|
|
|
|
|
Oder
Berlin sagt DANKE
|
Von
Astrid Mathis
|
11 Uhr. Montagmorgen. Fanmeile. Im Kessel vor der Bühne
herrscht gähnende Leere. Davor Gedränge, aber
wenig Feierlaune. Endlich geht es vorwärts. Zumindest
vorne. Neben mir ruft eine Frau: "Ich hab´
hier eine Kleine. Lasst mich mal durch!" So was
hat schon auf der Titanic gezogen, schießt es
mir durch den Kopf. Natürlich klappt es auch auf
der Fanmeile. Sie setzt noch hinzu: "Die Erwachsenen
denken nur an sich selbst." Ich erspare es mir,
ihr zu sagen, was ich über Erwachsene wie sie denke
und beiße mir auf die Zunge. Schließlich
könnte sie es persönlich nehmen, wenn ich
ihr mitteile, dass man lieber zu Hause bleiben soll,
wenn einem auf der Fanmeile zu viel Gedränge ist.
Egal. - Ich stehe in der vierten Reihe.
Die GMX-Bande kommt. Einer von ihnen macht
auf Stimmung, singt "Hey, zeig mir deine Karre".
Erinnert daran, es sei doch eine "HipHop-Party
hier". Das interessiert aber keinen. Einzig ihre
Breakdance-Nummer verschafft ihnen Respekt. Doch dann...
Eine rothaarige Frau. Sie singt "Hey
Baby". Gelangweilt drehen sich die Leute weg. Sie
interessieren sich genauso wenig für "eine
ganz bekannte Sängerin aus New York", wie
der Radiomoderator ankündigt, wie für die
GMX-Bande. Da nützt selbst der schwarz-rot-goldene
BH nichts. Einige fragen sich kurz, wieso sie Hits von
Jennifer Rush nachsingt und sehen schnell wieder nach
der Uhr. Christian Petru. Voller Unmut tönt ein
Kerl von der Seite: "Was macht die Schwuppe in
Berlin?"
Noch zwei Stunden. Ich bin dankbar für
jede Wolke. Die Sonne brennt, und die Fraktion kommt.
Genau die, die ich die ganze Zeit für die Sportfreunde
Stiller gehalten habe. Die geklonte Version rein musikalisch
gesehen.
Und immer wieder "Feel the rush"
als Einspieler. Dann. Plötzlich: Wowereit. Um mich
rum nur Häme. Was er sagt, ist kaum zu verstehen.
Zu laut ist das Getöse. Jedoch: "Dass so viele
Leute Zeit haben, hierherzugehen" kommt bei mir
an. Die Fans blubbern, und das Radio weiß Rat,
spielt den Song der Sportfreunde Stiller von 2006. Motiviert
die Fans für den großen Auftritt. Ja, das
erscheint mir auch logisch: 2006 der 3. Platz bei der
WM, 2008 der 2. Platz bei der EM und 2010 dann der 1.
Platz bei der WM in Afrika. Nach dem Lied weiß
der Radiomoderator noch mehr Kluges. Er fragt: "Wollt
ihr die deutsche Nationalmannschaft sehen?" Also,
nee, da hört sich wirklich alles auf. Klar, wir
stehen bloß so da.
Die Mannschaft rollt an. Und damit Monica
Lierhaus und Johannes B.Kerner. Warum funktioniert ihr
Ton eigentlich nicht? Wichtig ist erst mal Metze (Christoph
Metzelder). Er erscheint rasiert. Na ja, er wollte ihn
wachsen lassen, auch wenn es vielen nicht gefallen hat,
bekundet er. Wegen des Aberglaubens. Genutzt hat es
trotzdem nichts. Er sah bloß vier Wochen aus wie...
ach, schweigen wir darüber lieber. Per Mertesacker
schwärmt kurz darauf vom phantastischen Blick aus
dem Flugzeug und ergänzt, er sei jetzt aber noch
besser. Der Blick. Ja, das glaube ich, dass das besser
aussieht. Zum Trösten taugt der Anblick allemal.
Der Blick auf die Spanier am Abend zuvor war sicher
nicht so angenehm.
"Wir müssen uns bedanken",
sagt einer nach dem anderen. Schweini kommentiert schließlich:
"Es geht immer mal bergauf und immer mal bergab."
Hey, er hat es erfasst. Und verspricht im selben Atemzug:
"Wir wollen alles geben und versuchen, so schnell
wie möglich hier mit einem Pokal aufzutauchen."
Allgemeine Begeisterung.
Auch Poldi hebt die Stimmung, singt mit
Unterstützung von Oliver Pocher und den Fans. "Humba,
humba, humba, täterä, täterä".
Am Ende kriegt Pocher nach dem Wasser von ihm ein volles
Bier über den Kopf. Damit die Fans bei Laune bleiben.
Und Oliver wohl auch. Denn die Fans machen nicht richtig
mit, ebenso wenig die Spieler, als er anfängt zu
trällern: "So gehen die Spanier, die Spanier
gehen so, und so gehen die Deutschen, die Deutschen
gehen so". Es weiß ja jeder, wie die Spanier
gegangen sind - direkt zum Pokal.
Michael Ballack kann noch immer nicht
grinsen. Als Monical Lierhaus ihn auf das nächste
Großereignis, seine Hochzeit, anspricht, huscht
ihm endlich ein Lächeln übers Gesicht. Von
Schmerzen ist die Rede - bei Ballack, bei Frings, bei
Lahm. Worüber soll man schon reden in solch einem
Moment?
Kerner streut noch Salz in die Wunde und
spricht Oliver Bierhoff an, ob er wisse, was am 30.
Juni 1996 war. EM-Sieg. Das weiß der Oli noch.
Jogi Löw erwähnt, die Mannschaft habe Großartiges
geleistet. Schießt wie alle anderen einen gelben
Ball in die Menge. Und sieht nicht halb so glücklich
aus wie vor zwei Jahren nach dem kleinen Finale. Dieses
Mal eben Verlierer im großen Finale. 0:1.
Mannschaftsfoto. 1. Reihe. - Oh, nein.
Mein Film ist voll. Ob ich das jemals hinkriege?! Einen
Ball habe ich auch nicht abbekommen. Und weg ist die
Mannschaft. Ich schlurfe zum Ausgang. "Nun gab´s
doch keine Überraschung", meint ein kleines
Mädchen hinter mir. Recht hat sie. Eine Überraschung
war nicht dabei. Oder sollten das die Bälle sein?
Ich drehe mich um. Da sehe ich dutzende fliegen. Ob
ich...? Da - ich habe einen. Ich kann es nicht fassen,
höre Leute sagen: "Hey, die hat einen EM-Ball."
In der S-Bahn spricht mich ein kleiner
Junge an: "Kann ich deinen Ball haben?" Ich
kralle meine Fingerspitzen in das gelbe Leder und schüttle
den Kopf. - Ich habe ja ein Herz für Kinder, aber
nicht jetzt. Und wenn mich einer fragt, woher ich den
habe, sage ich glatt: "Das ist der Ball von Podolski."
|
|
|
|
Hauptstadtsingledings
(1)
|
Tanzen
gehen
|
Von
Ste
|
Ich war gestern tanzen, gestand ich der
besten Freundin von allen.
Du und tanzen? Das gibt es doch nicht, entgegnete
sie und blickte mich fordernd an, den Verlauf des Abends
zu schildern.
Ich war in der Tat das erste Mal seit Jahren wieder
Tanzen. Und, um ehrlich zu sein, das erste mal in meinem
Leben allein. Ich galt früher als Tanzmuffel. In
meiner Jugend vermied ich den Besuch von Diskotheken
und nur gelegentlich konnten mich meine Kumpels in die
Disse mitschleppen. War einfach nicht mein Ding. Doch
in dem Bemühen nach einer neuen Bekanntschaft muss
man auch mal neue Wege gehen. Zu meiner Jugendzeit wäre
ich sicherlich einfach in irgendeine Diskothek gegangen.
Aber die Angst, dass ein Türsteher mich als Gruftie
gar nicht erst einlassen würde, ließen mich,
nach einem Blick ins Stadtmagazin, eine sogenannte Party
aufsuchen. Zu Zeiten meines Vaters hätte man eine
derartige Veranstaltung wohl als Tanzvergnügen
bezeichnet. Alles kommt irgendwann wieder. Nur die Musik
hat sich gewandelt.
Und da fingen die Probleme auch schon an. Welche Location,
wieder so ein schönes neues Modewort, sollte ich
wählen? Ich hatte keine Lust mir meine Ohren durch
irgend so einen Techno-, Hip-Hop-, oder wie sie auch
immer heißen DJ zu versauen.Wohin?
Was liegt näher als suchender Single, als auf eine
auf mich speziell zugeschnittene Party zu gehen. Ich
wählte daher die Fisch sucht Fahrrad Party
in der Kalkscheune.
Dass man nicht gleich zu Beginn der Veranstaltung erscheinen
sollte, war sogar mir klar. So nutzte ich den frühen
Abend um die Wohnung aufzuräumen, und machte mich
dann mit den öffentlichen Verkehrsmitteln auf den
Weg. Party Tanzen Alkohol. Ein Dreisatz,
der sicherlich immer noch stimmt. Also sicherheitshalber,
trotz der Kälte, das Auto stehen lassen.
Zuvor die große Frage: Ws soll ich anziehen? Ich
wählte eines meiner alten Lieblingshemden aus,
ein farbenfrohes Designer-Stück, das ich mir einst
extra aus Holland mitbringen ließ. Dazu eine der
besseren Jeans.
Es gab zwei Räume, so genannte Floors, in denen
man tanzen konnte. Ich schaute in den ersten und sah
gähnende Leere. Doch zu früh? Der zweite Dancefloor
war besser besucht, und die Tanzfläche schon von
zahlreichen Tänzern gefüllt. Ich holte mir
erstmal ein Glas Rotwein von der Bar und schaute mich
um. Mhmm. Wie gehts nun weiter? Nachdem ich das
Glas geleert hatte, atmete ich einmal tief durch und
begab mich, als der DJ ein mir halbwegs bekanntes Stück
(also ein älteres) spielte , auf die Tanzfläche.
Ich mag es eigentlich überhaupt nicht, wenn alle
allein vor sich hin tanzen. Ich tanze lieber mit jemand
zusammen. Aber die Möglichkeit hatte ich ja nicht.
Oder noch nicht?
Die Musik entwickelte sich durchaus nach meinen Geschmack
und ich fand immer mehr Gefallen an der ganzen Sache.
Kurz gesagt, ich hörte gar nicht mehr mit dem Tanzen
auf. Ich fragte mich nur, warum einige (alle?) der weiblichen
Besucher unbedingt mit Handtasche tanzen, diese auf
den Boden abstellen und so eine Art Sicherheitstanz
um diese vollführen. Schon seltsam. Blickkontakt
suchen sie auf jeden Fall nicht. Und wenn, dann nur
zu ihrer Handtasche.
So blieb und tanzte ich allein weiter.
Es wurde später und irgendwann überlegte ich
zugehen. Außer mit dem Barmann hatte ich, vor
lauter Tanzerei, mit keinem ein Wort gewechselt. Doch
die U-Bahn, die mich vor die Haustür bringt, fährt
nicht die ganze Nacht. Und da ich gerade so richtig
Gefallen an der Sache gefunden hatte, tanzte ich allein
weiter bis zum ersten U-Bahn-Zug. Als ich diesen dann
am frühen Morgen verließ, zog ich für
mich Bilanz:
Erstens. Tanzen kann ganz schön anstrengend sein.
Denn es blieb bei dem ersten Glas Rotwein.
Danach benötigte ich nur noch durstlöschendes
Mineralwasser. Zweitens. Farbenfrohe Hemden sind anscheinend
nicht mehr angesagt. DasJemand-kennen-lernen
auf so einer Party ist nicht mein Ding oder muss ich
noch lernen.
Und das nächste Mal nimmst du mich mit, das
möchte ich sehen, wie du den ganzen Abend tanzt,
sagte die beste Freundin von allen.
Das hättest du wohl gerne. Wäre bestimmt
ein Heidenspaß für dich zu sehen, wie ich
in meinem farbenfrohen Hemd über die Tanzfläche
schwebe. Nein, das wiederhole ich lieber allein.
Die nächste Party kommt bestimmt.
|
|
|
In
Berlin & Potsdam
|
Von
M. Gänsel
|
Stadtbild
B: Partiell, dafür aber äußerst entschlossen
brechen sich Knospen, Blätter und Spatzen Bahn,
manchmal auf nur zwei Quadratmetern, manchmal in großer
Pracht. Bei 14 Grad schwitzt man am Potsdamer Platz
wie Schwein und friert sich Westkreuz die Ohren ab.
P: Die ganze kleene Stadt ist eine Pracht.
Vögel
B: Sehr laut, weil der Verkehrslärm übertönt
werden will.
P: Nicht ganz so laut.
Straßenbild
B: In Migrantenvierteln stehen schlag früher Nachmittag
die Türken vor den Türen, hocken auf auf Fensterbrettern,
sitzen auf Stühlchen bis in die späteren
Nachmittagsstunden in wechselnder du in der Tür,
ich in der Sonne-Stellungen.
P: Vor dem Marktcenter, auf dem Bassinplatz sowie in
Seitenstraßen von und in der Brandenburger lümmeln
vermehrt Arbeits-, Obdach- und Schullose rum, meist
an Stehtischen, auf Spaziergängerbänken oder
aufm Rasen.
Touristenecken
B: Vollständig erschlossen, -zig Merchandising-Stände,
alle Ampeln auf grün.
P: Noch nicht alle Statuen im Park ausgepackt (Nachtfrost),
ein bis zwei Merchandising-Stände, Unverständnis,
wenn TouristInnen nach dem Zentrum fragen.
Geruch
B: Es riecht nach frischem Staub.
P: Es riecht nicht wie sonst (herbstens, winters, hochsommers)
nach nassem Schäferhund, sondern nach Wasser,
Wiese, Knospe.
Menschen
B: Die Menschen sind schwer mit dem Frühling beschäftigt
und bis auf die o.g. TürkInnen überhaupt nur
sehr selten entspannt, weil IMMER etwas anliegt
Spaziergang, Eisessen, Knut.
P: Die PotsdamerInnen beginnen bitte und
macht nix zu sagen, die TouristInnen wirken
eher wie Berliner Frühlingsmenschen.
Stimmung
B: Man checkt die Partnerschaft und fragt sich, ob an
der nächsten Ecke nicht was anderes steht.
P: Man checkt die Partnerschaft und fragt sich, ob an
der nächsten Ecke nicht was anderes steht.
|
|
|
Senioren-Bashing
in B.
|
Von
M. Gänsel
|
Die Berliner Kleingärtner sind sauer. Wütend.
Entbrannt: Dieser Tage bekommen alle Briefe, in denen
klargemacht wird, dass die in den Kleingärten stehenden
Häuschen, Bungalows, Datschen nur eine Fläche
von 34m2 einnehmen dürfen. Natürlich hat der
Berliner Kleingärtner die Laube über
die Jahre zu wahren Schlösschen ausgebaut
die Laube wurde quasi zum Leben. Jede Mark, die zuviel
war, wurde in den Ausbau gesteckt,weswegen ca. 90% aller
Berliner Laubengrundflächen über 34m2 groß
sind; ja Träume von 70, 80m2 stehen herum!
Findige Sommerpraktikanten haben jetzt dieses Kleingartengesetz
aus den 60er Jahren gefunden und Briefe geschrieben:
Abriss bis spätestens 2030, davor bitte Anzahlung
der Abrisskosten. Die sind nicht unerheblich, da sie
nach Quadratmetern berechnet werden. Berlin ist pleite.
Und das ist nicht gut so.
Schlitzohrigen Senioren, die eigentlich ganzjahrs in
der Laube wohnen und zur Tarnung eine Straße weiter
ein möbliertes Zimmer unterhalten, soll in aller
Härte das Handwerk gelegt werden. Alleinstehenden
Damen, die nach Willis Tod im von Willi ausgebauten
Wohnzimmerchen hocken, soll bis Couschtisch alles weggerissen
werden. Man kann Mitleid haben. Man kann darüber
nachdenken, was eine Laubenpiepergemeine eigentlich
so ausmacht und wie groß die Toleranzen in den
Bereichen Rasen über 3cm, Einen
trinken wir noch! oder Kreisssägen
um 12 Uhr mittags sind.
Man kann aber einer Gruppe von Senioren, die auf diese
Briefe hin den Berliner Senat besucht und dort einen
Stadtrat sprechen will, um zu protestieren, nichts vorwerfen.
Und jetzt kommts.
Auf die Argumente der Senioren, man säße
schon seit Jahren, man habe da so viel reingesteckt,
dreißig Jahre Kleingartenverein, man habe einfach
auch kein Geld, lehnt sich der Stadtrat nach hinten,
streckt seinen weißhemdigen Stadtrat-Bauch raus,
ja hebt die Hüfte leicht und lächelt.
Und sagt:
Na aber wenn ich mich hier so umschaue... ich
meine 2030... ich meine... also wenn ich Sie so anschaue
hier alle... hahaha... im Jahr 2030 wird doch da keiner
von Ihnen mehr... keiner von Ihnen... da... wohnen.
TOD DEN LAUBENPIEPERN! Kratzt ab, was regt ihr euch
auf, das macht doch den Kohl nicht fetter. Ob ihr hier
Welle macht oder Schmidts Hund bellt ihr müsst
zahlen, bis ans Ende, so oder so. Geht demonstrieren,
klagt euch gen Himmel: Es gibt ein Gesetz.
Ein Stadtrat, der alten Menschen ins Gesicht sagt: Da
seid ihr doch eh tot. Das soll wirklich als Argument
herhalten um die erhitzten Gemüter zu beruhigen.
Der sagt wohnen, der meint aber leben,
natürlich ist er jedoch zu feige das auszusprechen.
Das ist un-glaub-lich.
Warum wünsche ich diesem Stadtrat nun die Pest
an den Hals?
Ich sag's Ihnen.
Mit dem Tabuuu TOD schwenkt der Stadtrat auf ein Thema,
das alle anwesenden Senioren schlicht in sich zusammen
sacken lässt. Alten Menschen zu sagen, dass sie
alt sind, und WEIL sie alt sind, macht das ja alles
hier gar keinen Sinn mehr, ist sehr sehr böse.
Weil es wie oft eigentlich ums Geld geht, ist der Tod
als Geld-Ersatz erst recht eine ungeheure Frechheit.
Das Tabu wirkt derart, dass am Ende, vor der Stadtratbürotür,
nur eine Demonstration geplant wird. Den Pöbel
hat sich das Beamtenkäferchen vom Halse gehalten.
Gerechtigkeit, Verständnis und Einigung standen
nicht auf dem Programm. Die Wahlen stehen vor der Tür.
Da lässt der sich von ner Horde Senioren doch nicht
aus dem Programm werfen.
Ich wünsche ihm einen eitrigen, nässenden
Abszess im Mundwinkel. Für seine Hoffärtigkeit.
|
|
|
Ist
das nicht gut so?
|
Von
M. Gänsel
|
Die Bundesregierung hat ja
einen 5-Jahrplan*, der alle gastronomischen Einrichtungen
plus Hotels & Pensionen rauchfrei gestalten möchte.
In jedem dieser Etablissements eine kleine Dreckbutze
mit Dach und ohne Heizung das soll schon in wenigen
Jahren für Raucher und Raucherinnen genügen.
Wahrscheinlich werden daraufhin ein paar Leute mit dem
Rauchen aufhören. Wenn der Zigarettenmafia dann
auch noch das Handwerk gelegt wird, könnte es wirklich
eng werden in Deutschland.
Bzw. weit.
Weit und breit rauchfrei.
Wir möchten Ihnen einmal erklären, was Ihnen
fehlen wird.
Zum unbedingten Defizit einer rauchfreien Gesellschaft
gehört ja das Fehlen des Rauchers / der Raucherin.
Sie werden niemanden mehr kennen, den Sie bei zehn Grad
minus vor die Tür schicken dürfen. Sie werden
niemanden mehr kennen, dessen Gesundheit de-fi-ni-tiv
mehr im Arsch ist als Ihre. Sie werden niemanden mehr
ablehnen, diskriminieren, klein machen können.
Sie werden sich nicht mehr auf Kosten eines Rauchers
als besserer, gesünderer, rücksichtsvollerer
Mensch darstellen können. Sie werden sich in Gesprächswüsten
nicht mehr zum einzigen Raucher in der Runde retten
und ihn angeekelt danach fragen können, wie viele
Zigaretten er eigentlich am Tag rauche. Um dann in gespielter
Schreckverwunderung irgendeine zynische Bemerkung zum
Thema Tod, Verderben und Verdammnis anzuschließen.
Sie werden den Raucher vermissen. War schon schön,
das Rumgehacke.
Wenn keiner mehr raucht, wird niemand mehr Zigaretten
holen gehen. Paare werden aufeinander hocken, weil sie
keine Ausrede zur Flucht haben. Schrecken, Tod und Verderben
wird über sie kommen. Über sie, die da nichtrauchend
gen Abendhimmel weinen.
Das Leben wird langweilig, öde und seicht. Nichtraucher,
Bio-Esser, Frischluftliebhaber. Das Leben gleitet, das
Gesicht sieht frischer aus, der Bauch wird dicker
und nach dem Sex gibts halt n Joghurt. Nach dem
Essen kein Kaffee. Wer auf den Bus wartet, steht da
eben so rum. Tipp ich eben schnell ne sms. Ich rauche
nicht, also bin ich nicht.
Dass es keinen wundert, wenns von der Regierung kommt.
Die wollen Sie nicht gesünder machen, die wollen
Sie nicht schützen. Die wollen Sie ruhig, gesetzt,
sitzend. Raucher schnicken ihre Kippe ins Gleisbett.
Sie sagen eine noch und verhindern den Kneipenschluss.
Sie sehen dich an, ziehen an der Zigarette, sehen dich
an, pusten den Rauch durch die Nasen und schütteln
den Kopf. Sie stehen in Gruppen vor Bürogebäuden
und intrigieren. Sie stehen am Rand. Und rauchen.
Raucher verursachen Kosten. Der Schaden, den sie sich
zufügen, geht ja noch an. Aber die anderen! Kleinkind
neben Aschenbecher. Dann lieber eine Flasche Doppelkorn.
Dass der Alkoholkonsum so vehement gedeckelt wird, dass
wir mit Bier den Regenwald retten sollen, mit Sekt unsere
Ehe und unsere Laune mit alkoholischen Pralinen
dass wir Kleinkinder, die neben Aschenbechern schlafen,
jedes Jahr im Dutzend todfahren, weil wir besoffen sind.
Das ist der Regierung keinen Fünfjahrplan* wert.
Saufen und Rauchen gehören natürlich zusammen.
Wahrscheinlich will der Staat uns erst das eine abgewöhnen,
um dann das andere hernach in Angriff zu nehmen. Denn
der Bürger hält nicht Maß. Er raucht,
bis er an Krebs erkrankt. Er säuft, bis er umfällt.
Keine Angst. Zu einem BIER KANN TÖDLICH SEIN-Aufkleber
wird es in Deutschland nicht kommen. Wennn Sie wüssten,
was da für GELD verdient wird. Die paar Ausgaben,
die man durch Alkohol am Steuer, besoffene Vorgesetzte
oder ausfallende Fernsehmoderatoren hat, stehen zu den
ungeheuren Einnahmen der Alkoholindustrie in einem absolut
lächerlichen Verhältnis. Bei Rauchern und
deren ärztlicher Behandlung sieht das allerdings
ein bisschen anders aus.
Der Staat reagiert. Und verbietet. In Schnullibulli-Zauberland
raucht dann keiner mehr und niemand ist besoffen. Alle
schauen rosig und träge in die Welt. Das nächste
Verdikt (für alle, nicht nur für die Frauen)
heißt dann Dünnsein.
*
... der natürlich anders
heißt.
|
|
|
|
Von
M. Gänsel
|
Manchmal vergisst man beim Fernsehen
ja, ob man gerade Öffentlich-Rechtlich oder Privat sieht.
Na ja: manchmal. Selten. Also eigentlich nur bei Peter Kloeppel
und Hape Kerkeling. Deswegen möchten wir einmal recht herzlich
RTL danken, das an seinem ersten Fußballsonntag schööön
tief in die Privatfernsehkiste griff. Mit Eva Padberg als RTL-Reporterin,
die viele wussten es ja nicht statt Augen Brüste
hat. Was dazu führte, dass Luis Figo (Figooo!) beim Exklusiv-Interview
die ganze Zeit auf die Erde starrte. Was wiederum dazu führte,
dass sich Herr Jauch und Herr Völler anschließend
einem Dialog hingaben, der von Bällen, die wichtig und
Bällen, die unwichtig seien, von schönen italienischen
Sportreporterinnen, die tatsächlich Ahnung von Sport hätten,
sowie von der allgemeinen Störung der fußballerischen
Konzentration durch allzu gutaussehende Frauen während
einer Interview-Situation handelte. Im Hintergrund enthemmter
Pöbel auf der Fanmeile. Natürlich sendet
RTL von der Fanmeile. Damit uns wieder einmal richtig
klar wird, warum Privatfernsehen Privatfernsehen ist und immerdar
bleiben wird.
Wir freuen
uns bollig auf kommenden Sonntag (u.a. Brasilien-Australien)
und rattenscharfe Interview-Situationen mit z.B. Ronaldo, der
Frau Padberg auf die Brust haut. Danach könnten Herr Jauch
und Herr Völler dann übers brasilianische Feuer, die
unglaublich geilen weiblichen brasilianischen Fans sowie Rudelficken
an Karneval reden, Abfälligkeiten über Südkoreaner
(Stichwort: Frisuren) oder Australier (Stichwort: Ozonloch)
erwarten wir sicher ebenfalls nicht umsonst.
Hossa,
RTL! Damit Privatfernsehen Privatfernsehen bleibt.
|
|
Die
Frau als Wille und Vorstellung
|
|
Von
M. Gänsel
|
Es gibt Frauen, die morgens auf niedlich
machen. (Es gibt auch Frauen, die immer auf niedlich machen,
aber die kriegen wir später.) Die meisten von Ihnen wissen
jetzt schon, was ich meine, aber ich erklärs gern noch
mal genauer, weil es wirklich wahnsinnig macht. Der Hahn kräht,
der Wecker klingelt, und man schält sich aus den Kissen.
Der eine bleibt länger liegen, der andere springt sofort
hinaus und in die Welt - ich mache letzteres, bin aber die erste
Stunde zwar körperlich da, aber geistig ein Toastbrot.
Aber nicht niedlich.
Die Frauen, die ich meine, gucken erst mal ganz süß
auf zu einem, diese Frauen bleiben auch immer ein bisschen länger
liegen als der / die andere. Sie gucken so, und dann schmollt
sich der Mund auch schon meist, aus Bockigkeit darüber,
dass der böse böse Morgen schon da ist und die schöne
schöne Nacht vorbei. Ich schlafe auch für mein Leben
gern, aber wenn ich raus muss, muss ich raus. Und denke nicht
im Traum daran, ein Schauspiel zu veranstalten. Denn nach dem
Schmollmündlein wird sich aufgesetzt und, ja Sie ahnen
es, die Äuglein werden sich gerieben. Das ist dann meist
der Moment, in dem ich aufstehe und ins Bad renne. Wenn ich
wieder rauskomme, ist von dem Kind natürlich nichts zu
sehen, erst der Kaffeeduft lockt das kleine Scheißerchen
in die Küche. Dann kommt sie barfuß angetapert und
steht erst einmal niedlich am Kühlschrank, ein Bein der
kalten Fließen wegen angewinkelt und den Fuß desselben
an der Wade des anderen reibend. 50% dieser Frauen stecken dann
einen Finger in den Mund, die Augen weit aufgerissen und dumm
guckend, dabei verrät ihre Klarheit den knackwachen Zustand.
Aber nix da, es wird weitergespielt: An den Tisch setzen, irritiert
die Tasse suchen, die Tasse dann mit beiden Händen umfassen,
lieb lächeln, zum Mund führen, bisschen schlürfen,
die Tasse absetzen, Augen reiben, dumm weitergucken. Dann, und
erst dann sagen sie "Moing." und lächeln wieder
niedlich.
Das erste Brötchen schneiden sie noch auf, als wärs
das erste im Leben, auch bebuttern usw. geht schwer, aber dann
kriegen sie sich allmählich ein und werden normal. Wenn
man diese Tour von Anfang an knallhart ignoriert und schon nach
dem Aufwachen fragt "Du sag mal, hast du eine Ahnung, wieso
das im Nahen Osten schon wieder so eskaliert," verkürzt
man die Tortur extrem und hat dann zwar eine bockige 32-jährige,
aber immerhin eine Frau am Frühstückstisch. Wieso
machen die das?! Weil Männer es niedlich finden. Nicht
alle, aber ein paar. Und Frauen wollen Männern gefallen,
und wenn sie mal bei Frauen übernachten, dann wird die
Attitüde beibehalten, so schnell trainiert man sich ja
nicht ab, was so lange perfektioniert wurde.
Eine Frau verliert bei mir extrem an Klasse, wenn sie morgens
so eine Ich-bin-schwach-und-kann-gar-nie-nicht-irgendwas-ohne-deine-Hilfe-Show
abziehen; und es ist eine Show, erzählen Sie mir, was Sie
wollen. Sie verlieren an Klasse, weil die Motivation für
diese Show so erbärmlich ist, weil sich noch die coolste
Dame wenigstens einmal am Tag, nämlich morgens, die Rollenschluppe
überzieht und mal so Frau sein kann, wies alle immer verteufeln.
Feministen würden jetzt wahrscheinlich sagen (dass es FeministInenn
heißen muss), dass Frauen ja nicht blöd sind und
diesen Scheiß am Morgen ironisch meinen - oder aber, dass
Frauen das ja nur machen, weil sie von Männern morgens
wie das letzte Doofchen behandelt werden. Aber beides ist Blödsinn
und stimmt nicht. So.
|
|
Generationenvertrag
aufgekündigt?
|
Alt und gefährlich
|
|
Von
P. Brückner
|
Rentner sind eine
latente Gefahrenquelle. Das weiß jeder, der schon einmal
von einem dieser fidelen alten Leutchen mit dem Einkaufswagen
übberollt wurde, nur damit Omi und Opi eher an der Kasse
sind als man selbst. Versucht man dann schmerzverzerrt wenigstens
das Gesicht zu wahren und die Supermarkt-Rambos darauf hinzuweisen,
dass Einkaufswagen keine Bulldozer sind und man, selbst falls
doch, andere Kunden nicht mit selbigem überrollt, spielen
die Alten ihre größte Trumpfkarte aus: Die Jungend
von heute!
Dies ist ein Generalvorwurf, dem man sich nur
sehr schwer entziehen kann. Das Argument, man sei mit 30 gar
kein Jugendlicher mehr, kann sich ein 80jähriger natürlich
nicht zu eigen machen. Außerdem will er ja gar nicht sagen
"Du bist jung", sondern "Ich bin ALT." Das
bedeutet: Alle müssen auf MICH Rücksicht nehmen und
nicht anders herum. Denn das ist das natürliche Recht des
Rentners: Rücksichtnahme (auf ihn selbstverständlich).
Die erwartet er. Von allen! Deshalb sitzt er, der Rentner, um
7 Uhr morgens in der Straßenbahn oder geht 20 Minuten
vor Ladenschluss einkaufen: Um sich seine Ration Rücksichtnahme
zu ergattern.
Leider reicht ihm das nicht. Er will allein an
der Rücksicht partizipieren. Nach dem Motto Es kann nur
einen geben! sind die besonderen Feinde des Rentners kleine
Kinder. Wohl mag es sein, dass sie keine Erinnerung an ein Alter
haben, zu dessen Darstellung eine einzige Ziffer genügt.
Oder sie sehen nicht ein, warum Personen, die zu ihrem Rentenaufkommen
nichts mehr beitragen können, besondere Langmütigkeit
verdienen. Jedenfalls ist die statistische Häufigkeit im
Zusammenstoß-Bereich Rentner - Kind besonders hoch.
Fast perfide ist die Tarnung, unter der diese
Übergriffe solch greiser Rücksichtsmonopolisten zumeist
geschehen. Ordnung, Anständigkeit und richtige Erziehung
müssen herhalten, um den Eigennutz der Un-Ruheständler/
-stifter zu bemänteln.
Da springt zum Beispiel an einem Sonntagmorgen
ein Kind, es mag um die 6 Jahre alt sein, an die Tür der
eben haltenden Straßenbahn und versucht sich rechterhand,
an den eben aussteigenden Omis, in die Straßenbahn hineinzuschummeln.
Böses Kind! Unerzogenes Kind! Das darf man ihm nicht durchgehen
lassen, obwohl ausreichend Platz für Ein- und Aussteigende
vorhanden ist. Ein kurzer Schlag mit der Krücke vor das
kindliche Schienbein, ein beherzter Stoß vor die Brust
- schon ist das Kind rückwärts aus der Straßenbahn
befördert. Bloß keine falsche Rücksichtnahme!
Ob ihm seine Mutter nicht beigebracht habe, dass man zuerst
die Leute aussteigen zu lassen habe, grollen die Omis dem Kind,
welches tapfer die in die Augen schießenden Tränen
unterdrückt. Mit Worten, die das Entsetzen über den
heutigen Erziehungsstand zum Ausdruck bringen, entfernen sich
die beiden Alten von der Szenerie.
Dass nun jedoch sich beide schnurstracks zum sonntäglichen
Gottesdienst begeben, sei hier nur mit hinreichender Verwunderung
angemerkt, tut aber eigentlich nichts zur Sache. Schließlich
haben sie eben ja nichts falsches, sondern aus ihrer Sicht wahrscheinlich
Gottgefälliges getan.
Interessanter ist, dass alle Erwachsenen in und
vor der Straßenbahn, selbst die Mutter des Kindes betreten
schweigen, ihre Augen zu Boden senken und die Eskapaden der
beiden alterstarrsinnigen Kirchgängerinnen ertragen. Warum
schweigen sie, warum schweige ich?
Aus falscher Toleranz! Lasst uns in Zukunft gemeinsam
unsere Stimme gegen die Schreckensherrschaft der Rentner erheben
und gegen sie ankämpfen!
Zumindest, bis wir selber alt sind!
|
|
|
Von
Mathias Deinert
|
Fleischerei BENDIG
in den Potsdamer Bahnhofspassagen. Es ist werktags 11 Uhr. Vor
dir stehen drei ältere Damen. Natürlich, wie immer!
Und nicht etwa drei ältere Damen der spritzigen Sorte,
sondern diese besonders grauen, griesgrämigen Weibsen.
Also alles wie immer. Da du Zeit hast, gehst du noch die eine
oder andere Kleinigkeit erledigen und kehrst dann wieder zu
BENDIG zurück. Jetzt steht nur ein älterer Herr zwischen
dir und der Theke: wohl starker Raucher, mit Schnurrbart, mit
leichtem Bauchansatz, in einer Jeansjacke. Er scheint die BENDIG-Verkäuferin
zu kennen. Du belauscht folgendes Gespräch:
"Tach Kleene! Ich würde
gerne was bei dir koofn." Gelächter.
"He Fritze," lacht sie,
"wo warste denn so lange?"
Fritze winkt ab. "Ich hatte
n kleenen Herzinfarkt."
Sie erschrocken: "Ach Gott.
Wo haste gelegen? Bergmann oder Joseph?"
"Joseph. Und wo ich schon mal
da war, hab ick mir gleich richtig durchschecken lassen. Blutbild
usw."
"Haste gut gemacht. Das muß
man ausnutzen, solang man sich die Untersuchungen überhaupt
noch leisten kann, wa."
Nun hat er sein Portmonee gezückt:
"Mach mir mal n Pfund Schweinebauch zurecht." Und
dann erzählt er weiter: "Die mußten n Katheter
legen. Normalerweise gehn die ja vom Schenkel aus rein. Aber
bei mir kamen se da nicht durch. Und da mußten se hier
reingehen - hier, kuck mal - kuck mal - hier - hier durch -"
"Is ja widerlich." Der Schweinebauch ist sauber vertütet.
"So Fritze, soll's noch was sein?"
Fritze überlegt. "Ja, gib
mir mal noch ne halbe Blasenleberwurst."
"Is jut." Und während
sie die Blase halbiert meint sie: "Helmut hatte ja auch
letztens nen Herzinfarkt, und Helmut ist erst 35. Fürchterlich,
wa? Ich will wissen, woher sowas kommt. Was nimmste noch, Fritze?"
"Gib mir mal noch vier oder
fünf Scheiben Sülze." Derweil wird auch ein Stoffbeutel
aus der Tasche gekramt. "Tja, das kann dir keener sagen,
woher sowas so plötzlich kommt. Des sind wahrscheinlich
die ganzen Abgase in der Luft und die Gifte im Grundwasser."
Die Sülze wird abgewogen. "Und
was machste jetzt? Was ham die Ärzte gesagt?"
"Naja," sagt Fritze, "mehr
Sport treiben eben, mehr Salat essen, weeßte?" Sehnsüchtiger
Blick durchs Thekenglas. "Achso, du, denn nehm ich noch
sieben Schinkenknacker."
"Klar, mein Fritzeken. Die pack
ich dir noch ruff. Willste noch Leberkäse? Deine Frau nimmt
doch immer so gerne Leberkäse."
"Ja, aber denn is genuch für
heute."
Die Kassenwaage piepst. "Das
macht elf Euro zwanzig." Geld wird gereicht.
"Der Rest is für dich,
Kleene!"
"Danke Fritze. Na, denn lasses
dir mal gutgehen, wa! Gruß an deine Frau."
Das Fleisch ist im Stoffbeutel. Das
Portmonee wieder verstaut. Gewunken. Dann ist Fritze weg. Endlich
bist du an der Reihe. "Guten Tag, was darf's sein?"
Du sagst: "Zwei Landjägerwürstchen
bitte."
Sie lacht: "Zwei Landjägerwürstchen?
Das lohnt sich ja kaum."
Du nickst
und sie hat recht.
|
|
|
Michaela S., Azubi
Bäckerei-Fachverkäuferin
|
|
Von
M. Gänsel
|
18. November
Heute ist Sonntag, morgen muss ich wieder. Nicht dran denken!!!
Robby kam vorbei, Kekse und Fernsehen. Mom hat ihn gefragt,
wann er mit der Bundeswehr fertig ist. Robby ist total ausgeflippt,
wollte auch keine Kekse mehr. Ging einfach los, ich hab ihn
an der Straßenbahnhaltestelle eingeholt und wir haben
noch ein bisschen gekuschelt. Dann war wieder gut.
20. November
Scheißwoche, und nur Frühschicht!! Die Augenringe
schmink ich zwar weg, trotzdem hat Ingeborg (die alte Schachtel)
heute zu mir gesagt, ich seh schlecht aus. Was meint die damit?
Müde?! Scheiße??! Ein Kunde zwang mich, dreimal hintereinander
"Kraftprotzbrötchen" zu sagen, am Ende hätte
ich ihn anschreien können "SAG DOCH SELBER SAFTFOTZKRÖTCHEN!!!"
Zusammen mit Ingeborg Brief an Chef geschrieben. So geht das
nicht weiter. Abends Video.
21. November
Brief an Chef im Angestellten-Kabuffchen verbrannt. Das bringt
nichts. Ich brauch die Lehrstelle, das Geld. Robby kam heute
vorbei, als ich gerade Kuchen verpackte. Schön langsam,
wie immer. Erst die eine Seite, raschelraschel. Dann die andere,
zupfzupf. Der Kunde war total wütend, riss mir das Paket
aus der Hand und legte viel zu viel Geld hin. "Stimmt so!"
Heute 4 Mark 57 Trinkgeld!! Geht ja alles in die Kaffeekasse.
Zum Kotzen. Konnte nur kurz mit Robby reden, er hat irgendwas
von Afghanistan erzählt. Später kam eine sms, aber
die hab ich nicht verstanden. Hab ihm über sms einen kleinen
süßen Hund geschickt, der so Herzen in den Augen
hat. Robby ich liebe dich!!!
23. November
Wochenende!!! Hab schon alles besorgt: für Saskia und mich,
hab ich noch übrig von letzter Woche, na und natürlich
für Robby, der ist ja kein Mensch ohne. Wird geil!!! Mal
sehn, wo wir hingehen, Party ist bei Yvonne und bei Silvio ist
auch eine, aber da hängen immer so blöde Weiber rum.
Sind das Nazis? Ich hab mal versucht, mit einer zu reden, aber
die hat nur gesagt "Verpiss dich!" Dabei hab ich ihr
nur meinen Lippenstift angeboten auf Klo, weil die hatte keinen
drauf. Blöde Pute. Naja, jetzt ist erst mal Wochenende!!!
27. November
Übel abgestürzt am Wochenende, weiß nix mehr.
Robby lacht immer nur komisch, wenn ich ihn frage, was los war.
Jungfrau bin ich jedenfalls noch, das Schwein. Heute ist Dienstag,
hab Spätschicht, werde zu spät kommen, weil ich noch
schnell schreiben will. Kann das Tagebuch nicht mitnehmen, Ingeborg
spioniert alles aus. Neulich hat sie in meiner Tasche gewühlt,
als ich reinkam: "Sag mal, hast du Feuer?" Blöde
alte Schachtel. Hat aber nichts gefehlt. Neue Brot-Sorte bekommen:
Patschtunenkracher. Ziemlich klein, aber schmeckt lecker, ganz
knusprig. Kann natürlich keiner aussprechen. Ein Kunde
fragte, wann wir Talibanteilchen anbieten, konnte ich ihm nicht
sagen. Ich hasse das, wenn der Chef an uns vorbei entscheidet.
Der Kunde hat sich auch total aufgeregt, ich hab dann so getan,
als ob ich taub bin. Scheißjob, Scheißkunden. Na
dann will ich mal.
28. November
Robby hat mein Azubi-Häubchen schon wieder geklaut. Ich
weiß genau, was der damit macht, das Schwein. Mein Chef
macht mich rund, das ist das dritte Mal. Ich mach Schluss, echt!!!
29. November
Weihnachtskalender für Robby gekauft. Wir sind wieder zusammen,
er hat gesagt dass er mich liebt und geweint. Er ist so sensibel!!!
Ich hab dich lieb, Robby. Der Kalender ist total süß,
mit einem echt coolen Weihnachtsmann, der sieht aus wie Robbie
Williams, Robbie für Robby!! Die Engel sehen nicht so aus
wie ich, besser gesagt ich sehe nicht so geil aus wie die Engel,
aber Robby liebt mich so, wie ich bin!!!
1. Dezember
Im ersten Fensterchen war ein Kondom. ICH BRING DIE SCHEISSFIRMA
UM!!! Robby ist sehr wütend, weil ich mich so aufgeregt
habe. Wahrscheinlich macht er Schluss. Auf Arbeit nur Scheiß,
alle wollen Weihnachtsgebäck, dabei haben wir die Sterne
das ganze Jahr. Im Kino gewesen, Film vergessen.
|
|
|
Von
M. Gänsel
|
Es gibt Frauen,
die haben zwei Handtaschen. Diese Frauen sind meist so ein bisschen
schick angezogen, Rock bis zum Knie, schwarze Strumpfhose, Klicker-Klacker-Schuhe
usw. Es sieht aber alles auch ein bisschen schäbig aus:
Der Rock knittert beim Sitzen und glättet sich beim Stehen
nicht, die Strumpfhose schlägt an den Knöcheln Falten,
die Schühchen sind ungeputzt. Das Gesicht ist sorgfältig
und großzügig geschminkt, doch schon für die
Haare hat am Morgen die Zeit nicht mehr ganz gereicht - keck
strebt eine Strähne gen U-Bahn-Decke. Man schaut diese
Frauen an, und dem ersten Eindruck stülpt sich der zweite,
schäbige, innerhalb der nächsten zehn Sekunden Zeit
über.
Diese zehn Sekunden braucht man nämlich, um das Auge hier
und dorthin schweifen zu lassen, schließlich soll man
nicht vorschnell urteilen. Toleranz!
Das huschende Licht bleibt schließlich kurz hintereinander
an zwei Dingen kleben: 1) Handtäschchen. Fast immer schwarz,
fast immer mit güldener Applikation, broschenhafte Schnalle
zum Zuklickern, langer Schulterhenkel, dessen Leder-Imitat vielfach
gebrochen ist. Und Täschchen MEINT Täschchen: Es ist
so klein, dass maximal eine 25er Packung Golden American hineinpasst,
Feuerzeug vielleicht gerade so. Schon fürs Geld wird der
Platz knapp, an Schmink-Krims-Krams, Haarbürste und -spray,
Schokoriegel und Tampons ist nicht zu denken. Doch dafür
haben diese Frauen ja 2) eine Plastiktüte von Douglas.
Sie kennen diese hellblauen Dinger mit dem geschwungenen Schriftzug
in weißen Schnörkeln. Sie sind ca. A-4-formatig und
ziemlich stabil, oben befindet sich eine Art Plastikschiene,
an der die ebenfalls aus Plastik bestehenden Griffe befestigt
sind. Sie lädt weiß Gott zur Wiederbenutzung ein,
so eine Douglas-Tüte!
Wenn, ja wenn sie nicht IMMER ebenso schäbig aussehen würde
wie ihr Frauchen und dadurch einen enorm überstrapazierenden
Mehrfachgebrauch vermittelte. Die Tüte ist uralt, die hellblaue
Schönheit zerkratzt und abgeplatzt, die Griffe händedreckgrau,
das ganze schicke Ding ist traurig, elend, hässlich. Und
es macht die Frau, die diese Tüte trägt, ebenso traurig,
elend und hässlich. Ach.
Will sie das? Aber nein! Schick will sie sein, damenhaft, mit
spitzen Rotnägeln trägt sie das Tütchen leicht
angehobenen Unterarms, sie trägt es vor sich her, ja seht,
ich kaufe bei Douglas ein!
Dass sie ihren Mitmenschen eigentlich die Botschaft "Weihnachten
91 hamwa Schwiegermuttern dieset schweineteure Parföng
jeschenkt und wat is - nu stehts immer noch im Schrank und stinkt,"
darreicht, weiß die Dame nicht.
Jeden Morgen, meine Güte!
Punkt halb acht dieselbe Frage:
"Wo ist meine Douglas-Tüte?"
Oh was ist der Stress ne Plage!
P.S: Das Aufkommen von Douglas-Tüten
als Handtäschchen-Ersatz beläuft sich monatlich auf
ca. 20 zu beobachtende Subjekt-Objekt-Kombinationen. In den
letzten Wochen wurden 2 (zwei) für eben jenen Zweck des
Handtäschchen-Ersatzes genutzte H&M-Tüten gesichtet
- die kleinen, die man für Unterwäsche bekommt. Ob
sich hier eine neue Mittelklassen-Handtäschchen-Ersatz-Mode
etabliert, kann und darf zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses
Artikels nicht ausgeschlossen werden.
|
|
|
Von "Berliner
um die 35, Familienvater, berufstätig"
|
|
Von
M. Gänsel
|
29. Februar
Wir wollen alle glücklich sein, und wir werden alle
sterben. Weiser Satz. Scheiß Sonntag. Means: Spazieren
gehen, Kind auf die Schultern, Frau in den Arm nehmen usw. -
hasse das. Ist natürlich wichtig, ich liebe ja meinen Sohn
sehr. Langsam kommt er in das Alter, wo er kapiert. Dass er
die Schnauze zu halten hat, wenn Fußball im TV kommt,
z.B. Mein Weib ist auch ok, ich bin ja heilfroh, eine abgekriegt
zu haben. Sie sieht super aus, alle sind neidisch. Wenn man
das immer hat, sieht man das nicht mehr so. Aber sexuell läuft
es super. Na, ich muss los.
War ganz ok, wir hätten vielleicht
nicht in DAS Lokal gehen müssen, in dem ALLE waren, aber
egal. Paar scharfe Weiber gesehen, die gucken Leon immer so
gerührt an und blitzen ganz kurz in meine Augen. Mein Bauch
kribbelt dann, aber ich bleib cool: Kann ich dir auch machen,
sagt mein Blick. Kein Problem. Höhö. Mein Weib sieht
das und tut cool, das kann sie super. Wenn sie mich eine halbe
Stunde ignoriert, komm ich wieder angekrochen, das weiß
sie. Scheiß-Angst, dass sie sich scheiden lässt,
aber sie will ja einen Vater für ihr Kind. Und Mann usw.,
denk ich. Muss ins Bett, gestern mit den Jungs scheiße
besoffen, war wieder lustig, paar neue PC-Spiele usw.
1. März
Morgens beim Friseur, die Schnecke reibt ihre Titten immer so
an meinem Hinterkopf, das macht mich scharf. Viel ist ja nicht
zu schneiden, ich trag so durcheinander, bisschen Gel, das macht
keine Arbeit. Aber ab und an müssen sie eben kürzer.
Na, dann zur Arbeit, im Auto gefrühstückt. Mittlerweile
seh ich unterwegs viele wie mich: Anzug, cooler Haarschnitt,
Starbucks-Kaffeebecher und ne Käsestange von Ditsch. Sitzen
alle alleine im Auto, haben alle zuhause ne Frau und ein Kind.
Und das ist es dann, das Leben. Ach, ist schon ok, ich hab ja
die Jungs. Und Leon wird wie ich, das schwör ich!
Job war ok, zweimal Rüffel vom
Chef, einmal den Praktikanten gerüffelt. Ist so eine Kumpel-Atmo
bei uns, ganz angenehm. Kann man auch mal "scheiße"
sagen, ohne dass wer umfällt. Die paar Weiber machen das
mit, sind ja auch nur noch die Coolen. Und Schönen, herrje,
wenn ich Anja immer sehe, scheiße scharf ist die. Die
weiß, dass jeder auf sie steht und geht noch extra langsam,
wenn ich hinter ihr bin. Ihr Hintern... Weil ich verheiratet
bin, muss ich auf treu machen. Natürlich steck ich ab und
an einen weg, aber nicht auf der Arbeit und auch nicht im Freundeskreis.
Ich sag nur: Uni.
3. März
Ich liebe das: Nach der Arbeit mit meiner Frau und meinem Sohn
zusammen sitzen, wir essen ein bisschen was, entweder hat mein
Weib gekocht oder ich bring von unterwegs was mit. Dann reden
wir ein bisschen, ich kotz mich aus über den Tag und sie
über ihren. Der Kleine rallert sein Kinder-Zeugs. Über
allem hängt so eine gemütliche Stimmung, ich bin ganz
zufrieden dann. Manchmal will Maria dann reden, so richtig.
Weil Frauen ja ab und an über die Beziehung reden müssen.
Kein Problem, mach ich mit. "Was fehlt dir?", frag
ich dann, "Was möchtest du ändern?" Sie
antwortet, und dann machen wir weiter wie bisher. Ich bin 38,
ich kann mich nicht mehr um 180 Grad drehen. Das weiß
Maria auch. So, im Großen und Ganzen, läuft es doch
super!
Chef hat heute gefragt, was ich für
Ziele habe. Jesus! Bin total eingebrochen. Das fragt Maria auch
manchmal. Ich verstehe die Frage nicht. Mein Ziel ist, dass
alles so bleibt! Das kann man nur schlecht sagen, das will keiner
hören. Ich habe Job, Frau, Kind. Bitte sehr, mehr wollte
ich nicht vom Leben! Wenn ich das Gefühl habe, dass irgendwas
fehlt, fahr ich in die Romanistik und vernasch im Archiv ne
Französin (19 Jahre!!!), danach geht's besser. In letzter
Zeit musste ich ziemlich oft hin... Romanistik, Amerikanistik
usw. - die Sprachen, Weiber stehen ja auf Sprache.
Maria sagt, dass sie sich weiterentwickeln
will. Wohin denn, frag ich. Dann sagt sie, dass ich sie nicht
verstehe. Super. Soll ich mich entwickeln?! Coaching mach ich
doch mit, Zeitung les ich, die neuesten Spiele kenn ich - was
wollen die denn. Leon hat "Du alte Zicke!" zu einer
Verkäuferin gesagt, alle haben gelacht, bis auf Maria.
Sogar die Verkäuferin war cool und hat gegrinst. Riesen-Bohei
zuhause, ihr Sohn wäre ein Macho usw. - das neeervt. So
ein Schwachsinn. Wenn die Verkäuferin sogar lacht! Und
das war ne Zicke, ey. Außerdem ist es doch super, dass
Leon jetzt anfängt verständlich zu sprechen!!!
16. März
Die haben mir einen festen Vertrag angeboten. Das ist fast wie
verbeamtet, Gehalt ok, Urlaub und alles, praktisch unkündbar.
Wenn ich jetzt doch noch den Betriebsrat mache, wie Olli sagt,
bin ich auf der sicheren Seite. Natürlich sag ich ja, aber
oooooh, ich hab Bauchschmerzen. Das Haus könnten wir dann
in Angriff nehmen, Leon auf ne schicke Schule, aber oooh, ich
hab Bauchschmerzen. Maria hört immer auf ihren Bauch. Männer
wie ich sollten das nicht tun. Ich renne täglich in die
Uni, es läuft schlechter, ich bin bekannt wie ein bunter
Hund. Vielleicht mal eine andere probieren, TH, Humboldt. Oder
nach Potsdam, aber in diese hippen Mitte-Kneipen hock ich mich
mit 39 nicht mehr. Jetzt werd ich halt ein richtiger Mann mit
gut Kohle, Weib und Kind. Maria will noch eins. Ich hab so ein
Reißen im Rücken und manchmal einen stechenden Schmerz
im Hinterkopf. Ich weiß auch echt nicht, ob ich das schaffe,
den Job meine ich. Das ist schon ein ganzer Haufen mehr Arbeit
und Verantwortung für die Mitarbeiter usw. Aber ich kann
die dann feuern, höhö.
|
|
|
Von
Mathias Deinert
|
Jedes Jahr, wenn
ein steifer Ost welke Blätter gegen unsere Fensterscheiben
wirft, finden sich naturgemäß viele Pärchen
zusammen. Jedes Jahr. Warum ist das so? Man hat es schon mit
einer Art biologischem Schlussverkauf begründet.
Mir hingegen ist es von einer ganz anderen Warte verständlich:
Wie sonst sollten die kleinen bunten Teenager-Frauen in ihren
nierenfreien Kurzarm-Rollis den Winter überleben, wenn
nicht mit einem wärmenden Stück Pickelfleisch vorm
nackten Bauchknöpfchen? Sei's.
Am häufigsten küssen sich
im Herbst die Erstküsser. Wir erkennen sie daran, dass
wir uns bei ihrem Anblick fragen, ob wir selbst so unschuldig
unkundig auch einmal geküsst haben. Ihr Alter übersteigt
selten 14 Jahre. Wir finden sie zuhauf am Platz der Einheit,
in den Telefonzellen, in unseren Hausfluren und den H&M-Umkleidekabinen.
Wer küsst sich noch? Natürlich
küssende Angeber, die mit gierigen Gafferblicken rechnen
und nicht selten mit ihren Händen unter den schwarzen MATRIX-Ledermänteln
fummeln. Die haben beim Küssen immer ihre Augen auf.
Freilich gibt's noch andere Kusskandidaten.
Nazis beispielsweise, die sich zu gewissen Zeiten am Hauptbahnhof
zusammenrotten und den Mädels mit Hundefrisur ihre Schnute
hinhalten. Und deren Wurstfinger entweder in die Taschen gepfercht
sind oder auf den Schinken ihrer Ische herumreiben. Und die
nicht wissen, dass NATIONALSOZIALIST und NEO-NAZI im Grunde
gar keine deutschen Wörter sind.
Und dann stehen da die Verlassenen. In Pelzjacken oder Mänteln.
Die stehen da, als warteten sie schon seit einer Woche am Bahnsteig
auf den Verreisten. Und wenn der Zug nach 15 Minuten Verspätung
endlich eingefahren und die ausgestiegene Masse über den
Bahnsteig gerollt ist - dann bleiben meistens zwei zurück,
die sich umhalsen und küssen und erzählen und küssen
und Blumen schenken und küssen und gehen.
Alles kalter Kaffee, werden Sie meinen.
Und werden selber jemanden zum küssen haben. Na bitte.
Von dem, was ich neulich am Busplatz sah, können aber selbst
SIE sich als Routine-Küsser noch eine Scheibe abschneiden:
Zuerst stand sie allein. Mit ungeschminkten
Augen schaute sie durch eine viel zu kleine Brille. Ein Mädchen
mit krausem Haar, lieblos zusammengeknotet. Kam wohl vom KAUFLAND,
denn sie hatte eine Milchbutte im Arm und einen Beutel Fenchel
in der Hand. Und sie traf auf jemanden, den sie vielleicht kannte,
den sie ziemlich schüchtern etwas fragte: vielleicht nach
der Zeit, dem Bus oder einem Kuss. Jedenfalls blickte ich kurz
weg. Bei meinem nächsten Hinsehen war's bereits ein Schauspiel!
Ein Zopfgummi lag im Schmutz und
krause Haare beugten sich nach hinten. Die selbstgestrickte
Wolljacke war verrutscht, und eine Männerhand drückte
sacht die freigewordene Schulter. Den Beutel Fenchel hatte er
ihr längst mit der anderen Hand abgenommen. Nur die Milchbutte
hatte sie behalten. Die ruhte weiterhin in ihrem Arm. Und die
streichelte sie so, wie man folgsame Kinder streichelt. Immer
wieder. Und wenn es der Kuss erforderte ging das Öko-Mädchen
auch in die Knie. Oder er. Und dann wippte der Fenchelbeutel
leise knisternd auf das Gehsteigpflaster, wo nur Zigarettenkippen
und Hingespucktes lagen.
Milch und Fenchel hielten sie weiterhin
dicht am Körper, aber die Außenwelt hatten sie vergessen.
Ein Bus fuhr ab. Vielleicht war es seiner. Und irgendwann gingen
sie zu Fuß irgendwohin. Vielleicht zum Brauhausberg: da
wird sie seit einer Woche wohnen. Da wird sie ihm die selbstgestrichene
Wohnung zeigen, die noch voller Eimer steht. Sie wird ihm einen
Fenchelauflauf mit Weizenkleie zubereiten, und einen Pamps aus
Haferschleim zum Nachtisch zaubern, in dem sie Meisterin ist
- vermutlich.
Dann legt sie die gestrickte Joppe
ab. Und dann ist beiden ganz egal, ob der Ofen schon seit Stunden
aus ist
!
|
|
|
Frank Z., 24 Jahre,
Bundeswehrsoldat
|
|
Von
M. Gänsel
|
6. Dezember
Ein Wunder, dass ich überhaupt noch in der Lage bin zu
schreiben, die Feder zu halten, Wort für Wort mir zu überlegen
und Gedanken, Sätze, Absätze zu produzieren. Ich stehe
nach wie vor zu meiner Entscheidung GEGEN den Zivildienst, ich
wollte den Dienst an der Waffe, ich WOLLTE meine Grenzen erfahren.
Nikolaus. Wie grausam, wie verlogen das nun klingt! Am Morgen
noch trieb das Wort weich warme Erinnerungen nach oben, schlierte
mir ein wohliger Schauer prä-weihnachtlicher Erwartung
über die Haut. Nikolaus, das hieß bis heute morgen
Pfeffernuss, Mandelsplitterschokolade, Rute mit einem Augenzwinkern.
Wenn Vater mich schlug, dann lachend.
Das Bettenbauen im Weihnachtsmannkostüm, mit Boxhandschuhen
an den Händen, fiel mir vor versammelter Mannschaft zwar
nicht leicht, aber das herzhafte Lachen der Kameraden steckte
an, sodass letztlich auch ich, in meiner absurden Maskerade,
lachend und prustend alle achtunddreißig Betten in Ordnung
brachte.
Nach dem ersten Ausrücken mit Nebel-Lauf, Waffen-Werfen
und Stiefel-Dreh wurde bei Tee und Zwieback im gemütlichen
Anbau der Wäschebaracke mein Tagebuch verlesen. Ich las
diesmal selbst und erntete frenetischen Beifall. Meine minutiöse
Schilderung des letzten Rekruten-Manövers löste stehende
Ovationen aus. Ich hatte wie üblich die unschönen
Szenen durch Metaphern ersetzt, die das Ganze wie eine Butterfahrt
klingen ließen. Die Kameraden lachten sehr, nachdem sie
im "blumig bunten Miteinander hunderterlei Entdeckungen"
das gasmaskenbewehrte Robben über 100 m unabgewaschener,
vier Wochen alter Küchengabeln erkannten. Ausbilder-Ausdruck:
"Herausforderung".
Da war die Welt noch in Ordnung. Jedenfalls in ihrer Ordnung,
die hier, in der Fürst-Pückler-Kaserne, immer auch
eine brutale, menschenverachtende, ja zynische Ordnung ist.
Wenn ich nicht schreiben könnte, stürbe ich. Dass
sie mir das Schreiben lassen, gewährt einen letzten Rest
Menschlichkeit wie ein kaum lebendes Licht, nach Sauerstoff
dürstend aber LEBEND, den Horizont hoffnungsfroh erhellend.
Weil diese Zeilen Heilig Abend verlesen werden, dessen bin ich
sicher, an dieser Stelle nur so wenig, oder so viel:
Vierzehn der sechzig Blumen mussten ihre Köpfchen dergestalt
neigen, dass zwei der vier Gärtner mit energischem, gleichwohl
vorsichtigem Ruck jedes zweite Blütenblatt entfernten.
Die so geernteten Blütenblätter kehrten die anderen
zwei Gärtner zusammen, sie einer Bestimmung zuführend,
die uns zunächst unklar war. Ihre Rufe, hilflosem Schreien
ähnlich, waren schon bald nicht mehr zu hören. Die
gerupften Blumenköpfe durften sich aufstellen, schrieb
ich "durften"? Das Aufstellen, den Blumenkopf im Nacken,
geriet zur Tortur, da die immer scheinende Sonne die derart
schutzlos gewordenen Pollenbälle binnen Sekunden austrocknen
ließ. Rissig pellten sich die Blätter, trocken knisterten
Rand und Stempel. Ein Schauder ging durch die gesamte Blumenschar.
Beide Gärtner marschierten, laut "Sah ein Knab ein
Röslein stehn" singend, mit je einer Kieskanne und
Harke bewehrt, vor den mittlerweile staubenden Tausendschönchen.
Der Himmel selbst kannte keine Gnade und verbot sich zu weinen.
Ich muss aufhören, Kasimir ruft. Schnell verstecke ich
Stift und Heft unter der Decke. Die spröden Seiten ratschen
rüde über die Verbrennungen zweiten Grades, die ich
an Hüfte und Brustkorb davon trug. Der Strohhalm, durch
den ich Wasser zu mir nehmen soll, ist nach wenigen Sekunden
zerschmolzen - meine heißen Lippen. Wenn ich nun schreibe,
dass die Übung "Hänsel und Gretel" hieß,
hält man mich für einen Saboteur. Also schreibe ich,
dass die Übung "Bagdad" hieß. Diese Zeilen
vernichten sich in wenigen Minuten selbst.
|
|
|
Von
M. Gänsel
|
Die Welt der Frauen,
liebe Leser - eine Welt der Fragen, Vorurteile, Missverständnisse.
Wir können nur beobachten, sichten, Daten aufnehmen. Dem
Verständnis damit keinen Schritt näher, vermögen
wir so immerhin eine Andeutung der Gesetzmäßigkeiten
zu erahnen, nach denen Frauen leben - mit uns, mit ihren Kindern,
miteinander.
Vor allem dieses Miteinander ist es, das Rätsel
aufgibt, verwirrt. Wie oft nähert sich ein Kollege seinen
Kolleginnen, die einträchtig am Kaffeeautomaten stehen.
Wie oft erstirbt das Gespräch, sobald er hinzutritt und
0,50 € in den Schlitz wirft. Der Automat brodelt, die Damen
schweigen. Der Kollege nimmt seinen Kaffee, geht hinfort, und
perlengleich sprudeln Worte in seinen Rücken, nicht zu
verstehen, raunend und bedeutungsvoll.
Es sei offenbart, worüber sie reden. Nicht
über ihn, den Kollegen, dessen Krawatte / Geliebte / Fehler
in der Buchhaltung. Nicht über sie, die Neue, deren Kostüm
/ Geliebten / S-Schwäche. Zwei Frauen, die in einer Firma
arbeiten, deren Arbeitswege sich hier und dort überschneiden,
die an diesem einen Tag im Juni beschlossen haben, sich anzunähern,
einander kennen zu lernen, sich auch privat und nicht mehr nur
beruflich zu treffen - diese zwei Frauen reden über Menstruation.
Es gleicht einem Initiationsritus: Erst wird das
eine oder andere Witzchen über Formulare oder Belege gerissen.
Das Stöhnen über den Computer verbindet, ebenso wie
der gemeinsame Weg in die Kantine. Frauen lächeln einander
an, kumpeln nach einer Zigarette, geben Feuer. Das alles bedeutet
NICHTS. Wenn die andere JETZT einen Fehler macht und der Chef
fragt, wer es war, wird der Zeigefinger jäh heraus gestreckt,
die andere ans Messer geliefert. Denn es kam noch nicht DAZU.
Erst, wenn es DAZU kommt, ist Loyalität gesichert, wird
aus Kumpanei etwas, das viele mit Freundschaft verwechseln,
wird gleichsam ein Unterpfand des Vertrauens getauscht. Erst,
wenn es zu Dialogen wie diesen kommt:
Nr. 1: "Boah, ich hab heute BAUCHschmerzen,
das glaubst du nicht."
Nr. 2: "Echt? Was falsches gegessen?"
Nr. 1: "Nee, ich hab meine Tage."
Nr. 2: "Ach so. Och. Du Arme. Haste das immer so schlimm?"
Vgl. auch:
Nr. 1: "Ich hab schon zwei Tabletten genommen."
Nr. 2: "Ich bin grade durch."
Nr. 1: "Die ganze Nacht mit Wärmflasche, ich kann
echt nicht mehr."
In manchen Fällen:
Nr. 1: "Hey, wasn los?"
Nr. 2: "Ich hab meine Tage, weißte."
Nr. 1: "Weißt du, wann die Teamsitzung anfängt?"
Die Thematisierung von Menstruation / Menstruationsschmerzen
/ MentruationsAUSBLEIBEN ist in jedem Falle ein Vertrauensbeweis.
Eine Frau, die sich einer anderen Frau biologisch mitteilt,
möchte Nähe, Vertrautheit, Privatheit produzieren.
Verweigert sich die andere Frau (Bsp. 3), wird sie a) monatlich
neu infiltriert oder b) aus dem Kreis der Eingeweihten verstoßen.
Denn NACH der Initiation durch Menstruationsthematisierung folgt
(vgl. Abschnitt 3 dieser Ausführungen) all das, was Sie,
lieber Leser, schon kennen: Das Reden über ihn, den Kollegen,
dessen Krawatte / Geliebte / Fehler in der Buchhaltung. Und
über sie, die Neue, deren Kostüm / Geliebten / S-Schwäche.
Sie fragen sich: Warum?
Im Gegensatz zum Thema "Fehler in der Buchhaltung"
kann jede Frau beim Thema "Menstruation" sicher sein,
dass die Auserwählte mit ihr absolut einer Meinung ist.
Sie kann sich der Fürsorge, des Mitgefühls, des totalen
Einverständnisses gewiss sein. Auch wenn sich die andere
verweigert, hat sich die Thematisierende einzig als Frau präsentiert
- als Gleiche. Das kann ihr nicht vorgeworfen werden. Sie hat's
versucht.
Und sie hat sich gleichsam ein bisschen kleiner
gemacht, indem sie Schmerzen / Unwohlsein zugab. Die Frage nach
ursprünglicher Hierarchie ist obsolet: Die Geschäftsführerin
nähert sich ihrer Sekretärin, die wissenschaftliche
Assistentin offenbart sich ihrer Professorin - DANACH sind alle
vier auf einer menstruellen / weiblichen / schmerzerfahrenen
Ebene.
Sie fragen: Was bringt denen das?
Es sei Ihnen offenbart: Nicht viel. Nicht mehr
als diese Ebene, die eine niedere ist, ein kleines gemeinsames
Vielfaches, das nahezu tautologisch zum Mantra erhoben wird.
Nachdem sie erzählt, dass sie Bauchschmerzen hat, erzählt
sie von ihrem Mann und verrät, was sie vom Chef hält.
Sie schafft Vertrauen.
Es ist schön, wenn Frauen einander vertrauen.
Es wäre schöner, wenn das Vertrauen auf anderen Ebenen
geschaffen würde: Werte, Wissen, Humor. Nicht auf Blut,
Tränen, Schmerztabletten.
|
|
|
Jens K., Bauarbeiter,
derzeit Potsdam-West
|
|
Von
M. Gänsel
|
30. September
Liebes Tagebuch, heute war ein irrer Tag. Hab mit dem Chef gequatscht
in der Pause, der war so anders drauf. Ich weiß auch nicht.
Irgendwie sind wir auf Gedichte zu sprechen gekommen. Ich will
ihm eins zeigen von meinen, hab ich versprochen. Ich habe mich
für das hier erschienen. Liebes Tagebuch, du musst mir
sagen, ob das so geht!!!
Bau(Stellen)Gedanken
Ich trage eine Weste in orange
Manchmal habe ich eine Glatze und
Bin selbstbewusst und
Rechtsradikal.
Manchmal habe ich überall Haare und
Blaue Latzhosen an.
Ich esse halb neun Uhr morgens Eisbein und Schnitzel.
Manchmal brülle ich "STELL DAS SCHEISSDING AB!"
und
Lasse die Schaufel aus einem Meter Höhe
Fallen.
Manchmal gucke ich aus dem Lastwagenfenster und
Tonnen von Sand fallen hinten
Runter.
Ich bin immer in der Gruppe und nie allein.
Manchmal sieht man niemanden, nur
Einen Schlauch,
Der bewegt sich und ist sehr laut.
Manchmal stehen fünf von uns rum und
Unsere Hände
Sind in die Hüfte gestemmt. Dann sind wir leise.
Viel lieber sind wir laut und schwenken die Arme.
Manchmal schwenken wir Baggerschaufeln und
Schlagbohrer,
Die geh'n ab wie ne Pershing!
Manchmal freue ich mich auf den Feierabend,
Auch wenn das Bier schon seit zehn Uhr fließt.
6. Oktober
Danke, vielen Dank!! Der Chef hat es an die Bauwelt geschickt,
es wird vielleicht gedruckt!! Liebes Tagebuch, ich bin so glücklich.
Ich wusste es: In mir steckt mehr als ein blöder Sandschipper!!!
8. Oktober
Ortsgruppe-Süd hat mir eine Vorladung geschickt. Es geht
um mein Gedicht. Das mit der Pershing finden sie gefährlich.
Nicht wegen der Pershing, sondern wegen VS usw. - dass die auf
uns aufmerksam werden usw. - scheiße. Dabei ist die erste
Strophe doch viel...!!! Aber da sagt Hirschi, das ist Satire...
Satire! Das ist ernst gemeint!! Werde meine Lyrik verteidigen!
Kunst kennt keine Angst!!!
9. Oktober
Hirschi sagt, ich soll was ausarbeiten, kurze Erklärung.
Das werde ich, das werde ich!!! Nur Scheiße in diesen
Tagen, heute nacht auf der Baustelle ein Irrer, wegen Lärm
usw. - wir nur das Papierchen aus der Tasche geholt, Genehmigung
von der Stadt, und nu geh poofen Alter. Hirschi hat die Rundumleuchte
die ganze Zeit laufen lassen. Bitte sehr, ihr Spießer!!!
11. Oktober
Brief von der Bauwelt: "... bitten wir Sie, uns nicht weiter
mit unverlangten Einsendungen (noch dazu rechtsradikalten Inhalts)
zu belästigen." Eine Sprache haben die! Wir werden
die mal besuchen, die Wichser. Na egal, für meine Ausarbeitung
für die Ortsgruppe passt das super. Chef hat mir heute
was von sich gegeben, finds affig und schwul:
Du...
Dein Arm glänzt ölig...
Dein Nacken ist feucht...
Ich glaube es wirklich.
Ja langsam mich deucht:
Du bist gar kein Arbeiter!
Bist kein Prolet!
Du sagst: "Kerl träum weiter!"
Oh du! Mein Gebet!
Isses nicht blöde? Aber eine Frage hätte ich noch,
mein liebes liebes Tagebuch: Wen meint der???
|
|
|
Herr A. aus B., Machtmensch
|
|
Von
M. Gänsel
|
2. Dezember
An Quarkkeulchenbude blamiert: Konnte Schild "5
+ 1 = 2 €" nicht interpretieren, auch das darunter
angebrachte "10 + 2 = 4 €" half nicht weiter.
Das Plus vorschnell als Mal gelesen, also 5 mal 1 gleich 2 Euro.
Aber warum dann 10 mal 2 gleich 4 Euro kosteten, wollte mir
nicht in den Sinn. Ich fragte zögernd, viel zu kompliziert
für den einfachen Quarkkeulchenverkäufer. Der lachte
roh, wies mich in seiner unbedarften Art zurecht. Ich kaufte
dann vier Stück, aus billigem Trotz. Keine Ahnung, wie
viel bezahlt.
3. Dezember
Heute Ente im Kalender!
6. Dezember
Gesine überrascht: in jedem ihrer 112 Schuhe
eine Kleinigkeit versteckt! Von 3 bis 6 Uhr 30 beschäftigt.
Schnittwunden durch Absätze und Tannenzweige. Gesine schaute
erst freudig, dann ging ihr das Ausmaß der Aktion auf
und sie sah mich an wie etwas, das die Katze angeschleppt hat.
Ekel und leichter Schrecken in ihrer Miene, als ich die silbernen
Schnallenluder hochhielt und Begeisterung für meine Findigkeit
verlangte - hatte Marzipankartoffeln eingeschnitten und um die
Silberschnallen geschlungen. Wollte, dass Gesine die Schuhe
anzieht und ich dann... Sie hatte keine Lust.
8. Dezember
Peinlich: Wischmeyr aus 2.18 hat mir was in meine
Büro-Schuhe gesteckt. Noch peinlicher, was er mir rein
gesteckt hat: Ein FAZ-Abo plus Superedelfüllfederhalter.
Den Schreiber behalt ich, aber was soll ich mit der FAZ? Ich
weiß, dass Wischmeyr mich wg. der Vertriebenendiskussion
von neulich als Gesinnungsgenossen betrachtet. Auf der Etagentoilette
kumpelt er jetzt, wenn wir uns begegnen. Unangenehm. Schreit
nach Konsequenzen.
10. Dezember
Wischmeyr versetzen lassen. War einfach > Systemadmin
gebeten, W.'s Internet-Gewohnheiten mal rüberzuschicken.
Dagegen bin ich ein Waisenknabe. Und nicht so blöde im
Büro zu surfen.
11. Dezember
Gesine hat gestern Abend tierisch Theater gemacht,
als ich ihr das mit Wischmeyr erzählte. Als sei sie persönlich
davon betroffen! Nannte mich willkürlich und misanthropisch.
Ich könne es nicht aushalten, wenn mir jemand Liebe und
Vertrauen entgegen brächte. Weil ich mich vor meiner eigenen
Courage fürchte, und dies zu Recht, die sei nämlich
im Arsch. So drückte sich Gesine aus: Im Arsch. Ich kann
ihr nicht wirklich widersprechen. Widerlich, wenn einen die
Ehefrau so gut kennt. Was spielt sie den Scheiß dann noch
mit.
12. Dezember
Gesine will nicht alleine sein. Das ist es.
14. Dezember
Und ich auch nicht.
15. Dezember
Wenn mich noch eine blöde Sau nach Silvester
fragt, flipp ich aus. Wir machen, was wir jedes Jahr machen:
nichts. Nur Gesine und ich, ab 16 Uhr betrunken, 20 Uhr fertig
mit Kotzen, 22 Uhr nackt Scrabble, 23.30 Uhr angezogen Halma,
Mitternacht in die getrennten Schlafzimmer. Wenn ich das erzähle,
lachen alle. Ich könnte sie schlagen. Wahrheit ist in diesen
Zeiten etwas, das man hüten muss wie einen Schatz. Zu oft
und zu schnell heraus posaunt, wird sie verlacht und nicht geglaubt.
Fast die ganze Abteilung war bei Michael Moore, Wischmeyr sagte,
so jemanden bräuchte er für seine Sache und die wäre
gewonnen. Habe versucht, auf der Spät-Konferenz ein bisschen
wie Moore zu polarisieren, den 2. Vorsitzenden als "salzarme
Suppe mit zu vielen Fettaugen" bezeichnet - keiner kapierte
die Metapher, die sich natürlich auf den Jahresendbericht
und die darin versteckten frisierten Haushaltszahlen bezog.
Blödes, espritloses Volk.
17. Dezember
Mit Wischmeyr nach der Arbeit ein Bier. Außerhalb
des Büros ist er gar nicht so übel. Viel diskutiert,
er redet schnell und springt von einem Argument zur nächsten
Widerrede. Musste regelrecht konzentriert zuhören! Homann
auch Thema, hab ich abgelenkt. Dünnes Eis, mein Großvater...
Was will ich hier? Warum mache ich Politik? Wischmeyr quälen
dieselben Fragen, er sagt, wir sollten darüber nicht nachdenken,
einfach weiter machen. Mit 60 kleiner Skandal, abgedankt und
fertig.
19. Dezember
Lieber Weihnachtsmann!
Ich wünsche mir, dass ich Bundespräsident
werde. Sonst nichts!
Dein Flusi
|
|