Berlinale 2009
Inhalt
 

Schaulaufen auf dem roten Teppich
Von Astrid Mathis

Donnerstag, 05.02.09

Clive Owen

Nina Hagen

Richard von Weizsäcker

Christiane Paul

Bernd Eichinger

Herbert Grönemeyer

Tilda Swinton

Christoph Schlingensief

Caroline Herfurth

Clive Owen


Freitag, 06.02.09

David Kross

Kate Winslet

Stephen Daldry, Kate Winslet und David Kross

Kate Winslet

Kate Winslet

Sonnabend, 07.02.09

Hans-Christian Schmid

John Goodman

Bürgermeister Klaus Wowereit begrüßt Kerry Fox am roten Teppich

Sonntag, 08.02.09

Steve Buschemi mit Fan in der Bar Tausend Bahnhof Friedrichstraße bei der Aftershowparty von "John Rabe"

Sonnabend, 14.02.09

Bürgermeister Klaus Wowereit mit Schal und Partner

 

Neunter Tag
13. Februar
Von Astrid Mathis

Wettbewerb (außer Konkurrenz)
Harald Zwart "Pink Panther 2"
Clouseau stürzt den Papst

Der Tornado ist los, und wo auch immer er auftaucht, verschwinden Kunstschätze. Vom Grabtuch von Turin bis zum Diamanten "Der rosarote Panther". Das ist ganz klar ein Fall für Inspektor Clouseau bzw. Steve Martin, der die Nachfolge von Peter Sellers 2006 antrat. Chefinspektor Dreyfus (John Cleese) kommandiert Clouseau ab, Clouseau kann das Strafzettelschreiben sein lassen und im Dream Team mitmischen. Seine rechte Hand ist Ponton (Jean Reno), seine Sekretärin immer noch Nicole (Emily Mortimer), der er tolpatschig-schmachtend hinterhersteigt. Im Dream Team steht er eigentlich allein, will doch jeder den Fall am liebsten allein lösen, von Andy Garcia über Alfred Molina und Yuki Matsuzaki bis hin zu Bollywood-Schönheit Aischwarya Rai Bachchan. Auf dem Weg zum Enttarnen des Diebes wird nicht mit Slapstick gespart. Und auch der größte Lachmuffel wird in der Szene mit dem Papst nicht anders können, als loszuprusten. Wie Steve Martin im Aufzug des Papstes das katholische Oberhaupt mimt, um den Tathergang nachzustellen, auf den Balkon tritt, das Volk wie nebenbei begrüßt, dann ins Straucheln gerät und stürzt, das hat fast schon etwas Frech-Prophetisches.

Die Pressekonferenz

"Ja! Ich krieg´ die erste Frage", sagt Steve Martin auf der Pressekonferenz begeistert und wird dann erst mal ernst, betont Clouseau wäre der Hamlet unter den Komikern und der Film sei physische und verbale Komödie zugleich. Aischwarya Rai Bachchun ergänzt: "Das ist James Bond ohne Gewalt, ein Wohlfühlfilm, einfach süß, unschuldig." Und Regisseur Harald Zwart liefert eine Erklärung für so viel Süße und Unschuld: "Ich bin von `Tom und Jerry´ beeinflusst." Was die Kritiker meinen, sei erst einmal dahingestellt. Martin weiß: "Ich habe mein ganzes Leben lang schon schlechte Kritiken bekommen. Wenn man lacht, ist es lustig, aber die Kritiker lachen und denken, es sei nicht lustig." Jean Reno zeigt sich ganz als guter Partner und betont: "Steve ist ein wahrer Künstler. In vielerlei Hinsicht." - "Und?" hakt Steve Martin nach, worauf Reno einfach nur lacht. Lachen und Durch-die-Haare-Streichen ist eigentlich die Hauptbeschäftigung der Bollywood-Schauspielerin inmitten der Herren. Vielleicht übernimmt Martin deshalb auch schließlich die Moderation und fragt sie: "Aischwarya, wie schwer ist es, eine schöne Frau zu spielen?"

Ob er mal ins ernste Fach wechseln will, fragt einer der Journalisten Steve Martin. "Wissen Sie, ich bin nicht der Mensch, der für Drama gecastet wird", gesteht der Schauspieler, obwohl er den Film "Der Vater der Braut" eher als Drama einstuft. Anders ist es mit Jean Reno. Der sieht überhaupt nicht ein, vom ernsthaften Schauspieler zum Komiker gewechselt zu haben. "Das ist keine Komödie. Ich bin das lebende Drama", behauptet er. Da am Set alles stirkt nach Drehbuch gehe, beschränke er sich außerdem auf das innerliche Improvisieren. Das Schlusswort hat dann wieder sein Kollege Steve Martin. Der sagt: "Ich wünschte, ich hätte ein Banjo", greift hinter sich und legt eine kleine Zupf-Session hin. Er ist eben ein Künstler in vielerlei Hinsicht.

Berlinale Spezial
Kai Wessel "Hilde"
Herzloser Versuch an Hildegard Knef

Diese Hilde hat kein Herz. Oder nur sehr wenig. Wenn sie als junge Frau zu Füßen ihres Großvaters sitzt, der schon immer Verständnis für ihre Schauspielerei hatte oder als sie 1966 vor dem Konzert in der Berliner Philharmonie vom Tod ihres Förderers Erich Pommer erfährt, meint man, es schlagen zu hören, dieses Herz. Doch dazwischen reiht der Film Stationen des Lebens von Hildegard Knef aneinander. Mehr nicht. Heike Makatsch hat sich Gesten und Tonfall der Künstlerin angenommen. Ihren Schmollmund auch. Sie singt ihre Lieder, von denen im ganzen Film nur zwei von Anfang bis Ende erklingen, obwohl der Film doch irgendwie erzählen soll, wie die Knef zu sich selbst findet, entdeckt, dass sie Sängerin phantastischer selbst geschriebener Chansons ist und das den Rest ihres Lebens bestimmen wird.

"Das Glück sollte sich sanft verhalten", mit diesem Zitat beginnt der Film. Hildegard Knef soll ein Konzert in der Berliner Philharmonie geben und raucht in ihrer Garderobe eine Zigarette nach der anderen. Vor lauter Lampenfieber. In dieses unerträgliche Warten auf den Auftritt wird ihre Lebensgeschichte eingebettet. Man erfährt von ihrem ersten Vorsprechen bei der Ufa in Babelsberg, das gut ankommt, wenngleich sie ihre Nase operieren sollte. 1943. Sie geht mit dem verheirateten Reichsfilmdramaturgen Demandowsky ins Bett und erhofft sich eine Rolle im Film. Else Bongers (Monica Bleibtreu) warnt sie, sagt, das sei zu früh, und wird ihre lebenslange Begleiterin und Fürsprecherin bleiben. Aus dem Film wird sowieso erst mal nichts. Hilde zieht in den Krieg mit Demandowsky, robbt durch den Dreck. Als sie getrennt werden, besorgt sie sich eine Lizenz, um im Schlossparktheater spielen zu dürfen. Sie heiratet Kurt Hirsch. Dann geht alles Schlag auf Schlag. Auf Wolfgang Staudtes "Die Mörder sind unter uns" folgt ewiges Warten in Hollywood als Vertragsschauspielerin bei Selznick, darauf "Die Sünderin", mit der sie ihren Ruf endgültig versaut. Trennung von Kurt Hirsch. Auf einmal "Silk Stockings" am Broadway. Reklametafeln pflastern ihren erfolgreichen Aufstieg. Hilde, ähm Heike, berlinert nicht mehr, akzentuiert scharf, lacht verraucht. Eines Tages ist David Cameron aktuell, der sie zu ihrem ersten Liebeslied animiert. Ein berührender Moment, als sie im Tonstudio das erste Mal durchsingt. Aber der wohl peinlichste Dialog des Films wiegt schwerer. Hildes Mutter fragt Cameron, im Bett an Hildes Seite seine Blöße bedeckend, wie er gern seine Eier hätte. "Spiegeleier", antwortet er und muss eine noch peinlichere Frage aushalten: "Mögen Sie Würstchen?"

Hildegard Knef mag ehrgeizig gewesen sein, ungehalten bis jähzornig, launisch und laut, aber das sind keine Gründe dafür, ein Biopic von ihr so unbeseelt zu verfilmen. Am Ende hat man gerade mal zwei, drei anrührende Bilder im Kopf, die wirklich etwas mit der Knef zu tun haben könnten. Das ist für einen guten Film zu wenig.
 

Achter Tag
12. Februar
Von Astrid Mathis

Wettbewerb
Richard Loncraine "My One and Only"
Nicht ohne meine Perlenkette

George Hamilton wollte nie Schauspieler werden. Er dachte gar nicht daran. Es passierte einfach. 1953. Seine Mutter Ann Devereaux (Renée Zellweger) hat es satt, dass ihr Mann sie betrügt und verlässt den Bandleader Dan Devereaux (Kevin Bacon). Nimmt ihre beiden halbwüchsigen Jungs George und Robbie, kauft sich einen Cadillac und braust davon. Noch hat sie Geld. Und damit das auch so bleibt, begibt sie sich sofort auf die Suche nach einem neuen Mann, der sie und die Jungen versorgt. Allein, die spritzigen Aphorismen und ihr Lieblingsspruch "das wird schon alles gut werden" wirken immer makabrer, je öfter sie an ihre Grenzen stößt. An ihr Alter. Keiner ihrer ehemaliger Verehrer, die sie auf der Reise durch Amerika abgrasen, zeigt tatsächliches Interesse an der Frau. Als sie einen Mann an einer Hotelbar anspricht, wird sie sogar der Prostituion verdächtigt. Dabei ist sie eine Dame, die lieber aus Aluminiumschüsseln isst, ehe sie ungestylt und ohne elegantes Erscheinungsbild mitsamt Perlenkette das Haus verlässt. Es ist bewundernswert, wie sie sich selbst ständig Mut zuspricht, wie sie wirklich daran zu glauben scheint, dass es ihnen bald besser geht und ein Mann sie zur Frau nimmt. Ihre Jungen finden das Verhalten allzu peinlich und haben genug von den billigen Absteigen, in denen sie unterkommen.

"Merkst du nicht, dass du viel zu alt bist für ihn?" schreit George sie eines Tages an. Anns Optimismus ist ihm unerträglich geworden, während Robbie die Stationen der Reise seelenruhig auf ein Hemd stickt und von einer Karriere als Schauspieler träumt.

Schließlich machen die Drei bei Anns Schwester Station, von der sie einmal sagte, sie würde nur in allergrößter Verzweiflung zu ihr fahren. Nun, sie ist verzweifelt genug und fängt dort in einem Laden zu arbeiten an, dessen Ladenbesitzer ihr zwar einen Antrag macht, sich jedoch als geistig verwirrt und verheiratet herausstellt. Wieder nichts. Ann will weg. George will bleiben, einer seiner Lehrer spricht ihm schriftstellerisches Talent zu. Es kommt zu einem fürchterlichen Streit zwischen Ann und George. Der intensivste Moment des Films. George schleudert ihr ins Gesicht, sie sei eine lausige Mutter, sie wisse nichts von ihm. Nicht einmal seine Lieblingsfarbe. Zögerlich beginnt Ann: "blau", unter Tränen: "rot", stammelnd: "grün". George gibt ihr eine letzte Chance, sie soll sein Lieblingsbuch nennen, das er seit zwei Jahren mitschleppt. "Der Fänger im Roggen." Sie weiß es nicht. Und fährt. Und so sehr sich George wünschte, dort zu bleiben, kann er nicht fassen, dass ihn seine Mutter nicht zwingt, mitzukommen.

Am Ende wird tatsächlich alles irgendwie gut, nur nicht, wie Ann es anfangs vorhatte. Sie sieht ein, dass sie keinen Mann an ihrer Seite braucht, um etwas zu gelten, und sie ist eine bessere Mutter.

In dem Film geht es allerdings nicht um Läuterung oder vordergründig um die Last,als Frau immer schön sein zu müssen, sondern vielmehr um das Lebensgefühl der 50er Jahre. Renée Zellwegers spritzige Art vereitelt, dass der Film vor Sentimentalitäten trieft und beschert dem Publikum einen Schlagabtausch nach dem anderen. "My One and Only" ist ein unterhaltsamer Film, zu gleichen Teilen witzig und ernsthaft, der mit viel Herz die Erinnerungen des Schauspielers George Hamilton an seine Mutter nachempfindet. Erfrischend.

Die Pressekonferenz

Ganz schön schwierig, Förderer für einen Film zu finden, in dem kein Sex und keine Gewalt vorkommen. Das musste Regisseur Richard Loncraine erfahren, als er vor zehn Jahren mit dem Stoff für "My One and Only" in Berührung kam. "Es war ganz leicht, in den 50ern unanständig zu sein", das ist das Resümee, dass Renée Zellweger nach dem Film zieht. Wie leicht galt man als unkonventionell. Für sie ist Ann "eine Frau, die ihren Wert nicht kennt und erst lernt, was sie wirklich wertschätzt, nämlich ihre Familie, in der einer vom anderen abhängig ist". Auf die Frage, wie sie sich auf die Rolle vorbereitet habe, bewies sie, dass die Schlagfertigkeit im Film der privaten in nichts nachsteht. Sie kontert: "Ist damit gemeint, ob ich mit vielen verzweifelten Frauen gesprochen habe? Kann ich einfach nur sagen: Kein Kommentar?" Zum Thema Schönheitswahn in Hollywood war sie ebenfalls um keine Antwort verlegen: "Das ist nicht mein Hollywood. Gute Arbeit zu machen, das ist mein Hollywood." Im Film einmal zwei Söhne zu haben, machte ihr jedenfalls viel Spaß, behauptete Zellweger. Und zuppelte ihrem Film-Sohn Mark Rendall einen Fussel vom Sakko. Die Mutter-Rolle muss ihr wirklich gefallen.

Perspektive Deutsches Kino
Elmar Szücz "Wir sind schon mittendrin"
Warten auf das Leben nach dem Abi

Was ist das eigentlich für eine Generation, in der man mit 30 noch nichts erreicht hat? Ist das jetzt die Generation, die nach dem X kommt? Wie nennt man die bloß? Der Student Elmar Szücz sieht sich im Freundeskreis um. Anderen geht es genauso, stellt er fest. Elmar Szücz fängt an, darüber nachzudenken, wieso alles so ist, wie es ist, als er Vater wird und noch nichts in der Tasche hat, mal abgesehen von ein paar Semestern im Regie-Fach. Er besucht seine besten Freunde, fährt mit ihnen nach Amrum und redet mit ihnen. Hier wollen sie ihre Jugend begraben, entscheiden sich aber für die Beerdigung ihrer Unentschlossenheit. Die Doku ist so lustig wie erschreckend. Nein, unpolitisch seien sie nicht, meinen alle Drei, doch seien sie eben nicht politisch aktiv. So steht es bei ihnen mit vielen Dingen. Die Aktivität fehlt. Woran liegt das nur?

An etwas Besondrem wollten sie teilhaben wie damals die Leute beim Mauerfall. Irgendworin richtig gut sein. Die hochgesteckten Ziele lassen auf der Stelle treten. Die Flucht vor Verantwortung ist ein Hemmschuh. Es ist wie ein Warten darauf, dass etwas passiert, eine der vielen Möglichkeiten auf sie zugreift. Es ist aber anders, sie müssen auf ihre Möglichkeiten zugreifen, sonst geschieht nichts. Sie brauchen nicht darauf zu warten, dass das Leben anfängt, sie sind schon mittendrin. Bei der Frage nach Rentenversicherung und Altersvorsorge lachen sich alle kaputt. Flo liegt gerade am Strand und liest "Die Vermessung der Welt" von Daniel Kehlmann. Mathis grinst. Wegen seines Honorarjobs in der Musikschule zahlt er monatlich ein, weiß schon, wie das läuft. Musik zu studieren, war immer sein Traum, obwohl er ihn abbrach, weil er irgendwann nicht mehr Trompete spielen konnte. Ein psychisches Problem. Er geht ihn noch mal an, den Traum, und bewirbt sich für "Elementare Musikpädagogik". Am Filmende hält er die Zusage hoch. Auf die Frage, ob er sich für eine weitere Doku seines Freundes hergeben würde, antwortet er: "Jetzt ist erst mal Therapiepause."

Siebter Tag
11. Februar
Von Astrid Mathis

Wettbewerb
Mitchell Liechtenstein "Happy Tears"
Bloß nicht die Wahrheit

"Ricky" ist nicht der verrückteste Film der Berlinale. Das war vor knapp einer Woche allerdings nicht abzusehen. Weitaus durchgeknallter ist nämlich "Happy Tears". Der Film handelt von zwei Schwestern, die sich mit ihrem demenzkranken Vater auseinandersetzen müssen und merken, dass sie dabei aufeinander angewiesen sind. Nun ist das ja ein ernsthaftes Thema, Liechtenstein nimmt es leicht. Die Pointen werden quasi mit dem Lattenzaun vorgeführt. Wenn Tochter Jayne (Parker Posey) ihren halbnackt neben seinem vollgekotzten Hemd sitzenden Vater fragt, wie es ihm gehe und er mit "gut" antwortet, ist das eigentlich nicht lustig, sondern traurig. Jayne ist die Antwort recht, sie will ohnehin nicht sehen, wie schlecht es ihrem Vater geht. Laura (Demi Moore) ist da ganz anders, denn sie hat Jayne schließlich herzitiert, um die Bürde nicht allein tragen, die Entscheidung, ob nun Altersheim oder nicht, nicht allein fällen zu müssen. Jayne ist jedoch Meisterin im Ausweichen und Phantasieren. Sie bringt es nicht einmal fertig, ihrer Schwester zu sagen, dass ihre neuen Stiefel 2800 Dollar gekostet haben. Dafür lässt sie in ihren Phantasien Männer schrumpfen. Zu allem Überfluss hat der Vater noch eine Freundin, die sich als Krankenschwester ausgibt, aber wie eine arbeitslose Bordsteinschwalbe aussieht.

Es könnte so interessant sein, wie sich zwei ungleiche Schwestern wegen der Krankheit ihres Vaters annähern, das ist es leider nicht in diesem flachen Film. Irgendwann läuft sich dieser schwache Humor auch bei dem letzten Zuschauer tot. Da haben die meisten das Kino schon verlassen.

Die Pressekonferenz

Das war klar. Rip Torn, der den Vater spielt, muss erklären, wie es ihm mit der Szene ging, in der ihn die Film-Töchter in der Badewanne stehend von Kot befreien. "Großartig. Wir haben uns kaputt gelacht", gesteht Torn und fügt Augen zwinkernd hinzu: "Ich meine, ich wurde dafür bezahlt!" Demi Moore erzählt daraufhin von der Substanz der schmierigen Masse am Hinterteil ihres Film-Dads: "Schokopudding und Erdnussbutter." Darüber hinaus hat Demi Moore aus diesem Film die Konsequenz gezogen: "Die Familie kommt immer zuerst." Vielleicht wusste sie das auch schon vorher.
Und ihre Familie, sprich Ashton Kutcher, begleitete sie in Berlin auch. Mehr noch, Kutcher machte ständig Schnappschüsse und stellte sie ins Internet, nicht nur am roten Teppich, als seine Frau Autogramme gab und in die Kamera lächelte.

Dass die Schauspielerin ihren Mann mitbrachte, war zugegebenermaßen das Beste an dem Film. Die Zeiten, dass Demi Moore durch tiefsinnige und ergreifende Projekte wie "Ghost" auffällt, sind wohl vorbei.

Wettbewerb
George Tillman Jr. "Notorious B.I.G."

"Nichts geschieht vor seiner Zeit", erzählt die Mutter des 1997 ermordeten Rappers Notorious B.I.G. und begründet damit die späte Verfilmung der Lebensgeschichte ihres Sohnes. "Sie haben nie den Mann gekannt, den Vater, den Sohn, der er auch war", berichtet Voletta Wallace über Christopher. Jamal Woolard verkörpert jetzt den schwergewichtigen Gangster-Rapper aus Brooklyn und brachte dafür beste Voraussetzungen mit. "Wissen Sie, ich bin aus Brooklyn." Natürlich war Notorious ein Gott für ihn. "B.I.G. war unser Shakespeare", betonte er.Woolard hatte ihn sogar in einem Konzert miterlebt. Es gab nicht so viele davon, denn die Karriere des Rappers dauerte nur fünf Jahre.

Als junger Bengel hatte er die Nase voll davon, wegen seiner Fettleibigkeit gehänselt zu werden. Er beschloss, Drogen zu verticken und landete mit 17 dafür im Knast. Wenig später ist das erste Baby da, der erste Hit, der Streit zwischen seinem Freund Tupac. Er betrügt seine Frau, er wird gewalttätig, aber das sind die einzigen negativen Seiten, die der Zuschauer hier zu sehen kriegt. Allzu glatt und zu Pro Ostküsten-Rap und glitzernd wird die Geschichte erzählt. Gerade bei dem unaufgeklärten Fall des Verrats an seinem alten Freund Tupac wäre ein bisschen mehr Licht im Dunkel und weniger Einseitigkeit interessant gewesen. Denn an dieser Stelle beginnt ja das Ende. Im Alter von 24 Jahren wird Big Smalls alias Notorious B.I.G. erschossen und zur Legende. Den Film hat übrigens kein Geringerer als sein Freund Puff Daddy produziert.

Berlinale Spezial
Lone Scherfig "Education" ("Bildung")
Gib mir Paris, ich geb' dir alles

Bücher tragen die Mädchen auf dem Kopf, während der Vorspann läuft, akkurat gekleidet strömen sie in die Schule. Bildung, der Titel ist ganz wörtlich zu nehmen. Autor Nick Hornby hat den Stoff für die heiter erzählte Geschichte geliefert. Alfred Molina kann darin als strenger Vater zu Höchstform auflaufen. Schließlich gibt es Anfang der 60er nicht viele Freiheiten für Frauen. Sind sie klug und studieren, können sie am Ende doch nur Lehrer werden oder in den öffentlichen Dienst gehen. Und sind sie es nicht, wird geheiratet, oder sie sterben als alte Jungfern. Diese Gefahr steht bei Jenny (Carey Mulligan) nicht. Sie liebt Frankreich, französische Lieder und Literatur. Alles, was ihr der Vater verbietet. Als sie im Regen steht und David, um einiges älter, sie anspricht, ist Frankreich in greifbarer Nähe. Er wird ihr Rochester, der bei ihrer Lieblingslehrerin Mrs. Stubbs gerade Thema ist, weshalb Jenny in ihrem Aufsatz wohl wieder die Bestnote hat. Dass David lügen kann wie gedruckt, wird der 16-Jährigen bald klar. David geht Jennys Vater so um den Bart, dass dieser sie zuerst einen Wochenendausflug nach Oxford und später sogar eine Reise nach Frankreich unternehmen lässt, aber er öffnet ihr die Tore zur Welt. Er tischt ihrem Vater tatsächlich auf, einen berühmten Schriftsteller (C.S. Lewis) persönlich zu kennen und ein Autogramm zu bekommen. Mit Davids Freunden Danny und Helen geht Jenny auf Erlebnistour - das ist so viel aufregender als ihr bisheriges Leben - und begräbt tatsächlich ihren Traum von Oxford, um David zu heiraten. Nur dass David auch sie anlügt, will sie nicht wahrhaben.
Bei dieser Art Erziehungsmaßnahme sitzt man gern dabei. Zwar wirkt der Umgang mit dem älteren Mann und mit der ersten Liebesnacht zu selbstverständlich für diese Zeit und hier und da eine Spur mehr Tiefgang hätte dem Film gut getan, aber alles in allem steht der Film für wunderbares Unterhaltungskino. Und das muss man auch erst mal schaffen.
 

Sechster Tag
10. Februar
Von Astrid Mathis

Wettbewerb Stephen Frears "Chéri"
Und wäre die Liebe nicht...

Herrlich! Wie sich Léa de Lonval auf ihren Laken räkelt und sagt: "Gibt es etwas Schöneres, als ein Bett für sich zu haben?" Ausgang 19. Jahrhundert. Die Lebedamen haben die Welt im Griff, Vermögen und Männer haben sie im Überfluss. Michelle Pfeiffer spielt die Kurtisane, die der Liebschaften müde ist und sich zur Ruhe begeben will. Auch Fred Peloux, der 19-jährige Sohn ihrer Freundin und Konkurrentin Charlotte (genial bissig und zuckersüß: Kathy Bates), will sich zur Ruhe setzen, hat er doch schon ein ausschweifendes Dasein hinter sich und sieht keinen Reiz mehr in den Damen um sich herum und im Maxime. Das Schicksal hat anderes mit ihnen vor.

In Charlottes stets von Licht durchflutetem Wintergarten treffen die Liebesmüden aufeinander und sind ab diesem Moment zusammen. In der Normandie beginnen die nun wieder Liebeshungrigen ihre Liason. Léa nennt Fred Chéri, und Fred nennt Léa Nounoune. Sechs Jahre leben sie in Saus und Braus in einer riesigen Jugendstilwohnung in Paris. Der blasse junge Mann mit den dunklen Locken (Rupert Friend) lässt sich von Léa aushalten, und beide genießen die Zweisamkeit und ihre Machtspielchen. Bis Charlotte Léa mitteilt, dass sie gerne Enkel hätte und die Heirat mit der 18-Jährigen Marie-Laurie längst besiegelt sei. Sie hätte eben Jugend, Schönheit und Geld zu bieten, so ein Angebot käme nicht alle Tage. Zwei Monate bleiben bis zur Hochzeit. Léa gibt sich scheinbar gefasst, und auch Chéri bemüht sich um einen kühlen Umgang mit der Situation. Doch ihr Blut ist in Wallung, nur geben sie nicht zu, dass sie sich ineinander verliebt haben und eigentlich gar nicht trennen wollen. Während Chéri auf Hochzeitsreise geht, lenkt sich Léa in Biarritz mit einem neuen jugendlichen Galan ab, ohne Chéri vergessen zu können. Als sie erfährt, dass Chéri ausgezogen ist, fährt sie sofort in ihre Wohnung. Und hofft. Und wartet. Bis er tatsächlich da ist. Doch das neuerliche Liebesspiel ist kein Anfang, es ist das Ende. Chéri wirft ihr vor, sich bei ihr wie ein Zwölfjähriger zu fühlen, und Léa erkennt: "Jetzt, wo du die Jugend gekostet hast, findest du in mir eine alte Frau."

Allein die Hüte, die Kleider, die Kulisse, die ganze Atmosphäre der Belle Époque, die auf der Leinwand flimmert! Stephen Fraers, der vor 20 Jahren "Gefährliche Liebschaften" mit Michelle Pfeiffer drehte, setzt mit "Chéri" von Colette einen Roman um, der Romantikerherzen höher schlagen lässt. Dieser Film ist ein Liebesfilm. Nein, eine Komödie. Nein, auch eine Tragödie. Wie Charlotte Péloux und Léa einander elegant attackieren, ist tragisch und komisch gleichermaßen. Kathy Bates teilt auf das Wunderbarste aus und sagt zum Beispiel: "Du riechst so gut, Léa. Ach, Parfüm hält doch so viel besser, wenn die Haut nicht mehr ganz so straff ist." Jeder Stich ist ein Treffer. Von beiden Seiten, aber man nimmt es leicht, und man lächelt immer, besonders, wenn einem zum Heulen ist. Nur allein im Zimmer bricht die Welt zusammen - wenn Léa unter Tränen in ihrem Bett nach Chéri ruft. Manchmal gibt es gar nichts zu lachen, und man kommt trotzdem nicht umhin. Trotz alledem ist von Oberflächlichkeit keine Spur, hinter ihrer Fassade sind die so verschiedenen Liebenden Gefühl pur. Ewige Schönheit und die Sehnsucht nach Jugend und Liebe sind in Colettes Roman so aktuell wie heute. Lieber verletzen, als verletzt zu werden, lieber unabhängig bleiben, als Liebe einzugestehen. Dieser Film ist ein Glücksfall.

"Chéri": Michelle Pfeiffer und Rupert Friend

Die Pressekonferenz

Merkwürdig. Rupert Friend sieht viel blasser und kränker aus als im Film, in dem ihm beides von seiner Mutter vorgehalten wird. Und Michelle Pfeiffer sieht live genauso zart und schön aus wie auf Zelluloid. Doch etwas fehlt. Die Kostüme. Und natürlich Kathy Bates. Ob die beiden Frauen befreundet seien, will eine Journalistin wissen. "Ja, wir haben direkt davor schon zusammen gedreht und hatten sehr viel Spaß", plaudert Michelle Pfeiffer aus und fügt fast schüchtern hinzu: "Ich glaube, da hatte ich auch was mit dem Sohn von ihr." Womit wir beim Thema wären. "Je älter ich werde, um so jünger sind die Männer. Schön für mich", kommentiert die Schauspielerin. Im wahren Leben gäbe es ja immer häufiger solche Konstellationen. "Finde ich gut. Es geht in die richtige Richtung."

Panorama
Marco Wilms "Ein Traum in Erdbeerfolie"
Mode unter Verschluss

Marco Wilms wollte schon immer irgendwie besonders sein. Und wurde es. Eine Zeit lang. Ein Mannequin. Wie man zu DDR-Zeiten so sagte. Heute arbeitet Wilms als Regisseur. Jetzt hat er einen Film über seine Zeit auf dem Laufsteg gemacht, Wegbegleiter und Mitglieder der Modetheatergruppen "Chic Charmant und Dauerhaft" und "Allerleirauh" interviewt. Seine Dokumentation kennt für ihn nur ein Ziel. Noch einmal will er so eine Modenschau auf die Beine stellen. Mit Klamotten aus schwarzer Erdbeerfolie von Sabine von Oettingen.

Die Mode aus Duschvorhang und Erdbeerfolie befindet sich heute im deutschen historischen Museum unter Verschluss hinter Glas. Marco Wilms (aus Berlin) und Sabine von Oettingen (inzwischen aufs Land gezogen und Schlamm-Mode verkaufend) lachen sich kaputt darüber, als sie aufeinander treffen. Und die Designerin erinnert sich: Was in den 80ern auf dem Laufsteg zu sehen war, hatte nichts mit dem zu tun, was von Oettingen selbst gerne tragen wollte, aber es inspirierte sie, etwas Ausgefallenes, etwas Auffälliges zu entwerfen. Schwarze Erdbeerfolie, mit der man die Felder abdeckt, musste her. Sie hatte die verrücktesten Kostüme im Kopf und schneiderte mehr für so genannte Randgruppen (vor allem Gruftis) als für Ottonormalverbraucher. 1984 war das Jahr des künstlerischen Aufbruchs. Das Ostberliner Avantgarde-Modetheater Chic Charmant und Dauerhaft war geboren, Kopfbedeckungen, die aussahen, wie Trocknerhauben beim Friseur, wurden begeistert gefeiert. "Sie wollten uns die Modenschauen verbieten, weil sie meinten, die Leute könnten die Sachen ja nirgendwo kaufen", erzählt Sabine von Oettingen, "aber ich habe gesagt, das können doch alle selber nähen. Dann schmeiße ich die Schnitte eben auch noch runter." Fotograf Frank Schäfer betrachtet die Zeit als einmalig und heute verloren. "Es war eine unglaubliche Befreiung für uns. Die Leute hatten dieses gewisse Lebensgefühl. Dieses Gefühl gibt´s heute nicht mehr." Allein schon die Kulisse, wie zum Beispiel die Treppenhäuser von damals, gibt es nicht mehr. Absperrungen, wohin das Fotografenauge blickt. "Die Gedanken, so was zu machen, kamen aus der Situation heraus. Wenn man einen begrenzten Radius für sein Leben hat, kommen einem solche Ideen. Da konnten wir unseren Phantasien freien Lauf lassen", erzählt der Fotograf Robert Paris. Im Dunkeln, wo keine Polizei kontrollierte. Tauchte jemand mit Glitzerspray im Haar auf dem Alexanderplatz auf, wurde er von der Polizei in Gewahrsam genommen. Und was dann passierte, war keine angenehme Erfahrung, wie Frank Schäfer erzählte. Die Akteure von Chic Charmant und Dauerhaft waren immer wieder auffällig und malen schließlich an die Berliner Mauer. Vor dem Mauerfall rufen sie die Gruppe "Allerleihrauh" ins Leben, die imposante Theatervorstellungen in der Gethsemanenkirche in Berlin gibt und eine apokalytische Stimmung aufbaut. Marco Wilms sehnt sich nach der Modestimmung von damals. Nach dem Gefühl der Revolte. Darum lädt er im August 2007 zur Ostblockparty in seine Wohnung im Prenzlauer Berg ein. Baut sie auf wie die von Helga Paris, die erste von CCD.

Die Gäste merken nichts davon, was für ein Theater es war, die Erdbeerfolie aufzufinden. Nicht einmal schwarz-weiß gestreifte Duschvorhänge gibt es im Baumarkt, aber Sabine von Oettingen ist erfinderisch, nimmt statt dessen Wachstuchtischdecken und malt Streifen darauf. Regisseur Klaus Ehrlich, der als Einziger Modesendungen für das DDR-Fernsehen machte, kommt auch.

Politische Bildung mal auf eine ganz andere Art und Weise.

Sabine von Oettingen mit ihrer Tochter auf der Ostblockparty im Sophienclub

Berlinale Spezial
Davis Guggenheim "It might get loud"
Drei Gitarristen - alles Rock

Dieser Titel ist ein Versprechen. Doch was ist das? Kühe auf einer Weide. Jack Stripes (White Stripes) fädelt Milchflasche und Holzklotz zusammen, schlägt ein paar Nägel ins Holz. Das Verbindungsstück sieht aus wie Angelsehne. Dann lässt Stripes die Saite schwingen und kommentiert: "Wer sagt, dass man eine Gitarre kaufen muss?" Er ist der Jüngste der drei Weltklasse-Gitarristen, die am 23. Januar 2008 aufeinandertreffen, um auf Anregung von Davis Guggenheim über Gitarren zu diskutieren. The Edge (U2) und Jimmy Page (Led Zeppelin) machen das Künstlertrio perfekt.

Über Gitarren zu reden, hört sich erst mal nicht sehr interessant an, aber Guggenheim weiß, wofür er die Musiker haben will. Drei Männer aus drei Generationen, zu jeder Zeit hatte die Gitarre einen anderen Stand. Als Jack Stripes zur Gitarre kam, war sie verpönt. Total uncool. Seine Klassenkameraden hörten House und Rap. Rock fiel aus. Er wollte auch anfangs gar nicht Gitarre spielen. Zwei Schlagzeug-Sets schaffte er sich an, da hatte er nicht einmal mehr Platz für ein Bett in seinem Zimmer. Die Musik war ihm wichtiger.

The Edge weist auf seine Gitarre und sagt: "Das ist meine Stimme." Manchmal schleppt der Dubliner sein ganzes Equipment mit zum Strand, weil das Echo dort so toll ist. Zu seiner Anfangszeit war die Gitarre absolut Kult, in den 80ern wurde überall Gitarre gehört und gespielt. Seine erste baute er selbst. Auch Jack Stripes war in punkto Gitarre erfinderisch. Er ließ sich in eine seiner Gitarren einen Mikro-Halter einbauen, so dass er während des Auftritts jederzeit danach greifen konnte.

"Der Tag, an dem ich nicht mehr Gitarre spielen kann, liegt hoffentlich weit, weit weg von hier", meint Jimmy Page irgendwann nachdenklich. Sorgen muss er sich allerdings bisher nicht machen. Wenn er zu seinen Lieblingsliedern mitwippt oder in die Saiten greift, wird er wieder jung. Der Rock`n´ Roll aus seiner Schulzeit hat ihn nie losgelassen.

Alle Drei sind Rocker und Poeten zugleich. Sie können ganz in ihr Spiel und ins Dichten versinken, man merkt die Kamera gar nicht. Dabei ist die Dokumentation nicht nur auf den Diskussionstag reduziert. Guggenheim zeigt Fotos, Konzertausschnitte, Proben und kombiniert sie gekonnt mit dem 23. Januar und einer spontanen Jam-Session. Bei dieser Diskussion ist man gern dabei.

Fünfter Tag
9. Februar
Von Astrid Mathis

Wettbewerb
Maren Ade "Alle anderen"
Die Liebe ist ein seltsames Spiel

Die Hauptfiguren sind von Anfang an unsympathisch. Gitti redet zu viel, Chris ist das ganze Gegenteil, schaut höchstens bedröppelt drein. Dabei sind die Zwei auf Sardinien und machen Urlaub. Von Liebesurlaub kann allerdings keine Rede sein. Dafür verstricken sie sich zu oft in Diskussionen, die zu nichts führen. Außerdem wartet Chris, ausgebildeter Architekt, auf die Entscheidung eines Wettbewerb, an dem er teilnahm. Als er telefonisch von der Ablehnung erfährt, verschweigt er Gitti das Ergebnis und verschanzt sich lieber hinter Lethargie, Muffeligkeit und Andeutungen von Potenzproblemen. Gitti dahingegen hält an ihrer Liebe fest, erträgt alle Launen ihres Partners und flüstert immer wieder "ich liebe dich", ohne je eine andere Antwort zu bekommen als Liebkosungen. Die Situation eskaliert mit dem Auftauchen von Hans und Sana. Die Beiden haben alles viel mehr im Griff, sie sind beruflich erfolgreicher, und Sana ist schwanger. Eigentlich wollte Chris das Paar unter keinen Umständen treffen und macht sich im Supermarkt noch lächerlich, wo er ihretwegen auf Tauchstation geht. Nach der unvermeidlichen Begegnung des Bekannten folgen Gitti und Chris einer Einladung zum Grillen. Wie nebenbei erwähnt Chris gegenüber Hans seine Absage beim Wettbewerb und bringt Gitti zum Ausrasten. Doch zuerst schweigt sie, erklärt überzeugt, was für tolle Arbeiten Chris mache und lobt ihren Freund über die Maßen. Dem ist das zu viel, er will nicht verteidigt werden. Er kann ja für sich selber reden und fährt sie an: "Du bist so peinlich." Zurück im elterlichen Haus, das Chris irgendwann einmal umbauen will, ist es vorbei mit der vorgespielten Idylle. Gitti ist enttäuscht und stellt Chris zur Rede, ohne Halt zu gewinnen. Statt dessen zeigt er ihr ihre Grenzen auf. Aus Angst, Chris zu verlieren, schlägt sie ihm vor, das Paar zum Abendessen einzuladen, um alles wieder gutzumachen, aber sie kann sich nicht den ganzen Abend verstellen und die Zurückgenommene spielen. Wieder allein, wirkt Gitti auf Chris reizvoll, und er lässt sich beim Sex zu einem "Ich-liebe-dich" hinreißen. Gitti behauptet "ich liebe dich nicht mehr" und bricht ohnmächtig zusammen. Gespielt? Jedenfalls bringt Chris sie Minuten später mit Prusten zum Lachen.

Komisch. Liegt es an den Charakteren oder den banalen Dialogen, der Film greift nicht. Er hat witzige Passagen, er macht wütend, man will rufen: Nun trennt euch doch endlich! Man will das Elend dieser Beziehung gar nicht sehen. Trennung ist selbst mit offenem Ende die einzige Konsequenz, die bleibt. Aber letztendlich ist einem das auch schon egal. Solche Beziehungsdilemma hat man anderswo tausend Mal besser inszeniert gesehen.


Wettbewerb
Oren Moverman "The Messenger"
Der Krieg ist noch nicht vorbei

Will Montgomery (Ben Foster) hat den Irak-Krieg hinter sich. Eine Augenverletzung und ein paar Orden nimmt er mit nach Hause. Doch der Krieg ist für den amerikanischen Soldaten noch nicht vorbei. Er soll jetzt einer ebenso ehrenvollen Aufgabe nachgehen und Todesbote werden. "Niemals umarmen", "an den Text halten", "nur mit den nächsten Angehörigen sprechen", das sind nur drei von vielen Regeln, die es zu beachten gibt. Die Wichtigste ist aber: Sie müssen schneller sein als jeder Nachrichtendienst, CNN oder E-Mail von einem Kameraden. Woody Harrelson alias Captain Stone zeigt Will, wie man das macht - Todesbotschaften überbringen. Eine unangenehme Aufgabe. Manchmal kommen die Uniformierten nicht einmal bis zum Einleitungstext, da bricht die Ehefrau schon zusammen, weint und schreit. Ein Mann, der seinen Sohn verloren hat, spuckt Will beim ersten Einsatz ins Gesicht. Eine Frau, deren Mann gefallen ist, scheint ganz gefasst und drückt ein ums andere Mal die Hände der beiden Männer. Da beginnt der Konflikt. Will kann keine Distanz zu der Witwe wahren und sucht sie nach dem ersten Kontakt immer wieder auf. Ohne dass bei dem Wiedersehen etwas zwischen ihnen laufen würde. Und dann stehen sie in der Küche, Will küsst sie auf die Stirn, und sie sagt: "Ich kann nicht." Das ist der Anfang von etwas, der Anfangen für zwei Menschen, die in der Welt verloren sind und sich nach Liebe sehnen.

Der Fokus des Films liegt jedoch auf den beiden Männern, die auf den ersten Blick steif und verbittert wirken. Für jeden zynischen Kommentar sind sie gut sind und lassen dabei verletzte Seelen erahnen. Auf sie wartet keiner, wenn sie nach Hause kommen. Statt dessen bekommt Will eine Einladung zur Verlobung seiner Ex-Freundin. Aus den spröden Todesengeln werden Freunde, die einander anvertrauen, was sie in ihren schlimmsten Träumen verfolgt. Woody Harrelson spielt alle Facetten seines Charakters aus, da gibt es nichts, was nicht durch ihn verkörpert wird und verrät, dass sich hinter Tonys Schutzschicht ein gebrochener Mann verbirgt. Ein klasse Film.

The Messenger: Woody Harrelson und Ben Foster

Auch hinter der Leinwand sind Ben Foster und Woody Harrelson zu Freunden geworden, lassen sie auf der Pressekonferenz wissen. Harrelson erklärt: "Er ist wie ein Bruder für mich." Foster witzelt: "Hat er nicht einen hübschen Arsch?"

Woody Harrelson schrieb nach der PK fleißig Autogramme.


Wettbewerb
Rebecca Miller "Pippa Lee"
Die Ehe ist ein Akt des Willens

Der Einstieg in das Drama, das eigentlich eine Komödie wird, ist ein ganz harmonischer. Pippa Lee (Robin Wright Penn) tischt in kleiner Runde ihren berühmten Lammbraten auf und gibt die elegante Verlegersgattin. Gerade ist das Paar in eine Seniorenresidenz gezogen. Pippas Mann ist 30 Jahre älter als sie. Wie sie ihn kennen lernte, wird in Rückblenden erzählt, aber erst viel später, denn sie beginnen mit Pippas Geburt. "Ich habe einen Afffen gekriegt", schreit ihre Mutter verzweifelt. Pippa ist also von jeher etwas Besonderes, verliert allerdings bald ihr Fell, das vielleicht symbolisch ein Schutzschild gegen ihre drogenabhängige Mutter war. Über all das denkt Pippa nach, als sie feststellt, dass sie nicht nur schlafwandelt, sondern dabei auch mit Joghurt und Kirschkuchen ein Schlachtfeld in der Küche hinterlässt. Kurz nach diesem Erlebnis taucht der Sohn ihrer Nachbarin auf. Schon die erste Begegnung sagt alles. Chris (Keanu Reeves) steht mit nacktem Oberkörper vor ihr und entblößt dabei ein riesiges Jesus-Tattoo. Es ist jedoch nicht Pippa, die Ehebruch begeht. Ihr Mann fängt mit ihrer Freundin Sandra (herrlich: Winona Ryder) etwas an. Trotz Ehedrama gibt es hier allerlei komische Momente, die den Film sicher nicht großartig, aber sicher unterhaltsam machen.

"The Private Lives of Pippa Lee": Keanu Reeves, Robin Wright Penn und Rebecca Miller

Die Pressekonferenz

Rebecca Miller hat ihren eigenen Roman verfilmt. "Beim Drehbuchschreiben habe ich es einfach fließen lassen", erzählt die Regisseurin, "ich habe mir alle Freiheiten erlaubt." Eine davon war, Pippa die Worte "die Ehe ist ein Akt des Willens" in den Mund zu legen. Ob sie selber daran glaubt? "Nun, an diesen Punkt kommt wohl jeder einmal in der Ehe. Entweder man hat den Willen, oder man lässt sich scheiden", antwortet Miller. Für die großen Lacher während des Frage-Antwort-Spiels ist eindeutig Keanu Reeves zuständig. "Wie viel von Chris in mir ist? - Ich bin Chris, und Chris bin ich", erwidert er schelmisch. Die peinliche wie unnötige Frage, was das Geheimnis von gutem schauspielerischem Können sei, rettet Reeves, indem er blitzschnell "Zucker" ruft. Robin Wright Penn erklärt Tee zu ihrem Geheimnis. Und Rebecca Miller fügt noch hinzu: "Natürlich braucht man auch Talent und muss gut zuhören können."

"Pippa Lee": die ganze Crew

Berlinale Spezial
Hermine Huntgeburth "Effi Briest"
Effi - wo bist du?

"Mit 20 stehst du da, wo andere noch mit 40 nicht sind. Ich weiß doch, dass du ein kluges Mädchen bist", sagt Effis Mutter (Juliane Köhler) zu ihrer Tochter (Julia Jentsch), nachdem Innstetten (Sebastian Koch) um deren Hand angehalten hat. Sicher war Fontanes Effi ein kluges Mädchen, und sicher ist anzuzweifeln, dass diese "Effi Briest"-Verfilmung klug, genauer gesagt nötig war. Allein schon die Musik ist so schwer und pathetisch, dass man meint, ein Roman von Hedwig Courth Mahler sei auf Zelluloid gebannt worden. Es ist alles viel zu deutlich und erdrückend: Das Innenleben von Innstettens Haus erinnert an einen reich verzierten Keller, so finster ist es, und die Geschichte um den Chinesen weicht geradezu ins Gruselgenre ab. Wobei die spitzzüngigen Geplänkel unter den Damen beim Tee durchaus ihren Unterhaltungswert haben. Darüber hinaus schwankt die Sprache der Darsteller zwischen Alltagston und gehobenen Ausdrücken allzu wahllos hin und her.

Huntgeburths Effi ist ein Plädoyer für die Freiheit, die sich eine heutige Effi nicht nur erträumt, sondern einfach nimmt. Und damit ist nicht gemeint, dass sie mit Crampas schläft, den sie nach dem ersten Mal fragt: "Ist das jetzt Liebe?" (Er antwortet: "Nein, das ist Freiheit.") Nein. Am Ende wandelt Effi völlig losgelöst von belastenden Gedanken und einem Gewissen sich selbst und der Familie gegenüber Unter den Linden in Berlin, Huntgeburths Effi, die den Schmerz, ihr Kind verloren zu haben, mal so eben wegsteckt. Eine Bibliothekarin ist sie geworden, eine unabhängige Frau. Hermine Huntgeburth hat sich alle Freiheiten herausgenommen, sie hat Fontanes Effi geradezu verstümmelt, einen Klassiker mit Banalitäten zugestopft. Es gibt Momente, die zarte Verzweiflung spüren lassen, die schön sind, wie zum Beispiel, als ihr ihre Kammerfrau nach dem ersten heimlichen Zusammenkommen mit Crampas die Haare machen will und ihr jede Berührung unerträglich ist. Und bedauerlicherweise gibt es zu viele Momente, die lächerlich sind, wo Unausgewogenheit von der Leinwand tropft und poetische Dichtung ebenso unfreiwillig komisch wird wie coole Sprüche unerträglich werden. Bei dem Versuch, eine moderne Effi zu schaffen, hätte sich die Regisseurin zwischen einer Persiflage und einer stärkeren Annäherung an das Original entscheiden müssen. Das hat sie nicht getan. Nur um Julia Jentsch nackt zu sehen, hätte es dieser Verfilmung nicht bedurft. Da gab es Vorreiterinnen, die eine viel bessere und interessantere Effi angezogen verkörpert haben.

Nach diesem Film gibt es nur eine Konsequenz: "Effi Briest" muss man lesen, nicht verfilmen.

Vierter Tag
8. Februar
Von Astrid Mathis

Wettbewerb
Adrián Biniez "Gigante"

Alles eine Frage des Betrachters

Es ist einer dieser leisen Filme, der nicht durch gewaltige Dialoge auffällt, sondern von seiner Körpersprache lebt. Wir beobachten Jara, und Jara beobachtet die Putzfrau Julia, denn irgendwas hat sie, das für ihn während seines Wachdienstes im Supermarkt interessanter ist, als Kreuzworträtsel zu lösen. Bis zu dem Tag, an dem er auf sie aufmerksam wird, war das die Lieblingsbeschäftigung des bärigen Typen im Motorhead-T-Shirt. Des Nachts verdient er sich noch Geld als Ordner in einer Disko dazu, aber alles in allem ist Jaras Leben überhaupt nicht aufregend. Ansprechen kommt für ihn trotzdem nicht in Frage. Viel lieber folgt er Julia überallhin und wird ihr Schutzengel. Ganz unaufdringlich, ganz sympathisch, ganz unauffällig. Obwohl er bei seiner Statur kaum übersehen werden kann. Und als Julia Jara plötzlich auf einem Monitor entdeckt, fühlen wir uns ebenfalls ertappt. Ein lakonischer Film mit viel Komik, der nichts zerredet und genau im richtigen Moment aufhört. Nämlich, wenn Jara und Julia das erste Mal ein Gespräch anfangen.

Wettbewerb
Lukas Moodyson "Mammoth"
Auf die Kinder, fertig, los!

Ein Film mit Gael Garcia Bernal und Michelle Williams kann eigentlich nicht schlecht sein. Oh, doch. Er kann. Jedenfalls wird er nicht gut. Alles wird am Ende nicht gut, wenngleich es wie zum Trotz danach aussieht.

Leo und Ellen haben alles. Geld, einen tollen Job, ihre achtjährige Tochter Jackie. Und sie lieben sich. Jedoch als Leo auf Geschäftsreise nach Thailand geht, gerät das Familienglück ins Wanken. Ellen ist mit ihrer Arbeit als Ärztin überfordert, sie kann den todkranken Anthony nicht retten und kommt vor lauter Verzweiflung nicht zur Ruhe. Statt dessen ist sie eifersüchtig auf das philippinische Kindermädchen, mit dem Jackie viel lieber zusammen ist. Leo lernt in Thailand währenddessen Cookie kennen. Damit nicht genug der dramatischen Verwicklungen. Die Kinderfrau hat ihre beiden Jungen bei ihrer Mutter gelassen, um in New York Geld für sie zu verdienen. Als ihr ältester Sohn missbraucht und fast zu Tode geprügelt wird, bricht sie schließlich alle Zelte ab. Zeitgleich verlässt Leo Cookie, die ebenfalls für ihr Kind das Geld heranschafft, wie sich herausstellt. Nach Leos Rückkehr behalten alle ihr kleines Geheimnis für sich, und alles sieht nach perfektem Familienglück aus. - Das ist eine Frechheit. Probleme aufwerfen und nichts reflektieren, die Figuren und den Zuschauer ins Leere laufen lassen - so ein Film hat sich die Buh-Rufe im Berlinale-Palast ganz sicher verdient.

Die Pressekonferenz

Irgendwie muss sich die allgemeine Kritik an dem Film bis zu den Schauspielern herumgesprochen haben. Zögernd betreten sie den Raum. Nur die drei mitgebrachten Kinder verbreiten sogleich eine heitere Stimmung, die negative Energie abhält. Sophie Nyweide (Jackie) erklärt, das sei bereits ihr fünfter Film und fügt hinzu: "Es war ein tolle Crew und eine großartige Arbeit."Martin Delos Santal gesteht, den Film noch nicht gesehen zu haben und sagt artig, er hoffe, dass ihn viele sehen werden und gut finden. So versöhnen sich zumindest die Schauspieler mit den Journalisten. Mehr ist nicht zu retten.

Wettbewerb
Sally Potter "Rage" (Wut)

Schocktherapie mit Farbenspiel

Am Anfang denkt jeder, das ist erst der Anfang, das wird nicht so bleiben. Doch Sally Potter zieht ihr Ding durch. Ihre Geschichte aus der Modewelt soll kein üblicher Film werden. Also bedenkt sie jeden Schauspieler mit einem Bluescreen und klatscht jedem eine andere Farbe in den Hintergrund. Am liebsten grelle Töne. Jeder Schauspieler spielt seine Figur durch, seine Sicht auf das Geschehen. Und Michelangelo hört sie sich an. Michelangelo ist Sally Potter. Was als Kurzfilm Bewunderung eingebracht hätte, ist in Spielfilmlänge eine Zumutung. Auch Judy Dench und Jude Law (als Model Minx) können daran nichts ändern. Der Film ermüdet und ist schmerzvoll für die Augen. Während zu Beginn jeder Beteiligte der Modewelt durch seine Erzählung den Charakter offenbart, den er verkörpern soll, geht nach den Morden an zwei Models alles durcheinander. Unterstützt wird das Ganze durch Hintergrundgeräusche. Schüsse fallen, Geschrei brandet auf. Nach 99 Minuten tun ganz schön die Augen weh.

Die Pressekonferenz

Wenn Sally Potter nicht schon solche großartigen Film wie "Yes" gemacht hätte, wäre an dieser Stelle angebracht zu fragen, ob wir hier auf einem Experimentalfilmfestival gelandet sind. Egal. Sally Potter ist beliebt, ergo gibt es nur sehr versöhnliche Fragen. So plaudert sie auch ganz offen aus, dass sie nie bei Drehstart das Geld für den Film habe. Bei "Rage" bekommen alle Schauspieler gar dieselbe Gage. "Der Regisseur bekommt sein Geld später", ergänzt Potter mit gesenktem Blick. Zwei Drehtage standen für jeden Schauspieler an, dann fügte sie die Teile zusammen. Einen Preis ist diese Arbeit trotz der guten Vorsätze nicht wert.
 

Dritter Tag
7. Februar
Von Astrid Mathis

Wettbewerb
Hans-Christian Schmid "Sturm"
Viel Wind im Gericht

Seinen neuesten Film "Sturm" zu nennen, das ist schon ein Wagnis. Ein Sturm bricht also los. Nur wo? Das Politdrama entspinnt sich im Gerichtssaal. Hannah Maynard (Kerry Fox) sitzt als Anklägerin seit Jahren an einem Fall, der den Oberbefehlshaber der jugoslawischen Armee Goran Duric zur Strecke bringen soll. Als ihr Hauptzeuge sich erhängt, ist dessen Schwester die einzige, die den Verbrecher zur Rechenschaft ziehen kann, doch nicht nur das hohe Gericht, sondern auch Verfechter des Anführers wollen verhindern, dass sie über die Vergewaltigungen und Morde zahlloser Frauen in Vilina Kosa aussagt. Kerry Fox verkörpert das unbestechliche Gesetz vor Gericht in Den Haag, während sich alle anderen schmieren und unterwerfen lassen. Mira (Anamaria Marinca) sagt aus, aber das Rad dreht sich weiter. Vielleicht war es nur ein Lüftchen, das Hannah Maynard ausgelöst hat. Es ist wie schon bei "The International" ein Kampf gegen Windmühlen, den die Guten zu kämpfen haben. Die Frage, wie integer ein Gericht sein kann, hängt wie dichter Nebel im Raum. Respekt dem Regisseur Hans-Christian Schmid, dass er das Thema zum Film gemacht hat, Begeisterungsstürme hat er damit trotzdem nicht geerntet.

PK Der Sturm
Kerry Fox und Hans-Christian Schmid
 

Wettbewerb
Bertrand Tavernier "In the Electric Mist"
David gegen Goliath

Überall Korruption. Auch James Lee Burkes Roman, dem der Film als Grundlage diente, kommt an dem Thema nicht vorbei. Mit Tommy Lee Jones als Gesetzeshüter Dave Robicheaux und John Goodman als Balboni konnte Tavernier schon mal nichts falsch machen. Dave Robicheaux hilft, wo er kann, und schlägt zu, wenn er muss. Er ist der Gute in diesem Spiel und unbestechlich. Babyfeet Balboni schlägt auch zu, und zwar, wann es ihm passt. Er hat Geld, und er hat seine Leute, die garantieren, dass er für keine seiner Machenschaften oder Verbrechen aufkommen muss. Die Geschichte beginnt, als Robicheaux auf zwei Mordfälle stößt, die ihm schlaflose Nächte bereiten. Der eine betrifft den Schwarzen Dewitt Prejean, der 1965 erschossen wurde. In Ketten. Bei dem anderen geht es um eine 19-jährige Prostituierte, Cherry LeBlanc, mit dem er seinen einstigen Baseballfreund Balboni in Verbindung bringt. Die merkwürdige Freundschaft, die sich zwischen dem Filmstar Elrod T. Sykes und Robicheaux während der Aufklärung der Mordfälle entwickelt, macht Platz für philosophische Gedanken und manchen Lacher. Und dann ist da noch der General, mit dem Robicheaux Gespräche führt. Ob der General notwendig war, sei dahingestellt. In die Stimmung, die der Kameramann aufbaut, und zu dem Nebel in Louisiana passt er. Spannend bleibt er bis zum Schluss. Wenn nur nicht das langgezogene Ende wäre... Das hätte der Film nicht gebraucht.
 

In the Electric Mist
Pressekonferenz
Kein Talent?

So böse sich John Goodman auf der Leinwand gegeben hatte, so zahm bestritt der Schauspieler die Pressekonferenz. "Ich hatte eine wundervolle Zeit, drei Stunden von meinem Zuhause weg in einer wundervollen Landschaft", schwärmte Goodman, "ich wünschte, ich könnte mehr machen, aber ich glaube, ich komme ins Gefängnis." Natürlich war das eine Anspielung auf den Film, in dem er am Ende sein Fett wegbekommt. Tommy Lee Jones war nicht in Berlin aufgetaucht, darum erzählte der Regisseur des Wettbewerbbeitrags ein bisschen mehr.

Zuerst lobte er die beiden Akteure: "Die Zwei zusammen sind eine wandelde Katastrophe. Wenn sie aufeinander treffen, geht sie los." Nicht nur, dass die Darsteller genau die Energie erzeugten, der Tavernier haben wollte, sie ergänzten sich auch noch neben der Arbeit wegen der Arbeit. "Tommy hat einige Szenen dazugeschrieben. Wenn Balbony seinen Bodyguard mit einer Hand gegen den Wohnwagen stößt zum Beispiel. Da sagt Balbony: Was meinst mit `kein Talent´? - Das ist von Tommy", erzählt der Regisseur. "Wir waren alle so gut vorbereitet, bevor wir ans Set kamen, dass wir höchstens drei Takes pro Szene gemacht haben." "Tommy wusste meinen Text besser als ich", plauderte Goodman zu guter Letzt noch aus. Dann ergänzte er, wie gastfreundlich Berlin sei und dass es ihn an New York der 70er Jahre erinnerte und machte sich auf den Weg zu seinen Fans, die beharrlich vor der Tür warteten.

Berlinale Spezial
Florian Gallenberger "John Rabe"

Allein, dass Gallenberger eine Lücke in unserem Geschichtswissen schließt, ist schon des Lobes wert. John Rabe ist in Vergessenheit geraten. Im Unterricht kommt bisher niemand auf Nanking im Jahre 1937 zu sprechen. Das Material , das die Morde an etwa 300000 Chinesen dokumentiert, ist weitestgehend zerstört. Allerdings schrieb John Rabe Tagebuch, und sein Enkel gab die Zusage für die Verfilmung des Stoffes. Die letzten zwei Wochen im Dezember 1937 wurden für John Rabe zum Alptraum. 27 Jahre hatte er dort mit seiner Frau Dora glücklich gelebt. Siemens hatte ihn damit beauftragt, einen Staudamm zu bauen. Er soll in die Geschichte eingehen, aber es kommt anders. John Rabe geht in die Geschichte ein.

Der Film beginnt, als ein gewisser Werner Fliess, Nazi durch und durch, Rabe abberuft. Es gibt keinen Staudamm mehr fertigzustellen. Das Hauptquartier der Japaner befindet sich 70 Kilometer entfernt von Nanking. Shanghai ist bereits in Beschlag genommen. Fliess soll das Siemens-Gelände übernehmen. "Dazu sind sie in die Partei eingetreten? Um Zimtschnecken zu essen unter dem Porträt des englischen Königs?" flucht er, als er sieht, wie die Mitarbeiter der Firma mit der politischen Situation umgehen. Die Hitlerfahne liegt noch eingepackt da. Als die ersten japanischen Flieger während Rabes Abschiedsfest das Gelände angreifen, ist sie es und John Rabes Geistesgegenwart, die Leben retten. Blitzschnell lässt Rabe die Fahne über den Köpfen ausbreiten, unter ihr kauern zitternd die Chinesen. Was tun? Einstimmig wird Rabe zum Leiter der Sicherheitszone gewählt. Und das kurz vor seiner geplanten Abreise. Er lässt Dora allein an Bord gehen und muss mit ansehen, wie das Schiff bombardiert wird. Täglich kommen mehr Menschen ins Lager. Es werden 200000. Der amerikanische Arzt Robert Wilson (Steve Buscemi), die französische Lehrerin Valerie Dupres (Anne Cosigny) und Dr. Rosen (Daniel Brühl) stehen Rabe zur Seite, auch wenn sie nicht immer einer Meinung sind. Nach zwei Wochen Hölle in der Sicherheitszone und einer Reihe beispielloser Massenmorde ist der Spuk vorbei.

Und Rabe rettet nicht nur 200000 Menschen das Leben, sondern sieht seine Frau Dora wieder, die das Unglück in Shanghai überlebte.
Trotz Dokumentationssplitter ist der Film kaum sperrig und erzählt packend, nicht reißerisch, was sich abgespielt hat und abgespielt haben könnte. Ulrich Tukur lässt John Rabes patriarchische Art ebenso aufblitzen wie seinen trockenen Humor und nicht zuletzt sein Helfersyndrom, das ihn zu Nankings Volkshelden macht. Dagmar Manzel gibt eine Dora Rabe, die absolut überzeugend ist. Auch wenn das Thema schwer verdaulich ist, sollte der Film ein Muss für jeden Kinogänger sein.

Zweiter Tag
6. Februar
Von Astrid Mathis

Wettbewerb
Stephen Daldry "Der Vorleser"
Erst lesen, dann lieben

Hut ab! Regisseur Stephen Daldry (The Hours) ist etwas gelungen, an dem viele seiner Kollegen scheitern. Er hat Literatur verfilmt und das so gut, dass sein Film der Romanvorlage nicht unterliegt, mehr noch, er dem Roman eine eigene Note verleiht und dieser dennoch beinahe werkgetreu in Szene gesetzt ist. Doch was wäre der Film ohne Kate Winslet als Hanna Schmitz und David Kross als Michael Berg? Nichts. Man hätte ihn lassen können. Nein, müssen!

Die Geschichte beginnt anders als im Buch, mit Michael Berg (Ralf Fiennes) im Jahre 1995. Er ist Anwalt, seine Tochter, die im Roman eher am Rande erwähnt wird, zeichnet einen in der Ehe gescheiterten Mann, der sich niemandem gegenüber öffnet. Aber Michael war nicht immer so verschlossen. In Rückblenden nimmt Daldry den Zuschauer auf eine Reise mit, die eine andere Zeit, einen anderen Michael verhieß. Es war die Zeit der Liebe. Wir schreiben das Jahr 1958. Michael ist 15 Jahre alt und wohnt mit seiner Familie in Neustadt ein unspektakuläres Leben, bis er sich eines Tages wegen Scharlach im Durchgang eines Hauses übergibt. Das Haus, in dem Hanna lebt, die gerade von der Arbeit kommt. In ihrer praktischen Art macht sie ihn sauber und bringt ihn bis vor seine Tür. Als sich Michael Monate später mit Blumen bedankt, bügelt Hanna ihre BHs, streift sich lange Nylonstrümpfe über . So fängt es an. Es geschieht das Wunderbare, Michael verliebt sich in sie, eine Frau, die mehr als doppelt so alt ist wie er, von der er nicht weiß, dass sie früher Aufseherin im Konzentrationslager war und die in seinen Armen ihre schroffe Art ablegen wird.

Von vornherein ist klar, sie können einander nicht entrinnen. Der Weg von der Schule nach Hause endet mit Lektionen in Sachen Liebe. Ganz selbstverständlich, aber immer aufregend und mit Baden davor. Schließlich bestimmt Hanna eine neue Reihenfolge - erst lesen, dann lieben. Michael wird ihr Vorleser, von Lessing bis Mark Twain, regelmäßig präsentiert er ihr ein neues Buch. Doch auf einmal verschwindet Hanna. Erst acht Jahre später sieht Michael seine große Liebe wieder - im Gerichtssaal. Hanna muss für ihre Taten als Aufseherin während der NS-Zeit Verantwortung übernehmen, denn sie war dabei, als 300 Frauen in einer Kirche verbrannten, weil die Türen nicht geöffnet wurden. Michael ist Jurastudent und sieht sich mit einem Fall konfrontiert, der einen Schockzustand in ihm auslöst. Wen hatte er da geliebt? Liegt die Schuld ganz klar bei Hanna? Hanna, die durch eine hinreißende Kate Winslet so menschlich und sympathisch geworden ist, die Kriegsverbrecher in ein anderes Licht rückt, ohne zu heroisieren. "Ich war für sie verantwortlich. Es ist egal, was ich denke. Die Toten sind tot", sagt sie vor Gericht aus. Sie wird nicht nur beschuldigt, den Tod von 300 Frauen auf dem Gewissen, sondern auch die Schwachen begünstigt zu haben, bevor sie getötet wurden. Sie mussten ihr vorlesen. Als Hanna sogar auf sich nimmt, den Bericht über jene Nacht des Brandes verfasst zu haben, um der Schriftprobe auszuweichen, fällt es Michael wie Schuppen von den Augen - Hanna kann nicht lesen. Die Schuld ist der Scham unterlegen. Hin- und hergerissen, ob er es dem Gericht sagen und Hanna entlasten soll, wendet er sich an seinen Professor anstelle an seinen Vater wie im Roman. Und behält Stillschweigen über sein Wissen.

Hanna kommt ins Gefängnis. Irgendwann beginnt Michael, ihr Kassetten aufzunehmen mit all den literarischen Werken, die sie liebte, und mehr. Eigenen Texten. Sie fängt an, ihm kleine Briefe zu schreiben, die unbeantwortet bleiben. Da weiß er noch nicht, dass sie sich am Tag ihrer Freilassung nach 20 Jahren in ihrer Zelle erhängen wird, während er mit Blumen am Tor auf sie wartet. Später steht Michael vor ihrem Grab und erzählt seiner Tochter von seiner Beziehung zu ihr. Das ist Dichtung à la Daldry und ein Schluss, mit dem es sich auch leben lässt.

David Kross und Kate Winslet

Nun kann man über die Rückblenden streiten, wie man will. Daldry hätte die chronologische Reihenfolge einhalten können, und es wäre vielleicht genauso ein guter Film geworden. Das Aufblitzen des Michael Berg in den 90er Jahren hindert den Zuschauer jedenfalls nicht daran, in das Geschehen hineingezogen und berührt zu werden. Das liegt zweifelsfrei an dem Spiel der Hauptdarsteller. Unglaublich, was sie auf die Leinwand zaubern, welche Atmosphäre sie aufzubauen vermögen. Die Luft im Kinosaal knistert. Bei Kate Winslet und David Kross stimmt einfach alles. Sie kann ihr Gesicht mit einer Eisschicht überziehen und im nächsten Moment so eine Wärme ausstrahlen, als würde ein Kamin angezündet. Und er gibt mal den heißhungrigen Draufgänger, mal den ehrgeizigen Vorleser, und dann wieder bricht er, aus Angst, sie zu verlieren, in Tränen aus wie ein Kind, das mit der Situation überfordert ist. Die Intensität und Konzentration beim Spiel beider Darsteller ziehen das Publikum gleichermaßen in seinen Bann, wie es der Roman vermag. Das macht die Geschichte so glaubwürdig und faszinierend. Ein klasse Film.

Der Vorleser - das ganze Team

Die Pressekonferenz
Da war noch was von Liebe

Nein, David Kross wird nicht zum hundertsten Mal gefragt, wie es war, Sexszenen mit Kate Winslet zu drehen. Mit seinem schwarz-rot karierten Holzfällerhemd sitzt er neben einer dezent geschminkten Frau in Grau-Schwarz-Kombination und guckt sich in Ruhe die Journalisten an, beißt sich auf die Lippen. Kate Winslet muss zuerst Rede und Antwort stehen und redet nicht über Sex. Sie erklärt: "Ich wollte das Buch ehren. Hanna lernt über ihre Schuld. Ich hatte das Gefühl, zeigen zu müssen, dass sie eine Figur voller Verletzlichkeit, Wärme und Mut ist."

"Sie haben mit einem Schauspieler gedreht, der ein bisschen jünger ist als sie", bricht nun doch ein Journalist das Schweigen und erntet allgemeines Gelächter. "David ist ja schon 18 und war extrem professionell. Wir hatten viel Spaß", erwidert die Schauspielerin ohne viel Schnörkel. Ralph Fiennes bekommt dafür eine analytische Frage ab: "Was denken Sie, warum Michael ihr nie schreibt?" - "Er ist traumatisiert. Er kann sie nicht verlieren, und gleichzeitig will er keine Intimität, braucht er die Distanz." Bernhard Schlink, der Autor des Buches kommt nicht umhin, ebenfalls zu dem beharrlichen Schweigen Stellung zu beziehen: "Es ist gut, einen Schauspieler zu haben, der so gut zeigen kann, was man gemeint hat. - Da ist auch noch was von Liebe, aber er kann sich Hanna nicht mehr nähern." Und wo der Autor schon mal Platz genommen hat, soll er sich gleich noch dazu äußern, ob sich das Buch in irgendeiner Weise auf persönliche Erfahrungen berufe. Mit Bedacht wählt Schlink seine Worte und formuliert dann trocken: "Jedes Buch ist auf persönliche Erfahrungen gebaut, also auch dieses." Erstaunlich wenig Fragen gehen an den jungen Schauspieler David Kross. Lediglich, wie er sich mit dem Geschichtsstoff beschäftigt habe, will jemand wissen. Dafür spricht ein anderer Journalist KateWinslet darauf an, dass sie derzeit nur noch nackt zu sehen sei. Die erfolgreiche Britin hat die Frage schon zu oft beantworten müssen, als dass sie dadurch ins Wanken geraten könnte, und sie sagt einfach: "Das ist Teil meines Jobs."

Nach 40 Minuten Pressekonferenz verlassen Darsteller und Regisseur eilig das Gebäude, nehmen sich allerdings noch ein paar Minuten Zeit für Autogramme, bevor sie in die Limousinen steigen.

Nach der PK gab Stephen Daldry den kreischenden Fans Autogramme.
Zeit zu rauchen hatte er nebenbei auch noch.
 

Wettbewerb
Franzois Ozon "Ricky"
Ein Engel auf Erden

Auf der Berlinale gibt es immer wenigstens einen völlig durchgeknallten Film. Dieses Mal kommt er von Francois Ozon, und wir haben ihn schon hinter uns. Man könnte ihn durchaus als märchenhaftes Sozialdrama bezeichnen. Dabei beginnt er ganz harmlos. Die alleinstehende Mutter Katie verliebt sich auf der Arbeit in ihren Kollegen Paco. Eigentlich ist Sex auf dem Klo bei der ersten Begegnung nicht ihr Ding. Sie machen es trotzdem, und weil es beiden ernst ist, zieht der Spanier zu Katie und ihrer Tochter Lisa. Aus der Liebe erwächst ein Baby. Und was für eins. Lisa darf den Namen auswählen und nennt ihn Ricky. Als Paco auf Ricky aufpassen soll und Katie Blutergüsse auf dessen Rücken feststellt, verdächtigt sie Paco, ihn zu misshandeln. Daraufhin verlässt dieser wütend die Wohnung. Schließlich hat er keinen Grund, sich schuldig zu fühlen. Seine Unschuld sieht auch Katie ein, als Ricky tags darauf Flügel aus dem Rücken wachsen. Erst nackte, die sehr an Hähnchenschenkel erinnern. Dann bilden sich Federn. Und wie ein junger Vogel, startet Ricky seine ersten Flugversuche, kracht gegen die Fensterscheibe und landet auf dem Schrank. Katie besorgt Helm und Knieschützer und will auf jeden Fall verhindern, dass jemand davon erfährt. Kann sie ihn im Kinderbett noch durch eine Decke zurückhalten, fliegt er ihr im Supermarkt davon. Eine gelungene Lachnummer. Lisa, von jeher von Flügeln angetan, umsorgt ihren Bruder und muss sich wenig später damit abfinden, dass Paco wieder vor der Tür steht, auf den sie ohnehin schon eifersüchtig war. Nachdem das Geheimnis um Rickys Flugeigenschaften durch den Ausflug im Supermarkt heraus ist, sieht sich die junge Familie nun täglich Reportern gegenüber. Es bleibt nur eine Lösung. Angriff ist die beste Verteidigung, und sie führen Ricky vor - der sich frei macht und losfliegt. Am Ende des Films ist Katie wieder schwanger. Was da wohl rauskommt?

Nun lässt sich das von einem Drama in eine Phantasie-Komödie umkippende Werk als Parabel sehen für die Geschichte aller Patchworkfamilien, die ein besonderes Kind bekommen. Ein Kind, das besonders sein und das Glück besiegeln soll. Doch im Leben ist es nicht so und bei Ozon erst recht nicht. Die Familie gerät genauso an ihre Grenzen wie jede andere Familie. Der Engel auf Erden kann die Erwartungen der Eltern nicht erfüllen und keine Probleme lösen. Vielleicht warnt der Film aber auch einfach nur davor, Sex im Chemielabor zu haben, denn daraus erwachsen offenbar Babys mit Flügeln.

Retrospektive "Ben Hur"
No water for him!

Bevor William Wyler sich 1958 bis 1959 des biblischen Stoffes von Judah Ben Hur annahm, gab es schon ein paar stumme Verfilmungen. Er hielt das Angebot für einen Witz, so erzählte am Freitag dessen Tochter Catherine Wyler, und hatte nicht die Absicht, für die MGM-Studios ein solches Mammutprojekt auf die Beine zu stellen. Er tat es dennoch. Eine Restrospektive mit 70 Millimeter-Filmen ohne "Ben Hur" wäre für die Berlinale unvorstellbar gewesen. Ohne Catherine Wyler hätte sich die Berlinale außerdem um einige witzige Anekdoten gebracht. Das Überleben von MGM war abhängig von diesem Schinken und William Wyler nicht gerade einer der schnellsten Regisseure, verriet Wyler. Einmal kamen die Produzenten vorbei und sahen sich zwei Wochen später derselben Szenerie gegenüber. Kein Wunder, dass die Geldgeber beunruhigt waren. Am Ende kassierte der Streifen elf Oscars, und das Wagenrennen zwischen Charlton Heston und Stephen Boyd ging in die Filmgeschichte ein. Allein 300 Settings gab es in Rom. Alle Actionszenen wurden live gedreht, und von Spezialeffekten wusste man damals noch nichts. Der lange Dreh ließ die Familie nicht unberührt, und ein paar Zeilen aus dem Film wurden fortan regelmäßig angebracht. Wenn eines der vier Wyler-Kinder Ärger gemacht hatte, hieß es fortan: "No water for him!" (Für ihn kein Wasser!) Eine Anspielung auf die Szene, in der ein Aufseher in der Wüste verbietet, Ben Hur Wasser zu geben, bis Jesus erscheint und den Befehlsheber ehrfürchtig zurücktreten lässt. - Und wenn eines der Wyler-Kinder die Hausaufgaben nicht machen wollte, fiel der Spruch: "Back to your row, 41!" (Zurück zu deinem Ruder, 41!) Dass die Zuschauer bei den genannten Szenen in Gelächter ausbrachen, dürfte für Catherine Wyler sicher keine Überraschung gewesen sein. "Ben Hur" im International auf Großleinwand war in jedem Fall eine Augenweide.

Erster Tag
5. Februar 2009
Von Astrid Mathis

Es ist angerichtet! Festivalleiter Dieter Kosslick präsentiert das erste Berlinale Pflaster.

Tilda Swinton: Fragen Sie in 10 Tagen noch mal nach!
Die unglaublichen Sieben

Intelligent soll sie sein, kritisch und vielschichtig, politisch interessiert, lebens-, vor allem aber filmerfahren, die Jury der Berlinale. Und tatsächlich, die diesjährige Jury bringt einiges mit, was sich lange Zeit vermissen ließ. Auf der Pressekonferenz am Donnerstagvormittag untermauerten die sieben Juroren ihr vermutetes Potenzial und zeigten sich sowohl von ihrer ernsthaften, als auch auch von ihrer witzigen Seite. Der schwedische Bestsellerautor Henning Mankell machte gleich den Anfang: "Niemand redet über die Ärmsten der Armen. Darum bin ICH doch hier. Nicht, weil ich Berlin so mag, wobei das auch stimmt, aber dazu später."

Jury-Präsidentin Tilda Swinton, die Oscar prämierte Schauspielerin mit Wahl-Wohnsitz in Schottland, dürfte Berlin ebenfalls sehr mögen, kennt sie sich doch bestens in der Hauptstadt aus und noch besser auf dem Festival. Im Forum und im Panorama war sie seit 1986 (als sie mit Derek Jarman und "Caravaggio" kam) mehrmals vertreten, im letzten Jahr stellte sie hier ihren Film "Julia" vor. Als Jury-Präsidentin kehrt sie nun zurück und soll den Vertretern der schreibenden Zunft zunächst verraten, mit welchen Erwartungen sie in das Festival geht. "Ich habe absolut keine Erwartungen, das ist wohl der beste Start für ein Festival. Wir sind alle sehr verschieden und werden tolle Gespräche haben. The magnificent Seven", beschreibt die Schauspielerin ihr Berlinale-Gefühl. "Wir haben uns gleich gut verstanden", sagt dann auch Theater- und Filmregisseur Christoph Schlingensief und ergänzt lin locker-sachlichem Tonfall: "Wir haben noch keine Nacht durchgesoffen, aber es wird sicher dazu kommen." Er freut sich, an seiner Seite den afrikanischen Drehbuchautor und Regisseur Gaston Kaboré zu wissen, denn schließlich schwebt ihm ein Projekt in Afrika vor, das verwirklicht werden will, Fürsprecher und erfahrene Filmemacher braucht. Das Tragische am afrikanischen Kino sei leider, so verriet Kaboré, dass die afrikanischen Filme nicht in Afrika zu sehen seien. Eine Tragik, zu der Regisseur Wayne Wang aus Hongkong sofort eine Lösung parat hat: "Es gibt jetzt diese Flip-Kameras, mit der jeder Filme drehen kann. Die können zeigen, was wirklich in Afrika los ist, was die Geschichte der Menschen ist. Jeder kann seinen eigenen Film machen."

Ernste Fragen, ernste Gesichter
In der Jury: Christoph Schlingensief, Tilda Swinton und Henning Mankell

Aber noch einmal zurück zur Rolle der Jury. Und ihren Kriterien. - Es gibt keine, keine, die beweisen, dass ein Film gut ist, stellt Tilda Swinton klar und ergänzt: "Wir picken nur ein paar Rosen heraus und empfehlen sie. Ich glaube, so einfach ist es. Wir können nur sagen, was unsere Herzen angesprochen hat." Selbstverständlich kommt eine Jury-Präsidentin nicht um die Frage, was sie von dem deutschen Kino halte, herum, und prompt wird sie serviert. "Fragen Sie mich in zehn Tagen noch mal!" ist Swintons kurze und bündige Antwort.

Obwohl die Jury-Präsidentin um keinen Kommentar verlegen scheint, gerät sie am Ende doch einmal gehörig ins Schweigen. "Retrospektive - bigger than Life" - die Filmreihe widmet sich den 70 mm-Filmen. "Bigger than Life? Was machen wir denn dann hier", ist Swintons erster Gedanke. Auf das Motto angesprochen, weiß Henning Mankell sogleich Stellung zu beziehen und erklärt: "Nichts ist größer als das Leben, aber wenn wir in einem Film Kunst, etwas Kunstvolles, entdecken, dann ist das etwas, was uns bis zum Ende unseres Lebens begleitet." Als Tilda Swinton ihre Sprache wiedergefunden hat, führt sie den Gedanken über das Kino fort: "Wenn wir einen Film sehen, sind wir manchmal erstaunt, wieviel der Film mit uns persönlich zu tun hat, mit unserem Leben."

Aus dem Schnee kommen und im Kino in Tiefschlaf fallen, das verbindet das Jury-Oberhaupt allerdings auch mit dem Filmfestival in Berlin. Hoffen wir, dass die Wettbewerbsfilme für Tiefschlaf keinen Anlass geben.

Pressekonferenz Jury
Christoph Schlingensief und Tilda Swinton bekamen auf der Pressekonferenz die meisten Fragen ab.

Tom Tykwer "The International"
Thema ist doch nicht die Bankkrise!

Nun ein Thriller. Einer, der das Publikum noch überraschen kann, denn es ist schon verwöhnt, und es gab in den letzten Jahren so allerhand Erstaunliches im Kino, das erst einmal überboten werden will. Tom Tykwer hat es nicht leicht mit seinem Thriller. Gutes Timing oder schlechtes Timing oder sogar perfektes Timing? Banken und Waffengeschäfte und das Ganze dazu verknüpft, kurz: schmutziges Geld, verspieltes Geld von Banken, das wäre vor einiger Zeit ein Kracher gewesen. Jetzt, nachdem das Thema Finanzkrise längst auf den Tisch geknallt ist und korrupte Bankhaie im alltäglichen Sprachgebrauch kein Tabuwort mehr darstellen, wirkt der Eröffnungsfilm nicht mehr kryptisch, ist das Thema nicht mehr skandalös. Dafür kann ja Tom Tykwer nichts. Dennoch ist er um den Überraschungseffekt gebracht. Und dass der Produzent schon vor acht Jahren mit der Arbeit für den Film anfing und Tykwer vor sechs Jahren in das Boot stieg, ist für die Wirkung auf den Zuschauer unerheblich, beweist allerdings hellseherische Fähigkeiten. Wirklich schade.

Wer ist wessen alter ego? Clive Owen und Tom Tykwer im Vergleich

Die Suche nach Gerechtigkeit führt Agent Louis Salinger von Interpol, gespielt von Clive Owen, in eine Sackgasse. Angefangen mit der Aufklärung des Mordes an seinem Kollegen bis hin zum Kooperieren mit seinen Gegnern. Er kommt weiter, er kann sogar Unfassbares aufdecken, doch es nutzt nichts, Feinde auf seine Seite ziehen. Manchmal begegnen wir dem Schicksal eben dann, wenn wir versuchen, ihm zu entrinnen. Der Film birgt eine Vielzahl solcher Weisheiten, philosophischer Exkurse, wie sie Armin Müller-Stahl und Clive Owen zum besten geben. Allein, es nutzt nichts. "The International" hat zwar Spannung und einen sehenswerten Showdown im Guggenheim-Museum, bei dem allerlei zu Bruch geht, weshalb das Museum auch in Babelsberg nachgebaut wurde, er trägt auch eindeutig Tykwers Handschrift, der ihn auf unverkennbare Art besonders macht, doch sie reicht nicht, ihn zu einem Kinoereignis werden zu lassen, das seinesgleichen sucht.

Wollen wir abstimmen?
Clive Owen, Tom Tykwer und Armin Müller-Stahl

Ähnlichkeiten zwischen seinem Leben und dem aktuellen Film, so was verbittet sich Tom Tykwer. Er ist ja schließlich nicht hinter Banken her. Dafür lenkt er nach kurzer Diskussion ein, ob er künftig auf Englisch oder Deutsch antworten solle: "Wollen wir abstimmen? - Ich antworte einfach in der Sprache, in der mir die Frage gestellt wird." - "Wird schwierig bei Chinesisch", wirft daraufhin Schauspieler Ulrich Thomsen ein, womit schon mal klar ist, dass die Pressekonferenz den Unterhaltungswert des Filmes bei weitem übertreffen kann.

Ein eigentümliches Phänomen sei bei Tom Tykwer nichtsdestotrotz festzustellen, behauptet ein Journalist. Ulrich Matthes in "Winterschläfer", da habe es schon Parallelen gegeben.Und da ist es wieder, das Thema mit der Ähnlichkeit. Also raus mit der Sprache, die Suche nach dem Hauptdarsteller, ist das nicht Suche nach sich selbst? "Man sucht immer eine Projektionsfläche für einen selbst", erklärt Tykwer nun geradeheraus, "allerdings weiß ich nicht, wer sich wem mehr annähert in einer Produktion. In Partnerschaften ist es ja schon so. Die Leute in meinem Bekanntenkreis sehen sich manchmal so ähnlich, da weiß man nicht mehr, wer Männlein und wer Weiblein..." Tykwer winkt ab und lacht. Das würde wohl zu weit führen mit den Ausführungen. Deshalb geht´s als nächstes um die Bank. Keiner stelle sich hin und behaupte, die Bank sei "evil" (teuflisch), erklärt der Regisseur, sie passe letztendlich auf unser Geld auf, und das habe durchaus sein Gutes. Und Thema sei eben nicht die Bankkrise, sondern dass das System in Frage zu stellen ist. Haben wir ab jetzt mehr Thriller von Tom Tykwer zu erwarten, will ein Journalist wissen. Wonach wählt ein Tom Tykwer sein nächstes Genre aus? "Zunächst mal muss der Hauptdarsteller wie ich aussehen", beginnt Tykwer grinsend. Nein, nein, wichtig sei, darin zu versinken, im Stoff, eine Energie für den Film entwickeln zu können; um es anders zu beschreiben, er will sich in die Atmosphäre verlieben, angezogen sein von dem Thema. Er geht jedenfalls nicht davon aus, in welcher Stadt er einmal drehen wolle, das Setting auszuwählen. Wobei Clive Owen dem Regisseur ungeachtet dessen dankbar ist, den Dreh auf den Dächern Istambuls angesetzt zu haben, da ihm Istambul sehr gefalle. Dass sich der Schauspieler derzeit auf ums Überleben kämpfende Charaktere spezialisiert hat, sei eher zufällig passiert. Nein, ein besserer James Bond sei er nicht, als er danach gefragt wird. "Zumindest habe ich bei Salinger nicht an James Bond gedacht."

Armin Müller-Stahl wiederum weiß auch, auf welchen Typus er des öfteren festgelegt wurde und erzählt zum Abschluss eine Anekdote. Während der Dreharbeiten zu "Die zwölf Geschworenen" mit Jack Lemmon hatten sie einmal über Wirklichkeit und Film diskutiert. Lemmon soll gesagt haben: "Mein Leben im Film ist viel schöner als mein wirkliches Leben: Ich kann besoffen sein, meine Frau schlagen, die Möbel zerschlagen, und niemand bestraft mich. Und du, Armin? - Das kann ich nicht sagen. Ich bin zu viel in meinen Filmen erschossen worden."

 

 

© POTZDAM 2009