwurst im Mund. Bestimmt rieche
ich auch danach. Nein, so möchte ich nicht durch
meine Stadt gehen. Ich muss unter die Duscheund danach
ausgiebig die Bratwürste aus den Zähnen putzen.
Also fahre ich nach Hause. Danach vielleicht noch einmal
los? Schließlich habe ich ein Tagesticket, dass
bis drei Uhr morgens gilt. Es ist doch noch nicht mal
halb acht.
Nein. Es ist genug für heute. Vier Stunden Karneval
der Kulturen 2007 das reicht.
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VANITY
FAIR Nr. 15, 5. April 2007, EDITORIAL
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Von
M. Gänsel
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Offizielle
Variante
Nun
ist geschehen, was jeder Chefredakteur mehr als den
leeren Bildschirm fürchtet: In der letzten Ausgabe
fegte der Fehlerteufel wie ein Orkan kyrillschen Ausmaßes
durch ausgerechnet die Titelgeschichtenseiten
ganze elf Knut-Absätze wurden doppelt, das Ende
des Artikels gar nicht gedruckt. Ich möchte Sie,
liebe Leserinnen und Leser, um Verzeihung bitten. Und
ich möchte Ihnen, liebe aufmerksamen E-Mail-Schreiberinnen
und -Schreiber, für die zahlreichen Hinweise danken.
Dieser Fehler ist unverzeihlich. Ist er das? Es mag
ein Zeichen dafür sein, dass auch hier Menschen
am Werk sind, die in diesen hektischen und druck(sic!)reichen
Zeiten Fehler machen. Es mag ein Zeichen dafür
sein, dass wir von VANITY FAIR Deutschland auch nur
Menschen sind. Fehler sind dazu da, gemacht zu werden.
Wir haben daraus gelernt. Das vorliegende Heft möchte
mit Ihnen nach vorn schauen. Wir haben es mit besonderer
Sorgfalt erarbeitet. Ihr Ulf Poschardt
Inoffizielle
Variante
Neiiiiiiiiiiiiiiiiin.
Nein.
NEIN. Bitte. Das KANN nicht wahr sein. Das IST nicht
wahr. NICHT in MEINEM Heft. Ihr HABT sie doch nicht
mehr alle. Wo BIN ich hier eigentlich. Was MACHT ihr
eigentlich den lieben langen ganzen Tag? BILDER GUCKEN?!
Nein. Nö. Ohne mich. Ich GLAUB das nicht.
WIE KONNTE DAS PASSIEREN? Seitenumbruch falsch eingestellt?
Copy paste vertauscht, falschen Platzhalter für
Kasten X gewählt? MIR EGAAAAAAAAAAL! Das geht GAR
NICHT!
Das sieht AUS! Das sieht aus wie... wie Hochzeitszeitung!
Schüler-Blättchen, huch da hab ich gepennt,
tut mir leid, na kann ja mal passieren, Schwamm drüber,
neues Heft neues Glück WIR SIND HIER KEIN
KARNEVALS-FLYER-HERAUSGEBER!
Wie oft wird die Zeitung vor Drucklegung gelesen. WIE
OFT? WIE OFT! WIE OFT?!
Ich
werde keine Köpfe rollen lassen. Aber ich werde,
das sei Ihnen versprochen, liebe Leserinnen und Leser,
in Zukunft ALLES selber machen. Ihr Ulf Poschardt
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Von
M. Gänsel
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Lieber
Axel,
in
unserem Gästebuch wünschst du dir einen Text
zum Thema Rauchverbot. Einen ausgewogenen, nicht so
einseitigen wie schon geschrieben. Was Aktuelles. Brandheißes.
Lieber
Axel, aktueller als schon beschrieben
geht nicht. Mehr gibt es nicht zu sagen. Denn: Niemand
auf der ganzen großen weiten Welt will deinen
Kindern blaue Suppe ins Gesicht blasen. Kein einziger
im großen weiten Abendland will dich und die deinen
vergiften, meucheln, morden. Dieses Nichtwollen kann
und darf aber nicht zwangsläufig zur Hochjubelei
aktueller Rauchverbotspläne werden. Ein Verbot
bleibt ein Verbot. Rauchende Menschen wollen niemandem
Böses, wann wird das denn bitte begriffen. Uns
stehts bis hier, uns die Jacke anzuziehen, auf der kulleräugige
Dreijährige durch Rauchschwaden schimmern. Wir
entern Balkone, rennen auf Veranden, stehen im zugigen
Zwischenraum, hocken im Hinterzimmer und laufen -zig
Treppen zum Raucherpoint was wollt ihr denn noch?
Du,
lieber Axel, willst mit deinen Kindern in Potsdam essen
gehen. Gut so weit. Dafür brauchst du wahrscheinlich
noch ein bisschen Geduld oder den Mut, nach Berlin zu
fahren. Dort kannst du bereits mit deinen Kindern essen
gehen. In rauchfreien Restaurants oder rauchfreien Räumen
in Restaurants. So what.
Leider
entfällt also ein weiter Text zum Thema. Das Verbot
an bestimmten Orten zu rauchen wird seine verdienten
Folgen haben. Ihr werden schon sehen, was ihr davon
habt. Wenn ihr unter euch seid. Nur Nichtraucher. Wenn
es heimelig und puschig nach Multivitamin und Schnupfen
riecht und eine satte Note Knoblauch in der Luft liegt.
Der
Bunderegierung schlage ich Hornhaut-, Bier- und Arschgeweih-Verbote
vor. Weil darunter auch andere Menschen leiden, krank
und kaputt werden. Danke fürs Interesse.
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Von
M. Gänsel
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Als
zum Jahresende 2006 im SZ-Magazin die Zahl 60 Millionen
auftauchte und die Gesamtanzahl aller Bücher auf
der ganzen Welt meinte, dachte d.V. noch an einen Druckfehler.
Kurze Überschlagsrechnungen in Freundesrunde ergaben
allerdings eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die durch
Buchdruck-Erfindungsdaten, Druckerpressen-Streuung und
kontinentale Eigenheiten unterstützt wurde. Denis
Scheck spricht von ca. 80 000 Neuerscheinungen im Jahr.
Rechnen Sie mal hoch. Das kommt hin. Sogar, wenn man
optimistischst 80 000 mal 100 rechnet, was die vergangenen
hundert Jahre mitnichten verdient haben, landet man
bei nur 8 Mio für Deutschland.*
Es
wäre also nicht möglich, selbst wenn man alle
Bücher aller Welt nähme, jedem in D wohnenden
Menschen ein Buch in die Hand zu drücken. Die Bücher
reichen nicht! Leeren Auges stünden 20 Millionen
dumm in der Gegend rum.**
Das
erstaunt doch sehr. Die persönliche Wahrnehmung,
mit der eigenen privaten Bibliothek einen immerhin kleinen
Ausgleich gegenüber dem Nachbarn zu schaffen, muss
über Bord geworfen werden. Die Vorstellung, jeder
Potsdamer hätte in einer Hand ein Buch, muss eine
idiotische Vorstellung bleiben. Nicht nur, weil man
die Leute nicht mobilisieren können tät. Nein:
Die Bücher reichen nicht! Meine Bände wären
wahrscheinlich schon drei Häuser weiter alle, vielleicht
auch erst am Ende der Straße. Vielleicht gibt
es kleine Dorfgemeinschaften im Bergischen Land, wo
sich das Mensch-Buch-Verhältnis durch die Bibliothek
der Grundschule noch im 1-zu-0,8-Verhältnis befindet!
Es
gibt zu wenig Bücher für die Menschen. Und
dann ist bei den 60 Mio noch jede Menge Dreck dabei,
wohlwollend geschätzte 40 Mio. Das ist doch zum
Weinen, da wird doch die Geistesseele verrückt.
Zur
Produktion von Büchern sei an dieser Stelle mitnichten
aufgerufen. Lassen Sie's. Aus genannten Gründen.
Bei
Wikipedia steht, dass 47% aller Deutschen Bücher
nur zu schulischem Behufe lesen. Denen ist diese kleine
Aufregung hier also reichlich schnuppe. Die wollen gar
kein Buch, schon gar nicht in Händen. Denen sei
versichert, dass sie angesichts der aktuellen Lage zu
keinem Zeitpunkt Gefahr laufen eins abzukriegen. Wir
53% müssen nämlich sehen, wo wir bleiben.
Ich verborg nix mehr. Ich hüte den Schatz. Ich
hege den heimlichen Wunsch, einmal all meine Familienmitglieder
in einem Berg von Büchern zu fotografieren. Ich
streife an den Regalen vorbei und über die Rücken...
nur 60 Millionen... und ihr hier bei mir.
* Buch = erschienenes Buch, die Auflage
bleibt hier außen vor.
**
Mit Mobiltelefonen können Sie übrigens
die Straßen pflastern, ich verwehre Ihnen da die
Zahlen für Deutschland, recherchieren Sie selbst.
Nur so viel: Jeder Deutsche könnte ganz geschmeidig
ein Telefon in der Hand halten, auch Opi und Kevin hätten
eins, und nicht nur eins.
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Das
Ende der Informationsgesellschaft
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Von
M. Gänsel
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Horst Evers weist
mit seinem Buchtitel Gefühltes Wissen
sehr treffend darauf hin, worum es in diesen
Zeiten an der Informationsfront geht: Genau
SO viel bzw. wenig zu wissen, dass man damit
durchkommt. Ein Häppchen, eine Ahnung,
ein Ja, hab ich schon mal gehört
genügt alles andere, weitere führt
zu einem Wust an Information und Inhalt, den
weder der Gesprächspartner noch man selbst
wirklich wissen will. Denn die große Suppe
hinter dem Häppchen besteht gern aus ordner-dicken
Akten mit Statistik, fiesen Fotos aus kriegsgebeutelten
Ländern oder Vorstandspersonalien, deren
Genealogie jeden biblischen Vater-von Sohn-des-Nachweis
in den Schatten stellt.
Während der letzten Wochen bekam d.V. in
Zeitung oder TV folgende Aussagen bewiesen:
Die Sache mit dem Grünen Punkt und dem
Dualen System ist eine ganz krumme Nummer, nützt
ökologisch überhaupt nichts, wird
aber aus Heuschreckengründen fortgeführt.
Russland ist eine sehr sehr wehrhafte Demokratie.
BSE, Vogelgrippe und Ebola sind / waren keine
wirkliche Bedrohung, wurden aber aus Heuschreckengründen
großgemacht.
In fünfzig Jahren werden, egal was die
Politik hierzulande beschließen wird,
entweder die Jungen oder die Alten erheblich
finanziell belastet.
Was tun mit diesen Informationen? Was denken,
wenn sich nichts ändert? Wer einmal an
stürmischem Novemberabend versucht hat
eine Nahost-Diskussion am Stammtisch zu führen,
weiß wovon hier die Rede ist. Wir wissen
zuviel. Wir wissen zumindest soviel, dass dieses
Wissen frustriert. Weil ein Wissen um die Welt
nicht eben ein Verständnis für die
Welt bedeutet. Wir dürfen nicht sagen,
dass wir mitnichten einverstanden sind, dass
Frau Merkel Herrn Putin die Plattform für
seinen Kommentar zum Journalistinnenmord gibt.
Wir können den Gelben Sack aus unserer
Küche verbannen, werden aber weiterhin
für die Entsorgung der Gelben Tonne zahlen
müssen. Wir dürfen wissen, können
aber nicht handeln. Wozu dann wissen? Dass ich
weiterhin Rindfleisch kaufe, ändert nichts
daran, dass der Markt einbricht. Dass ich über
private Altersvorsorge nachdenke, ändert
nichts daran, dass ganz viele RentnerInnen im
Elend leben.
Was tun mit diesen Informationen? Aufklärung.
Wir sind ja nicht aus dem 18. Jahrhundert gekommen
ohne unsere Hausaufgaben zu machen. Nun sitzen
wir vor dem Bienchen für sehr gute Leistungen
und was tun mit diesen Informationen?
Es scheint mitnichten eine Möglichkeit
zu sein die Zeitung oder den TV-Sender zu wechseln
denn auch dort wird jeden Tag eine andere
Sau durchs Dorf getrieben und die KonsumentInnen
wirken nicht eben zufriedener.
Sie wirken genauso draußen wie man selbst.
Was also tun in einer Gesellschaft, die aus
lauter Außenseitern besteht? Die Jugend
Probleme. Die Alten Probleme.
Die Armen Probleme. Die Reichen
Prozesse. Was tun mit dem Wissen von Information,
das niemanden schert?
Horst Evers empfiehlt Reduktion. Keine Recherche
im Internet. Kein Zeitungsartikel, der länger
als zwei Absätze ist. Diagramme nur überfliegen,
Statistiken anzweifeln.
Kümmern Sie sich um ihren eigenen Dreck.
Wenn Sie etwas genau, wirklich genau wissen
wollen, dann fragen Sie sich, ob es Ihrer Sache
nützt. Lassen Sie sich nicht verführen,
das Elend um die Ecke ist nicht ihres, also
bitte.
Es könnte nämlich wirklich, wirklich
ungemütlich werden, wenn mehr Leute als
Sie und ich drauf kommen, das Gesellschaft ohne
Menschen nicht so richtig supi funktioniert.
Also halten Sie sich gerade, den Blick schön
bescheiden, das Tagwerk brav erledigt
damit. Niemand. Etwas. Merkt.
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Martin
Suter hat einen schlechten Roman geschrieben
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Von
M. Gänsel
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Das
einzige, was Martin Suters neuer Roman Der Teufel
von Mailand (diogenes) im geneigten Leser (nach
V.W., radio eins) hinterlässt, ist neben einem
nachhaltigen Gefühl der Unzufriedenheit (siehe
unten) ein immer gern begrüßtes neues Wort,
zumindest d.V. neu: Der neue Suter sei wie immer
ein page turner, so dem Schutzumschlag
zu entnehmen. Doch das ist, Worttreffer hin, Suterneigung
her, unwahr.
Seine
Fans würden ihm den neuen Roman danken, so Paul
Kersten (NDR). Auch dies ist unwahr.
P.K.
bekennt jedoch auch freimütig: Mich hat's
gelangweilt. Dies nun ist wahr. Nicht, weil Herr
Kersten ja am besten wissen muss, was ihn langweilt,
und damit in diesem Fall nur schwer lügen können
tät der neue Suter IST langweilig. Und Ihnen
soll gern erklärt werden, warum.
Fürs
erste lahmt die Hauptfigur. Sonja Frey ist weit davon
entfernt, die seelischen Tiefen eines Urs Blank, eines
David Kern oder Konrad Lang zu erreichen. Suter mags
nicht beschreiben: Das Seelische, das Innere, die Kellerleichen,
das Umtreibende, Fragende, Tiefe. Keine Schnörkel.
Keine langatmigen Beschreibungen, schwärmt
Uschi Neuhäuser (Stern) auf dem Schutzumschlag
über wahrscheinlich nicht diesen Roman Suters.
Konrad Lang (Small World) etwa wird ja nicht langatmig,
er wird überhaupt beschrieben. Erklärt. Nahe
gebracht. Durch Dialoge, Szenen, zuschauen darf der
Leser, nachempfinden, eine kleine Menschenwelt ists.
Doch Sonja Frey: Nicht die hellste Drogenkonsumentin,
daher synästhetisch veranlagt plus (passend) paranoid.
So wird sie eingeführt. Dann passieren ein paar
komische Sachen, Sonja wird kreische-paraniod, fängt
sich dann aber und recherchiert und kommt
einer vermeintlichen Außerweltverschwörung
auf die lahme Schliche, das ist es dann aber doch nicht,
Sonja muss hui erkennen, dass es gegen ach sie geht
und wups, ist der Roman aus. Frau Frey ist unsympathisch
und dümmer als der Leser. Will er das, der Suter?
Liegts am Weiblichen?
Fürs
zweite, und das ist wirklich schade, ist auch der Erzähler
dümmer als der Leser. Denn der führt den Bösen
mit zaunpfahlgroßer Harmloserei ein. Jener heißt
Manuel und ist homosexuell. Als der am Ende dann plautdimautz
die Katze aus dem Sack lässt und Sonja vor Überraschung
fast vom Baumstumpf fällt, betet der Leser insgeheim,
dass sich Sonja, Manuel UND der Erzähler irren
und das Ganze ir-gend-wie anders aufgelöst wird.
Nix da, das isses.
Zum
dritten und letzten ist der Tod eines Wellensittichs
einfach nur gemein und erfüllt hier mitnichten
die Schockfunktion des von Urs Blank (Die dunkle Seite
des Mondes) gekillten Kätzchens. Hier, vogelverachtend,
ists Sonja, die angesichts der Ungeheuerlichkeit des
Teufels/Manuels in Angst verfällt. Der Leser dreht
die Augen. Dort aber beschert einem Suter beim Lesen
einen veritablen Luftanhalter, der mit der Erkenntnis
des wahren Wahnausmaßes Blanks einherzischt. Hier
hingehunztes, liebloses Mustersticken. Dort ein feines
Stück intelligente Literatur.
Ein
Seitenkrepierer (kein neues Wort) von Martin Suter,
das ist enttäuschend. Beim nächsten Mal bitte
wieder mehr Mühe geben. Damit Uschi Neuhäuser
(Martin Suter, das As.) die Wahrheit sagt.
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Was
Sie demnächst im TV erleben können
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Von
M. Gänsel
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Ulrich Wickert: Eva, wie
schön.
Eva Herman: Ulli. Dass wir zwei hier...
Ach Eva. Was wir alles
mitgemacht haben.
Ach du Ulli du. Und nun bist du im Ruhestand und ich
suspendiert.
Ach Eva. Das tut mir so leid.
I wo. Ich bin doch ein großes Mädchen, Ulli
(lacht perlend). Weißt du, ein bisschen freut
mich das auch alles irgendwie ein Stück weit.
Ja du kleine Hexe. Immer schon gerne provoziert,
was? Ach Eva. Als du mir damals die Haare mitten in
einer Schalte mal eben verwuschelt hast. Ach Eva.
Du Ulli?
Ja?
Wollen wir über mein Buch...?
Ähem. Ja klar. Erzähl doch mal.
Also...
Warte mal, ich hab einen Einspieler vorbereitet.
Also nicht ich jetzt. Die andern, ähem, die...
Kollegen. Danach reden wir dann.
Es läuft ein Stückchen Redaktionshuberei,
wetternde mittelalte Frauen, ein meckernder alter Mann,
lachende Teenager. Das Eva-Prinzip wird
mehrfach in Großaufnahme gezeigt.
Ja also, das war jetzt der Einspieler.
Du Ulli, ich find das jetzt schon bisschen einseitig,
weißte. Ich meine, klar provozieren und so, aber
du hast ja da nur die Gegner gezeigt.
Ähem, also Eva, meine Liebe... also wir haben
einfach nur Gegner gefunden, weißte.
Echt?
Ja, weil... also so vor der Kamera jedenfalls, da wollte
keiner sagen, dass du Recht hast.
Siehst du, Ulli! Es ist zum Schreien! Alle denken wie
ich, aber keiner traut sich's zu sagen! Ulli! SAG DU
WAS!
Ach Eva.
SAG WAS!
Ein Gläschen Rotwein?
Du hast mich das letzte Mal 1984 besoffen gesehen. Dabei
bleibt's auch.
Eva!
Ulli!
Jetzt komm, lass mal über dein Buch reden. Ist
doch n schönes Buch geworden. Der Umschlag hier
schön bunt. Und SO ein schönes Foto von dir.
Also Eva, wenn ich nicht wüsste, dass ich viel
zu alt für dich bin...
Scheiße Ulli, das macht überhaupt keinen
Spaß hier. Ich dachte, wir zwei alten Hasen...
Also Eva. Aus Scheiße Gold machen kann ich
nur in den Tagesthemen. Das hier ist anders. Authentischer,
weißte. Haste das mit'm Grass gesehen?
Soll ich Pfeife rauchen oder was.
Du könntest ja auch was gestehen oder so.
Hab ich doch schon!
Und wie fühlst du dich jetzt?
Eigentlich ganz gut. Ich meine, dass die jetzt alle
gegen mich sind und so, das ist schon hart.
Aber du bist ja ein großes Mädchen.
Ganz genau (lacht perlend).
Sag mal, Eva. Denkst du wirklich, dass die Emanzipation...
... schuld ist an der Kinderlosigkeit. Ja.
Und dass der Mann stärker...
... als die Frau ist, ja. Du hast mich doch auch immer
im Armdrücken besiegt.
Stimmt.
Weißte, Ulli, das sind einfach naturgegebene Dinge.
Ich denk mir das ja nicht aus. Ich sage ja nur, wie
es ist!
Hm.
Galileo hatte es auch nicht leicht.
Na jahaha (lacht meckernd).
Du BIST einfach stärker als ich. Und schlauer.
Und ich meine, so eine Büchersendung hier, die
könnte ich nicht... also nee. Talkshow ja, ich
meine, so das Menschliche, das können wir Frauen
ja eher. Aber so Bücher, so komplizierte...
Ja klar, das kann natürlich nicht jeder (fährt
sich durchs Haar).
Und da schreib ich halt drüber, was ich so sehe.
Aber du siehst natürlich VIEL besser aus als
ich.
Ja klar. Aber das ist eben Frauensache (lacht perlend).
Obwohl ICH natürlich auch ZIEMLICH gut aussehe.
Türlich, Ulli. Du bist ein ganz ganz schicker Mann.
Aber wenn ich dich richtig verstehe, soll ich mir
ja die Hände schmutzig machen.
Das Jagen ist ja nicht wörtlich gemeint,
Ulli.
Aber wenn ich dich richtig verstehe, soll ich, wenn
wir jetzt mal so denken, dein Ernährer sein. Du
ziehst die Kinder groß und kochst. Ich arbeite
und bring das Geld nach Hause.
Du bist doch viel zu alt für mich...
Aber ich koche AUCH gern.
Du KANNST doch mal kochen.
Ich WILL aber nicht mal, ich will IMMER
kochen!
Das GEHT aber nicht, Ulli!
Na, wir sind ja auch nicht zusammen.
Ein Glück.
Ach Eva. Und nun?
Nix nun. Ich mach weiter.
Was'n?
Ach Ulli.
Ach Eva.
(weint)
Du schaffst das schon, Eva.
Ach Ulli.
Eva, ich danke dir ganz ganz herzlich für deinen
Besuch und empfehle Ihnen hiermit dringend den Schutzumschlag
von diesem Buch hier.
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POTZDAM 2002- 2008 |
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