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Berlinale Blitzlichter
am roten Teppich
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11. bis 21. Februar
2010
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Von
Astrid Mathis
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Martina
Gedeck
Tilda
Swinton
Iris Berben
Detlev
Buck
Olivia
Williams
Pierce
Brosnan
Leonardo
DiCaprio
Martin
Scorsese
Amanda
Peet
Rebecca
Hall
Julianne
Moore
Julianne
Moore mit Lisa Cholodenko
Filmcrew
von "Jud Süß - Film ohne Gewissen"
Martina
Gedeck
Milan
Peschel
Thomas
Gottschalk
Heike
Makatsch
Gudrun
Landgrebe
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Neunter Tag
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19. Februar 2010
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Von
Astrid Mathis
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Freitag
Die
Berlinale ehrt Hanna Schygulla
Du
- Augen wie Sterne
Gestern
wurde Hanna Schygulla geehrt. Sie hat es als einzige deutsche
Schauspielerin auf die erste Seite des Times Magazins geschafft
und sagt von sich selbst: "Ich habe ein magisches Verhältnis
zu meinen Rollen."
Ein magisches
Verhältnis hat sie wohl auch zu Fatih Akin, der sie zum
ersten Mal 2004 auf einem Filmfest in Belgrad wahrnahm. In der
Retrospektive. Ganz unvoreingenommen. Am Donnerstag hielt der
Regisseur die Laudatio für die Schauspielerin. "Ich
verliebte mich in sie - in ihre schlauen Sätze, in ihre
Schönheit." Und wenn sich ein Regisseur verliebt,
heißt das, er will mit ihr arbeiten. Sagt Akin. Rainer
Werner Fassbinder hat diesen Stern entdeckt und die Vision gelebt,
aus Hanna Schygulla einen Weltstar zu machen. "Die Ehe
der Maria Braun" war der Durchbruch. Ehrfurcht empfand
Akin und sprach sie an, es wäre eine Ehre, mit ihr zu arbeiten.
Doch sie erwiderte: "Mit A und Umlaut. Denn Ehre erzeugt
Distanz." Die wollte sie nicht. Heut sind sie Freunde,
und er kann sagen: "Ich habe mit Hanna Schygulla in einem
Bett geschlafen." Mehr noch, sie hat sein Leben, seine
Arbeit bereichert. Zwischen Fee und Hexe, Leben und Tod könne
sie alles verkörpern. "Du leuchtest von innen. Du
- Augen wie Sterne", zitierte der Regisseur abschließend
Rainer Werner Fassbinder.
"Für
was du mich fähig hältst", antwortete daraufhin
Hanna Schygulla und brachte ihrerseits ein Zitat ein, das sie
von einem Kind gehört hatte: "Meine Oma ist dick,
weil sie voller Liebe ist." Zugegeben, diese Schattierungen,
die Fatih Akin an ihr so bewundert, hat sie auch ihm zu verdanken.
"Mit dir konnte ich den qualitativen Sprung machen",
erzählte sie lächelnd, über die Frau mit starkem
oder zu schwachem Willen hinauswachsen, anders sein. Als Frau,
der das Liebste genommen wird, anfangen zu geben. Die Rede ist
von Fatih Akins Film "Auf der anderen Seite" (2007).
Dabei hatte Schygulla auf der Schauspielschule gedacht, sie
würde schlechter statt besser. Allein Fassbinder war vom
Gegenstil überzeugt. Und irgendwie sei es letzten Endes
ihm zu verdanken, dass Hanna Schygulla wie Wolfgang Kohlhaase
geehrt werde. Ja, danken, das wollte die Schauspielerin vielen.
Der Berlinale, Dieter Kosslick, denen, die mitgeholfen haben,
dass sie "gut rauskam", Michael Ballhaus, der sie
fotografiert hatte. Nur Abdanken, das kündigte Schygulla
an, das möchte sie noch nicht.
Bevor im
Kino International der Film "Lili Marleen" über
die Leinwand flimmerte, merkte die Schauspielerin noch an: "Es
ist nicht der schönste, aber der erfolgreichste Film von
Fassbinder." Sang die letzte Strophe des Titelliedes von
"Lili Marleen" - für Rainer-, schwang ihre schwarze
Federboa und ging.
Aus dem
stillen Raume,
Aus der Erde Grund,
Hebt mich wie im Traume
Dein verliebter Mund.
Wenn sich die späten Nebel dreh'n,
Werd' ich bei der Laterne steh'n
Wie einst, Lili Marleen.
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Achter Tag
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18. Februar 2010
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Von
Astrid Mathis
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Donnerstag
Gestern
haben sie angefangen, das Eis auf den Gehwegen zum Berlinalepalast
zu brechen. Gestern. Am 7. Tag. Wenigstens haben sie der Redewendung
ihre ursprüngliche Bedeutung zurückgegeben. Beschämend,
dass in Berlin erst jemand stürzen und verunglücken
musste, ehe den Kratern abgeholfen wurde. Das wäre ein
schöner Skandal geworden, wenn Gleiches am Potsdamer Platz
passiert wäre.
Am Abend
zuvor bin ich noch zum Radio Eins Talk in die MaxxBar, die ich
in diesem Jahr etwas vernachlässigt habe. Der Schauspieler
Max Riemelt ist auch da und hat drei Filme gesehen, über
die er als Gastkritiker spricht. Ich überlege, ob ich aufstehe,
um ein Foto zu machen, aber nach den ersten Sätzen von
dem Schauspieler stelle ich fest, dass er einfach nicht Matthias
Schweighöfer ist und bleibe sitzen.
Wettbewerb
"Na Putu" ("On the Path"/Auf dem Weg)
Nimm
den Bart ab
2006 holte
sich Regisseurin Jasmila Ybanic den Goldenen Bären mit
"Grbavica". Entsprechend hoch waren die Erwartungen
an ihren neuen Film.
Ein junges Paar in Sarajewo wie im Bilderbuch, sie Stewardess,
er Lotse. Zum Glück fehlt nur noch ein Kind. Seit zwei
Jahren versuchen es die Beiden; das hat sie erst recht zusammengeschweißt.
Doch in Amars Kaffeetasse wird Alkohol entdeckt, er verliert
seinen Job. Die Begegnung mit einem alten Bekannten, mit dem
er im serbisch-bosnischen Krieg war, kommt wie gerufen. Amar
soll Computerkurse geben in einem Camp, das an einem See gelegen
ist. Seine Frau Luna steht dem von Anfang an skeptisch gegenüber
und findet ihren Argwohn bestätigt, als sich ihr Mann nicht
nur vom Alkohol abwendet, sondern auch von ihr. Kein Sex vor
der Ehe. Das sei der Grund, warum sie nicht schwanger werde,
nicht die trägen Spermien. Amar, jetzt mit Vollbart, will
eine muslimische Trauung. Luna kämpft darum, dass alles
so werde wie vorher, denn immer wieder bestätigt ihr Amar:
"Ich liebe dich." Dass er tatenlos zusieht, wie einer
seiner Glaubensbrüder ein minderjähriges Mädchen
als Zweitfrau heiratet, bringt das Fass zum Überlaufen.
Luna erkennt ihren Liebsten nicht wieder. Und er, der im Beten
und in der Gemeinschaft Halt gefunden hat, wirkt verloren in
dem, was ihn und Luna auseinandertreibt. Der Gegensatz von Religion
und moderner Realität wird in "Na Putu" sensibel
und nachvollziehbar erzählt.
Oskar
Roehler "Jud Süß - Film ohne Gewissen"
Roehlers
Film ohne Gewissen erliegt Jud Süß
Oskar Roehler
hat Filme wie "Die Unberührbare", "Der alte
Affe Angst" und "Elementarteilchen" gemacht.
Jetzt also die Hintergrundgeschichte zur Entstehung von Veit
Harlans "Jud Süß" (1939/40), der zum Propagandafilm
erster Güte in der Nazizeit avancierte. Jud Süß,
Joseph Süß Oppenheimer nachempfunden, der dem württembergischen
Herzog Karl Alexander in den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts
als engster Finanzberater zum politischen Aufstieg verhalf und
nach dessen Tod hängen musste, ist natürlich Jude,
und niemand will ihn spielen. Auch der österreichische
Schauspieler Ferdinand Marian (Tobias Moretti) lehnt Joseph
Goebbels (Moritz Bleibtreu) Angebot ab, will nicht Auslöser
einer Hetzjagd sein. Allein, er kann dem Druck nicht widerstehen.
Seine Frau (Martina Gedeck) ist zu einem Viertel Jüdin,
ein Druckmittel, das es in Wirklichkeit nicht gab - sie war
Katholikin. Von historischer Genauigkeit kann nun nicht mehr
die Rede sein, das zentrale Motiv ist eine Erfindung. Marian
wird als Opfer interpretiert, seine Mittäterschaft ausgenommen,
sein Wunsch, aus der Mittelmäßigkeit seines Erfolgs
herauszutreten, heruntergespielt. Um der Propagandabotschaft
auszuweichen, mimt er den Juden mit besonders viel Gefühl,
was bei Goebbels bestens ankommt, verstärkt doch genau
das die Wirkung, die er erzielen wollte. Und Marian war einer,
der gefallen wollte.
Oskar Roehler
bewegt sich auf sehr dünnem Eis. Und geht an der Tendenz
zur Lächerlichkeit zugrunde, so gut und ernst der Film
auch gemeint war. Spätestens, wenn Marian die Frau des
KZ-Kommandanten (Gudrun Landgrebe) im gleißenden Licht
eines Bombenangriffs von hinten nimmt, während sie aus
dem Fenster lehnt, mit Blick auf die zerstörte Stadt, und
"Weiter, Jude, weiter" ruft, ist der Film nicht mehr
zu retten. Außerdem wird Marians Frau Anna deportiert,
um den Schauspieler zur Räson zu bringen. Da macht es dann
auch schon nichts mehr, dass in Roehlers Interpretation Marian
nach "Jud Süß" endgültig dem Alkohol
verfällt und damit die elf Filme, die er noch bis zu seinem
Tod 1946 drehte, unterschlagen werden. Wichtige Details, die
ein Film, der Wahrhaftigkeit für sich beansprucht, beachten,
ja, respektieren sollte.
Die Schauspieler
haben sich nichts vorzuwerfen. Tobias Moretti ist der perfekte
Österreicher für die Rolle als Lebemann mit Gefallsucht.
Als seine Frau Anna kommt zweifelsfrei nur Martina Gedeck in
Frage: Anna ist selbst Schauspielerin, die freiwillig in den
Schatten ihres Mannes tritt und seine Eskapaden irgendwie aushält,
weil sie weiß, dass sie sein ganzer Halt ist und ihn liebt.
Und Moritz Bleibtreu spielt einen Goebbels mit seiner Handschrift.
Er ist eben nicht Bruno Ganz und pendelt so zwischen clowneskem
Gehabe und erschreckendem Ernst, was durchaus Zeichen seiner
Taktik sind. Nur möchte man Moritz Bleibtreu nicht als
Goebbels auf der Leinwand sehen, selbst wenn er sich dieser
Herausforderung gestellt hat.
Buh-Rufe im Zuschauerraum. Jemand sagt: "'Der Himmel über
Berlin' wurde seinerzeit auch als Desaster bezeichnet und wird
heute über den grünen Klee gelobt." Warten wir's
ab.
Die
Pressekonferenz - Feuer frei
Moritz
Bleibtreu diskutiert mit Klaus Richter (links) über die
Fragen der Journalisten
Die Reaktionen
der Presse haben sich herumgesprochen. Oskar Roehler betritt
den Raum, rennt fast vorweg. Bringen wir es hinter uns. Auf
dem Podium angekommen, entschließt sich die Menge zu müdem
Beifall. Weil man Roehlers Arbeiten schätzt, weil man ganz
sicher mehr erwartet hat. Nur deshalb ist überhaupt der
Raum so voll. Das gibt böses Blut, erwartet wohl jeder
im Saal. Niemand wird seiner Frage ein Kompliment voranstellen.
"Der
Mann war von Anfang an tot - ich liebe solche Geschichten",
sagt Roehler. Ja, das ist bekannt. Klaus Richter hat das Drehbuch
vor acht Jahren geschrieben, für den inzwischen verstorbenen
Frank Beyer, ein Regisseur aus der ehemaligen DDR. "Ich
wusste, Oskar traut sich was. Er kann Melodramen", sagt
Richter. Ein Melodram mit satirischen Momenten sollte es werden.
Und dass da von einigen Fakten abgewichen werde, sei eben künstlerische
Freiheit. Zum Beispiel davon, dass Marians Frau in erster Ehe
mit einem Juden verheiratet und nicht selbst Jüdin war.
Martina Gedeck ist der Zuspitzung ihrer Figur dankbar, dadurch
bekomme sie erst Relevanz. Besonders unangenehm waren für
sie die Großveranstaltungen mit Goebbels. Mehr noch, befremdlich.
Von nun an kommt die Schauspielerin nicht mehr zu Wort. Es wird
eine Diskussion über Glaubwürdigkeit und künstlerische
Freiheit zwischen Roehler, Bleibtreu, Richter und den Journalisten.
Moritz Bleibtreu windet sich, als sei er in der Lage von Marian
gewesen, erklärt, wie groß der Kompromiss eines Schauspielers
sei - 90 Prozent-, dass Agenten und andere Faktoren eine Rolle
spielen. Das läge in der Natur des Berufs, das sei der
Grundkonflikt der Schauspieler. Und die leichte satirische Überhöhung,
der rheinische Akzent: "Der Typ ist ja Satire." Wenn
man sich heute Filmausschnitte ansähe, könne man nur
fragen: "Wie zum Geier kann es möglich sein, dass
die Leute auf eine solche Figur hereingefallen sind?" Das
Clowneske sei "so geil", das wollte sich Bleibtreu
holen, dem konnte er sich nicht erwehren. Er bekommt zur Antwort:
"Goebbels mag ein Clown gewesen sein, aber auch ein Massenmörder."
- "Was wir machen, sind Spielfilme", entgegnet Bleibtreu,
"jede Art von Spielfilm nimmt sich das Recht, Fiktion zu
sein." Etwas hundertprozentig abzubilden, funktioniere
nicht. Man habe interpretiert, nicht dokumentiert. Schließlich
argumentiert der Schauspieler mit Tarantinos "Inglourious
Basterds". Da stoße sich ja auch niemand daran, dass
Hitler mit SS-Leuten im Kino in die Luft gejagt werde. - Das
ist wohl wahr, doch nicht die Zeit, Äpfel mit Birnen zu
vergleichen. Roehler steigt ein: "Ich wollte das Drama
eines Menschen zeigen, um moralische Konflikte exemplarisch
zu machen." Und Richter ergänzt: "Die innere
Wahrheit kommt durch die Erzählung heraus." Man stelle
sich vor, man sei auf dem Weg zum Star, und da kommt ein Mann
wie Goebbels und ist dein Manager. Man müsse sich mal hineinversetzen.
"Die Verführbarkeit von einem selber, das ist Thema
Nummer Eins. Man macht sich keine Vorstellung", springt
Tobias Moretti letztlich auf den Zug auf. Da fragt man sich,
ob die alle noch von Veit Harlans Film oder Roehlers Drama reden.
Für Moritz Bleibtreu gibt es zwischen der Zeit damals und
heute keinen Unterschied. Die gleichen Sprüche, die gleichen
selbstgefälligen Menschen in einer Industrie, die sich
in nichts von damals unterscheidet.
Als sich
das Filmteam zu einem letzten Foto aufrafft, schimpft Moritz
Bleibtreu über die Fragen und diskutiert wild gestikulierend
mit Drehbuchauto Klaus Richter. Was er nur hat? Die Pressekonferenz
hätte nach den Reaktionen im Kinosaal ganz anders ablaufen
können.
Team
"Jud Süß - Film ohne Gewissen"
Empfang der Concorde im Silbersaal
"Jud
Süß" feiert sich selbst
Der Weg
zum Silbersaal ist komplizierter als erwartet. Niemand kennt
den Silbersaal, der witzigerweise an den bekannten Kaisersaal
anstößt. Auch Moritz Bleibtreu und Katja Riemann
irren im Sony Center wie Falschgeld durch die Nacht. Das auch
noch. Autsch. Die erste Riege der deutschen Filmindustrie hat
sich versammelt.
Ich gönne
mir ein Glas Wasser und versuche, den Promis auszuweichen. Es
gelingt nicht. Til Schweiger bestellt Sekt und bekommt es in
einem Bierglas serviert. Lars Rudolph beschwert sich, dass es
keinen Champagner gibt. Und so lehne ich mich an den Kaminsims
mitten im Raum, fühle mich ein wenig an den Empfang bei
Goebbels erinnert. Eine Frauenstimme neben mir bemerkt gegenüber
ihrem männlichen Begleiter: "Ich find's so furchtbar,
wenn du all die blonden Tussis hier siehst - ich bin ja auch
blond, aber anders -, was heute Society ist, war damals Goethe,
die dichterische Elite. Alle haben danach gelebt. Künstler
waren unerreichbar. Wie heißt eigentlich der Film, der
hier gefeiert wird? Ach, "Jud Süß". Interessiert
dich auch Film? Und was du für eine Rolle nimmst du hier
ein - bist du der Typ, der sich freut, dass er neben Moritz
Bleibtreu sitzt, oder der für eine Zeitschrift irgend so
eine Kritik schreibt?" - "Ich beobachte auch mal gerne
so." Vor mir versucht ein Ober, unauffällig eine Kippe
unter den Tischdecken behangenen Tisch zu schieben und hebt
sie am Ende entnervt auf. Heike Makatsch spaziert mit einer
Freundin Arm in Arm durch den Raum - fehlt nur noch Mr. Darcy
wie in "Stolz und Vorurteil". Katja Riemann hat ihre
Schuhe ausgezogen. Fatih Akin klopft Oskar Roehler im Vorbeigehen
auf die Schulter. "Das ist ja gar keine richtige Party",
sagt jemand im Vorbeigehen. Richtig. Musik fehlt auch. Klassische
Töne revidieren später meinen Eindruck. Ich finde
an einem Tisch Halt, zwischen Misel Maticevic und Til Schweiger.
Der spricht gerade mit einer blonden Frau, und ich frage mich
gerade, ob die zu den Tussen gehört oder zu denen, die
anders sind, da kommt die Blonde von zuvor vorbei und freut
sich, Til Schweiger zu begegnen. Neben mir ein älteren
Ehepaar, das ebenfalls einen Blick auf Til Schweiger wirft.
Schließlich spricht der Mann ihn an und wird unwirsch
abgewiesen, es sei unhöflich, in eine Unterhaltung hineinzuplatzen.
Peinlich berührt tritt dieser mit seiner Frau einen Schritt
zurück und freut sich kurz darauf, dass Til Schweiger auf
ihn zukommt und sich nicht nur mit ihm ablichten lässt,
sondern außerdem mit ihm einen Plausch macht. Auch die
zwei mir unbekannten Grazien an meinem Tisch - eine blond, eine
brünett - grinsen in Richtung Schweiger. Ich frage mich,
was die von Til Schweiger wollen, habe ich doch das Gefühl,
sie würden mich von dem Tisch abdrängen wollen. Auf
die Idee, ein Foto von ihm zu wollen, komme ich gar nicht.,
mache mir aber eine Notiz. Da spricht mich die Blonde an: "Was
machen Sie da? Wer sind Sie überhaupt? Schreiben Sie mit?"
Ich bin baff - schließlich hatte ich ja die Zwei verdächtigt,
sich an Til Schweiger ranzumachen, und nun schieben sie mir
das in die Schuhe. Ich entgegne, ich wollte nicht den Eindruck
machen. Ich sei mit einer Kollegin hier, aber die gerade unterwegs.
"Ich gehe doch nicht extra an einen Tisch, an dem kein
Promi ist. Wenn es vor Schauspielern nur so wimmelt", erkläre
ich mich unnötig und denke: "Nimm dich mal nicht so
wichtig, Tussi." - "Aber da ist ein leerer Tisch",
sagt die Blonde. Das lasse ich mir nicht vorschreiben, steht
für mich fest. Einen Moment denke ich an den letzten Satz
von Moritz Bleibtreu, es seien dieselben selbstgefälligen
Leute in der Industrie - heute wie damals. Wie recht du hast,
Moritz, wie recht.
Martina
Gedeck nach der Pressekonferenz
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Siebter Tag
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17. Februar 2010
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Von
Astrid Mathis
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Wettbewerb
Burhan Qurbani "Shahada"
Glaub'
doch, was du willst
Maryam will
mit ihrer Freundin zur Disko. Mit einem Trick schaffen sie es
hinein auf die Tanzfläche. Dort bricht Maryam schließlich
zusammen. Das Medikament zur Abtreibung wirkt. So beginnt der
Episodenfilm. Als Tochter eines verwitweten Imam versucht Maryam
zu verheimlichen, dass sie schwanger war und flüchtet sich
in den Koran. Sie will sich reinwaschen und zelebriert den Islam
in der Zeit des Ramadan auf eine manische Weise, traut sich
dadurch, ihren Vater anzugreifen, der alles andere als despotisch
und verschlossen ist. Er sagt sogar: "Die alte Maryam war
mir lieber." Aber die gibt es nicht mehr, und deshalb stellt
sie ihren Vater erst recht vor der Gemeinde in Frage, denn das
alles ist nicht richtig, was sie sieht - sie sieht, wie durchlässig
der Koran interpretiert wird und wie westlich selbst ihr Vater
lebt, der darum kein Vorbild mehr für sie sein kann. Sie
kennt sich besser mit dem Koran aus, sie lebt ihn intensiver.
Absolut.
Die zweite
Geschichte dreht sich um den aus Nigeria stammenden Samir, der
Gefühle für seinen Arbeitskollegen und Freund Daniel
entwickelt. Der Konflikt mit seinem Glauben verbietet ihm, seine
Zuneigung offen zu leben. Da hilft es auch nicht, dass der Imam
sagt: "Es kann nicht falsch sein, wenn zwei Menschen sich
lieben."
In der letzten
Episode kann der türkischstämmige Zivilfahnder Ismail
sich nicht verzeihen, dass er im Schusswechsel die Bosnierin
Leyla so verletzte, dass ihr ungeborenes Kind starb. Nach ihrer
Wiederbegegnung sucht er ihre Nähe und verlässt seine
Familie.
So ist das
eben mit den jungen Regisseuren. Sie haben Angst, dass sie nie
wieder einen Film drehen und packen so viele Themen wie möglich
hinein. So geht es auch Burhan Qurbani, gesteht er auf der Pressekonferenz
von "Shahada". Von sieben Geschichten, die er im Kopf
hatte, verwob er letztlich drei miteinander. Alle bieten Projektionsflächen
für den kritischen Austausch mit der Religion des Islam.
Der Regisseur "hatte nicht die Ruhe, eine Geschichte zu
erzählen". Qurbani sagt solche Sätze wie "Toleranz
beginnt da, wo Fremdheit aufhört" und "ihr müsst
damit leben, dass wir Deutsche sind, auch wenn wir unsere Wurzeln
woanders haben." Er wollte wirklich viel mit diesem Film,
und das merkt man. Es ginge ja um Glaubenskrisen im allgemeinen,
nicht um Religion. Für ihn gilt: "Werd' selig mit
deiner Fasson. Der Koran hat keine Deutungshoheit." Mehr
zu sich selbst als zur Presse sagt er schließlich: "Mein
Gott, ich rede wie ein Prediger." Und schiebt nervös
seine Brille zurecht.
Kein Grund
zur Aufregung. Der Film überzeugt doch streckenweise sehr,
lässt den Zuschauer mitfühlen und mitleiden. Allerdings
hat Qurbani zwei Spielfilme verschenkt, indem er alle Themen
unterbringen wollte. Die Episoden über Ismail und Samir
sind nämlich noch nicht zu Ende. Zu unterschiedlich gewichtet
sind sie im Vergleich zu der von Maryam.
Wettbewerb (außer Konkurrenz)
Lisa
Cholodenko "The Kids Are All Right"
Liebe
ist Zeit
Endlich
wieder eine Komödie. Und auch noch mit Frauen. Mit Julianne
Moore und Annette Bening hat Regisseurin Lisa Cholodenko einen
Glücksgriff getan. Die Zwei spielen ein lesbisches Ehepaar,
das Tochter Joni (18) und Sohn Laser (15) einer Samenspende
zu verdanken haben. Jules und Nic sind Eltern, denen man alles
sagen kann. Sie nennen sich Pony und Hühnchen, wenn sie
im Bett liegen und sind alles andere als auf Streit aus. Als
die Kinder Kontakt zum leiblichen Vater suchen, gerät die
Harmonie auf dem Familienschiff ins Wanken, denn Paul (Mark
Ruffalo) stiftet erotische Verwirrung und Eifersüchteleien.
Das war vielleicht zu erwarten. Nicht aber, dass das lesbische
Paar Schwulenpornos guckt, um in Stimmung zu kommen. Und dass
Jules (Julianne Moore) zu ihrem Sohn sagt: "Schade, dass
du nicht schwul bist. Dann wärst du sensibler." Das
hätte sie von Laser viel lieber gehört als die Frage,
warum sie sich Schwulenpornos mit Nic ansieht. Die Sexualität
der Frau sei eben nach innen gerichtet und daher interessant,
eine nach außen gekehrte Sexualität zu beobachten.
Jules, die für den mütterlichen Part daheim zuständig
ist, macht sich kurz nach dem Kennenlernen des Samenspenders
selbstständig und übernimmt die Gartenplanung von
Paul, inzwischen Restaurantbesitzer und Biobauer. Sie findet
sein Selbstbewusstsein und seine unbekümmerte Art ebenso
reizvoll wie ihre Kinder. Nur Nic, Ärztin und Ernährerin
der Familie, kann keinen selbstbewussten Mann ertragen, der
schon wie ein Aufreißer aussieht und außerdem höhere
Bildung in seinem Fall für unnötig hält. Er ist
eben ein Macher.
Nein, nein,
das ist keine übliche Hollywood-Komödie. Diese hier
hat richtig Tiefgang. Die Besetzung ist schlicht perfekt - in
diese Menschen kann und will man sich hineinfühlen. Sie
sind geradeheraus und verklemmt innerhalb von zwei Augenblicken
und darin ungemein glaubwürdig und sympathisch. Eine berührende
Komödie.
Regisseurin Lisa Cholodenko und Julianne Moore
Auf der
Pressekonferenz erscheint Julianne Moore in knallgelbem Kleid
und mit einem Lächeln, das alle Herzen gewinnt. So nimmt
es nicht Wunder, dass beinahe jeder Frage ein Kompliment vorangestellt
ist.
Vor fünf
Jahren begannen die Vorbereitungen für das Projekt, immer
wieder feilte Cholodenko am Drehbuch. Julianne Moore war sofort
Feuer und Flamme, aber die Geldgeber waren nicht leicht zu finden,
Verleihe ebenso wenig. Doch endlich habe es in den USA und in
Deutschland mit einem Verleih geklappt. Sparte Independent-Film.
Klar, Julianne Moore würde den mädchenhaften Part
übernehmen. Es fehlte noch eine Frau mit Kurzhaarfrisur,
die dazu passt, und ein Typen, der gleichsam windig und geerdet
wirken kann. Dass Annette Bening und Mark Ruffalo, ein Freund
von Moore, mit ins Boot kamen, war eine ungemeine Erleichterung.
Wenig Geld hieß wenig Drehzeit. Innerhalb von 21 Tagen
entstand der Film, bei dem sich die Leute mit den Charakteren
identifizieren können wie nur selten. Und die Zuschauer
lieben es, sich in den Figuren wiederzuerkennen, behauptet Julianne
Moore. Dabei sei es egal, ob es um eine Hetero- oder Homo-Beziehung
gehe. Jede Beziehung sei hart. Der Film soll ja vor allem eine
Familiengeschichte sein, das Porträt einer Ehe. "Liebe
ist Zeit - Familie ist Zeit, die man miteinander verbringt",
findet Julianne Moore. Die hat Paul noch nicht investiert. Darum
wird es am Ende auch kein weiteres Schlafzimmer wie in einer
Hippie-Kommune geben. Es seien trotzdem alle Türen offen.
Zuletzt kommt Regisseurin Lisa Cholodenko wieder zu Wort. Auf
die Frage, was sie habe tun müssen, um Annette Bening dazu
zu bringen, ein Lied von Toni Mitchell zu singen, antwortet
sie: "Damit habe ich sie überhaupt erst herumbekommen."
Eine gute Entscheidung.
Lisa
Cholodenko und Julianne Moore
Der Ebi von Reihe 1
Ich bin
fassungslos. Wieder waren die Fans vorm Hyatt am Potsdamer Platz
näher am Schauspieler dran als ich. So gönne ich mir
zur Beruhigung ein Eis und schlendere durch die Sonne zum Berlinalepalast.
Ich will mal auf der Seite der Fans stehen. Doch da steht auch
eine Kamera. "Mal aus dem Bild", ruft einer, ""Einrichten",
ein anderer. Der mit dem "Einrichten" ist Ebi aus
Reinickendorf, eigentlich Eberhard. Er macht Transporte fürs
Diakoniewerk und drückt sich gerade einen Cheeseburger
rein, von dem einige Krümel im Schal hängen bleiben.
Ich halte ihn mindestens zehn Minuten für einen Kameramann
und rege mich auf, weil ich gehört habe, wie zwei dicke
große Männer sich über den aktuellen Preis von
Leonardo DiCaprio unterhalten. 76 Euro mit Rahmen. "Eine
richtige Mafia ist das", schimpft Ebi. Und Ebi kennt sich
aus. Im Februar nimmt er sich vier Wochen Urlaub, zehn Tage
gehen für die Berlinale drauf, der Rest fürs Fotos-Sortieren
und Entspannen. Er kennt den Laden. Na, ganz 20 Jahre steht
er noch nicht hier, aber er trifft immer dieselben Gesichter.
Eine Frau aus England zum Beispiel. "Ich hab' sie alle",
verkündet Ebi stolz, "und meint die Schauspieler."
Er weiß, wo er stehen muss, und er hat tatsächlich
tolle Fotos. "Während die anderen Fotos für Autogramme
hinhalten, mache ich Klick und habe die besten Bilder."
Die gibt er nicht raus, nur seiner Enkelin. Alles Abzocke. Dass
unter den Vordränglern und E-Bay-Haien Polizisten sind,
hat er schon spitzgekriegt. "Die müssten gerade für
Ordnung sorgen." Machen sie aber nicht, schieben noch Kinder
weg und kämpfen sich an jeder Leiter vorbei.
Manchmal
darf Ebi auch rüber. Als Leonardo DiCaprio da war, "da
war wat los", kommentiert Ebi lachend, "da haben se
nachher die Leute uff die andere Seite jelassen, weil se sich
bald totjetrampelt haben." Einen Liebling hat er nicht.
Ich bin baff. Er fotografiert einfach alle und erfreut sich
an den schönen Bildern. Biker ist er. Ja, untersetzt, rundlich,
mit Brille und Lederjacke - ich kann ihn mir mit Bart vorstellen.
"Hab' ich vorher extra abrasiert." Jetzt reibt er
sich die Hände, bis die Stars kommen, dauert es noch ein
paar Stunden. Gerade schlägt es drei Uhr. "Machen
se mal ihre Krümel vom Schal weg", sage ich, bevor
ich gehe. Abends entdecke ich ihn im Getümmel gegenüber.
Ich wette, er macht wieder die besseren Fotos.
Goldener
Ehrenbär für Wolfgang Kohlhaase
Der
Mann, der hinter "Whisky mit Wodka" steht
Keine Ahnung,
warum ich mir eine Karte für Frank Beyers Film "Der
Aufenthalt" im Kino International geholt habe, aber ich
bereue es nicht. Die Rede von Regisseur Andreas Dresen anlässlich
der Verleihung des goldenen Ehrenbären an Wolfgang Kohlhaase
vorneweg ist geradezu umwerfend. Dresen ist nicht nur ein guter
Filmemacher, sondern auch ein phantastischer Redner. Als Mann
des geschliffenen Wortes, ostdeutschen Filmkünstler bezeichnet
er seinen Freund und Kollegen. "Er schreibt so, dass man
lachen muss, obwohl man heulen könnte. - Die Seiten treffen
mich mitten ins Herz." Dresen spricht von "Sommer
vorm Balkon". Cooky Ziesche hatte ihm das Drehbuch dereinst
auf den Tisch gelegt. Mit Kohlhaases Geschichten aufgewachsen,
lag nun eine direkt vor ihm. Manche Sätze aus Kohlhaases
Klassiker weiß er noch heute aus dem Kopf. Wie bei "Solo
Sunny". Die Heldin des Films sagt am Morgen danach: "Is'
ohne Frühstück. - Is' auch ohne Diskussion."
Pathos ist
ihm fremd, seine Texte sind klar und direkt, die Figuren, die
Menschen mit den Augen der Liebe betrachtet. In Klammern Anmerkungen
wie "traurig" oder "erschüttert" gibt
es nicht. Lieber lässt er seine Helden das Gegenteil von
dem sagen, was sie meinen. Das nennt Dresen poetische Genauigkeit,
denn dahinter verstecken die Figuren ihre Verletzlichkeit. "Whisky
mit Wodka", seine letzte Geschichte, ist ein gutes Beispiel
dafür. Kohlhaases Humor ist direkt, nie verächtlich.
Das hat er schon bei "Solo Sunny" bewiesen. Dresen
zitiert: "Der Taxifahrer Harry sagt zu Sunny: Mensch, Sunny,
bei der Kohle, die ich verdiene, kann ich doch nicht doof sein."
Kleine Leute
und große Träume, das ist Kohlhaases Revier. Für
ihn bedeutet Kino, permanent im Gedächtnis bleiben. Dem
Meister von Geschichten werden selber einige angehängt.
Dresen gibt die mit der Blume im Revers zum besten. "Biste
schwul geworden", wird er in der DEFA gefragt, als er das
Studio betritt. - "Halb Berlin weeß et besser."
So schlagfertig muss man erst mal sein. Intellektuelle Prahlereien
sind ihm fremd, dieser Mann ist an Menschen interessiert, nicht
an Ideologien. Film ist Vermutung, so sieht Kohlhaase das. Neue
Bilder für Dinge, die sich wiederholen, die Liebe, der
Tod und das Wetter.
Als Dresen
sagt: "Diesen Ehrenbär, du hast ihn verdient wie kein
Zweiter", stehen schon alle Leute im Saal und wischen sich
die Tränen von den Augen. Auch Wolfgang Kohlhaase. "So
eine Laudatio", meint er und beginnt: "Vor langer
Zeit habe ich eine kleine Geschichte an eine Zeitung geschickt.
Ein Satz wurde dem Text vorangestellt: Der erst 15-jährige
Wolfgang Kohlhaase. Ich dachte, das wäre nicht nötig
gewesen." Vor ein paar Jahren wieder so ein Satz: "Der
schon 75-Jährige..." Man kann sich schützen mit
melancholischem Humor, weiß Kohlhaase. Man brauche Phantasie,
um zu sehen, wie die Dinge seien.
Er erzählt,
warum er sich diesen Film, "Der Aufenthalt", ausgesucht
hatte für den Tag der Ehrung. 1983 wurde er aus dem Berlinale-Programm
genommen. Die Sorge um antipolnische Reaktionen war einfach
zu groß. Nach 27 Jahren kommt er nun endlich hier an.
Der 78-jährige Wolfgang Kohlhaase sagt: "Ich stehe
gern neben Hanna Schygulla (die ebenfalls einen Ehrenbär
erhält) und sage mehr zu mir selbst: Es wär' doch
nicht nötig gewesen."
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Sechster Tag
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16. Februar 2010
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Von
Astrid Mathis
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Wettbewerb
Semih
Kaplanoglu "Bal" (Honig)
Eins
mit der Natur
Diesen
Jungen vergisst keiner. Braune dichte Haare, wissbegierige,
warmherzige Knopfaugen, und dieser Mund, der Schweigen so schön
macht. Yusuf geht in die erste Klasse und übt fleißig
Lesen. Er traut sich sogar, sich zu melden, aber als er beginnt,
fängt er an zu stottern. So sehr er sich auch bemüht,
das rote Bändchen für gutes Lesen bekommt er nicht.
Das mit anzusehen, ist schon so berührend, dass man eigentlich
nicht mehr sehen muss. Dieser Film hat das gewisse Etwas. Vater
Yakup ist Bienenzüchter, und wie er da waagerecht im Bild
hängt zu Beginn des Films, nachdem ein Ast angebrochen
war, das ist aufregender als jeder Gangsterfilm. Nein, er fällt
nicht. Wir beobachten, wie Vater und Sohn voller Liebe einander
zugetan sind. Yusuf begleitet seinen Vater auf der Suche nach
Bienen. In den Wald muss er dafür, in die Natur, auf Bäume
klettern, und das ist so schön, dass man die Bilder einfach
nur genießt, die Vertrautheit zwischen den Beiden. Als
Yusuf dem Vater seinen Traum ins Ohr flüstert, sagt dieser,
er dürfe Träume niemanden laut sagen. Solch ein Verhältnis
hat Yusuf nicht zur Mutter. Das ändert sich auch nicht,
als der Vater auf der Suche nach Bienen fernbleibt.
Eigentlich
passiert in dem Film kaum mehr, und doch bleibt man am Ende
staunend sitzen. Yusuf liest noch einmal vor. Sind schon zwei
Stunden um? Der letzte Teil der rückwärts erzählten
Trilogie des türkischen Regisseurs ist beeindruckend wie
kein anderer.
Wettbewerb
Nicole Holofcener "Please give"
(außer Konkurrenz)
Vom
Geben und Nehmen
An
keinem Obdachlosen kommt Kate (Catherine Keener) vorbei, ohne
ein schlechtes Gewissen zu haben. Dabei hat sie das nur, weil
sie Nachlässe von Verstorbenen billig aufkauft und dann
als Rarität verscherbelt. Ihr Mann Alex hat damit kein
Problem. Seit Jahren warten die Zwei darauf, dass ihre Nachbarin,
eine griesgrämige alte Dame, das Zeitliche segnet, um die
Wohnung auszubauen. Aber sie denkt nicht daran. Ihre Enkelinnen
(gespielt von Amanda Peet und Rebecca Hall) können sie
nicht recht leiden, und nur des lieben Friedens Willens gehen
sie zum Essen zu ihren Nachbarn Die pickelige Tochter von Kate
beschwert sich, dass ihre Mutter ihr keine Jeans für 220
Dollar kauft - und spätestens da weiß man: Das wird
ein Feel-Good-Movie. Erstmal fühlt sich da aber keiner
gut. Alex geht fremd, Kate sucht eine Möglichkeit, im Ehrenamt
tätig zu sein, kann aber weder mit Menschen im Altenpflegeheim
noch mit Behinderten etwas anfangen. Ihre Tochter rebelliert
gegen sie. Und und und. Rebecca macht den Anfang der Wendung
und verliebt sich in den Enkel einer Patientin.
Der
Film über Geben und Nehmen erinnert an die Komödien
von Woody Allen, aber Nicole Holofcener ist nicht Woody Allen,
und so geht man nach der Vorstellung doch nicht so begeistert
raus, wie man es erwartet hatte.
Ben Stiller und Filmpartnerin Greta Gerwig
Rhys Ifans, Greta Gerwig, Ben Stiller und Noah Baumbach
nach der Pressekonferenz: Regisseurin Nicole Holofcener (2.
v.l.) mit den Schauspielerinnen Catherine Keener, Amanda Peet
und Rebecca Hall
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Fünfter Tag
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15. Februar 2010
|
|
Von
Astrid Mathis
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Wettbewerb
Benjamin
Heisenberg "Der Räuber"
Rennen
vor dem Fall
Johann
Rettenberger (Andreas Lust) ist ganz und gar unsympathisch.
Frisch aus dem Gefängnis entlassen, in dem er wie ein
Irrer auf dem Laufband trainierte, überfällt er
eine Bank nach der anderen, versteckt das Geld unter dem Bett.
Spricht kaum. Verzieht keine Miene. Erika (Franziska Weisz)
scheint das nicht zu stören, sie bietet ihm Unterschlupf
in ihrem Haus und ihrem Bett an. Rettenberger gewinnt den
Wien-Marathon, das heißt rund 15000 Euro mehr. Kein
Grund, mit den Banküberfällen aufzuhören, denn
der Adrenalinschub des Rennens ist es, der ihn zur kriminellen
Tat zwingt. Als er seinen Bewährungshelfer erschlägt,
beginnt eine Jagd, bei der sein Adrenalin erneut ins Wallen
kommt.
Kein
Mensch weiß, warum er wirklich Banken ausraubt, warum
er so wortkarg ist. Und das soll wahrscheinlich auch keiner
wissen. Fakt ist, dass dadurch der Film alles andere als interessant
wird. Auf der Pressekonferenz sagt Regisseur Heisenberg, er
wolle nicht, dass der Charakter intellektuell begriffen werde,
er wolle keine verpatzte Kindheit darstellen, nicht vom Hintergrund
erzählen. Nun ja, kann man so machen. Andreas Lust hat
auch wenig Lust, sich großartig vor der Presse zu äußern.
Die Miene im Film war schon dieselbe. Überall könne
der Film spielen, sind sich alle einig, typisch österreichisch
sei da nichts, außer, dass die Geschichte auf einer
wahren Begebenheit dort beruhe.
Ob
die Welt aus einsamen Männern, die aus dem Knast kommen,
besteht, fragt eine Journalistin, weil das Thema Lebensbewältigung
bei so vielen Filmemachern eine Rolle spielt. Heisenberg eiert
herum und beendet seine Rede mit einem klaren "Ja".
Fragt sich, ob der Roman, nach dem der Film entstanden ist,
gleichfalls wenige Fragen beantwortet. Trotzdem. "Brokeback
Mountain" ist wohl das beste Beispiel dafür, wie
man aus einem schlichten Buch mit wenigen Informationen zu
den Charakteren ein packendes Drama machen kann. Heisenberg
ist offensichtlich Lichtjahre davon entfernt, oder er wollte
das nicht, sondern nur eine Geschichte distanziert nüchtern
vor dem Kinozuschauer platzieren. Die Kameraführung muss
man "Dem Räuber" immerhin zugute halten. Einen
sehenswerten Film macht sie daraus noch lange nicht.
Wettbewerb
Hans
Petter Moland "A Somewhat Gentle Man"
Sex
und Abendbrot
Schon
wieder öffnet sich eine Gefängnistür. Aber
man weiß gleich, dieser Film wird anders. Ulrik (Stellan
Skarsgard) ist anders. Ihm sieht man nicht gleich an, dass
er einen Mord begehen und Knochen brechen kann. Er ist ein
Mann mittleren Alters mit Zopf und ruhigen Gesten. Seine alten
Kumpanen empfangen ihn nach der Haftentlassung und erinnern
ihn daran, dass er noch eine Rechnung zu begleichen hat. Doch
erstmal kommt er im Souterrain der Ex seines Gauner-Kumpels
unter. Die gibt ihm regelmäßig Abendbrot dafür
und fordert ebenso regelmäßig eine Gegenleistung
ein: Sex. Auch seine Frau will nach den zwölf Jahren
Knast einen Quickie, sie, die ihn betrogen hat und deren Liebhaber
er tötete. In der Werkstatt, in der er arbeitet, könnte
er Ruhe finden, wäre da nicht die hübsche Kollegin,
die er vor ihrem gewalttätigen Ex-Mann beschützt.
Man ahnt, wie das endet. Sex ist hier allerdings nur Nebensache,
denn Ulrik hat einen Sohn, zu dem er sich Kontakt wünscht.
Wie sich die Zwei annähern und schüchtern umarmen,
hat etwas Rührendes, sehr Glaubwürdiges. Allerdings
gilt er für die schwangere Frau von Ulriks Sohn als tot.
Ein Vater im Knast ist eben kein Vorzeigevater. Trotz aller
Ablehnung von außen - Arbeit in der Werkstatt weg, Job
beim Gaunerkollegen weg, Kontakt zum Sohn weg - gibt es am
Ende Hoffnung für Ulrik. Mit Witz und Charme gelingt
es dem Regisseur, eine unterhaltsame Geschichte zu erzählen,
die Tiefsinn hat. Und Lust darauf macht, sich mal wieder einen
Klassiker der "Olsenbande" vorzuknöpfen, obwohl
Ulrik damit nun wirklich nichts zu tun hat.
Panorama
Trent
Cooper "Father of Invention"
Ich
hab' da eine Idee
Es
ist seltsam. Seitdem Kevin Spacey in "American Beauty"
brilliert hat, erwartet man immer wieder einen solchen Kracher.
Doch irgendwie wird da nichts draus. In "Father of Invention"
spielt er einen Erfinder mit Zottelhaaren und Vollbart, der
mit seinen Entdeckungen vielerlei Schaden angerichtet hat.
Die Konsequenz ist Freiheitsstrafe. Der Film steigt ein, als
er aus dem Gefängnis entlassen wird (ich kann es nicht
fassen). Robert Axle steht vor dem Nichts. Seine Frau hat
einen anderen und mit Plattenaufnahmen die hart erarbeiteten
Millionen verscherbelt, seine Tochter weist ihn zunächst
ab und gibt ihm dann doch einen Monat in ihrer Wohnung, um
sich zu bewähren. Im Supermarkt findet Axle eine Anstellung,
die er nicht lange halten kann. Ihm schwirren eben immer noch
Ideen im Kopf herum, die er nur mit einem Partner umsetzen
kann. Denn wer traut ihm schon? Zugegeben, komisch ist das
schon, und als er die Mitbewohnerin seiner Tochter küsst,
keimt Hoffnung auf eine Art "American Beauty" auf.
Seine Begeisterung dafür, etwas Neues zu erfinden und
gleichzeitig das Herz der vernachlässigten Tochter zu
erobern, das guckt man sich gerne an. Auch seinen Aufstieg.
Ein Plädoyer für den Glauben an sich selbst, Ehrlichkeit,
für die Liebe und die Familie, das ist diese Komödie.
Robert Axle dabei zuzusehen, wie er Träume in die Wirklichkeit
umsetzt, damit kann man schon mal 90 Minuten verbringen.
Panorama
Jake
Scott "Welcome to the Rileys"
Redet!
Kristen
Stewart kam nicht nach Berlin. So eine Enttäuschung für
die "Twilight"-Fans. In "Welcome to the Rileys"
spielt sie die junge Stripperin Mallory. Für diese Rolle
habe sie an der Stange zu tanzen geübt, bis sie blaue
Flecke bekam, stand in der Presse geschrieben.. Um es vorwegzunehmen,
man sieht sie nicht ein einziges Mal strippen. Mallory platzt
in das Leben von Doug und Lois Riley. Seit dem Tod ihrer Tochter
vor acht Jahren leben sie wie fremdgesteuert nebeneinander
her. Lois verlässt das Haus nicht und erstickt fast in
Akkuratesse. Doug flüchtet in eine Affäre. Als er
auf einer Kongressreise durch Zufall Mallory kennen lernt,
ändert sich alles. Mallory hat niemanden, der auf sie
aufpasst. Sie lebt allein in einem Haus ohne Licht und ohne
vernünftige Klospülung und erinnert ihn an seine
Tochter, die bei einem Autounfall ums Leben kam. Das kann
sich Doug nicht mit ansehen, und weil Mallory ihn auch irgendwie
mag, wird ihr Haus für ihn zu einer festen Unterkunft.
Die Parallelen zur eigenen Tochter sieht Lois ebenfalls sofort,
und auch sie verfällt darauf, Mallory Gutes tun zu wollen.
Doch Mallory ist kein Kind mehr und schon gar nicht ihr Kind.
Wegrennen vor der Vergangenheit, wie Doug und Lois es getan
haben, und Wegrennen vor der Zukunft, wie Mallory es tut,
das bringt alles nichts. Miteinander reden hilft immer. Das
ist die Botschaft. Und zwar eine schöne.
Forum
Thomas
Arslan "Im Schatten"
Das
ganz große Ding
Stadtmitte
Berlin. Vorbeifahrende Autos scheinbar minutenlang. Dann der
Schwenk auf Misel Maticevic. Trojan, frisch aus der Haft entlassen
(oh nee, ne?) hat einiges zu erledigen. Er bekommt nicht den
vollständigen Anteil seines letzten Raubes und will noch
einmal ein ganz großes Ding drehen, bevor er sich absetzt.
Das sagt er nicht, das denken wir uns. Er ist genauso wortkarg
wie der "Räuber", aber man interessiert sich
mehr für ihn. Eine Kollegin flüstert mir zu, das
läge daran, dass Maticevic so gut aussähe und Charisma
habe. Und irgendwie hat sie Recht. Es liegt aber noch an etwas
anderem. "Im Schatten" ist ein Gangsterfilm, bei
dem nicht großartig philosophiert, sondern agiert wird.
Jeder Handgriff sitzt. Wir bekommen Antworten auf die Fragen,
wie ein Transporter überfallen werden kann und solche
Dinge. Trojan will mit Hilfe einer Anwältin die Beute
von dem Geldtransporter abstauben und verlässt sich dabei
auf seinen alten Freund Nico und einen der Männer, die
das Geld abholen. Wie der Polizist (Uwe Bohm) die Protagonisten
verfolgt und Eins und Eins nach langer Auto- und Kamerafahrt
zusammenzählt, das ist schon spannend, aber man ahnt
schnell, dass die Sache nicht gut ausgeht. Am Ende rennt wieder
einer mit Waffe durch den Wald. Diesmal Trojan. Er verschwindet
im Schatten. Arslan erklärt nach der Premiere, er wollte
so viel wie möglich offen, der Phantasie des Zuschauers
überlassen. Vielleicht lag in dem Kalkül der Vorbereitung
zu viel Distanz, als dass man daraus einen wirklich bewegenden,
aufregenden Film hätte machen können. Beinahe ist
einem das Drama egal - wenn da nicht Maticevic wäre.
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Vierter Tag
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14. Februar 2010
|
|
Von
Astrid Mathis
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Wettbewerb
Noah
Baumbach "Greenberg"
Eine
Hundehütte für die Seele
Das
ist schon ein seltsamer Typ, dieser Greenberg Anfang 40. Ben
Stiller sieht mal ganz anders aus, struppiger und noch gefesselter
in sich selbst, seinen Gewohnheiten, seiner Art und nicht
zuletzt seinen Enttäuschungen. Seine große Liebe
hat ihn verlassen. Nach einem Nervenzusammenbruch kommt er
in psychiatrische Behandlung und übernimmt kurz darauf
den Pflegedienst für den Hund seines Bruders in New York.
Florence, die Assistentin von Greenbergs Bruder sieht ebenfalls
nach dem Hund und landet immer wieder in Greenbergs Armen.
Oder so ähnlich. Danach stürzen sie auseinander,
verletzen sich mit Worten und suchen daraufhin wieder die
Nähe des anderen. Das ist aber nicht das Thema des Films,
sondern das Scheitern an den eigenen Hemmschwellen und die
um so verzweifeltere Suche nach Anerkennung und Sympathie.
Beschwerdebriefe sind seine Hauptbeschäftigung neben
dem Bau einer Hundehütte. Greenberg schafft es sogar,
sich mit seinem langjährigen Freund, mit dem er einst
eine Rockband hatte, zu verkrachen. Und Ben Stiller - das
muss man ihm lassen - so egozentrisch und nervend er auch
erscheinen mag, weckt Interesse und Sympathie beim Zuschauer.
Allerdings ist der Film an einem Gute-Laune-Tag erträglicher
als an einem, an dem man selbst am liebsten Beschwerdebriefe
schreiben möchte.
Die
Pressekonferenz
Ganz
schön frech, diese Journalisten. Da fragt einer tatsächlich,
warum der Regisseur die Rolle der Florence mit seiner eigenen
Assistentin besetzte. Noah Baumbach hält sich knapp:
"Sie schien mir richtig" und wird während der
PK auch frech. Jedenfalls ist er um keine Pointe mit Galgenhumor
verlegen. Er höre Stimmen und schreibe das einfach auf,
erklärt er, wie er zu solchen Drehbüchern käme.
Ben Stiller scheint dagegen ganz ruhig. Erwachsen. Die Frage
nach dem Erwachsensein, die stellt sich natürlich irgendwann,
und Ben Stiller sagt: "Das kommt von ganz allein, wenn
man zwei Kinder hat und mitkriegt, dass die Dinge nicht ewig
bleiben, Menschen nicht ewig leben." Dass schließlich
eine Journalistin erfahren will, ob er keine Werbeaufträge
für seine Frisur nach "Verrückt nach Mary"
bekommen habe, kann er kaum glauben. "Dafür bin
ich nach Berlin gekommen?" Nein, natürlich gab es
keine Werbung.
Die Darsteller auf dem Podium
Rhys
Ifans, Greta Gerwig, Ben Stiller und Regisseur Noah Baumbach
Perspektive
Deutsches Kino
Saara
Aila Waasner "Frauenzimmer"
Wenn
Oma in die Strapse steigt
Drei
Frauen über 50 arbeiten als Prostituierte und reden darüber.
Da mag man sich Schlimmes vorstellen, eine reißerische
Doku schlechtestenfalls. Doch es kommt anders. Die Geschichten
der drei Protagonisten werden mit viel Respekt, Offenheit
und Feingefühl erzählt. "Mein Leben war so
banal. Heute kann ich tun, was ich will", sagt die eine,
"ich sollte Michael heißen" die andere. Die
Dritte im Bunde erklärt, ihren ersten Orgasmus habe sie
erst mit 50 gehabt. Christel, Paula und Karolina arbeiten
zu Hause - im Domina-Studio, im eigenen Bordell, im Beischlaf-Zimmer.
Die Michael heißen sollte, ist Chefin des Bordells,
war früher lesbisch, heute ist sie bisexuell und weiß:
"Wenn du einmal anfängst, hörst du nicht mehr
auf." Auch das schnelle Geld sei es, was sie an dem Beruf
festhalten lasse. Außerdem wollen immer alle die Chefin,
während die ihren Service mit Distanz als Job ausübt.
Distanz wahren will auch die Domina, "weil die Kunden
genauso wenig Privates wissen wollen." Schon immer hätten
Männer vor ihr Angst gehabt, nie wusste sie, warum. Für
sie ist das Ganze klar ein Rollenspiel, bei dem sie sich an
manchen Tagen auch seltsam fühle. "Das Beste an
der Beziehung ist die Trennung", behauptet sie, "oftmals,
denn dann fühle ich mich so befreit." Mit 19 Jahren
heiratete die heutige Domina und leidenschaftliche Flamenco-Tänzerin,
14 Tage vor der silbernen Hochzeit dann die Trennung.
In
festen Händen ist die Frau mit dem späten Orgasmus.
Allein, wie sie diese Geschichte erzählt, ist das Eintrittsgeld
wert. Eine ganz typische Mutti ist sie und eine typische Oma.
Ihre Tochter meint, es sei wie ein politisches Statement,
wenn sie den Beruf ihrer Mutter verrate. Darüber würde
immer gleich diskutiert. Ihren Mann lernte die charmante Frau
über Internet kennen. Das, was in dem Gästezimmer
ablaufe, habe nichts mit den Gefühlen für ihn zu
tun, versichert sie. Dieser Film ist nicht nur unterhaltsam
und aufrichtig, er ist auch herzerfrischend.
Berlinale Spezial
Doris
Dörrie "Die Friseuse"
Einmal
bunte Strähnchen, bitte oder Humor ist, wenn man trotzdem
lacht
Kathi
König ist Friseuse. Und was für eine! Eine aus Marzahn
mit einer ordentlichen Portion Übergewicht. Der Gang
durch die Tür ist für sie kein leichter. Dauerwellen
macht sie höchst ungern. Lieber knallt sie Farbe auf
die Haare und dick Leberwurst auf die Stulle. Gemeinsam mit
ihrer Tochter Julia lebt sie nach der Trennung von ihrem Mann
in einer kleinen Wohnung in Marzahn und träumt davon,
einen eigenen Frisiersalon zu eröffnen. Wie sie trotz
schiefer Blicke ob ihrer kräftigen Rundungen ihr Strahlen
behält, verdient schon Bewunderung. Frau Krieger, die
ihre neue Arbeitgeberin werden soll, lehnt Kathi mit der Begründung
ab, der Beruf sei ein ästhetischer und sie eben nicht.
Da helfen auch die bunten Früchte-Ohrringe nichts, die
auf sympathische Weise ihre Fröhlichkeit widerspiegeln.
Einmal fährt Kathi aus der Haut, als sie in der Bank
nach Kredit fragen will und ihr Ansprechpartner sie ignoriert.
"Also, so geht dit nich'. Dass se immer so unfreundlich
sind. Ich komm' jetzt noch mal rein, und dann sagen se schön
juten Tach."
Selbst
ihre Tochter mault bei ihrem Anblick. Dabei will Kathi doch
alles gut machen. So hat sie die Idee eines mobilen Haarsalons
und zieht Silke, die sie vor der Arbeitsvermittlungsstelle
kennen lernt, mit hinein. Im Altenpflegeheim beglücken
sie die Senioren und machen dabei Geld, mit dem sie ihren
eigenen Laden aufmachen könnten. 2500 Euro Miete müsste
sie für ihr Traumgeschäft berappen. Doch der Schwindel
fliegt auf.
Was den neuen Film von Doris Dörrie so liebenswert macht,
ist natürlich vor allem Kathi. In die Rolle und die Leibesfülle
schlüpft Schauspielerin Gabriela Maria Schmiede. Die
Direktheit von Kathi geht ihr leicht über die Lippen.
Ihr legt Dörrie allerlei Weisheiten in den Mund, über
die man herzhaft lachen kann. Von "Bloß, weil ick
dick bin, muss ich nich' uff Dicke stehen" bis "Wenn
ick een Mann wär', würden se mich da ooch fragen,
was meene Frau macht". Obwohl der Film vor Schenkelklopfern
nur so wimmelt, sind es die leisen Momente, die ruhigen Bilder,
die hängen bleiben. Und das Gefühl von Wahrheit.
Wie Kathi vom Balkon sieht und Nenas "Wunder geschehen"
eingespielt wird, nach dem sie mit ihrem Mann getanzt hatte,
das rührt schon zu Tränen. Weil Kathi voller Sehnsucht
ist und wir uns darin wieder erkennen, auch wenn wir nicht
die Waage strapazieren.
Allerdings
bleibt eines unklar. Weshalb der Film ausgerechnet in Marzahn
spielen muss. Nach Prenzlauer Berg hätte die Geschichte
auch gepasst.
Tja, und was soll ich sagen? Die Motive für die Geschichte
stammen von einer Friseuse in Prenzlauer Berg. Kathleen Cieplik
heißt sie, und entdeckt hat sie der Mann von Drehbuchautorin
Laila Stieler. 2004 begann die Vorarbeit für den Film.
Fazit: Das Leben schreibt einfach die besten Geschichten.
Zur Premiere erschien Kathleen Cieplik selbstverständlich
mit bunten Strähnen im Haar und war sichtlich gerührt,
dass ihre Figur so viel Beifall bekam.
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Dritter Tag
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13. Februar 2010
|
|
Von
Astrid Mathis
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Wettbewerb
außer Konkurrenz
Martin
Scorsese "Shutter Island"
Insel
ohne Wiederkehr
Wie
Edward Daniels, "Teddy" genannt und von Leonardo
DiCaprio gespielt, über der Kloschüssel hängt
und ins Bild kotzt, kann einem schon leid tun. Der Seegang
ist schuld, behauptet er. Da bekommt der Zuschauer schon eine
Ahnung davon, dass es Teddy Daniels ab dieser Überfahrt
nach Shutter Island nicht mehr gut gehen wird. Zu mystisch
und unwirklich stehen die Abgesandten an der Reling. Der US-Marshall
ist mit der Aufgabe betraut, das Rätsel zu lösen,
wie eine in höchstem Grade gefährliche Frau aus
dem Hochsicherheitstrakt der Nervenheilanstalt Ashcliffe Hospital
entfliehen konnte. Chuck Aule (Mark Ruffalo) ist sein Partner
und ebenfalls ratlos. In Dr. Cawley (Ben Kingsley) finden
die Zwei dann auch noch alles andere als einen Verbündeten.
Er spendiert Aspirin und Zigaretten, die sich als Bewusstsein
verändernde Drogen entpuppen. Eine unerträgliche
Spannung macht sich breit. Teddy ergeht sich in Albtraumbildern,
sieht seine Frau Dolores (Michelle Williams) verbrennen und
die Erinnerung an ein Gemetzel während des Zweiten Weltkriegs
hochkochen, die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau.
Das
Unwetter, das während ihrer Ermittlungen aufzieht, verschlimmert
ihre Lage noch und die Phantasien. Als Chuck erstmals die
Theorie aufstellt, sie seien nicht auf der Insel, um den Fall
zu lösen, sondern selbst zum Fall zu werden, ist die
erste große Wendung da. Und Scorsese lässt die
Beiden kurz darauf sogar ihre Dienstsachen ablegen und in
weißer Anstalt-Kleidung herumlaufen. Es ist also besiegelt.
Dass zu allem Überfluss der Strom ausfällt und der
Marshall im gefährlichsten Trakt durch die Gänge
hastet, hat etwas Beängstigendes, das an das Gefühl
erinnert, mit dem man in eine Gothic Novel versinkt. Wendung
um Wendung folgt. Teddy kann niemandem trauen und weiß
schließlich selbst kaum noch, ob er der Marshall ist,
der Rachel Solando sucht, oder ob er seit zwei Jahren in der
Anstalt lebt und sich als Marshall ausgibt.
Dennis
Lehane schrieb die Vorlage, die in den 50er Jahren angesiedelt
ist und macht damit mehr als Lobotomie zum Thema. Versuche
an Menschen sind längst noch nicht Vergangenheit. Die
Psyche ist nicht restlos erforscht, aber damals wie heute
manipulierbar. Wahrscheinlich ist gerade das Wissen darum
der Grund, warum der Film so spannend und bewegend, manchmal
auch irritierend ist. Lange nicht so gegruselt.
Die
Pressekonferenz
Das
war ja klar. Wer noch einen halbwegs guten Platz im Raum finden
wollte, musste auf die letzten Minuten des Films verzichten.
Martin Scorsese und Leonardo DiCaprio haben eben ihren Preis.
Und da sind auch schon - die Gentlemen. Mit gleicher Frisur,
elegant gekleidet, leicht angespannt, aber mit einem Blick,
der sagt: Alles im Griff. Es kann losgehen.
Zehn
Jahre Zusammenarbeit liegen hinter den Beiden. "Wir vertrauen
einander", beginnt DiCaprio. Als junger Schauspieler
- "na, jetzt bin ich nicht mehr jung" (hört,
hört!) - fügt er ein, sei es toll, so gefordert
zu werden. Über die Jahre ist daraus eine Kameradschaft
geworden. Er könnte noch ewig von der Arbeit zu "Aviator"
schwärmen, was wirklich einen Wendepunkt für ihn
darstellte. Eine tolle und intensive Arbeit sei auch "Shutter
Island" gewesen. Allein schon die Herausforderung, mitten
im Regen zu sitzen, vier bis fünf Seiten Dialog mit Mark
Ruffalo zu haben und kein Wort von ihm zu verstehen, darüber
hinaus genauso wenig zu verstehen, was Martin Scorsese sagt.
Boston eben. Der zweite Film, den Scorsese nach "Departed"
dort drehte. "Die Wertschätzung für das Kino
ist das größte Geschenk, das er mir gegeben hat",
unterbricht DiCaprio seine Lobeshymne. Zeit für Martin
Scorsese, anzumerken, dass er bei "Shutter Island"
die Filmgeschichte genutzt habe. Und er hat Recht. Unübersehbar
sind die Effekte, die mal an "Metropolis", mal an
den "film noir" und Hitchcock-Streifen erinnern.Oft
saßen die Darsteller mit Scorsese zusammen und sahen
sich Klassiker an, um die Stimmung einzufangen, die er bezweckte.
"Ich sehe die Filme dann wieder frisch." Die Recherche
umfasste für DiCaprio auch den Roman. Aber mehr noch
interessiert die Journalisten, welche Gemeinsamkeiten er und
Scorsese haben. "Wir mögen italienische Desserts",
antwortet der Schauspieler knapp und gibt dazu noch preis,
dass er als Jugendlicher alle Scorsese-Filme gesehen habe,
mit ihm aufgewachsen sei.Um genau zu sein, besuchten DiCaprios
Vater und Martin Scorsese sogar dieselbe Schule, stellte sich
im Gespräch heraus. Und als wäre der Schreiberschaft
eingefallen, dass Michelle Williams ebenfalls auf dem Podium
sitzt, geht an sie die nächste Frage. Natürlich
bezieht sie sich auf DiCaprio. "Hat es Spaß gemacht,
mit ihm zu arbeiten? Hat es irgend jemandem Spaß gemacht
in Boston?" In Hinblick auf die traumatischen Szenen,
die sie mit ihm drehte, meint Williams: "Ich weiß
nicht recht, was Spaß ist. Es macht Spaß mit ihm,
besonders, in diesen sehr lustigen Szenen." Allgemeines
Gelächter im Raum. Nach dem ironischen Kommentar ergänzt
sie auf die Arbeit bezogen: "Es war dunkel, intensiv,
anstrengend."
Nun
aber zurück zu Leo, der im Film einige Sätze auf
Deutsch spricht, was seine Idee war. Ein Journalist will wissen,
ob seine Mutter darauf stolz war. "Sie sagte, es war
gut ausgesprochen. Sie konnte es verstehen." Ob er nicht
etwas zu seinen deutschen Fans sagen wolle, die vor der Tür
stehen. "Alles klar? Hallo. Ich bin ein Berliner. Dankeschön."
Viel
kommt danach nicht mehr. Die Menge strömt zum Ausgang,
doch erst am Abend nimmt sich der Hollywood-Star Zeit für
Autogramme. Dann aber richtig. Während am Vorabend zur
Premiere von "Ghostwriter" eine Limousine nach der
anderen mit unbekannten Pseudo-Persönlichkeiten angerauscht
kam, sitzt DiCaprio am Sonnabend gleich in der ersten. Da
konnte einem vor Überraschung glatt die Hand am Auslöser
einfrieren. Fast eine halbe Stunde widmet er sich den Fans,
denen er 2000 bei der Vorstellung seines Filmes "The
Beach" eher unterkühlt gegenüberstand. Aber
wie er selbst sagt, ist er erwachsen geworden und nimmt es
hin, signiert Fotos, lässt sich mit seinen Anhängern
fotografieren. "Ich glaube, ich wurde noch nie so oft
fotografiert", sagt er irgendwann und verschwindet im
Berlinale-Palast. Die Party in der Münze Berlin meidet
er - selbstverständlich.
Das
zum Ashcliffe Hospital umgestalteten Haus hat zwar Pillendosen
mit Gummitieren und Smarties zu bieten, dazu Jägermeister
von Ladys mit Seidenstrümpfen, aber beim Anblick der
Currywurst-Häppchen, die von den weißen Schwestern
serviert werden, wird auch dem hoffnungsvollsten Gast klar,
dass man hier auf Stars wie Leonardo DiCaprio ganz sicher
umsonst wartet.
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Zweiter Tag
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12. Februar 2010
|
|
Von
Astrid Mathis
|
Wettbewerb
Roman Polanski "Der Ghostwriter"
Auf der
Suche nach einem Bestseller mit Herz
Nein,
dieses verlassene Auto auf der Fähre macht keinen beruhigenden
Eindruck. Dann wird auch noch der Ghostwriter von Ex-Premierminister
Adam Lang aus dem Wasser gefischt. Kein gutes Vorzeichen für
den Mann, der die angefangene Biographie des englischen Politikers
fortsetzen und daraus einen Bestseller machen soll. Eine Biographie
mit Herz. Innerhalb von vier Wochen. Der britische Sinn für
Humor soll sein Übriges dafür tun, den Ton von Adam
Lang zu treffen.Und das alles hat ihm sein Freund und Agent
Rick eingebrockt. Für immerhin 250000 Dollar. Allerdings
wird der neue Ghostwriter, der von Ewan McGregor gespielt
wird, gleich nach Vertragsabschluss überfallen. Ein Stoff,
aus dem schon Alfred Hitchcock einen Thriller hätte entstehen
lassen. Nun ist es Roman Polanski, der das Netz von Macht
und Intrigen entspinnt.
Sein
Ghostwriter hat nicht mal einen Namen. Die kann sich Adam
Lang (Pierce Brosnan) ohnehin schwer merken, bei ihm heißt
er nur "Mann". Und das ist er ja auch, der Mann
hinter Lang, im Schatten Langs oder noch besser: ein Geist.
In der mit Überwachungssystem gut abgesicherten Strandvilla
an der amerikanischen Ostküste schläft der Ghostwriter
über dem Manuskript glatt ein. Kein Wunder. Adam Lang
scheint sich an vieles in seiner Vergangenheit nur nebelhaft
zu erinnern. Viel Besonderes bietet der Stoff außerdem
nicht. Dass er in die Partei eintrat, weil er sich in seine
Frau Ruth verliebte, mit der er sich in der Villa mitsamt
Dienstboten verschanzt hat, könnte ein guter Anfang sein.
Allein - er ist nicht wahr. Darauf kommt der Ghostwriter aber
nicht gleich. Ahnungslos wie der Zuschauer verfolgt er in
den Nachrichten, dass Lang als Kriegsverbrecher in Den Haag
angeklagt werden soll, weil er der CIA britische Terrorverdächtige
ausgeliefert haben soll. Verfasst schließlich eine Presseerklärung,
die solche Vorhaltungen abweist und macht sich zum Komplizen.
Einen Ausweg aus der Geschichte gibt es nicht, bevor er das
Buch nicht fertig hat. Ihm bleibt nur, sich selbst auf die
Suche nach den Bruchstücken zu begeben und den Mord an
seinem Vorgänger aufzuklären. Das wollte er aber
alles gar nicht.
Olivia
Williams und Ewan McGregor auf der Pressekonferenz
Pierce
Brosnan und Olivia Williams
"Der
Ghostwriter"
Die Pressekonferenz
Die
Leute auf dem Podium müssen nicht lange auf die Frage
nach Roman Polanski warten. Sie ist gleich die erste. Ja,
wie konnte der Film ohne ihn überhaupt fertiggestellt
werden? Kommentieren will da keiner was. Nur so viel: von
Mai bis August saß er mit im Schneideraum, ab September
war das Team auf sich allein angewiesen. "Ein intensiver
Regisseur" sei er, erzählt Pierce Brosnan. Der alle
am Set pusht und alle zugleich sein will: der Prop-Mann, der
Kameramann, der Darsteller. Was heißt, will, er macht
es einfach. Davon schwärmt Ewan McGregor, der ihn als
"Method Actor von ganzem Herzen" beschreibt und
dem hinzufügt: "In einem Raum zu sein mit Roman,
ändert deine Möglichkeiten. Ich habe viel von ihm
gelernt."
"Wie
soll ich das machen? Soll ich Tony Blair spielen?" hatte
Pierce Brosnan Polanski vor Drehbeginn gefragt. "Nein,
nein, spiel' einfach", war dessen Antwort. Eine große
Erleichterung für den Darsteller, der sich zeitweise
wie eine Figur in einem Shakespear-Drama fühlte, die
den Grund unter den Füßen verliert. Apropos Grund
unter den Füßen verlieren. Ein Journalist lässt
nicht locker und will wissen, was die Reaktion von Pierce
Brosnan auf den Arrest des Regisseurs war. "Ich war schockiert
und bedaure das für seine Familie und die Kinder."
Vielleicht,
um die Stimmung ein wenig zu heben, bemerkt Robert Harris
kurz darauf: "Ich will kein Ghostwriter sein. Schon gar
nicht für Tony Blair. Nicht, dass er mich schon gefragt
hätte." Mit der Anekdote, wie es zu der Zusammenarbeit
zwischen ihm und Polanski kam, kriegt er endgültig die
Kurve. "Er wollte einen Thriller drehen", beginnt
Harris, "und fragte, was ich gerade mache. Ich schreibe
ein Buch über einen Ghostwriter. Wie langweilig! sagte
Polanski. Als ich ihm das Skript schickte, war es genau das,
was er wollte." Da wusste er noch nicht (das heißt
2007), dass der Film eher als Dokumentation denn als Fiktion
ankommen würde, schiebt Harris nach.
Für
die regnerische, düstere Stimmung des Films verschlug
es Polanski nach Peenemünde, Sylt und Polen. "Es
war nass und kalt dort, aber sehr schön. Allerdings gibt
es auf Sylt nicht wirklich etwas zu machen", findet McGregor.
Belustigt antwortet er auf die Frage, ob er verärgert
sei, dass er trotz ernsthafter Rollen von deutschen Frauen
als Sexsymbol angesehen werde: "Ja, ich ärgere mich
sehr, dass Frauen mich als Sexsymbol ansehen" und macht
dazu ein gespielt grimmiges Gesicht. Am Ende kürt er
Roman Polanski als Mutti, die sich um alles kümmert und
zum Schluss immer Recht hat.
Fast
hätten wir vergessen, dass dieser Mann auf dem Podium
fehlt.
Pierce
Brosnan, Olivia Williams und Ewan McGregor
Wettbewerb
Rob
Epstein und Jeffrey Friedman "The Howl"
Comics
zum Heulen
Da
schreit einer ein Gedicht in die Welt, das so aufrührerisch
ist, das darüber Gericht gehalten werden muss. Es ist
ein einziges Geheul vom Unheil in der Welt, von Schmerz und
Lust und Wahrheit und Lüge. Allen Ginsberg schrieb es
zu Zeiten der sogenannten Beat-Generation und sollte am Ende
den in San Francisco abgehaltenen Prozess im Jahre 1957 gewinnen.
Ein Statement für eine ganze Generation. Ein Aufschrei
und ein Plädoyer für die Lyrik. Dass der Regisseur
daraus weitgehend einen Schwarz-Weiß-Film machte, ist
auch ein Statement. Das unterstreicht das Schweiß-Weiß-Denken
derer, die sich an der Sprache stoßen, die das Gedicht
Ginsbergs trägt.
James
Franco spielt den jungen Ginsberg mit Hornbrille und rauchend.
Er trägt seinen Text in einem Kellergewölbe interessierten
jungen Menschen vor, ganz in sich versunken schaut er nur
ab und zu auf. Das ist eine der drei Ebenen, in denen das
Gedicht im Mittelpunkt steht. Die nächste zeigt Allen,
wie er in seinem Wohnzimmer sitzt und sich an den Prozess
erinnert, an die Reaktionen der Menschen, an die Beat-Generation.
Zuletzt wird der Zuschauer direkt in den Gerichtssaal geführt,
in dem über den Text debattiert wird, über die Sprache,
der jegliche Poesie abgesprochen wird, weil Ginsberg die Dinge
beim Namen nennt, von "Blasen" und "Ficken"
spricht.
Rob
Epstein und Jeffrey Friedman haben diesen Film "erarbeitet".
Und nach Arbeit sieht das Ganze auch aus, als noch eine vierte
Ebene hinzukommt. Das Gedicht wird bebildert, in bunten Comics,
mit kopulierenden gesichtslosen Figuren, die durch Farbschablonen
fliegen. Da gibt es Feuerwerk und Glitzerregen, und man fragt
sich, was Allen Ginsberg dazu wohl gemeint hätte. Jeffrey
Friedman erklärt später auf der Pressekonferenz,
warum diese Computer animierten Bilder während des Gedichtvortrags
nötig waren: "Die Sache ist, wir mussten doch etwas
zeigen. Ein gängiges Medium."
Nun,
lieber Herr Ginsberg, das sehe ich anders. Der Film selbst
gibt mit einem Zitat aus dem Gerichtsprozess die Antwort.
Darin stellt der Ankläger die Forderung: "Übersetzen
Sie das mal in Prosa." Kommentar: "Man kann Poesie
nicht in Prosa übersetzen. Deshalb ist es ja Poesie."
Vielleicht
sollte man sie auch nicht in Comic-Bilder übersetzen,
denn die bewegensten Momente im Film sind die, in denen Ginsberg
durch Franco spricht wie im Schlusspart: "Alles ist heilig,
jeder ist heilig, heilig, heilig usw." und nur der Text
nachwirkt.
Dennoch:
Das Gedicht Ginsbergs einem jungen Publikum mittels Film zu
öffnen, war eine gute Idee. Bei den Comics einfach Augen
schließen.
Wettbewerb
außer Konkurrenz
Karan
Johar "My Name is Khan"
Vergesst
nicht zu beten!
Au,
au! Was muss sich Shah Rukh Khan auf der Pressekonferenz zu
seinem Film bloß anhören! Dass sein neuester Streifen
"My Name is Khan" doch sehr an "Forrest Gump"
erinnert und nur ein Abklatsch dessen ist. Das sind eindeutig
böse Zungen, obwohl der Eindruck stimmt.
Khan
spielt einen Mann mit Asperger-Syndrom, der sich nicht nur
in der Welt zurechtfindet, sondern sie stückchenweise
sogar rettet. An seiner Seite die schöne Kajol. Bollywoods
Liebespaar Nummer Eins ist wieder vereint. Nur dieses Mal
anders. Ernsthafter und mit politischer Aussage. Als ihr Sohn
totgeprügelt wird, weil er Moslem ist, begibt sich Khan
auf die Suche nach dem US-Präsidenten, um ihm zu sagen,
dass er kein Terrorist ist und sein Sohn auch keiner war.
Ein Film, in dem Lachen und Weinen möglich sind - und
damit hat der Film schon mehr erreicht als manch andere, die
den Zuschauer teilnahmslos und unbewegt zurücklassen.
Das
weiß Khan - trotz Häme von Bollywood-Banausen.
Darum dankt er dem deutschen Publikum für seine Treue.
Schließlich sei diese Begeisterung daran schuld, dass
die Filme berühmt wurden und er sich in Berlin wie ein
internationaler Star fühlt. Bis zum Schluss ist er zu
Scherzen aufgelegt und erwidert auf ein Kompliment einer Journalistin:
"Sie sind hübsch und intelligent - weil sie meinen
Film mögen." Bevor er geht, fragt ihn noch jemand,
ob er meine, jeder solle den Koran lesen. Kahn, lächelnd:
"Jeder sollte lesen und glauben, was er will - Hauptsache,
ihr vergesst nicht zu beten und respektiert jede Ideologie."
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Erster Tag
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11. Februar 2010
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Von
Astrid Mathis
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Pressekonferenz
der Jury
Die
Berlinale hat so etwas Sportives
Sie
hat so eine Ausstrahlung von Ruhe, diese Jury der 60. Berlinale.
Der Regisseur Werner Herzog macht als Präsident einen besonders
gelassenen Eindruck, als am Donnerstagvomittag die Pressekonferenz
beginnt. Er vergleicht Film mit Dichtung. Bei der wisse man
auch nie, was die Tiefe dabei sei. Kriterien habe er keine,
nur Sympathie für jeden Film, der ihm vor die Nase kommt.
Dass sich gestandene Filmemacher diesem Wettbewerb stellen,
"ja, mein Gott, schön." Eine Chance sei es in
jedem Fall für die Nachwuchsregisseure.
Renee
Zellweger spricht davon, dass es eine Ehre sei, in der Jury
zu sitzen - jeder Grund, nach Berlin zu kommen, sei ohnehin
ein guter Grund. "Man fühlt es einfach, wenn ein Film
gut ist. Das hängt nicht von einem Genre ab", meint
die US-Schauspielerin, "ich will in den Film eintauchen
können, darin verschwinden." Filme, die anders sind,
entdeckt sie besonders gern für sich. Auch Cornelia Froboess,
die zuletzt mit ihrer Rolle in "Die Sehnsucht der Veronika
Voss" als Schauspielerin während der Internationalen
Filmfestspiele Berlin präsent war, möchte in den Vorführungen
bewegt werden und sieht sich den Wettbewerbsfilmen unschuldig
gegenüber. Die Frage nach einer Anekdote, dem schönsten
Erlebnis bisher, übergeht die Schauspielerin glatt und
merkt statt dessen an, es werde erzählt, dass sie schon
1951 im Titania-Kino gesichtet wurde und seitdem die Berlinale
besucht. "Ich weiß nicht, ob das ein Gerücht
ist, es ist jedenfalls liebenswert", sagt sie lachend und
erklärt außerdem: "Die Berlinale hat etwas Sportives,
diese Massennansammlung, dass so viele Menschen zusammenkommen,
die dieselbe Leidenschaft teilen."
Und
dann kommt doch noch die Frage nach 3 D. Werner Herzog lobt
die Entwicklung der Filmwelt, die digitalen Entdeckungen. "Avatar"
hat er natürlich gesehen, wobei er vor allem die kleinen
Momente schätzte. Als die fliegenden Leuchtkörper
auf dem Arm des Hauptdarstellers landen zum Beispiel. Aber im
Grunde sei er "ein Mann des Zelluloid". Sprach er
und verabschiedete sich mit seinen Kollegen genauso gelassen,
wie er gekommen war.
Renee
Zellweger nach der Pressekonferenz
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©
POTZDAM 2010 |
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