Berlinale 2010
Inhalt
 

Berlinale Blitzlichter am roten Teppich
11. bis 21. Februar 2010
Von Astrid Mathis

Martina Gedeck

Tilda Swinton

Iris Berben

Detlev Buck

Olivia Williams

Pierce Brosnan

Leonardo DiCaprio

Martin Scorsese

Amanda Peet

Rebecca Hall


Julianne Moore

Julianne Moore mit Lisa Cholodenko

Filmcrew von "Jud Süß - Film ohne Gewissen"

Martina Gedeck

Milan Peschel

Thomas Gottschalk

Heike Makatsch

Gudrun Landgrebe

Neunter Tag
19. Februar 2010
Von Astrid Mathis

Freitag

Die Berlinale ehrt Hanna Schygulla

Du - Augen wie Sterne

Gestern wurde Hanna Schygulla geehrt. Sie hat es als einzige deutsche Schauspielerin auf die erste Seite des Times Magazins geschafft und sagt von sich selbst: "Ich habe ein magisches Verhältnis zu meinen Rollen."

Ein magisches Verhältnis hat sie wohl auch zu Fatih Akin, der sie zum ersten Mal 2004 auf einem Filmfest in Belgrad wahrnahm. In der Retrospektive. Ganz unvoreingenommen. Am Donnerstag hielt der Regisseur die Laudatio für die Schauspielerin. "Ich verliebte mich in sie - in ihre schlauen Sätze, in ihre Schönheit." Und wenn sich ein Regisseur verliebt, heißt das, er will mit ihr arbeiten. Sagt Akin. Rainer Werner Fassbinder hat diesen Stern entdeckt und die Vision gelebt, aus Hanna Schygulla einen Weltstar zu machen. "Die Ehe der Maria Braun" war der Durchbruch. Ehrfurcht empfand Akin und sprach sie an, es wäre eine Ehre, mit ihr zu arbeiten. Doch sie erwiderte: "Mit A und Umlaut. Denn Ehre erzeugt Distanz." Die wollte sie nicht. Heut sind sie Freunde, und er kann sagen: "Ich habe mit Hanna Schygulla in einem Bett geschlafen." Mehr noch, sie hat sein Leben, seine Arbeit bereichert. Zwischen Fee und Hexe, Leben und Tod könne sie alles verkörpern. "Du leuchtest von innen. Du - Augen wie Sterne", zitierte der Regisseur abschließend Rainer Werner Fassbinder.

"Für was du mich fähig hältst", antwortete daraufhin Hanna Schygulla und brachte ihrerseits ein Zitat ein, das sie von einem Kind gehört hatte: "Meine Oma ist dick, weil sie voller Liebe ist." Zugegeben, diese Schattierungen, die Fatih Akin an ihr so bewundert, hat sie auch ihm zu verdanken. "Mit dir konnte ich den qualitativen Sprung machen", erzählte sie lächelnd, über die Frau mit starkem oder zu schwachem Willen hinauswachsen, anders sein. Als Frau, der das Liebste genommen wird, anfangen zu geben. Die Rede ist von Fatih Akins Film "Auf der anderen Seite" (2007).
Dabei hatte Schygulla auf der Schauspielschule gedacht, sie würde schlechter statt besser. Allein Fassbinder war vom Gegenstil überzeugt. Und irgendwie sei es letzten Endes ihm zu verdanken, dass Hanna Schygulla wie Wolfgang Kohlhaase geehrt werde. Ja, danken, das wollte die Schauspielerin vielen. Der Berlinale, Dieter Kosslick, denen, die mitgeholfen haben, dass sie "gut rauskam", Michael Ballhaus, der sie fotografiert hatte. Nur Abdanken, das kündigte Schygulla an, das möchte sie noch nicht.

Bevor im Kino International der Film "Lili Marleen" über die Leinwand flimmerte, merkte die Schauspielerin noch an: "Es ist nicht der schönste, aber der erfolgreichste Film von Fassbinder." Sang die letzte Strophe des Titelliedes von "Lili Marleen" - für Rainer-, schwang ihre schwarze Federboa und ging.

Aus dem stillen Raume,
Aus der Erde Grund,
Hebt mich wie im Traume
Dein verliebter Mund.
Wenn sich die späten Nebel dreh'n,
Werd' ich bei der Laterne steh'n
Wie einst, Lili Marleen.
 

Achter Tag
18. Februar 2010
Von Astrid Mathis

Donnerstag

Gestern haben sie angefangen, das Eis auf den Gehwegen zum Berlinalepalast zu brechen. Gestern. Am 7. Tag. Wenigstens haben sie der Redewendung ihre ursprüngliche Bedeutung zurückgegeben. Beschämend, dass in Berlin erst jemand stürzen und verunglücken musste, ehe den Kratern abgeholfen wurde. Das wäre ein schöner Skandal geworden, wenn Gleiches am Potsdamer Platz passiert wäre.

Am Abend zuvor bin ich noch zum Radio Eins Talk in die MaxxBar, die ich in diesem Jahr etwas vernachlässigt habe. Der Schauspieler Max Riemelt ist auch da und hat drei Filme gesehen, über die er als Gastkritiker spricht. Ich überlege, ob ich aufstehe, um ein Foto zu machen, aber nach den ersten Sätzen von dem Schauspieler stelle ich fest, dass er einfach nicht Matthias Schweighöfer ist und bleibe sitzen.

Wettbewerb
"Na Putu" ("On the Path"/Auf dem Weg)

Nimm den Bart ab

2006 holte sich Regisseurin Jasmila Ybanic den Goldenen Bären mit "Grbavica". Entsprechend hoch waren die Erwartungen an ihren neuen Film.
Ein junges Paar in Sarajewo wie im Bilderbuch, sie Stewardess, er Lotse. Zum Glück fehlt nur noch ein Kind. Seit zwei Jahren versuchen es die Beiden; das hat sie erst recht zusammengeschweißt. Doch in Amars Kaffeetasse wird Alkohol entdeckt, er verliert seinen Job. Die Begegnung mit einem alten Bekannten, mit dem er im serbisch-bosnischen Krieg war, kommt wie gerufen. Amar soll Computerkurse geben in einem Camp, das an einem See gelegen ist. Seine Frau Luna steht dem von Anfang an skeptisch gegenüber und findet ihren Argwohn bestätigt, als sich ihr Mann nicht nur vom Alkohol abwendet, sondern auch von ihr. Kein Sex vor der Ehe. Das sei der Grund, warum sie nicht schwanger werde, nicht die trägen Spermien. Amar, jetzt mit Vollbart, will eine muslimische Trauung. Luna kämpft darum, dass alles so werde wie vorher, denn immer wieder bestätigt ihr Amar: "Ich liebe dich." Dass er tatenlos zusieht, wie einer seiner Glaubensbrüder ein minderjähriges Mädchen als Zweitfrau heiratet, bringt das Fass zum Überlaufen. Luna erkennt ihren Liebsten nicht wieder. Und er, der im Beten und in der Gemeinschaft Halt gefunden hat, wirkt verloren in dem, was ihn und Luna auseinandertreibt. Der Gegensatz von Religion und moderner Realität wird in "Na Putu" sensibel und nachvollziehbar erzählt.

Oskar Roehler "Jud Süß - Film ohne Gewissen"
 
Roehlers Film ohne Gewissen erliegt Jud Süß

Oskar Roehler hat Filme wie "Die Unberührbare", "Der alte Affe Angst" und "Elementarteilchen" gemacht. Jetzt also die Hintergrundgeschichte zur Entstehung von Veit Harlans "Jud Süß" (1939/40), der zum Propagandafilm erster Güte in der Nazizeit avancierte. Jud Süß, Joseph Süß Oppenheimer nachempfunden, der dem württembergischen Herzog Karl Alexander in den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts als engster Finanzberater zum politischen Aufstieg verhalf und nach dessen Tod hängen musste, ist natürlich Jude, und niemand will ihn spielen. Auch der österreichische Schauspieler Ferdinand Marian (Tobias Moretti) lehnt Joseph Goebbels (Moritz Bleibtreu) Angebot ab, will nicht Auslöser einer Hetzjagd sein. Allein, er kann dem Druck nicht widerstehen. Seine Frau (Martina Gedeck) ist zu einem Viertel Jüdin, ein Druckmittel, das es in Wirklichkeit nicht gab - sie war Katholikin. Von historischer Genauigkeit kann nun nicht mehr die Rede sein, das zentrale Motiv ist eine Erfindung. Marian wird als Opfer interpretiert, seine Mittäterschaft ausgenommen, sein Wunsch, aus der Mittelmäßigkeit seines Erfolgs herauszutreten, heruntergespielt. Um der Propagandabotschaft auszuweichen, mimt er den Juden mit besonders viel Gefühl, was bei Goebbels bestens ankommt, verstärkt doch genau das die Wirkung, die er erzielen wollte. Und Marian war einer, der gefallen wollte.

Oskar Roehler bewegt sich auf sehr dünnem Eis. Und geht an der Tendenz zur Lächerlichkeit zugrunde, so gut und ernst der Film auch gemeint war. Spätestens, wenn Marian die Frau des KZ-Kommandanten (Gudrun Landgrebe) im gleißenden Licht eines Bombenangriffs von hinten nimmt, während sie aus dem Fenster lehnt, mit Blick auf die zerstörte Stadt, und "Weiter, Jude, weiter" ruft, ist der Film nicht mehr zu retten. Außerdem wird Marians Frau Anna deportiert, um den Schauspieler zur Räson zu bringen. Da macht es dann auch schon nichts mehr, dass in Roehlers Interpretation Marian nach "Jud Süß" endgültig dem Alkohol verfällt und damit die elf Filme, die er noch bis zu seinem Tod 1946 drehte, unterschlagen werden. Wichtige Details, die ein Film, der Wahrhaftigkeit für sich beansprucht, beachten, ja, respektieren sollte.

Die Schauspieler haben sich nichts vorzuwerfen. Tobias Moretti ist der perfekte Österreicher für die Rolle als Lebemann mit Gefallsucht. Als seine Frau Anna kommt zweifelsfrei nur Martina Gedeck in Frage: Anna ist selbst Schauspielerin, die freiwillig in den Schatten ihres Mannes tritt und seine Eskapaden irgendwie aushält, weil sie weiß, dass sie sein ganzer Halt ist und ihn liebt. Und Moritz Bleibtreu spielt einen Goebbels mit seiner Handschrift. Er ist eben nicht Bruno Ganz und pendelt so zwischen clowneskem Gehabe und erschreckendem Ernst, was durchaus Zeichen seiner Taktik sind. Nur möchte man Moritz Bleibtreu nicht als Goebbels auf der Leinwand sehen, selbst wenn er sich dieser Herausforderung gestellt hat.
Buh-Rufe im Zuschauerraum. Jemand sagt: "'Der Himmel über Berlin' wurde seinerzeit auch als Desaster bezeichnet und wird heute über den grünen Klee gelobt." Warten wir's ab.

Die Pressekonferenz - Feuer frei

Moritz Bleibtreu diskutiert mit Klaus Richter (links) über die Fragen der Journalisten

Die Reaktionen der Presse haben sich herumgesprochen. Oskar Roehler betritt den Raum, rennt fast vorweg. Bringen wir es hinter uns. Auf dem Podium angekommen, entschließt sich die Menge zu müdem Beifall. Weil man Roehlers Arbeiten schätzt, weil man ganz sicher mehr erwartet hat. Nur deshalb ist überhaupt der Raum so voll. Das gibt böses Blut, erwartet wohl jeder im Saal. Niemand wird seiner Frage ein Kompliment voranstellen.

"Der Mann war von Anfang an tot - ich liebe solche Geschichten", sagt Roehler. Ja, das ist bekannt. Klaus Richter hat das Drehbuch vor acht Jahren geschrieben, für den inzwischen verstorbenen Frank Beyer, ein Regisseur aus der ehemaligen DDR. "Ich wusste, Oskar traut sich was. Er kann Melodramen", sagt Richter. Ein Melodram mit satirischen Momenten sollte es werden. Und dass da von einigen Fakten abgewichen werde, sei eben künstlerische Freiheit. Zum Beispiel davon, dass Marians Frau in erster Ehe mit einem Juden verheiratet und nicht selbst Jüdin war. Martina Gedeck ist der Zuspitzung ihrer Figur dankbar, dadurch bekomme sie erst Relevanz. Besonders unangenehm waren für sie die Großveranstaltungen mit Goebbels. Mehr noch, befremdlich. Von nun an kommt die Schauspielerin nicht mehr zu Wort. Es wird eine Diskussion über Glaubwürdigkeit und künstlerische Freiheit zwischen Roehler, Bleibtreu, Richter und den Journalisten. Moritz Bleibtreu windet sich, als sei er in der Lage von Marian gewesen, erklärt, wie groß der Kompromiss eines Schauspielers sei - 90 Prozent-, dass Agenten und andere Faktoren eine Rolle spielen. Das läge in der Natur des Berufs, das sei der Grundkonflikt der Schauspieler. Und die leichte satirische Überhöhung, der rheinische Akzent: "Der Typ ist ja Satire." Wenn man sich heute Filmausschnitte ansähe, könne man nur fragen: "Wie zum Geier kann es möglich sein, dass die Leute auf eine solche Figur hereingefallen sind?" Das Clowneske sei "so geil", das wollte sich Bleibtreu holen, dem konnte er sich nicht erwehren. Er bekommt zur Antwort: "Goebbels mag ein Clown gewesen sein, aber auch ein Massenmörder." - "Was wir machen, sind Spielfilme", entgegnet Bleibtreu, "jede Art von Spielfilm nimmt sich das Recht, Fiktion zu sein." Etwas hundertprozentig abzubilden, funktioniere nicht. Man habe interpretiert, nicht dokumentiert. Schließlich argumentiert der Schauspieler mit Tarantinos "Inglourious Basterds". Da stoße sich ja auch niemand daran, dass Hitler mit SS-Leuten im Kino in die Luft gejagt werde. - Das ist wohl wahr, doch nicht die Zeit, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Roehler steigt ein: "Ich wollte das Drama eines Menschen zeigen, um moralische Konflikte exemplarisch zu machen." Und Richter ergänzt: "Die innere Wahrheit kommt durch die Erzählung heraus." Man stelle sich vor, man sei auf dem Weg zum Star, und da kommt ein Mann wie Goebbels und ist dein Manager. Man müsse sich mal hineinversetzen. "Die Verführbarkeit von einem selber, das ist Thema Nummer Eins. Man macht sich keine Vorstellung", springt Tobias Moretti letztlich auf den Zug auf. Da fragt man sich, ob die alle noch von Veit Harlans Film oder Roehlers Drama reden. Für Moritz Bleibtreu gibt es zwischen der Zeit damals und heute keinen Unterschied. Die gleichen Sprüche, die gleichen selbstgefälligen Menschen in einer Industrie, die sich in nichts von damals unterscheidet.

Als sich das Filmteam zu einem letzten Foto aufrafft, schimpft Moritz Bleibtreu über die Fragen und diskutiert wild gestikulierend mit Drehbuchauto Klaus Richter. Was er nur hat? Die Pressekonferenz hätte nach den Reaktionen im Kinosaal ganz anders ablaufen können.

Team "Jud Süß - Film ohne Gewissen"

 
Empfang der Concorde im Silbersaal
"Jud Süß" feiert sich selbst

Der Weg zum Silbersaal ist komplizierter als erwartet. Niemand kennt den Silbersaal, der witzigerweise an den bekannten Kaisersaal anstößt. Auch Moritz Bleibtreu und Katja Riemann irren im Sony Center wie Falschgeld durch die Nacht. Das auch noch. Autsch. Die erste Riege der deutschen Filmindustrie hat sich versammelt.

Ich gönne mir ein Glas Wasser und versuche, den Promis auszuweichen. Es gelingt nicht. Til Schweiger bestellt Sekt und bekommt es in einem Bierglas serviert. Lars Rudolph beschwert sich, dass es keinen Champagner gibt. Und so lehne ich mich an den Kaminsims mitten im Raum, fühle mich ein wenig an den Empfang bei Goebbels erinnert. Eine Frauenstimme neben mir bemerkt gegenüber ihrem männlichen Begleiter: "Ich find's so furchtbar, wenn du all die blonden Tussis hier siehst - ich bin ja auch blond, aber anders -, was heute Society ist, war damals Goethe, die dichterische Elite. Alle haben danach gelebt. Künstler waren unerreichbar. Wie heißt eigentlich der Film, der hier gefeiert wird? Ach, "Jud Süß". Interessiert dich auch Film? Und was du für eine Rolle nimmst du hier ein - bist du der Typ, der sich freut, dass er neben Moritz Bleibtreu sitzt, oder der für eine Zeitschrift irgend so eine Kritik schreibt?" - "Ich beobachte auch mal gerne so." Vor mir versucht ein Ober, unauffällig eine Kippe unter den Tischdecken behangenen Tisch zu schieben und hebt sie am Ende entnervt auf. Heike Makatsch spaziert mit einer Freundin Arm in Arm durch den Raum - fehlt nur noch Mr. Darcy wie in "Stolz und Vorurteil". Katja Riemann hat ihre Schuhe ausgezogen. Fatih Akin klopft Oskar Roehler im Vorbeigehen auf die Schulter. "Das ist ja gar keine richtige Party", sagt jemand im Vorbeigehen. Richtig. Musik fehlt auch. Klassische Töne revidieren später meinen Eindruck. Ich finde an einem Tisch Halt, zwischen Misel Maticevic und Til Schweiger. Der spricht gerade mit einer blonden Frau, und ich frage mich gerade, ob die zu den Tussen gehört oder zu denen, die anders sind, da kommt die Blonde von zuvor vorbei und freut sich, Til Schweiger zu begegnen. Neben mir ein älteren Ehepaar, das ebenfalls einen Blick auf Til Schweiger wirft. Schließlich spricht der Mann ihn an und wird unwirsch abgewiesen, es sei unhöflich, in eine Unterhaltung hineinzuplatzen. Peinlich berührt tritt dieser mit seiner Frau einen Schritt zurück und freut sich kurz darauf, dass Til Schweiger auf ihn zukommt und sich nicht nur mit ihm ablichten lässt, sondern außerdem mit ihm einen Plausch macht. Auch die zwei mir unbekannten Grazien an meinem Tisch - eine blond, eine brünett - grinsen in Richtung Schweiger. Ich frage mich, was die von Til Schweiger wollen, habe ich doch das Gefühl, sie würden mich von dem Tisch abdrängen wollen. Auf die Idee, ein Foto von ihm zu wollen, komme ich gar nicht., mache mir aber eine Notiz. Da spricht mich die Blonde an: "Was machen Sie da? Wer sind Sie überhaupt? Schreiben Sie mit?" Ich bin baff - schließlich hatte ich ja die Zwei verdächtigt, sich an Til Schweiger ranzumachen, und nun schieben sie mir das in die Schuhe. Ich entgegne, ich wollte nicht den Eindruck machen. Ich sei mit einer Kollegin hier, aber die gerade unterwegs. "Ich gehe doch nicht extra an einen Tisch, an dem kein Promi ist. Wenn es vor Schauspielern nur so wimmelt", erkläre ich mich unnötig und denke: "Nimm dich mal nicht so wichtig, Tussi." - "Aber da ist ein leerer Tisch", sagt die Blonde. Das lasse ich mir nicht vorschreiben, steht für mich fest. Einen Moment denke ich an den letzten Satz von Moritz Bleibtreu, es seien dieselben selbstgefälligen Leute in der Industrie - heute wie damals. Wie recht du hast, Moritz, wie recht.

Martina Gedeck nach der Pressekonferenz

 

Siebter Tag
17. Februar 2010
Von Astrid Mathis

Wettbewerb
Burhan Qurbani "Shahada"

Glaub' doch, was du willst

Maryam will mit ihrer Freundin zur Disko. Mit einem Trick schaffen sie es hinein auf die Tanzfläche. Dort bricht Maryam schließlich zusammen. Das Medikament zur Abtreibung wirkt. So beginnt der Episodenfilm. Als Tochter eines verwitweten Imam versucht Maryam zu verheimlichen, dass sie schwanger war und flüchtet sich in den Koran. Sie will sich reinwaschen und zelebriert den Islam in der Zeit des Ramadan auf eine manische Weise, traut sich dadurch, ihren Vater anzugreifen, der alles andere als despotisch und verschlossen ist. Er sagt sogar: "Die alte Maryam war mir lieber." Aber die gibt es nicht mehr, und deshalb stellt sie ihren Vater erst recht vor der Gemeinde in Frage, denn das alles ist nicht richtig, was sie sieht - sie sieht, wie durchlässig der Koran interpretiert wird und wie westlich selbst ihr Vater lebt, der darum kein Vorbild mehr für sie sein kann. Sie kennt sich besser mit dem Koran aus, sie lebt ihn intensiver. Absolut.

Die zweite Geschichte dreht sich um den aus Nigeria stammenden Samir, der Gefühle für seinen Arbeitskollegen und Freund Daniel entwickelt. Der Konflikt mit seinem Glauben verbietet ihm, seine Zuneigung offen zu leben. Da hilft es auch nicht, dass der Imam sagt: "Es kann nicht falsch sein, wenn zwei Menschen sich lieben."

In der letzten Episode kann der türkischstämmige Zivilfahnder Ismail sich nicht verzeihen, dass er im Schusswechsel die Bosnierin Leyla so verletzte, dass ihr ungeborenes Kind starb. Nach ihrer Wiederbegegnung sucht er ihre Nähe und verlässt seine Familie.

So ist das eben mit den jungen Regisseuren. Sie haben Angst, dass sie nie wieder einen Film drehen und packen so viele Themen wie möglich hinein. So geht es auch Burhan Qurbani, gesteht er auf der Pressekonferenz von "Shahada". Von sieben Geschichten, die er im Kopf hatte, verwob er letztlich drei miteinander. Alle bieten Projektionsflächen für den kritischen Austausch mit der Religion des Islam. Der Regisseur "hatte nicht die Ruhe, eine Geschichte zu erzählen". Qurbani sagt solche Sätze wie "Toleranz beginnt da, wo Fremdheit aufhört" und "ihr müsst damit leben, dass wir Deutsche sind, auch wenn wir unsere Wurzeln woanders haben." Er wollte wirklich viel mit diesem Film, und das merkt man. Es ginge ja um Glaubenskrisen im allgemeinen, nicht um Religion. Für ihn gilt: "Werd' selig mit deiner Fasson. Der Koran hat keine Deutungshoheit." Mehr zu sich selbst als zur Presse sagt er schließlich: "Mein Gott, ich rede wie ein Prediger." Und schiebt nervös seine Brille zurecht.

Kein Grund zur Aufregung. Der Film überzeugt doch streckenweise sehr, lässt den Zuschauer mitfühlen und mitleiden. Allerdings hat Qurbani zwei Spielfilme verschenkt, indem er alle Themen unterbringen wollte. Die Episoden über Ismail und Samir sind nämlich noch nicht zu Ende. Zu unterschiedlich gewichtet sind sie im Vergleich zu der von Maryam.


Wettbewerb (außer Konkurrenz)
Lisa Cholodenko "The Kids Are All Right"

Liebe ist Zeit

Endlich wieder eine Komödie. Und auch noch mit Frauen. Mit Julianne Moore und Annette Bening hat Regisseurin Lisa Cholodenko einen Glücksgriff getan. Die Zwei spielen ein lesbisches Ehepaar, das Tochter Joni (18) und Sohn Laser (15) einer Samenspende zu verdanken haben. Jules und Nic sind Eltern, denen man alles sagen kann. Sie nennen sich Pony und Hühnchen, wenn sie im Bett liegen und sind alles andere als auf Streit aus. Als die Kinder Kontakt zum leiblichen Vater suchen, gerät die Harmonie auf dem Familienschiff ins Wanken, denn Paul (Mark Ruffalo) stiftet erotische Verwirrung und Eifersüchteleien. Das war vielleicht zu erwarten. Nicht aber, dass das lesbische Paar Schwulenpornos guckt, um in Stimmung zu kommen. Und dass Jules (Julianne Moore) zu ihrem Sohn sagt: "Schade, dass du nicht schwul bist. Dann wärst du sensibler." Das hätte sie von Laser viel lieber gehört als die Frage, warum sie sich Schwulenpornos mit Nic ansieht. Die Sexualität der Frau sei eben nach innen gerichtet und daher interessant, eine nach außen gekehrte Sexualität zu beobachten. Jules, die für den mütterlichen Part daheim zuständig ist, macht sich kurz nach dem Kennenlernen des Samenspenders selbstständig und übernimmt die Gartenplanung von Paul, inzwischen Restaurantbesitzer und Biobauer. Sie findet sein Selbstbewusstsein und seine unbekümmerte Art ebenso reizvoll wie ihre Kinder. Nur Nic, Ärztin und Ernährerin der Familie, kann keinen selbstbewussten Mann ertragen, der schon wie ein Aufreißer aussieht und außerdem höhere Bildung in seinem Fall für unnötig hält. Er ist eben ein Macher.

Nein, nein, das ist keine übliche Hollywood-Komödie. Diese hier hat richtig Tiefgang. Die Besetzung ist schlicht perfekt - in diese Menschen kann und will man sich hineinfühlen. Sie sind geradeheraus und verklemmt innerhalb von zwei Augenblicken und darin ungemein glaubwürdig und sympathisch. Eine berührende Komödie.

Regisseurin Lisa Cholodenko und Julianne Moore

Auf der Pressekonferenz erscheint Julianne Moore in knallgelbem Kleid und mit einem Lächeln, das alle Herzen gewinnt. So nimmt es nicht Wunder, dass beinahe jeder Frage ein Kompliment vorangestellt ist.

Vor fünf Jahren begannen die Vorbereitungen für das Projekt, immer wieder feilte Cholodenko am Drehbuch. Julianne Moore war sofort Feuer und Flamme, aber die Geldgeber waren nicht leicht zu finden, Verleihe ebenso wenig. Doch endlich habe es in den USA und in Deutschland mit einem Verleih geklappt. Sparte Independent-Film. Klar, Julianne Moore würde den mädchenhaften Part übernehmen. Es fehlte noch eine Frau mit Kurzhaarfrisur, die dazu passt, und ein Typen, der gleichsam windig und geerdet wirken kann. Dass Annette Bening und Mark Ruffalo, ein Freund von Moore, mit ins Boot kamen, war eine ungemeine Erleichterung. Wenig Geld hieß wenig Drehzeit. Innerhalb von 21 Tagen entstand der Film, bei dem sich die Leute mit den Charakteren identifizieren können wie nur selten. Und die Zuschauer lieben es, sich in den Figuren wiederzuerkennen, behauptet Julianne Moore. Dabei sei es egal, ob es um eine Hetero- oder Homo-Beziehung gehe. Jede Beziehung sei hart. Der Film soll ja vor allem eine Familiengeschichte sein, das Porträt einer Ehe. "Liebe ist Zeit - Familie ist Zeit, die man miteinander verbringt", findet Julianne Moore. Die hat Paul noch nicht investiert. Darum wird es am Ende auch kein weiteres Schlafzimmer wie in einer Hippie-Kommune geben. Es seien trotzdem alle Türen offen. Zuletzt kommt Regisseurin Lisa Cholodenko wieder zu Wort. Auf die Frage, was sie habe tun müssen, um Annette Bening dazu zu bringen, ein Lied von Toni Mitchell zu singen, antwortet sie: "Damit habe ich sie überhaupt erst herumbekommen." Eine gute Entscheidung.

Lisa Cholodenko und Julianne Moore

 
Der Ebi von Reihe 1

Ich bin fassungslos. Wieder waren die Fans vorm Hyatt am Potsdamer Platz näher am Schauspieler dran als ich. So gönne ich mir zur Beruhigung ein Eis und schlendere durch die Sonne zum Berlinalepalast. Ich will mal auf der Seite der Fans stehen. Doch da steht auch eine Kamera. "Mal aus dem Bild", ruft einer, ""Einrichten", ein anderer. Der mit dem "Einrichten" ist Ebi aus Reinickendorf, eigentlich Eberhard. Er macht Transporte fürs Diakoniewerk und drückt sich gerade einen Cheeseburger rein, von dem einige Krümel im Schal hängen bleiben. Ich halte ihn mindestens zehn Minuten für einen Kameramann und rege mich auf, weil ich gehört habe, wie zwei dicke große Männer sich über den aktuellen Preis von Leonardo DiCaprio unterhalten. 76 Euro mit Rahmen. "Eine richtige Mafia ist das", schimpft Ebi. Und Ebi kennt sich aus. Im Februar nimmt er sich vier Wochen Urlaub, zehn Tage gehen für die Berlinale drauf, der Rest fürs Fotos-Sortieren und Entspannen. Er kennt den Laden. Na, ganz 20 Jahre steht er noch nicht hier, aber er trifft immer dieselben Gesichter. Eine Frau aus England zum Beispiel. "Ich hab' sie alle", verkündet Ebi stolz, "und meint die Schauspieler." Er weiß, wo er stehen muss, und er hat tatsächlich tolle Fotos. "Während die anderen Fotos für Autogramme hinhalten, mache ich Klick und habe die besten Bilder." Die gibt er nicht raus, nur seiner Enkelin. Alles Abzocke. Dass unter den Vordränglern und E-Bay-Haien Polizisten sind, hat er schon spitzgekriegt. "Die müssten gerade für Ordnung sorgen." Machen sie aber nicht, schieben noch Kinder weg und kämpfen sich an jeder Leiter vorbei.

Manchmal darf Ebi auch rüber. Als Leonardo DiCaprio da war, "da war wat los", kommentiert Ebi lachend, "da haben se nachher die Leute uff die andere Seite jelassen, weil se sich bald totjetrampelt haben." Einen Liebling hat er nicht. Ich bin baff. Er fotografiert einfach alle und erfreut sich an den schönen Bildern. Biker ist er. Ja, untersetzt, rundlich, mit Brille und Lederjacke - ich kann ihn mir mit Bart vorstellen. "Hab' ich vorher extra abrasiert." Jetzt reibt er sich die Hände, bis die Stars kommen, dauert es noch ein paar Stunden. Gerade schlägt es drei Uhr. "Machen se mal ihre Krümel vom Schal weg", sage ich, bevor ich gehe. Abends entdecke ich ihn im Getümmel gegenüber. Ich wette, er macht wieder die besseren Fotos.

Goldener Ehrenbär für Wolfgang Kohlhaase

Der Mann, der hinter "Whisky mit Wodka" steht

Keine Ahnung, warum ich mir eine Karte für Frank Beyers Film "Der Aufenthalt" im Kino International geholt habe, aber ich bereue es nicht. Die Rede von Regisseur Andreas Dresen anlässlich der Verleihung des goldenen Ehrenbären an Wolfgang Kohlhaase vorneweg ist geradezu umwerfend. Dresen ist nicht nur ein guter Filmemacher, sondern auch ein phantastischer Redner. Als Mann des geschliffenen Wortes, ostdeutschen Filmkünstler bezeichnet er seinen Freund und Kollegen. "Er schreibt so, dass man lachen muss, obwohl man heulen könnte. - Die Seiten treffen mich mitten ins Herz." Dresen spricht von "Sommer vorm Balkon". Cooky Ziesche hatte ihm das Drehbuch dereinst auf den Tisch gelegt. Mit Kohlhaases Geschichten aufgewachsen, lag nun eine direkt vor ihm. Manche Sätze aus Kohlhaases Klassiker weiß er noch heute aus dem Kopf. Wie bei "Solo Sunny". Die Heldin des Films sagt am Morgen danach: "Is' ohne Frühstück. - Is' auch ohne Diskussion."

Pathos ist ihm fremd, seine Texte sind klar und direkt, die Figuren, die Menschen mit den Augen der Liebe betrachtet. In Klammern Anmerkungen wie "traurig" oder "erschüttert" gibt es nicht. Lieber lässt er seine Helden das Gegenteil von dem sagen, was sie meinen. Das nennt Dresen poetische Genauigkeit, denn dahinter verstecken die Figuren ihre Verletzlichkeit. "Whisky mit Wodka", seine letzte Geschichte, ist ein gutes Beispiel dafür. Kohlhaases Humor ist direkt, nie verächtlich. Das hat er schon bei "Solo Sunny" bewiesen. Dresen zitiert: "Der Taxifahrer Harry sagt zu Sunny: Mensch, Sunny, bei der Kohle, die ich verdiene, kann ich doch nicht doof sein."

Kleine Leute und große Träume, das ist Kohlhaases Revier. Für ihn bedeutet Kino, permanent im Gedächtnis bleiben. Dem Meister von Geschichten werden selber einige angehängt. Dresen gibt die mit der Blume im Revers zum besten. "Biste schwul geworden", wird er in der DEFA gefragt, als er das Studio betritt. - "Halb Berlin weeß et besser." So schlagfertig muss man erst mal sein. Intellektuelle Prahlereien sind ihm fremd, dieser Mann ist an Menschen interessiert, nicht an Ideologien. Film ist Vermutung, so sieht Kohlhaase das. Neue Bilder für Dinge, die sich wiederholen, die Liebe, der Tod und das Wetter.

Als Dresen sagt: "Diesen Ehrenbär, du hast ihn verdient wie kein Zweiter", stehen schon alle Leute im Saal und wischen sich die Tränen von den Augen. Auch Wolfgang Kohlhaase. "So eine Laudatio", meint er und beginnt: "Vor langer Zeit habe ich eine kleine Geschichte an eine Zeitung geschickt. Ein Satz wurde dem Text vorangestellt: Der erst 15-jährige Wolfgang Kohlhaase. Ich dachte, das wäre nicht nötig gewesen." Vor ein paar Jahren wieder so ein Satz: "Der schon 75-Jährige..." Man kann sich schützen mit melancholischem Humor, weiß Kohlhaase. Man brauche Phantasie, um zu sehen, wie die Dinge seien.

Er erzählt, warum er sich diesen Film, "Der Aufenthalt", ausgesucht hatte für den Tag der Ehrung. 1983 wurde er aus dem Berlinale-Programm genommen. Die Sorge um antipolnische Reaktionen war einfach zu groß. Nach 27 Jahren kommt er nun endlich hier an. Der 78-jährige Wolfgang Kohlhaase sagt: "Ich stehe gern neben Hanna Schygulla (die ebenfalls einen Ehrenbär erhält) und sage mehr zu mir selbst: Es wär' doch nicht nötig gewesen."
  

Sechster Tag
16. Februar 2010
Von Astrid Mathis

Wettbewerb
Semih Kaplanoglu "Bal" (Honig)

Eins mit der Natur

Diesen Jungen vergisst keiner. Braune dichte Haare, wissbegierige, warmherzige Knopfaugen, und dieser Mund, der Schweigen so schön macht. Yusuf geht in die erste Klasse und übt fleißig Lesen. Er traut sich sogar, sich zu melden, aber als er beginnt, fängt er an zu stottern. So sehr er sich auch bemüht, das rote Bändchen für gutes Lesen bekommt er nicht. Das mit anzusehen, ist schon so berührend, dass man eigentlich nicht mehr sehen muss. Dieser Film hat das gewisse Etwas. Vater Yakup ist Bienenzüchter, und wie er da waagerecht im Bild hängt zu Beginn des Films, nachdem ein Ast angebrochen war, das ist aufregender als jeder Gangsterfilm. Nein, er fällt nicht. Wir beobachten, wie Vater und Sohn voller Liebe einander zugetan sind. Yusuf begleitet seinen Vater auf der Suche nach Bienen. In den Wald muss er dafür, in die Natur, auf Bäume klettern, und das ist so schön, dass man die Bilder einfach nur genießt, die Vertrautheit zwischen den Beiden. Als Yusuf dem Vater seinen Traum ins Ohr flüstert, sagt dieser, er dürfe Träume niemanden laut sagen. Solch ein Verhältnis hat Yusuf nicht zur Mutter. Das ändert sich auch nicht, als der Vater auf der Suche nach Bienen fernbleibt.

Eigentlich passiert in dem Film kaum mehr, und doch bleibt man am Ende staunend sitzen. Yusuf liest noch einmal vor. Sind schon zwei Stunden um? Der letzte Teil der rückwärts erzählten Trilogie des türkischen Regisseurs ist beeindruckend wie kein anderer.


W
ettbewerb
Nicole Holofcener "Please give"

(außer Konkurrenz)

Vom Geben und Nehmen

An keinem Obdachlosen kommt Kate (Catherine Keener) vorbei, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Dabei hat sie das nur, weil sie Nachlässe von Verstorbenen billig aufkauft und dann als Rarität verscherbelt. Ihr Mann Alex hat damit kein Problem. Seit Jahren warten die Zwei darauf, dass ihre Nachbarin, eine griesgrämige alte Dame, das Zeitliche segnet, um die Wohnung auszubauen. Aber sie denkt nicht daran. Ihre Enkelinnen (gespielt von Amanda Peet und Rebecca Hall) können sie nicht recht leiden, und nur des lieben Friedens Willens gehen sie zum Essen zu ihren Nachbarn Die pickelige Tochter von Kate beschwert sich, dass ihre Mutter ihr keine Jeans für 220 Dollar kauft - und spätestens da weiß man: Das wird ein Feel-Good-Movie. Erstmal fühlt sich da aber keiner gut. Alex geht fremd, Kate sucht eine Möglichkeit, im Ehrenamt tätig zu sein, kann aber weder mit Menschen im Altenpflegeheim noch mit Behinderten etwas anfangen. Ihre Tochter rebelliert gegen sie. Und und und. Rebecca macht den Anfang der Wendung und verliebt sich in den Enkel einer Patientin.

Der Film über Geben und Nehmen erinnert an die Komödien von Woody Allen, aber Nicole Holofcener ist nicht Woody Allen, und so geht man nach der Vorstellung doch nicht so begeistert raus, wie man es erwartet hatte.

Ben Stiller und Filmpartnerin Greta Gerwig

Rhys Ifans, Greta Gerwig, Ben Stiller und Noah Baumbach

nach der Pressekonferenz: Regisseurin Nicole Holofcener (2. v.l.) mit den Schauspielerinnen Catherine Keener, Amanda Peet und Rebecca Hall

Fünfter Tag
15. Februar 2010
Von Astrid Mathis

Wettbewerb
Benjamin Heisenberg "Der Räuber"

Rennen vor dem Fall

Johann Rettenberger (Andreas Lust) ist ganz und gar unsympathisch. Frisch aus dem Gefängnis entlassen, in dem er wie ein Irrer auf dem Laufband trainierte, überfällt er eine Bank nach der anderen, versteckt das Geld unter dem Bett. Spricht kaum. Verzieht keine Miene. Erika (Franziska Weisz) scheint das nicht zu stören, sie bietet ihm Unterschlupf in ihrem Haus und ihrem Bett an. Rettenberger gewinnt den Wien-Marathon, das heißt rund 15000 Euro mehr. Kein Grund, mit den Banküberfällen aufzuhören, denn der Adrenalinschub des Rennens ist es, der ihn zur kriminellen Tat zwingt. Als er seinen Bewährungshelfer erschlägt, beginnt eine Jagd, bei der sein Adrenalin erneut ins Wallen kommt.

Kein Mensch weiß, warum er wirklich Banken ausraubt, warum er so wortkarg ist. Und das soll wahrscheinlich auch keiner wissen. Fakt ist, dass dadurch der Film alles andere als interessant wird. Auf der Pressekonferenz sagt Regisseur Heisenberg, er wolle nicht, dass der Charakter intellektuell begriffen werde, er wolle keine verpatzte Kindheit darstellen, nicht vom Hintergrund erzählen. Nun ja, kann man so machen. Andreas Lust hat auch wenig Lust, sich großartig vor der Presse zu äußern. Die Miene im Film war schon dieselbe. Überall könne der Film spielen, sind sich alle einig, typisch österreichisch sei da nichts, außer, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit dort beruhe.

Ob die Welt aus einsamen Männern, die aus dem Knast kommen, besteht, fragt eine Journalistin, weil das Thema Lebensbewältigung bei so vielen Filmemachern eine Rolle spielt. Heisenberg eiert herum und beendet seine Rede mit einem klaren "Ja". Fragt sich, ob der Roman, nach dem der Film entstanden ist, gleichfalls wenige Fragen beantwortet. Trotzdem. "Brokeback Mountain" ist wohl das beste Beispiel dafür, wie man aus einem schlichten Buch mit wenigen Informationen zu den Charakteren ein packendes Drama machen kann. Heisenberg ist offensichtlich Lichtjahre davon entfernt, oder er wollte das nicht, sondern nur eine Geschichte distanziert nüchtern vor dem Kinozuschauer platzieren. Die Kameraführung muss man "Dem Räuber" immerhin zugute halten. Einen sehenswerten Film macht sie daraus noch lange nicht.


Wettbewerb
Hans Petter Moland "A Somewhat Gentle Man"

Sex und Abendbrot

Schon wieder öffnet sich eine Gefängnistür. Aber man weiß gleich, dieser Film wird anders. Ulrik (Stellan Skarsgard) ist anders. Ihm sieht man nicht gleich an, dass er einen Mord begehen und Knochen brechen kann. Er ist ein Mann mittleren Alters mit Zopf und ruhigen Gesten. Seine alten Kumpanen empfangen ihn nach der Haftentlassung und erinnern ihn daran, dass er noch eine Rechnung zu begleichen hat. Doch erstmal kommt er im Souterrain der Ex seines Gauner-Kumpels unter. Die gibt ihm regelmäßig Abendbrot dafür und fordert ebenso regelmäßig eine Gegenleistung ein: Sex. Auch seine Frau will nach den zwölf Jahren Knast einen Quickie, sie, die ihn betrogen hat und deren Liebhaber er tötete. In der Werkstatt, in der er arbeitet, könnte er Ruhe finden, wäre da nicht die hübsche Kollegin, die er vor ihrem gewalttätigen Ex-Mann beschützt. Man ahnt, wie das endet. Sex ist hier allerdings nur Nebensache, denn Ulrik hat einen Sohn, zu dem er sich Kontakt wünscht. Wie sich die Zwei annähern und schüchtern umarmen, hat etwas Rührendes, sehr Glaubwürdiges. Allerdings gilt er für die schwangere Frau von Ulriks Sohn als tot. Ein Vater im Knast ist eben kein Vorzeigevater. Trotz aller Ablehnung von außen - Arbeit in der Werkstatt weg, Job beim Gaunerkollegen weg, Kontakt zum Sohn weg - gibt es am Ende Hoffnung für Ulrik. Mit Witz und Charme gelingt es dem Regisseur, eine unterhaltsame Geschichte zu erzählen, die Tiefsinn hat. Und Lust darauf macht, sich mal wieder einen Klassiker der "Olsenbande" vorzuknöpfen, obwohl Ulrik damit nun wirklich nichts zu tun hat.

Panorama
Trent Cooper "Father of Invention"

Ich hab' da eine Idee

Es ist seltsam. Seitdem Kevin Spacey in "American Beauty" brilliert hat, erwartet man immer wieder einen solchen Kracher. Doch irgendwie wird da nichts draus. In "Father of Invention" spielt er einen Erfinder mit Zottelhaaren und Vollbart, der mit seinen Entdeckungen vielerlei Schaden angerichtet hat. Die Konsequenz ist Freiheitsstrafe. Der Film steigt ein, als er aus dem Gefängnis entlassen wird (ich kann es nicht fassen). Robert Axle steht vor dem Nichts. Seine Frau hat einen anderen und mit Plattenaufnahmen die hart erarbeiteten Millionen verscherbelt, seine Tochter weist ihn zunächst ab und gibt ihm dann doch einen Monat in ihrer Wohnung, um sich zu bewähren. Im Supermarkt findet Axle eine Anstellung, die er nicht lange halten kann. Ihm schwirren eben immer noch Ideen im Kopf herum, die er nur mit einem Partner umsetzen kann. Denn wer traut ihm schon? Zugegeben, komisch ist das schon, und als er die Mitbewohnerin seiner Tochter küsst, keimt Hoffnung auf eine Art "American Beauty" auf. Seine Begeisterung dafür, etwas Neues zu erfinden und gleichzeitig das Herz der vernachlässigten Tochter zu erobern, das guckt man sich gerne an. Auch seinen Aufstieg. Ein Plädoyer für den Glauben an sich selbst, Ehrlichkeit, für die Liebe und die Familie, das ist diese Komödie. Robert Axle dabei zuzusehen, wie er Träume in die Wirklichkeit umsetzt, damit kann man schon mal 90 Minuten verbringen.

Panorama
Jake Scott "Welcome to the Rileys"

Redet!

Kristen Stewart kam nicht nach Berlin. So eine Enttäuschung für die "Twilight"-Fans. In "Welcome to the Rileys" spielt sie die junge Stripperin Mallory. Für diese Rolle habe sie an der Stange zu tanzen geübt, bis sie blaue Flecke bekam, stand in der Presse geschrieben.. Um es vorwegzunehmen, man sieht sie nicht ein einziges Mal strippen. Mallory platzt in das Leben von Doug und Lois Riley. Seit dem Tod ihrer Tochter vor acht Jahren leben sie wie fremdgesteuert nebeneinander her. Lois verlässt das Haus nicht und erstickt fast in Akkuratesse. Doug flüchtet in eine Affäre. Als er auf einer Kongressreise durch Zufall Mallory kennen lernt, ändert sich alles. Mallory hat niemanden, der auf sie aufpasst. Sie lebt allein in einem Haus ohne Licht und ohne vernünftige Klospülung und erinnert ihn an seine Tochter, die bei einem Autounfall ums Leben kam. Das kann sich Doug nicht mit ansehen, und weil Mallory ihn auch irgendwie mag, wird ihr Haus für ihn zu einer festen Unterkunft. Die Parallelen zur eigenen Tochter sieht Lois ebenfalls sofort, und auch sie verfällt darauf, Mallory Gutes tun zu wollen. Doch Mallory ist kein Kind mehr und schon gar nicht ihr Kind. Wegrennen vor der Vergangenheit, wie Doug und Lois es getan haben, und Wegrennen vor der Zukunft, wie Mallory es tut, das bringt alles nichts. Miteinander reden hilft immer. Das ist die Botschaft. Und zwar eine schöne.

Forum
Thomas Arslan "Im Schatten"

Das ganz große Ding

Stadtmitte Berlin. Vorbeifahrende Autos scheinbar minutenlang. Dann der Schwenk auf Misel Maticevic. Trojan, frisch aus der Haft entlassen (oh nee, ne?) hat einiges zu erledigen. Er bekommt nicht den vollständigen Anteil seines letzten Raubes und will noch einmal ein ganz großes Ding drehen, bevor er sich absetzt. Das sagt er nicht, das denken wir uns. Er ist genauso wortkarg wie der "Räuber", aber man interessiert sich mehr für ihn. Eine Kollegin flüstert mir zu, das läge daran, dass Maticevic so gut aussähe und Charisma habe. Und irgendwie hat sie Recht. Es liegt aber noch an etwas anderem. "Im Schatten" ist ein Gangsterfilm, bei dem nicht großartig philosophiert, sondern agiert wird. Jeder Handgriff sitzt. Wir bekommen Antworten auf die Fragen, wie ein Transporter überfallen werden kann und solche Dinge. Trojan will mit Hilfe einer Anwältin die Beute von dem Geldtransporter abstauben und verlässt sich dabei auf seinen alten Freund Nico und einen der Männer, die das Geld abholen. Wie der Polizist (Uwe Bohm) die Protagonisten verfolgt und Eins und Eins nach langer Auto- und Kamerafahrt zusammenzählt, das ist schon spannend, aber man ahnt schnell, dass die Sache nicht gut ausgeht. Am Ende rennt wieder einer mit Waffe durch den Wald. Diesmal Trojan. Er verschwindet im Schatten. Arslan erklärt nach der Premiere, er wollte so viel wie möglich offen, der Phantasie des Zuschauers überlassen. Vielleicht lag in dem Kalkül der Vorbereitung zu viel Distanz, als dass man daraus einen wirklich bewegenden, aufregenden Film hätte machen können. Beinahe ist einem das Drama egal - wenn da nicht Maticevic wäre.
 

Vierter Tag
14. Februar 2010
Von Astrid Mathis

Wettbewerb
Noah Baumbach "Greenberg"

Eine Hundehütte für die Seele

Das ist schon ein seltsamer Typ, dieser Greenberg Anfang 40. Ben Stiller sieht mal ganz anders aus, struppiger und noch gefesselter in sich selbst, seinen Gewohnheiten, seiner Art und nicht zuletzt seinen Enttäuschungen. Seine große Liebe hat ihn verlassen. Nach einem Nervenzusammenbruch kommt er in psychiatrische Behandlung und übernimmt kurz darauf den Pflegedienst für den Hund seines Bruders in New York. Florence, die Assistentin von Greenbergs Bruder sieht ebenfalls nach dem Hund und landet immer wieder in Greenbergs Armen. Oder so ähnlich. Danach stürzen sie auseinander, verletzen sich mit Worten und suchen daraufhin wieder die Nähe des anderen. Das ist aber nicht das Thema des Films, sondern das Scheitern an den eigenen Hemmschwellen und die um so verzweifeltere Suche nach Anerkennung und Sympathie. Beschwerdebriefe sind seine Hauptbeschäftigung neben dem Bau einer Hundehütte. Greenberg schafft es sogar, sich mit seinem langjährigen Freund, mit dem er einst eine Rockband hatte, zu verkrachen. Und Ben Stiller - das muss man ihm lassen - so egozentrisch und nervend er auch erscheinen mag, weckt Interesse und Sympathie beim Zuschauer. Allerdings ist der Film an einem Gute-Laune-Tag erträglicher als an einem, an dem man selbst am liebsten Beschwerdebriefe schreiben möchte.

Die Pressekonferenz

Ganz schön frech, diese Journalisten. Da fragt einer tatsächlich, warum der Regisseur die Rolle der Florence mit seiner eigenen Assistentin besetzte. Noah Baumbach hält sich knapp: "Sie schien mir richtig" und wird während der PK auch frech. Jedenfalls ist er um keine Pointe mit Galgenhumor verlegen. Er höre Stimmen und schreibe das einfach auf, erklärt er, wie er zu solchen Drehbüchern käme. Ben Stiller scheint dagegen ganz ruhig. Erwachsen. Die Frage nach dem Erwachsensein, die stellt sich natürlich irgendwann, und Ben Stiller sagt: "Das kommt von ganz allein, wenn man zwei Kinder hat und mitkriegt, dass die Dinge nicht ewig bleiben, Menschen nicht ewig leben." Dass schließlich eine Journalistin erfahren will, ob er keine Werbeaufträge für seine Frisur nach "Verrückt nach Mary" bekommen habe, kann er kaum glauben. "Dafür bin ich nach Berlin gekommen?" Nein, natürlich gab es keine Werbung.

Die Darsteller auf dem Podium

Rhys Ifans, Greta Gerwig, Ben Stiller und Regisseur Noah Baumbach

 

Perspektive Deutsches Kino
Saara Aila Waasner "Frauenzimmer"

Wenn Oma in die Strapse steigt

Drei Frauen über 50 arbeiten als Prostituierte und reden darüber. Da mag man sich Schlimmes vorstellen, eine reißerische Doku schlechtestenfalls. Doch es kommt anders. Die Geschichten der drei Protagonisten werden mit viel Respekt, Offenheit und Feingefühl erzählt. "Mein Leben war so banal. Heute kann ich tun, was ich will", sagt die eine, "ich sollte Michael heißen" die andere. Die Dritte im Bunde erklärt, ihren ersten Orgasmus habe sie erst mit 50 gehabt. Christel, Paula und Karolina arbeiten zu Hause - im Domina-Studio, im eigenen Bordell, im Beischlaf-Zimmer. Die Michael heißen sollte, ist Chefin des Bordells, war früher lesbisch, heute ist sie bisexuell und weiß: "Wenn du einmal anfängst, hörst du nicht mehr auf." Auch das schnelle Geld sei es, was sie an dem Beruf festhalten lasse. Außerdem wollen immer alle die Chefin, während die ihren Service mit Distanz als Job ausübt. Distanz wahren will auch die Domina, "weil die Kunden genauso wenig Privates wissen wollen." Schon immer hätten Männer vor ihr Angst gehabt, nie wusste sie, warum. Für sie ist das Ganze klar ein Rollenspiel, bei dem sie sich an manchen Tagen auch seltsam fühle. "Das Beste an der Beziehung ist die Trennung", behauptet sie, "oftmals, denn dann fühle ich mich so befreit." Mit 19 Jahren heiratete die heutige Domina und leidenschaftliche Flamenco-Tänzerin, 14 Tage vor der silbernen Hochzeit dann die Trennung.

In festen Händen ist die Frau mit dem späten Orgasmus. Allein, wie sie diese Geschichte erzählt, ist das Eintrittsgeld wert. Eine ganz typische Mutti ist sie und eine typische Oma. Ihre Tochter meint, es sei wie ein politisches Statement, wenn sie den Beruf ihrer Mutter verrate. Darüber würde immer gleich diskutiert. Ihren Mann lernte die charmante Frau über Internet kennen. Das, was in dem Gästezimmer ablaufe, habe nichts mit den Gefühlen für ihn zu tun, versichert sie. Dieser Film ist nicht nur unterhaltsam und aufrichtig, er ist auch herzerfrischend.


Berlinale Spezial
Doris Dörrie "Die Friseuse"

Einmal bunte Strähnchen, bitte oder Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Kathi König ist Friseuse. Und was für eine! Eine aus Marzahn mit einer ordentlichen Portion Übergewicht. Der Gang durch die Tür ist für sie kein leichter. Dauerwellen macht sie höchst ungern. Lieber knallt sie Farbe auf die Haare und dick Leberwurst auf die Stulle. Gemeinsam mit ihrer Tochter Julia lebt sie nach der Trennung von ihrem Mann in einer kleinen Wohnung in Marzahn und träumt davon, einen eigenen Frisiersalon zu eröffnen. Wie sie trotz schiefer Blicke ob ihrer kräftigen Rundungen ihr Strahlen behält, verdient schon Bewunderung. Frau Krieger, die ihre neue Arbeitgeberin werden soll, lehnt Kathi mit der Begründung ab, der Beruf sei ein ästhetischer und sie eben nicht. Da helfen auch die bunten Früchte-Ohrringe nichts, die auf sympathische Weise ihre Fröhlichkeit widerspiegeln. Einmal fährt Kathi aus der Haut, als sie in der Bank nach Kredit fragen will und ihr Ansprechpartner sie ignoriert. "Also, so geht dit nich'. Dass se immer so unfreundlich sind. Ich komm' jetzt noch mal rein, und dann sagen se schön juten Tach."

Selbst ihre Tochter mault bei ihrem Anblick. Dabei will Kathi doch alles gut machen. So hat sie die Idee eines mobilen Haarsalons und zieht Silke, die sie vor der Arbeitsvermittlungsstelle kennen lernt, mit hinein. Im Altenpflegeheim beglücken sie die Senioren und machen dabei Geld, mit dem sie ihren eigenen Laden aufmachen könnten. 2500 Euro Miete müsste sie für ihr Traumgeschäft berappen. Doch der Schwindel fliegt auf.
Was den neuen Film von Doris Dörrie so liebenswert macht, ist natürlich vor allem Kathi. In die Rolle und die Leibesfülle schlüpft Schauspielerin Gabriela Maria Schmiede. Die Direktheit von Kathi geht ihr leicht über die Lippen. Ihr legt Dörrie allerlei Weisheiten in den Mund, über die man herzhaft lachen kann. Von "Bloß, weil ick dick bin, muss ich nich' uff Dicke stehen" bis "Wenn ick een Mann wär', würden se mich da ooch fragen, was meene Frau macht". Obwohl der Film vor Schenkelklopfern nur so wimmelt, sind es die leisen Momente, die ruhigen Bilder, die hängen bleiben. Und das Gefühl von Wahrheit. Wie Kathi vom Balkon sieht und Nenas "Wunder geschehen" eingespielt wird, nach dem sie mit ihrem Mann getanzt hatte, das rührt schon zu Tränen. Weil Kathi voller Sehnsucht ist und wir uns darin wieder erkennen, auch wenn wir nicht die Waage strapazieren.

Allerdings bleibt eines unklar. Weshalb der Film ausgerechnet in Marzahn spielen muss. Nach Prenzlauer Berg hätte die Geschichte auch gepasst.
Tja, und was soll ich sagen? Die Motive für die Geschichte stammen von einer Friseuse in Prenzlauer Berg. Kathleen Cieplik heißt sie, und entdeckt hat sie der Mann von Drehbuchautorin Laila Stieler. 2004 begann die Vorarbeit für den Film. Fazit: Das Leben schreibt einfach die besten Geschichten. Zur Premiere erschien Kathleen Cieplik selbstverständlich mit bunten Strähnen im Haar und war sichtlich gerührt, dass ihre Figur so viel Beifall bekam.

Dritter Tag
13. Februar 2010
Von Astrid Mathis

Wettbewerb außer Konkurrenz
Martin Scorsese "Shutter Island"

Insel ohne Wiederkehr

Wie Edward Daniels, "Teddy" genannt und von Leonardo DiCaprio gespielt, über der Kloschüssel hängt und ins Bild kotzt, kann einem schon leid tun. Der Seegang ist schuld, behauptet er. Da bekommt der Zuschauer schon eine Ahnung davon, dass es Teddy Daniels ab dieser Überfahrt nach Shutter Island nicht mehr gut gehen wird. Zu mystisch und unwirklich stehen die Abgesandten an der Reling. Der US-Marshall ist mit der Aufgabe betraut, das Rätsel zu lösen, wie eine in höchstem Grade gefährliche Frau aus dem Hochsicherheitstrakt der Nervenheilanstalt Ashcliffe Hospital entfliehen konnte. Chuck Aule (Mark Ruffalo) ist sein Partner und ebenfalls ratlos. In Dr. Cawley (Ben Kingsley) finden die Zwei dann auch noch alles andere als einen Verbündeten. Er spendiert Aspirin und Zigaretten, die sich als Bewusstsein verändernde Drogen entpuppen. Eine unerträgliche Spannung macht sich breit. Teddy ergeht sich in Albtraumbildern, sieht seine Frau Dolores (Michelle Williams) verbrennen und die Erinnerung an ein Gemetzel während des Zweiten Weltkriegs hochkochen, die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau.

Das Unwetter, das während ihrer Ermittlungen aufzieht, verschlimmert ihre Lage noch und die Phantasien. Als Chuck erstmals die Theorie aufstellt, sie seien nicht auf der Insel, um den Fall zu lösen, sondern selbst zum Fall zu werden, ist die erste große Wendung da. Und Scorsese lässt die Beiden kurz darauf sogar ihre Dienstsachen ablegen und in weißer Anstalt-Kleidung herumlaufen. Es ist also besiegelt. Dass zu allem Überfluss der Strom ausfällt und der Marshall im gefährlichsten Trakt durch die Gänge hastet, hat etwas Beängstigendes, das an das Gefühl erinnert, mit dem man in eine Gothic Novel versinkt. Wendung um Wendung folgt. Teddy kann niemandem trauen und weiß schließlich selbst kaum noch, ob er der Marshall ist, der Rachel Solando sucht, oder ob er seit zwei Jahren in der Anstalt lebt und sich als Marshall ausgibt.

Dennis Lehane schrieb die Vorlage, die in den 50er Jahren angesiedelt ist und macht damit mehr als Lobotomie zum Thema. Versuche an Menschen sind längst noch nicht Vergangenheit. Die Psyche ist nicht restlos erforscht, aber damals wie heute manipulierbar. Wahrscheinlich ist gerade das Wissen darum der Grund, warum der Film so spannend und bewegend, manchmal auch irritierend ist. Lange nicht so gegruselt.

Die Pressekonferenz

Das war ja klar. Wer noch einen halbwegs guten Platz im Raum finden wollte, musste auf die letzten Minuten des Films verzichten. Martin Scorsese und Leonardo DiCaprio haben eben ihren Preis. Und da sind auch schon - die Gentlemen. Mit gleicher Frisur, elegant gekleidet, leicht angespannt, aber mit einem Blick, der sagt: Alles im Griff. Es kann losgehen.

Zehn Jahre Zusammenarbeit liegen hinter den Beiden. "Wir vertrauen einander", beginnt DiCaprio. Als junger Schauspieler - "na, jetzt bin ich nicht mehr jung" (hört, hört!) - fügt er ein, sei es toll, so gefordert zu werden. Über die Jahre ist daraus eine Kameradschaft geworden. Er könnte noch ewig von der Arbeit zu "Aviator" schwärmen, was wirklich einen Wendepunkt für ihn darstellte. Eine tolle und intensive Arbeit sei auch "Shutter Island" gewesen. Allein schon die Herausforderung, mitten im Regen zu sitzen, vier bis fünf Seiten Dialog mit Mark Ruffalo zu haben und kein Wort von ihm zu verstehen, darüber hinaus genauso wenig zu verstehen, was Martin Scorsese sagt. Boston eben. Der zweite Film, den Scorsese nach "Departed" dort drehte. "Die Wertschätzung für das Kino ist das größte Geschenk, das er mir gegeben hat", unterbricht DiCaprio seine Lobeshymne. Zeit für Martin Scorsese, anzumerken, dass er bei "Shutter Island" die Filmgeschichte genutzt habe. Und er hat Recht. Unübersehbar sind die Effekte, die mal an "Metropolis", mal an den "film noir" und Hitchcock-Streifen erinnern.Oft saßen die Darsteller mit Scorsese zusammen und sahen sich Klassiker an, um die Stimmung einzufangen, die er bezweckte. "Ich sehe die Filme dann wieder frisch." Die Recherche umfasste für DiCaprio auch den Roman. Aber mehr noch interessiert die Journalisten, welche Gemeinsamkeiten er und Scorsese haben. "Wir mögen italienische Desserts", antwortet der Schauspieler knapp und gibt dazu noch preis, dass er als Jugendlicher alle Scorsese-Filme gesehen habe, mit ihm aufgewachsen sei.Um genau zu sein, besuchten DiCaprios Vater und Martin Scorsese sogar dieselbe Schule, stellte sich im Gespräch heraus. Und als wäre der Schreiberschaft eingefallen, dass Michelle Williams ebenfalls auf dem Podium sitzt, geht an sie die nächste Frage. Natürlich bezieht sie sich auf DiCaprio. "Hat es Spaß gemacht, mit ihm zu arbeiten? Hat es irgend jemandem Spaß gemacht in Boston?" In Hinblick auf die traumatischen Szenen, die sie mit ihm drehte, meint Williams: "Ich weiß nicht recht, was Spaß ist. Es macht Spaß mit ihm, besonders, in diesen sehr lustigen Szenen." Allgemeines Gelächter im Raum. Nach dem ironischen Kommentar ergänzt sie auf die Arbeit bezogen: "Es war dunkel, intensiv, anstrengend."

Nun aber zurück zu Leo, der im Film einige Sätze auf Deutsch spricht, was seine Idee war. Ein Journalist will wissen, ob seine Mutter darauf stolz war. "Sie sagte, es war gut ausgesprochen. Sie konnte es verstehen." Ob er nicht etwas zu seinen deutschen Fans sagen wolle, die vor der Tür stehen. "Alles klar? Hallo. Ich bin ein Berliner. Dankeschön."

Viel kommt danach nicht mehr. Die Menge strömt zum Ausgang, doch erst am Abend nimmt sich der Hollywood-Star Zeit für Autogramme. Dann aber richtig. Während am Vorabend zur Premiere von "Ghostwriter" eine Limousine nach der anderen mit unbekannten Pseudo-Persönlichkeiten angerauscht kam, sitzt DiCaprio am Sonnabend gleich in der ersten. Da konnte einem vor Überraschung glatt die Hand am Auslöser einfrieren. Fast eine halbe Stunde widmet er sich den Fans, denen er 2000 bei der Vorstellung seines Filmes "The Beach" eher unterkühlt gegenüberstand. Aber wie er selbst sagt, ist er erwachsen geworden und nimmt es hin, signiert Fotos, lässt sich mit seinen Anhängern fotografieren. "Ich glaube, ich wurde noch nie so oft fotografiert", sagt er irgendwann und verschwindet im Berlinale-Palast. Die Party in der Münze Berlin meidet er - selbstverständlich.

Das zum Ashcliffe Hospital umgestalteten Haus hat zwar Pillendosen mit Gummitieren und Smarties zu bieten, dazu Jägermeister von Ladys mit Seidenstrümpfen, aber beim Anblick der Currywurst-Häppchen, die von den weißen Schwestern serviert werden, wird auch dem hoffnungsvollsten Gast klar, dass man hier auf Stars wie Leonardo DiCaprio ganz sicher umsonst wartet.

Zweiter Tag
12. Februar 2010
Von Astrid Mathis

Wettbewerb
Roman Polanski "Der Ghostwriter"

Auf der Suche nach einem Bestseller mit Herz

Nein, dieses verlassene Auto auf der Fähre macht keinen beruhigenden Eindruck. Dann wird auch noch der Ghostwriter von Ex-Premierminister Adam Lang aus dem Wasser gefischt. Kein gutes Vorzeichen für den Mann, der die angefangene Biographie des englischen Politikers fortsetzen und daraus einen Bestseller machen soll. Eine Biographie mit Herz. Innerhalb von vier Wochen. Der britische Sinn für Humor soll sein Übriges dafür tun, den Ton von Adam Lang zu treffen.Und das alles hat ihm sein Freund und Agent Rick eingebrockt. Für immerhin 250000 Dollar. Allerdings wird der neue Ghostwriter, der von Ewan McGregor gespielt wird, gleich nach Vertragsabschluss überfallen. Ein Stoff, aus dem schon Alfred Hitchcock einen Thriller hätte entstehen lassen. Nun ist es Roman Polanski, der das Netz von Macht und Intrigen entspinnt.

Sein Ghostwriter hat nicht mal einen Namen. Die kann sich Adam Lang (Pierce Brosnan) ohnehin schwer merken, bei ihm heißt er nur "Mann". Und das ist er ja auch, der Mann hinter Lang, im Schatten Langs oder noch besser: ein Geist. In der mit Überwachungssystem gut abgesicherten Strandvilla an der amerikanischen Ostküste schläft der Ghostwriter über dem Manuskript glatt ein. Kein Wunder. Adam Lang scheint sich an vieles in seiner Vergangenheit nur nebelhaft zu erinnern. Viel Besonderes bietet der Stoff außerdem nicht. Dass er in die Partei eintrat, weil er sich in seine Frau Ruth verliebte, mit der er sich in der Villa mitsamt Dienstboten verschanzt hat, könnte ein guter Anfang sein. Allein - er ist nicht wahr. Darauf kommt der Ghostwriter aber nicht gleich. Ahnungslos wie der Zuschauer verfolgt er in den Nachrichten, dass Lang als Kriegsverbrecher in Den Haag angeklagt werden soll, weil er der CIA britische Terrorverdächtige ausgeliefert haben soll. Verfasst schließlich eine Presseerklärung, die solche Vorhaltungen abweist und macht sich zum Komplizen. Einen Ausweg aus der Geschichte gibt es nicht, bevor er das Buch nicht fertig hat. Ihm bleibt nur, sich selbst auf die Suche nach den Bruchstücken zu begeben und den Mord an seinem Vorgänger aufzuklären. Das wollte er aber alles gar nicht.

Olivia Williams und Ewan McGregor auf der Pressekonferenz

Pierce Brosnan und Olivia Williams

"Der Ghostwriter"
Die Pressekonferenz

Die Leute auf dem Podium müssen nicht lange auf die Frage nach Roman Polanski warten. Sie ist gleich die erste. Ja, wie konnte der Film ohne ihn überhaupt fertiggestellt werden? Kommentieren will da keiner was. Nur so viel: von Mai bis August saß er mit im Schneideraum, ab September war das Team auf sich allein angewiesen. "Ein intensiver Regisseur" sei er, erzählt Pierce Brosnan. Der alle am Set pusht und alle zugleich sein will: der Prop-Mann, der Kameramann, der Darsteller. Was heißt, will, er macht es einfach. Davon schwärmt Ewan McGregor, der ihn als "Method Actor von ganzem Herzen" beschreibt und dem hinzufügt: "In einem Raum zu sein mit Roman, ändert deine Möglichkeiten. Ich habe viel von ihm gelernt."

"Wie soll ich das machen? Soll ich Tony Blair spielen?" hatte Pierce Brosnan Polanski vor Drehbeginn gefragt. "Nein, nein, spiel' einfach", war dessen Antwort. Eine große Erleichterung für den Darsteller, der sich zeitweise wie eine Figur in einem Shakespear-Drama fühlte, die den Grund unter den Füßen verliert. Apropos Grund unter den Füßen verlieren. Ein Journalist lässt nicht locker und will wissen, was die Reaktion von Pierce Brosnan auf den Arrest des Regisseurs war. "Ich war schockiert und bedaure das für seine Familie und die Kinder."

Vielleicht, um die Stimmung ein wenig zu heben, bemerkt Robert Harris kurz darauf: "Ich will kein Ghostwriter sein. Schon gar nicht für Tony Blair. Nicht, dass er mich schon gefragt hätte." Mit der Anekdote, wie es zu der Zusammenarbeit zwischen ihm und Polanski kam, kriegt er endgültig die Kurve. "Er wollte einen Thriller drehen", beginnt Harris, "und fragte, was ich gerade mache. Ich schreibe ein Buch über einen Ghostwriter. Wie langweilig! sagte Polanski. Als ich ihm das Skript schickte, war es genau das, was er wollte." Da wusste er noch nicht (das heißt 2007), dass der Film eher als Dokumentation denn als Fiktion ankommen würde, schiebt Harris nach.

Für die regnerische, düstere Stimmung des Films verschlug es Polanski nach Peenemünde, Sylt und Polen. "Es war nass und kalt dort, aber sehr schön. Allerdings gibt es auf Sylt nicht wirklich etwas zu machen", findet McGregor. Belustigt antwortet er auf die Frage, ob er verärgert sei, dass er trotz ernsthafter Rollen von deutschen Frauen als Sexsymbol angesehen werde: "Ja, ich ärgere mich sehr, dass Frauen mich als Sexsymbol ansehen" und macht dazu ein gespielt grimmiges Gesicht. Am Ende kürt er Roman Polanski als Mutti, die sich um alles kümmert und zum Schluss immer Recht hat.

Fast hätten wir vergessen, dass dieser Mann auf dem Podium fehlt.

Pierce Brosnan, Olivia Williams und Ewan McGregor

Wettbewerb
Rob Epstein und Jeffrey Friedman "The Howl"

Comics zum Heulen

Da schreit einer ein Gedicht in die Welt, das so aufrührerisch ist, das darüber Gericht gehalten werden muss. Es ist ein einziges Geheul vom Unheil in der Welt, von Schmerz und Lust und Wahrheit und Lüge. Allen Ginsberg schrieb es zu Zeiten der sogenannten Beat-Generation und sollte am Ende den in San Francisco abgehaltenen Prozess im Jahre 1957 gewinnen. Ein Statement für eine ganze Generation. Ein Aufschrei und ein Plädoyer für die Lyrik. Dass der Regisseur daraus weitgehend einen Schwarz-Weiß-Film machte, ist auch ein Statement. Das unterstreicht das Schweiß-Weiß-Denken derer, die sich an der Sprache stoßen, die das Gedicht Ginsbergs trägt.

James Franco spielt den jungen Ginsberg mit Hornbrille und rauchend. Er trägt seinen Text in einem Kellergewölbe interessierten jungen Menschen vor, ganz in sich versunken schaut er nur ab und zu auf. Das ist eine der drei Ebenen, in denen das Gedicht im Mittelpunkt steht. Die nächste zeigt Allen, wie er in seinem Wohnzimmer sitzt und sich an den Prozess erinnert, an die Reaktionen der Menschen, an die Beat-Generation. Zuletzt wird der Zuschauer direkt in den Gerichtssaal geführt, in dem über den Text debattiert wird, über die Sprache, der jegliche Poesie abgesprochen wird, weil Ginsberg die Dinge beim Namen nennt, von "Blasen" und "Ficken" spricht.

Rob Epstein und Jeffrey Friedman haben diesen Film "erarbeitet". Und nach Arbeit sieht das Ganze auch aus, als noch eine vierte Ebene hinzukommt. Das Gedicht wird bebildert, in bunten Comics, mit kopulierenden gesichtslosen Figuren, die durch Farbschablonen fliegen. Da gibt es Feuerwerk und Glitzerregen, und man fragt sich, was Allen Ginsberg dazu wohl gemeint hätte. Jeffrey Friedman erklärt später auf der Pressekonferenz, warum diese Computer animierten Bilder während des Gedichtvortrags nötig waren: "Die Sache ist, wir mussten doch etwas zeigen. Ein gängiges Medium."

Nun, lieber Herr Ginsberg, das sehe ich anders. Der Film selbst gibt mit einem Zitat aus dem Gerichtsprozess die Antwort. Darin stellt der Ankläger die Forderung: "Übersetzen Sie das mal in Prosa." Kommentar: "Man kann Poesie nicht in Prosa übersetzen. Deshalb ist es ja Poesie."

Vielleicht sollte man sie auch nicht in Comic-Bilder übersetzen, denn die bewegensten Momente im Film sind die, in denen Ginsberg durch Franco spricht wie im Schlusspart: "Alles ist heilig, jeder ist heilig, heilig, heilig usw." und nur der Text nachwirkt.

Dennoch: Das Gedicht Ginsbergs einem jungen Publikum mittels Film zu öffnen, war eine gute Idee. Bei den Comics einfach Augen schließen.

Wettbewerb außer Konkurrenz
Karan Johar "My Name is Khan"

Vergesst nicht zu beten!

Au, au! Was muss sich Shah Rukh Khan auf der Pressekonferenz zu seinem Film bloß anhören! Dass sein neuester Streifen "My Name is Khan" doch sehr an "Forrest Gump" erinnert und nur ein Abklatsch dessen ist. Das sind eindeutig böse Zungen, obwohl der Eindruck stimmt.

Khan spielt einen Mann mit Asperger-Syndrom, der sich nicht nur in der Welt zurechtfindet, sondern sie stückchenweise sogar rettet. An seiner Seite die schöne Kajol. Bollywoods Liebespaar Nummer Eins ist wieder vereint. Nur dieses Mal anders. Ernsthafter und mit politischer Aussage. Als ihr Sohn totgeprügelt wird, weil er Moslem ist, begibt sich Khan auf die Suche nach dem US-Präsidenten, um ihm zu sagen, dass er kein Terrorist ist und sein Sohn auch keiner war.

Ein Film, in dem Lachen und Weinen möglich sind - und damit hat der Film schon mehr erreicht als manch andere, die den Zuschauer teilnahmslos und unbewegt zurücklassen.

Das weiß Khan - trotz Häme von Bollywood-Banausen. Darum dankt er dem deutschen Publikum für seine Treue. Schließlich sei diese Begeisterung daran schuld, dass die Filme berühmt wurden und er sich in Berlin wie ein internationaler Star fühlt. Bis zum Schluss ist er zu Scherzen aufgelegt und erwidert auf ein Kompliment einer Journalistin: "Sie sind hübsch und intelligent - weil sie meinen Film mögen." Bevor er geht, fragt ihn noch jemand, ob er meine, jeder solle den Koran lesen. Kahn, lächelnd: "Jeder sollte lesen und glauben, was er will - Hauptsache, ihr vergesst nicht zu beten und respektiert jede Ideologie."

Erster Tag
11. Februar 2010
Von Astrid Mathis
Pressekonferenz der Jury

Die Berlinale hat so etwas Sportives

Sie hat so eine Ausstrahlung von Ruhe, diese Jury der 60. Berlinale. Der Regisseur Werner Herzog macht als Präsident einen besonders gelassenen Eindruck, als am Donnerstagvomittag die Pressekonferenz beginnt. Er vergleicht Film mit Dichtung. Bei der wisse man auch nie, was die Tiefe dabei sei. Kriterien habe er keine, nur Sympathie für jeden Film, der ihm vor die Nase kommt. Dass sich gestandene Filmemacher diesem Wettbewerb stellen, "ja, mein Gott, schön." Eine Chance sei es in jedem Fall für die Nachwuchsregisseure.

Renee Zellweger spricht davon, dass es eine Ehre sei, in der Jury zu sitzen - jeder Grund, nach Berlin zu kommen, sei ohnehin ein guter Grund. "Man fühlt es einfach, wenn ein Film gut ist. Das hängt nicht von einem Genre ab", meint die US-Schauspielerin, "ich will in den Film eintauchen können, darin verschwinden." Filme, die anders sind, entdeckt sie besonders gern für sich. Auch Cornelia Froboess, die zuletzt mit ihrer Rolle in "Die Sehnsucht der Veronika Voss" als Schauspielerin während der Internationalen Filmfestspiele Berlin präsent war, möchte in den Vorführungen bewegt werden und sieht sich den Wettbewerbsfilmen unschuldig gegenüber. Die Frage nach einer Anekdote, dem schönsten Erlebnis bisher, übergeht die Schauspielerin glatt und merkt statt dessen an, es werde erzählt, dass sie schon 1951 im Titania-Kino gesichtet wurde und seitdem die Berlinale besucht. "Ich weiß nicht, ob das ein Gerücht ist, es ist jedenfalls liebenswert", sagt sie lachend und erklärt außerdem: "Die Berlinale hat etwas Sportives, diese Massennansammlung, dass so viele Menschen zusammenkommen, die dieselbe Leidenschaft teilen."

Und dann kommt doch noch die Frage nach 3 D. Werner Herzog lobt die Entwicklung der Filmwelt, die digitalen Entdeckungen. "Avatar" hat er natürlich gesehen, wobei er vor allem die kleinen Momente schätzte. Als die fliegenden Leuchtkörper auf dem Arm des Hauptdarstellers landen zum Beispiel. Aber im Grunde sei er "ein Mann des Zelluloid". Sprach er und verabschiedete sich mit seinen Kollegen genauso gelassen, wie er gekommen war.

Renee Zellweger nach der Pressekonferenz

© POTZDAM 2010