»schreib«
Vom Journal, das (wohl) goldene Lorbeeren wollte ernten
Von Mathias Deinert


Lange schon war Manuela Sorge mit dem Wunsche schwanger gegangen, ein literarisches Journal für die Potsdamer Studierenden ins Leben zu rufen: Es sollte jungen Hobby-Autoren ein Medium sein, ihr Talent zum Schöngeist druckgeschwärzt bestätigt zu sehen. Es sollte das Geistesleben reifender Menschen begreifen helfen. Kurzum, es sollte schlicht studentische Lyrik und Prosa einer breiten Öffentlichkeit zugängig machen.

Dieser Wunsch einer Einzelnen wuchs bis zum Jahrtausendherbst zu einem überstarken Drängen heran, und bekam im April dieses Jahres, nachdem noch andere Mitstreiter für die Sache gewonnen waren, Gestalt in Form eines kleinen Broschürchens: "schreib" war geboren. Der Name mit appellierendem Klang: eine glückliche Wahl. Die Hoffnungen auf junge, wertige Literatur: übergroß.

Doch bereits der kurze Auftritt Manuela Sorges und ihrer Getreuen beim lyrischen Abend brandenburgischer Autoren (potzdam rezensierte) hätte uns allen einen Eindruck vermitteln können, in welche Richtungen das "schreib"-Gremium favorisierend tätig wird, wenn es sich dranmacht, eingereichte Texte durchzusehen. Gerade weil etliche Autoren ganze Bände an die Jury gegeben hatten, hofften Außenstehende, die Auswahl würde im gedruckten Heft eine geistvolle und farbenfrohe sein.

Die traurige Gewissheit grinst uns nun auf knapp 50 DIN-A5-Seiten an: Lyrik, deren Themenwahl und Form sich merklich an die BRAVO-Jahrgänge '86 bis '01anlehnt, und Prosatexte, die wie Nachahmungen psychoanalytisch durchsetzter Novellen Meyrinks anmuten, jedoch in keinem Falle dessen Originalität besitzen – und den sie vermutlich auch gar nicht kennen; denn Ignoranz des Vorhergehenden ist ja vielen hochstapelnden Großkopferten eigen. Soviel zur Charakterisierung des vorliegenden Materials für diejenigen, die es (noch) nicht kennen.

Fragt sich, was tun mit unserem Potenzial an schreibwilligen Autoren, deren geistigen Beispielgebern Erich Kästner Ende der 40er Jahre die Glosse "Diarrhoe des Gefühls" gewidmet hat (und wer das "schreib"-Heft tatsächlich gelesen hat, versteht Kästners heiligen Zorn desto mehr). Am besten beobachten wir, ob die zweite Ausgabe in die gleiche Kerbe schlägt; und vielleicht hat das Gremium dann auch schon offengelegt, ob ihr einseitiger Geschmack der Grund für das ständige Gähnen der Leser ist, oder das einseitige Talent der Schreiber, was wir unserer Universität besser nicht wünschen wollen!

Jedem ist klar, dass man sich durch Übung verbessert. Darum will meine ernüchterte (!) Betrachtung nicht als Schreibhemmnis verstanden werden. Ich möchte lediglich in den Autoren den gleichen Zorn hervorrufen, den ihre Texte bei mir auszulösen imstande waren. Letzteres geschah leider nicht durch die Feurigkeit ihrer Gefühle. Und ich denke nicht, dass eine unglücklich zusammengestoppelte Textauswahl wie die »schreib«- April-Ausgabe ins Feuer auf dem Berliner Opernplatz gehört (auch wenn der Untertitel diese unguten Anklänge hervorrufen mag). Aber sie gehört ins Feuer der Kritik, weswegen ich einen Leserbrief an Manuela Sorge schrieb, den ich ans Ende stellen will (da ich sicher weiß, dass unser potzdam-Gremium ihn ungekürzt lassen wird):

Liebe Manuela Sorge, resp. alle übrigen JungautorInnen,

ich habe die "schreib"-Broschüre aufmerksam durchlesen und möchte Euch dafür ein ehrliches Echo geben. Vorausschicken will ich, dass die Idee, jungen AutorInnen an unserer Universität ein Forum zu bieten, eine längst überfällige war. Dank daher an Manuela Sorge.

Der Name des literarischen Journals ist ansprechend, die zurückhaltende Aufmachung der ersten Auflage recht gelungen, wie ich meine. Als pfiffig und reizvoll empfinde ich die ausgewählten Abbildungen, die allesamt von einem frischen, feinsinnigen, dann wieder schweren, ernstzunehmenden Lebensgefühl erzählen und die Texte nicht durchweg bebildern, sondern bisweilen auflockern wollen.

Oder müssen! Denn gerade die Texte, derentwegen Euer Journal ja erscheint, hinter-lassen bei mir, so oft ich sie lese, ein Gefühl ablehnender Beklemmung. Und dies (das mag Euch überraschen) nicht aufgrund der trüben Stimmungen, die ihr gewollt in Euren Texten (von wenigen Ausnahmen abgesehen) heraufbeschwört und in denen ihr Euch bis zum Ermüden suhlt. Sondern weil die meisten der Texte lediglich matte Stimmungsbilder sind, ein Ausheulen der Qual ohne Weitergedachtes, ein Sichwinden und Zuhausefühlen in Tränen/Herz/Schmerz/Seelenleid/Gefangenen-Metaphorik - ohne schlichtweg anzudeuten, was den Leser nach dem Dahinterliegenden suchen lässt, ohne alle Erkenntnisse, ohne ungewöhnliche Fragen - nichts bleibt zurück als bloße kümmerliche Stimmungsmalerei. Bei fast keinem der abgedruckten Gedichte (ausgenommen S. 10, 14, 16 und auch 8 vielleicht) habe ich den Eindruck, es sei dem aufrichtigen Innern oder wenigstens dem Papier abgerungen worden.

Ihr wollt gedankenschwer und bedeutsam schreiben, und drückt durch Fehlgriffe in Wortschatz und Satzbau lediglich laue Empfindungen aus. Wer bei dieser Behauptung empört ist, erkläre mir den Unsinn solcher Sätze wie "Gegenwart zeitigt anders sich. / Das Leben tat es einst für mich." oder "Sterbender Schatten, neu erbaut / ein Wachsen wie Rüben, sterbendes Kraut", deren Sinn man nicht einmal erfühlen kann. Gleiches gilt für Wörter wie "ignoriert", "existiert", "Dekadenz", die samt und sonders in Gedichten mit ruhigem Tempo auftreten: Abstrahierende Verstandeswörter, die niemals zur einer Sprache echten Gefühls gehören. Ihr werdet nun meinen: Das sind bloße Formsachen! Aber sie reißen die warme Stimmung aus solchen Versen.

Bekanntlich lässt sich über Geschmack streiten. Und natürlich kann ein solches Jour-nal in jedem seiner Texte nicht zugeschnitten sein auf die Bedürfnisse aller Leser, das ist mir schon klar. Doch Gedichte einer Art, wie ich sie oben angesprochen habe, und Prosa, die herkömmlicher (S. 12/13) und abgeschmackter (S. 27) nicht sein kann, sie müssen ernstgemeinte Leserkritik aushalten können, wenn sie veröffentlicht wurden.

Darum will ich dies auch nicht als Philippika gegen unsere Jungautoren verstanden wissen, sondern zu echter Betrachtung, Hinterfragung und gründlicherem Selbstbeleuchten nämlicher Schreiber auffordern.

Also nach dem Schmökern in Eurem Leseheft …
"Ich fühl mich wie Stirb langsam 5" (Zitat von S. 46)

© POTZDAM 2001 - Mathias Deinert