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Astrid Mathis
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Alles auf Anfang
Abschlussfilm "Be Kind Rewind - Abgedreht"
Was hat sich Regisseur Michel Gondry ("Vergissmeinnicht",
"Science of Sleep") da bloß wieder einfallen
lassen, um unsere eingeschlafene Phantasiewelt zu wecken?!
Man muss wohl schon so einen durchgeknallten Eindruck machen
können wie Jack Black, um eine Rolle wie Jerry glaubhaft
zu spielen. Der stolpert von einer Katastrophe in die nächste.
Mr. Fletcher (Danny Glover), dem die Videothek "Be kind
rewind" in Passaic/New Jersey gehört, weiß
das. Deshalb verreist er auch nicht, ohne Mike (Mos Def) zu
bitten, auf keinen Fall seinen besten Freund Jerry in die
Videothek zu lassen. Doch alle Warnungen sind umsonst. Nachdem
Jerry eines Nachts versucht hat, das Kraftwerk zu sabotieren,
ist er so magnetisch aufgeladen, dass mit seinem Betreten
der Videothek sämtliche VHS-Kassetten schlagartig gelöscht
werden. Und Mrs. Falewicz (Mia Farrow), die eine Freundin
Mr. Fletchers ist, will in wenigen Stunden "Ghostbusters"
abholen. Was tun? Nirgendwo ist dieses Video aufzutreiben.
"Ich bin Bill Murray. Du bist alle anderen", heißt
es plötzlich. Dann geht es los. Sie drehen "Rush
Hour 2" und "Miss Daisy und ihr Chauffeur",
"King Kong" und "The Lion King". Bald
hilft die gesamte Nachbarschaft, die Filme neu zu erfinden.
Drehen können sie natürlich nur, was ihnen im Gedächtnis
geblieben ist.
Nun könnte es ja theoretisch langweilig werden, Jerry
beim Regieführen zuzusehen, aber Michel Gondry ist Meister
der Kreativität und genialen Einfälle und bis zum
Schluss für eine Überraschung gut. Er zelebriert
den Spaß am Filmemachen und das mit einfachsten Mitteln.
So erinnert Gondry leicht an die Zeit mit Charlie Chaplin,
die Anfänge des Kinos, und führt uns vor Augen,
dass Filme die Gemeinschaft fördern und nicht zwangsläufig
einsam machen. Und ganz nebenbei bringt er eine Liebeserklärung
an den eigentlichen Star des Jazz Fats Waller unter.
Filmemachen kann also jeder. Man muss es einfach nur tun.
Gegen den Strom
Vier Männer und zwei Frauen in der Wettbewerbsjury -
was soll dabei nur herauskommen? Alle Filme, die auch nur
halbwegs als Kandidat für den Goldenen Bären in
Erwägung gezogen wurden, waren für die Jury als
Gewinner anscheinend uninteressant. Man muss offensichtlich
überraschen, gegen den Strom schwimmen, gegen die Kritiker
entscheiden. Nachdem Marianne Faithfull im Vorjahr mit "Irina
Palm" unverdient leer ausgegangen war, hätte sich
eigentlich niemand mehr über die Berlinale-Jury wundern
dürfen. Jedoch eins muss man ihr lassen. Die Wunschpreisträger
der Presse bekamen auch etwas vom großen Kuchen ab.
"Wir haben 230000 Karten verkauft. Wer sagt, Kino hätte
keine Zukunft, soll nachher zu mir rauskommen", begann
Festival-Chef Dieter Kosslick die Preisverleihung, um im Anschluss
einen seiner Lieblingswitze anzubringen.
Reza Najie war so sprachlos, den silbernen Bären als
bester Darsteller in dem Film "Song of Sparrows"
zu erhalten, dass er seinem "Land und den geliebten iranischen
Kindern" den Preis widmete und dann schnell verstummte.
Sally Hawkins am roten Teppich
Erleichtertes Aufatmen, als Sally Hawkins den silbernen Bären
für ihre Hauptrolle in "Happy-Go-Lucky" bekommt.
Sie erwarte wirklich nichts, hatte sie am roten Teppich betont.
Es sei schon eine Ehre, bei der Berlinale überhaupt dabei
zu sein. Später auf der Pressekonferenz meinte sie noch
immer, ihr würden die Beine versagen, sie könnte
ihre Freude gar nicht ausdrücken. Der Regisseur Mike
Leigh wäre so stolz auf den Preis, dass sie ihm gar nicht
genug danken könnte. "Ich nehme den Bären heute
mit ins Bett", versprach sie lachend. "I´m
a happy and lucky lady."
Sally Hawkins im Interview
Für das beste Drehbuch wurde Wang Xiaoshuai für
"In love we trust" prämiert. Auch er hatte
ein Wortspiel parat: "I love you and thank you for trusting
me."
Am wenigsten vorbereitet wirkte der Japaner Kumasaka Izuru,
der den Preis für den besten Erstlingsfilm ("Asyl
- Park and Love Hotel") absahnte. Mit zerschlissener
Jeans und strubbeligen langen Haaren stand er da und entschuldigte
sich für seine Kleidung. Er hatte sich einfach nicht
vorstellen können, einen Preis zu gewinnen. Aber er "möchte
noch viele gute Filme machen, um diese wunderschöne Stadt
zu beglücken". Beim nächsten Mal klappt´s
dann auch mit der Abendgarderobe.
Dass Paul Thomas Anderson nicht noch einmal nach Berlin zurückkehrt,
ohne einen Preis mit nach Hause zu nehmen, hatten sich alle
gedacht. Sein Film "There Will Be Blood" musste
gewinnen. Wenn also Daniel Day-Lewis nicht zum besten Darsteller
gekürt wurde, blieb doch nur der goldene Bär. Man
kann ja schließlich nicht amerikanische Stars anlocken,
die sogar für den Oscar nominiert werden, und sie dann
mit guten Kritiken abspeisen. Die Jury hatte sich anders entschieden.
Zu gut, um den Film nicht zu bedenken, vergab sie an "There
Will Be Blood" den silbernen Bären für die
beste Regie und die beste künstlerische Leistung (in
diesem Fall die Filmmusik). Paul Thomas Anderson: "Daniel
Day-Lewis macht jeden Regisseur zu einem guten Regisseur."
Auf der Pressekonferenz empfing man ihn wie den Gewinner des
goldenen Bären. Er wurde auch am meisten gefragt. Zum
Beispiel, ob sein Film die Welt verändern könnte.
"Ja!" antwortete Anderson lachend, um dann hinzuzufügen,
"nun ja, er kann mich glücklich machen, zumindest
eine Nacht".
"Dieser Film ist in Zusammenarbeit mit Disney/Miramax
entstanden. Wieso?" will eine chinesische Journalistin
wissen. "Ich denke, weil sie Geld machen wollten."
Und wie steht Anderson zu Plainview? Könnte er mit so
jemandem befreundet sein? "Im Moment bin ich so glücklich,
so voller Champagner, ich könnte mit jedem befreundet
sein..."
Errol Morris im Interview
Die Dokumentation von Errol Morris, "Standing Operating
Procedure", hatte schon im Vorfeld wegen seiner nachgestellten
Szenen jede Menge Diskussionsstoff geboten. Dabei ging es
vor allem um das wie und nicht darum, dass es nachgestellt
wurde. Als Gewinner des Großen Preises der Jury überschlugen
sich die Kritikerstimmen nun geradezu. Besonders der Stil
der Dokumentation, eine Mischung aus Kiefer Sutherlands Serie
"24" vielleicht und Wim Wenders Kunstfilmelementen,
hatte Anlass zur Ablehnung gegeben. Ja, ja, dass Errol Morris
in Amerika ein angesehener Dokumentarfilmer ist, weiß
man. Und warum soll Amerika bei der Berlinale nicht einmal
gleich mehrere Preise mit nach Hause nehmen? Aber muss es
für "Standing Operating Procedure" sein? In
der Dokumentation geht es um den Folterskandal von Abu Ghraib.
Aus Fotos, Interviews und nachgestellten Szenen hat Morris
einen Film gemacht, der zeigt, wie US-Soldaten und -Soldatinnen
Iraker erniedrigen. Errol Morris: "Dokumentarfilme bilden
die Wirklichkeit nicht ab. Sie haben aber eine enge, komplizierte
Beziehung zu ihr." Wenn der Film durch den Preis ein
größeres Publikum gewinnen und alle möglichen
Gedanken in uns zu diesem Thema hervorrufen kann, sei das
schon eine gute Sache.
Roter Berlinale-Schal, graue Berlinale-Mütze. José
Padilha (Brasilien) ist bestens auf die Berlinale eingestellt.
Es ist ja auch seine Berlinale. Mit "Tropa de Elite"
siegt er überraschend. Applaus kommt nur zögerlich
auf. Eigentlich sollte Padilhas Drama eine Dokumentation über
die Spezialeinheit BOPE (Anti-Drogenpolizei) werden, die erzählt,
wie Straßenkinder zu Kriminellen und Polizisten zu korrupten,
gewalttätigen Menschen werden. Doch die brasilianische
Polizei wollte sich nicht so tief in die Karten sehen lassen.
Schauplatz ist Rio de Janeiro 1997 kurz vor dem Papstbesuch.
In den Favelas regieren die Gangs der Drogendealer. Die Polizei
lässt sich schmieren. Allein die Polizei-Elitetruppe
von Nascimento sorgt für Ordnung und drillt sich selbst
bis aufs Blut. Rasant und mit einer Musik, die an Fernseh-Reißer
erinnert, ist der Streifen. Verherrlichung der Polizeigewalt
wird Padilha vorgeworfen. Die BOPE wollte den Film verbieten
lassen, von den Zuschauern wird er in Brasilien gefeiert.
Drei Monate vor dem Kinostart wurde eine Kopie des Films gestohlen.
Millionen sahen ihn auf illegal gebrannten DVDs.
Viel wollten die Journalisten von Padilha nicht mehr wissen.
Die meisten hatten den PK-Raum bereits verlassen.
Michael Ballhaus am roten Teppich:
"Na, es steht doch schon fest, dass There Will Be
Blood gewinnt, oder?"
Quintessenz
Warum habe ich im vergangenen Jahr eigentlich so viel gemeckert?
Ach ja, ich konnte nicht ahnen, dass 2008 ein noch schlechteres
Filmjahr werden würde. Manches nicht mal Mittelmaß.
Nach 46 Filmen darf man sich so eine Bemerkung erlauben. Wenigstens
ist die Berlinale dem Ruf des politischen Filmfestivals wieder
einmal gerecht geworden. Das muss den Berlinale-Chef zufrieden
stimmen.
Im Wettbewerb warteten nur wenige Lichtblicke, und die Sektion
Perspektive Deutsches Kino ließ solche Juwele wie "Alle
Alle" vermissen. Mal abgesehen von dem enttäuschenden
Kurzfilmwettbewerb. Ein paar echte Goldstücke gab es
allerdings auf dem Festival:
Wettbewerb
Song of Sparrows
Happy-Go-Lucky
There Will Be Blood
Panorama
Lemon Tree
Dream Boy
Rusalka
Dokumentationen
Jesus Christus Erlöser
Erika Rabau - der Puck von Berlin
Berlinale Special
Trip to Asia - Die Suche nach dem Einklang
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Von
Astrid Mathis
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Ein ungleiches Paar
Wettbewerb "The Other Boleyn Girl - Die Schwester
der Königin" (außer Konkurrenz)
Ein Anfang wie aus dem Bilderbuch. England. 16. Jahrhundert.
Drei Kinder laufen über ein sonnendurchflutetes Feld
und spielen fangen. Doch während sie glücklich herumtollen,
werden Zukunftspläne geschmiedet, wird ihr Schicksal
besiegelt. Vater und Onkel wollen der Familie zum Aufstieg
verhelfen, und wer dafür wen heiratet, bestimmen sie.
Eine der Töchter im Bett des Königs zu wissen, wäre
natürlich der Clou. Fast scheint ihr Machtspiel aufzugehen.
Die ältere Tochter Anne (Natalie Portman) hat nichts
dagegen, Heinrich VIII. (Eric Bana) zu umgarnen und ihm einen
Erben zu schenken, der dem Königshaus durch Katharina
von Aragon versagt blieb. Jedoch bei seinem Aufenthalt im
Hause der Boleyns findet er die andere, die sanfte Mary (Scarlett
Johansson), weitaus liebreizender. Er lässt sie trotz
jüngst geschlossener Ehe an seinen Hof bringen und die
Boleyn-Familie gleich mit. Vater und Onkel ist es egal; die
Hauptsache ist, sie schenkt ihm einen Erben. Und tatsächlich!
Die Liebe zwischen den Beiden scheint mit der Schwangerschaft
Marys perfekt. Anne indes ist zutiefst verletzt, am Hof nur
geduldet zu sein. Als sie nach Frankreich geschickt wird,
nimmt das Schwesterndrama seinen Lauf. Denn nach ihrer Rückkehr
hat sie nur eines im Sinn - sie will den König und den
Thron für sich gewinnen. Und sie bekommt alles. Lediglich
den Sohn gebärt sie Heinrich VIII. nicht, dem schenkt
Mary das Leben. Anne kämpft auf verlorenem Posten. So
intrigant sie auch sein mag, an ihre Schwester kommt sie nicht
heran. Weder Liebe noch Sohn werden ihr zuteil, wenn sie auf
dem Thron sitzt. Ihre Enthauptung geht in die Geschichte ein.
Am Ende wieder Sommersonne. Eine Wiese. Und ein Mädchen
läuft durch das Gras, von dem man weiß, dass es
einmal Cate Blanchett sein wird. Elizabeth.
Natalie Portman und Scarlett Johansson spielen das ungleiche
Schwesternpaar. Die eine, unglücklich über den Befehl
des Königs, findet am Hof wider Erwarten Liebe, die andere,
verschmäht und einsam, erkämpft sich Macht. Obwohl
die Schauspielerinnen ihrem Typ entsprechend in die Rollen
schlüpfen, wird man den Eindruck nicht los, sie hätten
ihren Part miteinander tauschen können. Ob Scarlett Johanssen
der Rolle von Anne gerecht geworden wäre? Wahrscheinlich
wollte Justin Chadwick genau das: blonde Unschuld auf der
einen Seite und dunkle Macht auf der anderen. Wie auch immer.
Wer Historiendramen (Roman: Philippa Gregory) mag, wird diesen
Film lieben. Mal abgesehen davon, dass allein die Kostüme
den Eintritt wert wären, "The Other Boleyn Girl"
ist mehr als ein Kostümfilm.
Die Schauspieler Eric Bana, Natalie Portman und Scarlett Johansson
mit ihrem Regisseur Justin Chadwick (von links)
Die Pressekonferenz
Was soll man bloß fragen? Vielleicht: Wie fühlt
man sich als König und von zwei so schönen Frauen
begehrt zu werden? Prompt kommt diese Frage. Und was antwortet
Eric Bana? - "Furchtbar! Nein. Wunderbar." Schließlich
wurde er von allen wie ein König behandelt. Als Scarlett
Johansson erzählt, ihr Schauspielkollege sei der Spaßmacher
unter ihnen gewesen, wackelt Eric Banas Thron im Pressekonferenzraum.
Es folgen Lobeshymnen auf jeden Einzelnen. Die Arbeit war
offensichtlich ein Spaziergang, wenn man mal von den schweren
Kostümen absieht, die eine der größten Herausforderungen
gewesen sein müssen. Von Konkurrenz unter den zwei erfolgreichsten
Jungschauspielerinnen Amerikas keine Spur. Scarlett Johansson
hatte überhaupt nur zugesagt, weil sie wusste, dass Natalie
dabei sein würde. Am Set gab es nie Ärger. Jedenfalls
keinen, der erwähnenswert wäre. Eric Bana macht
sich einen Spaß daraus, immer wieder nach der Atmosphäre
am Set gefragt zu werden und beginnt eine Anekdote, um sie
sogleich wieder abzubrechen. Alles klar. Hier wird keiner
etwas preisgeben. Schauspieler lieben sich nämlich. Bleibt
die Frage, ob Frauen wirklich am besten manipulieren können.
"Niemand sollte jemand anders kontrollieren", so
Johansson. "Ich weiß nicht, wer solche Geschichten
erzählt. Meine Mutter hat mir nicht gesagt, Männer
seien leichter zu manipulieren als Frauen", ergänzt
Portman. Ein eingespieltes Team, bei dem stets klar ist, wer
wem zuerst die Antwort überlässt. "Love or
power - Liebe oder Macht - was würden Sie in einer Beziehung
wählen?" fragt eine Journalistin. "Macht",
kommt es von Natalie Portman wie aus der Pistole geschossen.
Scarlett Johansson gerät ins Stottern und endet dann
mit einem überzeugten "the power of love".
Eric Bana hat vergessen zu antworten oder hält sich einfach
dezent zurück. Die Antwort auf die Frage wird er der
Journalistin zumindest an diesem Tag schuldig bleiben. Allerdings
ist er nicht so schüchtern, als er auf seine aus der
Nähe von Mannheim stammende Mutter angesprochen wird.
Ob er ein paar deutsche Worte zum besten geben kann? "Ich
sage jetzt etwas, was meine Kollegen nicht verstehen, aber
ich weiß nicht, was ich sagen soll", meint er mit
amerikanischem Akzent. Die Presse ist zufrieden. Applaudiert.
Nachdem seine Schauspielkolleginnen Autogramm-los an den Fans
vorbeirauschten,
hält sich Eric Bana etwas länger vor dem Hyatt auf.
Am Abend präsentieren die Stars ihren Film im Berlinale-Palast,
geben Autogramme und Interviews.
Natalie Portman
Eric Bana
Scarlett Johansson
Panorama "Lemon Tree"
Ein Garten voller Zitronenbäume neben dem Haus des israelischen
Verteidigungsministers - das passt nicht zusammen. Und eine
verwitwete Palästinenserin um die 50, deren Mann zehn
Jahre tot ist, und ein junger Anwalt, das passt genauso wenig.
Jedenfalls in Israel. Als kleines Mädchen schon hat Salma
mit ihrem Vater diesen Zitronengarten gepflegt. Er ist alles,
was die Zwei noch haben. Dieser Garten ist ihr Lebensunterhalt.
Doch das interessiert die israelische Staatssicherheit nicht.
Sie sieht in der Anlage auf dem Grünstreifen zwischen
Israel und Palästina eine Bedrohung für den Minister.
Terroristen könnten sich darin verstecken. Zusammen mit
dem jungen Anwalt Ziad Daud geht Salma bis vor das Oberste
Gericht, um ihre Bäume zu retten. Als die Frau des Ministers
sich auf Salmas Seite stellt, fängt der Kampf erst richtig
an. Und damit nicht genug. Salma bekommt immer öfter
Besuch von Bekannten ihres Mannes, die den Kontakt zwischen
ihr und dem Anwalt unterbinden wollen.
Eran Riklis gelingt mit seiner Hauptdarstellerin Hiam Abbass
eine Geschichte, die alle Wettbewerbsbeiträge in den
Schatten stellt.
Am Sonntag, wenn Radioeins, RBB und Tipp zum 10. Mal den
Panorama-Publikumspreis vergeben, geht er zum 4. Mal nach
Israel, für "Lemon Tree". Von 20000 Stimmen
erreichte dieser Film den meisten Zuspruch. Und das, wo doch
Madonna-Fans den schnellsten Ausverkauft-Rekord einstellten.
Verrückt
Perspektive Deutsches Kino "Die Dinge zwischen uns"
Der Titel ist gut, die Idee ebenso. Und trotzdem! Iris Jannsen
will der große Coup mit diesem Film nicht gelingen.
Ein Paar lebt seinen Alltag - scheinbar harmonisch - in einer
katholischen Kleinstadt am Niederrhein. Myriam steht ihrem
Mann, dem aufstrebenden Bürgermeister Bernd Mölders,
zur Seite, wo sie nur kann. Bis sie entdeckt, dass er in Holland
ins Bordell geht. Stellt sie ihn zur Rede? Mitnichten! Myriam
sucht das Gespräch mit Sylvia, von der sie weiß,
dass sie einst anschaffen ging. Myriam will ihren Mann verstehen
und geht selbst in den Puff. Allerdings hinter die Theke eines
Edelpuffs, von wo aus sie alles in Ruhe beobachten und vielleicht
herausfinden kann, was ihr Mann bei Prostituierten sucht.
Als sie sich zu Hause selbst wie eine aufführt, weist
Bernd sie ab. Und Myriam ist nicht der einzige Mensch, den
Bernd plötzlich ablehnt. Auch von seinem besten Freund
will er nichts mehr wissen. Dessen Selbstmord rüttelt
ihn erst wach. Vor dem Abspann finden sich Myriam und Bernd
inmitten einer riesigen Müllhalde wieder. Trümmer
ihrer Beziehung. Klischeehaft und dennoch das beste Bild,
das Iris Jannsen in Szene setzt. Alles andere ist überwiegend
unlogisch oder vorhersehbar, um nicht zu sagen: langweilig.
Eine Frau erfährt, dass ihr Mann in den Puff geht, und
fängt selbst dort zu arbeiten an, um ihren Mann besser
zu verstehen. Tststs! Verrückt.
Panorama Klaus Kinski "Jesus Christus Erlöser"
Klaus Kinski liest aus der Bibel. Mit zeitgemäßen
Aktualisierungen. Man stelle sich das mal vor. "Ein Abend
mit Klaus Kinski" in der Deutschlandhalle Berlin wird
dem Publikum versprochen. Unzählige Male unterbricht
der Schauspieler sein Programm. Provokationen, Pfiffen, Buh-Rufen
ist er ausgesetzt. Es ist das Jahr 1971. Einige der Gäste
wollen selbst auf die Bühne und identifizieren Kinski
so sehr mit den auswendig gelernten Worten, dass sie ihn einfach
angreifen müssen. Ihn fragen, wie er dazu komme, aus
der Bibel zitieren zu wollen. Und Kinski, als hätte er
den Text eigens auf solche Anfeindungen zusammengeschrieben,
sagt: "Ihr könnt so viel beten, wie ihr wollt, ich
höre nicht hin" und "Jesus, dort, wo man zu
borniert ist, euch zuzuhören, haltet euch nicht auf"
und "in eurem Auge ist ein Balken, zuerst entferne den
Balken aus deinem Auge, dann sieh zu, dass du den Splitter
aus meinem Auge ziehst". Eine Träne hält sich
hartnäckig in seinem Auge, der Schweiß steht ihm
auf der Stirn. Klaus Kinski ist außer sich, droht "ich
geh jetzt zum letzten Mal weg" und tobt: "Das ist
mein Laden! Meine Manager haben die Deutschlandhalle gemietet,
damit ICH hier auftrete!" Letztendlich schreit er: "Was
weißt denn du von Gott?"
Am Ende der Dokumentation Zitate von Kinski.
"Na ja, ich denke, das ist wie vor 2000 Jahren, aber
die haben Jesus wenigstens ausreden lassen, bevor sie ihn
angenagelt haben."
Es sind vielleicht noch 100 Leute in der Halle, als Kinski
zum letzten Mal, um Mitternacht, leise beginnt: "Wenn
man 30 Schreibmaschinenseiten reden muss, einfach die Schnauze
zu halten - es muss unheimlich schwer sein, anderthalb Stunden
ruhig zu sein." Dann unterbricht ihn niemand mehr. Um
zwei Uhr ist seine Vorstellung vorbei.
Ein unglaubliches Dokument, an dem der Regisseur, Kinskis
Nachlassverwalter, Peter Geyer und Nikolai Kinski den Zuschauer
teilhaben lassen.
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Von
Astrid Mathis
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Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an
Wettbewerb "Il y a longtemps que je t´aime
- I´ve loved you so long"
Der Titel "Il y a longtemps que je t´aime"
könnte in die Irre führen. Eine klassische Liebesgeschichte
erwartet den Zuschauer hier nicht. Es geht um Geschwisterliebe;
der Titel ist eine Textzeile aus dem Lied "A la claire
fountaine", das die Schwestern als Kinder gemeinsam auf
dem Klavier spielten. Schwestern, die sich gar nicht kennen.
Juliette (Kristin Scott Thomas) war 15 Jahre im Gefängnis.
Warum sie ihren sechsjährigen Sohn umbrachte, erfährt
nicht einmal ihre jüngere Schwester Léa (Elsa
Zylberstein), die sie bei sich aufnimmt. Ihrem Mann Luc ist
nicht wohl dabei, eine Kindsmörderin im Haus zu haben,
und so begegnet er ihr gegenüber ablehnend. Und auch
dort, wo sie sich für eine Anstellung bewirbt, hat sie
keine Chance, wenn sie offen erklärt, weshalb sie ins
Gefängnis musste. Stillschweigend nimmt sie jede Abweisung
hin und erklärt dann nichts mehr. Überhaupt redet
sie wenig. Ihre Augen sind auf eine merkwürdige, unheimliche
Art leer. Sie wirkt so fragil und in sich gekehrt, dass man
nicht glauben will, sie könnte jemandem etwas angetan
haben. Erst als Juliette mit der Tochter ihrer Schwester auf
dem Klavier das Lied aus Kindertagen spielt, beginnt die verschlossene
Frau, sich zu öffnen.
Am Ende lüftet Regisseur Philippe Claudel das Geheimnis
um den Grund für den Mord. Er hätte den Film mit
einem ungelösten Rätsel abschließen können.
Aber das wollte er nicht, gab er auf der Pressekonferenz zu,
"mit einem offenen Ende hätte ich eine andere Geschichte
erzählt, und ich wollte, dass man Juliette versteht".
Auch wenn Claudels Film in seiner Stille die Spannung zu halten
vermag - hier und da zu kürzen, wäre dem Film gut
bekommen.
Berlinale Special "Trip to Asia - Die Suche nach dem
Einklang"
Die Berliner Philharmoniker - das sind 128 Musiker mit Weltklasseniveau.
Ihr Dirigent heißt Sir Simon Rattle. Schon mit dem Film
"Rhythm is it!" ließ sich der Meisterdirigent
in die Karten schauen. Zum großen Glück des Publikums.
In dieser Dokumentation nun (Regie: Thomas Grube) entführt
er den Zuschauer auf eine Konzerttour nach Asien, die gleichermaßen
berührt und begeistert. Für zwei junge Männer
und eine junge Frau ist es die Probezeit, die entscheidet,
ob sie künftig zu den Philharmonikern gehören werden
oder nicht. Wir sind bei Proben dabei, erleben sie bei Konzerten
und an freien Tagen. In Interviews schildern 25 der Orchestermitglieder
ihre Erfahrungen, ihre Hoffnungen, ihre Ängste. Sie sind
allesamt Individualisten, in der Schule meist nicht beliebt
gewesen, und doch auf der Suche nach diesem Gefühl des
Einklangs. Sir Simon Rattle beschreibt es so: "Wenn Dirigent
und Orchester sich in einem Gefühl vereinen, und ich
bin irgendwie in der Mitte und kann es beeinflussen, ist das
eine unschlagbare Droge, nach der ich bis zum Ende meines
Lebens süchtig bin." Andere sagen, sie seien in
diesem Moment eins mit dem Kosmos, er gebe ihnen den Kick,
in diesem Moment lösten sich alle Zweifel auf, es sei
eine Energie im Raum, die alle verbindet. Eine Welle, die
jeder spürt.
Aber was kommt vor diesem Gefühl? Und wie entsteht dieser
Klang, der alles zum Schwingen bringt? Die Musiker geben Antworten
auf diese Fragen. Werden sehr persönlich. Das Reiben
der Persönlichkeiten ergäbe den Klang, sagen sie.
Dass sie natürlich egozentrisch seien, selbstbestimmt,
und sich natürlich auch zurücknehmen, sich in die
Gemeinschaft einbringen zu müssen. Eine Musikerin erzählt:
"Mein Mann sagt immer: Warum gibst du dir so viel Mühe?
Man hört dich gar nicht." Vielleicht das Zitat,
das am meisten ausdrückt, wie die Philharmoniker funktionieren.
"Wir sind die Philharmoniker, nicht der Dirigent",
meint ein anderer Musiker. Der da oben steht, muss eine starke
Persönlichkeit haben und darf trotzdem "nicht nur
sein Ding machen wollen", dann ist er verloren. "Es
brauchte eine Weile, ehe sie merkten, dass ich es durchaus
ernst meine, wenn ich scherze", erklärt Sir Simon
Rattle, der offensichtlich der Richtige für die Formation
der Individuen ist. "Diejenigen, welche die größte
Bereitschaft haben zu scheitern, haben meine größte
Sympathie", betont er. Die Reise wird zum Härtetest
für alle. Am ersten freien Tag bauen zwei Musiker ihre
Fahrräder auf und touren durch die Stadt. Vor dem Konzert
ist wieder die Angst da zu versagen, der Druck, der jeden
Philharmoniker trifft. Doch in Taiwan werden sie von Tausenden
umjubelt wie Rockstars. So voller Sehnsucht waren sie danach,
der klassischen Musik zu lauschen.
Für manche ist es nach einer langen Zeit als Berufsmusiker
das letzte Jahr mit den Philharmonikern. Dankbarkeit auf der
einen Seite, ein Gefühl wie Sterben auf der anderen Seite
erfüllt sie. Dankbar kann man auch für diesen Film
sein, der einen Einblick in die Seele der Philharmoniker und
ein phantastisches Land gewährt und nicht zuletzt in
die eigene Seele blicken lässt.
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Von
Astrid Mathis
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Queen of Pop - Madonna gibt sich die Ehre
Panorama "Filth and Wisdom"
Die Geschichte ist ganz einfach: Fünf Menschen sind
auf dem Weg, ihr Leben zu verändern, aber zu Beginn des
Films wissen sie es noch nicht. Denn sie alle haben ihren
Alltagstrott und wollen, dass er so bleibt, wie er ist. A.K.
(Eugene Hutz), Juliette (Vicky McClure) und Holly (Holly Weston)
leben in einer WG. A.K. ist heimlich in Holly verliebt und
verdient sein Geld als sadistischer Rollenspieler, wenn er
nicht gerade in der Badewanne Gedichte liest. Holly ist Balletttänzerin
und chronisch pleite. In ihrer Not fängt sie an, in einem
Striplokal zu arbeiten. Die Apothekerin Juliette klaut Medikamente,
um Kindern in Afrika zu helfen, derweil ihr Chef von seiner
Familie genervt ist und sich in sie verliebt. Professor Flynn
schreibt nicht mehr, seitdem er sein Augenlicht verlor. Das
Happy End scheint fern und ist dennoch vorauszusehen. Aber
zugegeben, man schaut gerne hin.
81 Minuten lang wird der Zuschauer bestens von der Geschichte
unterhalten. Eugene Hutz darf in einem fort Weisheiten von
sich geben oder seine Musik zelebrieren. Eine Musik, die Spaß
macht. Drei Lieder singt er in dem Film, eingebettet sind
sie in Musikclips, die der Geschichte Tempo geben. Dabei wirkt
die ganze Story wie ein einziger Punkrocksong. Eben aufgelegt,
ist er so schnell vorbei, dass man sich danach fragt: "War´s
das schon?"
Keine große Kunst, aber ein großer Spaß.
Madonna gibt vor dem Hyatt Autogramme.
Journalisten sollen vor den Eingängen in Tränen
aufgelöst gewesen sein, weil der Saal für die Pressevorführung
schon überfüllt war. Knappe zwei Stunden vor der
angesetzten Pressekonferenz standen sie wieder an. Denn wenigstens
sehen wollte man sie doch, die Pop-Queen Madonna, wenn schon
strengstes Fotografierverbot für alle galt. "Nie
wieder Popstars", schimpfte einer, der vorne stand. Da
war noch alles zum Lachen. Nicht aber, als die Türen
geöffnet wurden. Bei dem Gedränge handelten sich
nicht wenige blaue Flecken ein.
Gute Unterhaltung sei ihr Film, munkelten die einen, Mittelmaß
die anderen. Stundenlanges Warten. Und plötzlich - Madonna
in schwarzem Kleid, teils transparent, teils blickdicht; ihr
Haar in leichten Wellen, sitzt perfekt wie ihr Lächeln.
Die Journalisten können sich mit Komplimenten über
ihr Aussehen in der nächsten halben Stunde nicht zurückhalten
und bekommen dabei einen roten Kopf, während Madonna
stillschweigend lächelt. An ihrer Seite die Schauspieler
Eugene Hutz, Holly Weston und Vicky McClure.
"Es ist aufregend, sich selbst zu spielen", so Eugene
Hutz zu Beginn der Pressekonferenz, "es wäre aber
auch aufregend, sich nicht selbst zu spielen". Danach
kommen kurz die beiden Schauspielerinnen zu Wort. Und dann
wird niemand mehr etwas gefragt außer Madonna. Die freute
sich, dass ausgerechnet Godard zitiert wurde, denn sie sei
ein großer Fan von ihm. Und, ja, der Titel mache tatsächlich
50 Prozent eines Films aus, wie er behauptet. Ein Grund mehr,
sich für "Filth and Wisdom" zu entscheiden.
Um die Dualität des Lebens auszudrücken, die Gegensätze
wie Schmutz und Weisheit, ohne die das Leben nicht auskommt.
Schließlich ginge es in dem Film darum, und von beidem
könne man lernen. Das muss der Aufhänger für
die Frage eines weiteren Journalisten gewesen sein. Der will
wissen, ob sie sich von anderen Regisseuren Ratschläge
holte oder ob sie ihre Karriere als Filmemacherin gestartet
hätte "like a virgin". Lachen. - "Das
war nicht sehr clever", erwidert die Pop-Queen. "Ich
habe wirklich Ratschläge bekommen, aber die stellten
sich als Arschlöcher heraus." - Pause. "Kleiner
Witz von mir." Sie mache gern Dinge auf unkonventionelle
Weise, also auf ihre Art. Dieser Film war ihre Filmschule.
Eigentlich als Kurzfilm gedacht, wuchs die Geschichte mit
ihrer Liebe zu ihr.
Zwei Fragen hintereinander beantwortet die Pop-Queen prinzipiell
nicht. Sie bittet darum, es bei einer zu belassen. Schlechtes
Gedächtnis? Wer weiß? Als sie wiederholt mit Doppelfragen
konfrontiert wird und sie ausgerechnet erklären soll,
ob sie fürchtet, als Filmemacherin weniger erfolgreich
zu sein denn als Musikerin, sagt sie einfach: "Wissen
Sie, wenn Sie mir als zweites immer eine sehr provokative
Frage stellen, vergesse ich die erste." Damit ist das
Thema abgehakt.
Auf den ukrainischen Sänger Eugene Hutz kam sie natürlich
durch seine Musik, in die sie sich sofort verliebt hat. Und
der "Gipsy-Lifestyle" spielt deshalb im Film eine
Rolle, weil sie ihn mag, dieses Herumreisen, die Authentizität
der Leute usw.
Was Madonna beim Regieführen am meisten vermisste, war
die physische Erfahrung. Filmemachen sei eben Kopfarbeit.
Dafür fand sie es faszinierend, die eigenen Texte aus
dem Mund der Schauspieler zu hören.
Apropos physische Erfahrung. "Wie stehen Sie zu ihrem
früherem Schaffen? In dem Film kommt ja auch der Hit
Erotica vor, und sie hatten ja viele erotische Songs",
tastet sich ein Journalist an Madonnas Alter und ihre heutige
Einstellung zur Erotik heran. Madonna ist zu sehr Profi, um
bei einer solchen Frage ins Stottern zu geraten. "Ich
weiß nicht, wer ihnen gesagt hat, dass es keine Erotik
mehr gibt, wenn man verheiratet ist und Kinder hat",
ist ihre Antwort. Damit nicht genug. "Sind Sie verheiratet?"
- "Nein." - "Dann kommen Sie wieder, wenn Sie
verheiratet sind."
Nach der letzten Frage ruft jemand Eugene Hutz zu, doch ein
Lied zu spielen. Er nimmt seine Gitarre und legt los. Plötzlich
eine Art Jam Session im PK-Raum? Komisch. Aber wenn sogar
Madonna im Rhythmus in die Hände klatscht und dem Musiker
das Rampenlicht überlässt, ist wohl nichts Merkwürdiges
dabei, wenn man selbst mitmacht.
Vor der Tür gibt die Pop-Diva ein paar Autogramme. Schon
muss sie weiter. Am Zoopalast, wo sie die Weltpremiere ihres
Erstlingswerks im Publikum miterlebt, stehen die Fans seit
dem Morgen Schlange. Doch Glück haben die, die mit Fotokamera
in der Hand im Kinosaal sitzen. So muss sich Madonna erst
einem Blitzlichtgewitter ergeben, bevor sie ihre Ansprache
halten kann.
Während sie die Zuschauer begrüßt, sitzt nicht
nur ihr Haar, sondern jedes Wort. Nach etlichen "Madonna
- We love you"-Rufen beginnt sie: "Vor 25 Jahren
nahm ich meine erste Platte auf. Als ich mich im Radio hörte,
traute ich meinen Ohren kaum. Und jetzt bin ich hier auf der
Berlinale mit meinem ersten Film. Alles, was ich sagen will,
ist, das Träume wahr werden."
Eugene Hutz mit Fans
Und derweil Eugene Hutz noch Autogramme gibt und mit den
Fans plauscht, bevor auch er zur Party fährt, ist Madonna
längst entschwunden.
Eugene Hutz entflieht mit Gitarre.
"Toller Typ. Kieck mal, da sitzt er noch. Im Auto. Mit
Gitarre. Gleich fährt er", vernehme ich eine Frauenstimme
hinter mir. "Und die Musik - einfach toll", schwärmt
die Dame weiter. Ich drehe mich um. Da steht eine Frau im
besten Rentenalter und hält Opas Hand.
Die Party mit Madonna findet wenig später ohne die Zwei
statt. Im Kaffee Burger, wo Wladimir Kaminer sonst die Gäste
mit seiner Russendisko erfreut. Die Fans werden in den Bangaluu
Club abgeschoben. Das hätte man sich ja denken können.
Dualität des Lebens. Die Stars feiern mit den Stars,
so bleibt alles unter seinesgleichen.
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Von
Astrid Mathis
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Glücklich sein kann jeder - Man muss es nur wollen
Wettbewerb "Happy-Go-Lucky"
Gute Laune kann anstrengend sein. Jedenfalls für Menschen,
die sich von ihrer Miesepetrigkeit nicht abbringen lassen
wollen. Mit seinem Film "Happy-Go-Lucky" ("Unbeschwert")
geht Regisseur Mike Leigh gegen die Mode der schlechten Laune
und Depressivität in der heutigen Zeit an. Die internationale
Presse dankt es ihm. Endlich wird befreiend gelacht, es gibt
Szenenapplaus, kurz: das Lachen von Poppy aus London (Sally
Hawkins) ist ansteckend und eine Erlösung nach tagelangen
schwachen und traurigen Beiträgen.
Natürlich fällt andauernde Hochstimmung manch einem
auf den Wecker. So was ist man ja nicht mehr gewohnt. Doch
Poppy ist mit ihren quietschbunten Klamotten und ihrer quirligen
Art einfach hinreißend und wie sie sich im Flamencounterricht
zeigt eine Lachnummer. Natürlich wird das Glücklichsein
der 30-Jährigen von ihren Mitmenschen angezweifelt. Will
sie denn nicht erwachsen, mal etwas ernster werden, fragt
ihre Schwester. Kein Mensch kann immer so gute Laune haben.
- Hat Poppy auch nicht. In stillen und ernsten Momenten ist
sie ganz für sich allein, oder sie teilt sie mit ihrer
Mitbewohnerin Zoe. Ihr Feingefühl ist in ihrer Arbeit
als Grundschullehrerin allgegenwärtig, liebevoll kümmert
sie sich um die Kinder. Nur ihr Fahrlehrer Scott kann so gar
nichts mit Poppys Typ Mensch anfangen. Zugegeben, Poppy könnte
leicht noch andere Fahrlehrer in den Wahnsinn treiben mit
ihrer Unbeschwertheit. Dabei ist es geradezu bewundernswert,
wie sie es schafft, sich nicht von Scotts Stimmung beeinflussen
zu lassen. Am Ende platzt ihr dann doch der Kragen, und zwar,
weil Scott ausflippt, angestachelt durch das Zusammentreffen
mit Poppys neuem Freund. Den hat man ihr wirklich von Herzen
gewünscht, obwohl man schon dachte, so ein Pendant gäbe
es gar nicht.
"Ich habe viel von ihr gelernt", erzählt Sally
Hawkins mit leisem Lächeln später auf der Pressekonferenz,
"sie ist so offen und lebensfroh". Ehrlich gesagt,
von Poppy können wir uns alle eine Scheibe abschneiden.
Das ewige Lied vom Prenzlauer Berg
Perspektive Deutsches Kino "Die Helden aus der Nachbarschaft"
Berlinfilme sind Milieufilme. Und wenn man einen Film in
Prenzlauer Berg dreht, kommt man nicht darum herum, die in
Hinterhöfen lebenden Ossis den Wessis, die sich das teure
Vorderhaus leisten können, gegenüberzustellen. Genauso
macht das Regisseur Jovan Arsenic.
Attila arbeitet in der Berufsfeuerwehr, kann Glas essen und
lebt im Hinterhof. Seine Freundin Bienchen will aber mehr
vom Leben. Am besten in den Vorderhof. Dort lebt nämlich
der Seelsorger Herr Kammer mit seiner Frau Erika, die Helden
aus der Nachbarschaft porträtiert. Im Fernsehen. Wo sonst?
Und da kommt es gerade zupass, dass sie sieht, wie Attila
Glas isst, nachdem seine Freundin ihn verlassen hat. Die Abendsendung
ist gerettet. Dass Bienchen das macht, weil sie mit Erikas
Mann ins Bett geht, weiß die gute Frau Kammer noch nicht.
Auch ihr Sohn Niko, der auf die sexy Sabine steht, hat bis
dahin keine Ahnung. Dafür weiß der Zuschauer schnell,
dass die Bäckerin Rosine sich bald in Attila verlieben
soll. Nur dass Frau und Herr Kammer inkognito heiß miteinander
chatten, während sie sich zu Hause nichts zu sagen haben,
erfährt der Zuschauer erst zum Schluss. Überraschung!
Aber das glaubt man dem Film wenigstens. Und Prenzlauer Berg
hat Arsenic auch ganz nett eingefangen. Den Rest vergisst
man ziemlich schnell.
Die Frau in Reihe 1
Panorama "Erika Rabau - Der Puck von Berlin"
Sie hat blonde zersauste Haare und meist ihre Lederjacke
an. Eine schrullige alte Frau. Gebückt humpelt sie in
die erste Reihe. Auf den letzten Drücker. Das kennt man
ja. Und darum tönt regelmäßig ein lautes "Erika"
durch den Raum. Die anderen Fotografen tun genervt und grinsen
breit. Wie alt sie ist, verrät sie keinem. Eine Viertelstunde
vor Mitternacht kam sie in Danzig zur Welt. Das ist alles,
was sie preisgibt. Wer sie bisher nicht kannte, muss sich
ihren Namen gut merken. Nach fast 40 Jahren als offizielle
Berlinale-Fotografin aktiv, hat Samson Vicent Erika Rabau
endlich vor die Kamera gelockt und einen Dokumentarfilm über
sie gedreht.
Erika kennen alle, sogar die Promis. Mario Adorf gibt sie
im Film zum Beispiel ein Bild, das wohl 30 Jahre alt ist.
So lange kennen sich die Zwei schon mindestens.
Dabei wollte Erika eigentlich Schauspielerin werden. Die Liebe
zum Film hat sie von ihrer Mutter. Die erzählte ihr immer,
was sie im Kino gesehen hatte und las ihr Gedichte vor. Zuerst
arbeitete Erika Rabau jedoch als Dolmetscherin. In Argentinien
kam sie erstmals mit Fotokunst in Berührung, lernte von
den besten Fotografen. Wie sie zur Berlinale kam? Durch eine
Dampferfahrt! Auf einer Dampferfahrt fragte sie Dr. Alfred
Bauer, Gründer der Berlinale, ob sie Berlinale-Fotografin
sein möchte. "Ich sagte sofort zu, aber ich habe
die Aufgabe damals ziemlich unterschätzt." Zu kleinen
Filmrollen ist sie seitdem trotzdem gekommen. Besonders stolz
ist sie auf ihre Szene in Wim Wenders "Himmel über
Berlin". So hat sie sich den Traum vom Schauspielern
doch erfüllt.
Schnappschüsse macht Erika Rabau am liebsten und mit
Licht und Schatten spielen. Manchmal hört man im Pressekonferenzraum,
wie ein Film zurückgespult wird. Das ist Erika. Ihre
Analogkamera gibt sie nicht her. Eines ihrer alten Modelle
wollte ihr sogar schon James Stewart abkaufen. Keine Chance.
"2000 Mark hat er geboten. So viel war sie gar nicht
wert. Das konnte ich nicht zulassen", erzählt Erika.
Mit ihr erleben wir den Berlinale-Alltag so, wie sie ihn 2007
erlebt hat. Auch mit Erinnerungen an verstorbene Freunde und
an ihren Mann, der seit drei Jahren tot ist. Tränen laufen
ihr die Wangen herunter. Doch weg damit! Erika freut sich
über die, die noch da sind. Und über manchen Schauspieler.
"Hach, von Jamie Bell bin ich futsch und weg", schwärmt
sie. "Die Berlinale ist mein Leben."
Ihr Alter ist uns völlig egal. Hauptsache, sie ist noch
lange dabei.
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Von
Astrid Mathis
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Angemerkt
8.40 Uhr. Berlinale-Palast. Eine Menschenschlange säumt
den Weg zum Saal - kein ungewöhnlicher Anblick dieser
Tage. Und doch nicht normal.
Gleich soll "Tropa de Elite" über die Leinwand
flimmern.
"Entschuldigung, wann machen Sie denn auf? Es ist schon
8.40 Uhr", fragt ein Kollege eine Berlinale-Mitarbeiterin.
Die antwortet knapp: "Das werden Sie dann schon merken!"
"Typisch Berlin! Berliner Freundlichkeit", kommentiert
mein Gegenüber und zetert weiter: "Ich wundere mich
über nichts mehr. Ich reg mich nicht mehr auf."
Zu seinem Bekannten sagt er: "Wollen wir nicht einen
Zug früher nehmen?"
Die Zeiten, in denen an Presseleute BVG-Karten verteilt wurden,
sind schon lange vorbei. Die Neulinge halten das sogar für
ein Ammenmärchen. Aber manch einer erinnert sich und
wundert sich über jar nischt mehr. "Reine Schikane!"
ist man sich einig.
Ich wundere mich noch. Jedes Jahr lassen sich die Berlinale-Leute
etwas Neues einfallen. Das Festival soll professioneller und
internationaler werden, mit Cannes mithalten. So etwas in
der Art. Jetzt ist man schon soweit, den Journalisten die
Akkreditierung zu entziehen, wenn sie ohne Foto-Badge auf
den Auslöser drücken. Vor und nach der Pressekonferenz
darf man natürlich auch nicht fotografieren. Außerdem:
Hat man sich mit seinem Ausweis Karten abgeholt, reicht es
nicht, die Karten vorzuweisen. Ohne Ausweis und Karte kein
Film. Dabei sollte das festgesetzte Kontingent doch leicht
verhindern, dass die Säle überfüllt sind. Verständlich
- dem Schwarzmarkt soll ein Riegel vorgeschoben werden. Und
trotzdem! Die ständigen Änderungen der Sicherheitsauflagen
und Vorschriften führen zu Verwirrung und machen erst
recht keinen Spaß. Irgendwann verliert man bei den Schildern
den Überblick.
Fehlt nur noch, dass Handybenutzen und Wassertrinken mit Ausweisentzug
bestraft wird.
Wir sind in Deutschland. Es werden sich in den nächsten
Jahren bestimmt noch ein paar neue Regeln erfinden lassen.
Butoh oder Wie man mit den Toten spricht
Wettbewerb "Kirschblüten - Hanami"
Rudi und Trudi sind so, wie man sich ein bayrisches Ehepaar
im besten Rentenalter vorstellt. Alles hat seinen geregelten
Ablauf. Alles im Haus ist geblümt, blau oder kariert.
Als Trudi erfährt, dass ihr Mann unheilbar krank ist,
bricht für sie eine Welt zusammen. Sagen will sie ihm
nichts. Und ein Leben ohne ihn kann sie sich einfach nicht
vorstellen. Der Arzt schlägt ihr eine Reise vor, ein
Abenteuer vielleicht. Ein Abenteuer vielleicht? "Mein
Mann mag keine Abenteuer", weiß Trudi sicher. Reisen
- das ist eher etwas für sie. Zum Fujijama nach Japan
und die Kirschblüte sehen, das würde sie gern. Sie
wollte ja mal Butoh-Tänzerin werden. "Der Fuji ist
auch nur ein Berg", hält ihr Rudi entgegen. So packen
die Zwei ihre Koffer und reisen nach Berlin zu ihren Kindern.
Schnell fallen die Eltern ihnen auf den Wecker. Dabei machen
sie gar nichts. Eine unangenehme Entdeckung, die das Paar
ans Meer treibt. Dort stehen sie nebeneinander, stecken beide
in Trudis blauer Strickjacke und stellen fest, dass sie die
Zwei als Erwachsene gar nicht mehr kennen. Von Zeit zu Zeit
wischt sich Trudi unbemerkt Tränen aus dem Gesicht. Sie
kann an nichts anderes mehr denken als an Rudis bevorstehenden
Tod. Doch sie stirbt zuerst. Und Rudi, der eigentlich am liebsten
zu Hause war, macht, was Trudi gern getan hätte. Er reist
nach Japan. Allein macht er sich auf durch das Labyrinth Tokio,
weil sein Sohn Karl keine Zeit für ihn hat. Er will Trudi
die Stadt zeigen, ihr nahe sein und zieht dafür sogar
Trudis Sachen an, die er unter seiner Jacke verbirgt. Als
Rudi die junge Butoh-Tänzerin Yu kennenlernt, kommt er
Trudi endlich näher. Um sie herum leuchten Kirschblüten
in zartem Rosa. "Butoh ist Tanz mit den Toten",
sagt Yu. Am Ende des Films tanzen Rudi und Trudi rot, weiß
und schwarz angemalt miteinander Butoh. Im Hintergrund der
Fujijama. Dann stirbt auch er. Berührend.
20 Minuten kürzer, und der Film hätte einen Bären
verdient.
"Kirschblüten" mit Elmar Wepper und Hannelore
Elsner, Regie: Doris Dörrie
Die Pressekonferenz
Sonnenbrille. Die Jacke ist eisblau und grün, ihre Lippen
sind rot geschminkt. Farbenfroh und in bester Redelaune zeigt
sich Doris Dörrie den Journalisten. Munter plappert sie
drauf los, macht die Pressekonferenz fast allein. Wie auf
einem Operationstisch ohne Narkose fühle sie sich, verrät
sie. Gelassen und ruhig sitzen Hannelore Elsner und Elmar
Wepper neben ihr. Seit dem Film haben sie ein besonderes Verhältnis
zueinander, denn Doris Dörrie färbte täglich
eigenhändig die Haare der Beiden grau. "Es war ein
Kulturschock", beschreibt Elmar Wepper seine Erfahrung
mit Japan. Unmöglich sei es, jemanden anzurempeln. Alle
weichen schon fünf Meter vorher aus. Erst recht, wenn
man mit Frauenkleidern die Straße entlang läuft.
"Die Rolle war für mich ein Geschenk. Ich habe in
Trudi meine bayrische Oma wiedergesehen und habe sie lebendig
gemacht", resümiert Hannelore Elsner, die sich freute,
einmal im Dialekt spielen zu dürfen. "Meine Oma
war weich, aber hart im Nehmen. Darin bin ich ihr ähnlich",
so die Schauspielerin.
Über Trauer und Tod mussten sie bei den Dreharbeiten
nicht sprechen, erklären Regisseurin und Hauptdarsteller
einvernehmlich. Jeder kenne ja diesen Schmerz oder könne
ihn sich ausmalen, mit dem Verlust eines Menschen umgehen
zu müssen. Es sei eben ein Film über Vergänglichkeit,
einer über Eltern und Kinder, über gestörte
Kommunikation, der jeden, der noch nicht darüber nachgedacht
hat, dass die Eltern wahrscheinlich vor ihm sterben werden,
mit diesem Thema direkt konfrontiert. Darum lässt Dörrie
das Gedicht von der Eintagsfliege von Trudi rezitieren, denn
auch sie glaubt, dass sie noch lange lebt. Gefunden hat die
Regisseurin das Gedicht in einem Buchladen in Berlin. Die
Berliner Fahrkartenautomaten haben es ihr ebenfalls angetan.
Rudi lässt sie daran fast verzweifeln. Elmar Wepper gesteht:
"Ich wusste wirklich nicht, wie der Schlitz für
das Geld aufgeht. Das macht dich als Bayer wahnsinnig."
Und Hannelore Elsner gibt zu: "Ich wusste auch nicht,
wie das geht. Ich habe das noch nie gemacht." Dafür
wussten es die wartenden Leute hinter ihnen. Die meinten:
"Haben Sie´s denn bald?"
Regisseurin Doris Dörrie
Schauspielerin Hannelore Elsner
Die Besucherin oder Wie man im deutschen
Kino mit Unbekannten Sex hat
Da will einer einen Film machen, der eine Mischung aus "Intimacy"
(Berlinale-Gewinner) und deutschem Kino ist. Heraus kommt
"Die Besucherin".
Agnes ist Ärztin und langweilt sich. Sie hat einen Mann
und eine Tochter. Und während ihr Mann (gespielt von
Samuel Finzi - er ist übrigens der einzige, der mit seinem
Charakter überzeugt) noch an ihr und ihrem Zusammenleben
interessiert ist, hat sie schon lange die Nase voll. Für
ihre Schwester hingegen ist sie da. Sie gießt sogar
die Blumen in der Wohnung, auf die sie aufpassen soll. Eines
Tages hört sie den Anrufbeantworter ab. Bruno bittet
Theresa, ans Telefon zu gehen. Statt Theresa lauscht Agnes
seinen Worten. Die Nachbarn haben bereits ihren Kondolenzbesuch
gemacht. Theresa ist also tot. Das passende Puzzleteil zu
der Geschichte mit Theresa findet Agnes in einem Brief, den
Theresas Geliebter an sie schrieb. Sie solle sich entscheiden.
Als Agnes sich in der Wohnung ins Bett legt, taucht ein Mann
auf. Ein älterer Herr, der wahrscheinlich Bruno ist.
Er nimmt sich einen Joghurt aus dem Kühlschrank, legt
sich zu Agnes ins Bett. Theresa wacht auf, bleibt so liegen.
Und Bruno "kommt von hinten zur Sache". So beschreibt
der Schauspieler selbst das Schauspiel, das sich hier ereignet.
Zwei Unbekannte haben Sex miteinander. Agnes soll man glauben,
dass ihr jetzt grad jeder Mann recht ist, egal, wie er aussieht,
und Bruno soll man glauben, dass er denkt, er hätte seine
Frau vor sich liegen, die er jetzt so eben mal nimmt. Also
nee, deutsches Kino, solche Geschichten haben andere schon
besser erzählt. Und alte Männer wollen Sex mit jungen
Frauen und kriegen ihn auch, bis sie ihnen erklären,
dass sie alles von ihnen wissen wollen, das ebenfalls. Und
besser. Agnes und Bruno kauft man die Geschichte nicht ab.
Bei Radio 1 ist später von Grenzerfahrungen die Rede,
davon, eine Tür aufzumachen, davon, sich über die
Konsequenzen des eigenen Handelns zu erschrecken. Dieser Grenzüberschreitung
und den Konsequenzen zuzusehen, kann man sich sparen. Ein
unsäglicher Film.
Samuel Finzi bei Radio 1
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Von
Astrid Mathis
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Zeit für Gefühle
Wettbewerb "The Song of Sparrows"
An einem Sonntagmorgen um 9 Uhr im
Berlinale-Palast zu sitzen, kann tatsächlich schön
sein. Zum Beispiel, wenn man einen so guten Film sieht wie diesen.
Majid Majidis Familiengeschichte aus dem Iran hat einen Zauber
an sich, dem sich niemand entziehen kann. Zu verdanken ist das
Reza Najie, denn er verkörpert den Filmhelden Karim, der
eigentlich gar kein Held ist. Karim lebt auf dem Land, hat Frau
und Kinder und ist ein wahrer Pechvogel. Er arbeitet auf einer
Straußenfarm, inmitten von Straußen, ein Bild, das
der Regisseur wunderbar in Szene setzt. Als ihm ein Strauß
entflieht, wird Karim entlassen. Zu allem Überfluss ist
das Hörgerät seiner Tochter ins Wasser gefallen -
der Ersatz wird teuer. Die Suche nach einer neuen Anstellung
führt Karim nach Teheran, wo er unter anderem als Motorrad-Taxifahrer
Leute durch die Gegend chauffiert. Im Alter von 65 Jahren ist
das besonders verrückt. Ein komischer Anblick.
Karim will, dass es seiner Familie gut geht und den Kindern
ihre Wünsche erfüllen. Auch wenn es ein Goldfischteich
ist, den sie wollen. Doch die Kinder stürzen mit der Wassertonne,
und die Fische drohen auf dem Boden zu vertrocknen. Schließlich
verletzt sich Karim noch schwer sein Bein. Klingt nach einer
Tragödie. Ist es aber nicht. Majidi erzählt mit einzigartigen
Bildern herzerfrischend humorvoll, selbst wenn er ernste, nachdenkliche
Töne unter seine Erzählung mischt. Ein herrlicher
Film, den man einfach gesehen haben muss.
Im Radio 1 Studio mit Knut Elstermann: Regisseur Majid Majidi
(links)
und Hauptdarsteller Reza Najie (rechts von Knut Elstermann).
Neben dem Hauptdarsteller: der Dolmetscher.
Wettbewerb "Elegy"
Sie ist so schön, dass sich
David Kepesh (Sir Ben Kingsley) einfach in sie verlieben muss.
Consuela (Penélope Cruz). Über Literatur zu dozieren,
wird für Kepesh bei diesem Anblick zur Nebensache. Bindungsscheu
und voller Angst, eines Tages von ihr verlassen zu werden, kann
er sich einer Affäre mit seiner Studentin trotzdem nicht
entziehen. Er ist verrückt nach ihr.
Der Film nach dem Roman von Philip Roth "Das sterbende
Tier" erinnert an die Verfilmung von "Der menschliche
Makel". Jedoch nur, weil auch da der Altersunterschied
zwischen dem Liebespaar mindestens 30 Jahre ausmacht. Ansonsten
haben die beiden Filme lediglich gemeinsam, dass Nicholas Meyer
das Drehbuch verfasste, denn Ben Kingsley und Penélope
Cruz gelingt es weit überzeugender, ein Paar abzugeben,
das sich anzieht, als Anthony Hopkins und Nicole Kidman. Die
Regisseurin von "Elegy", die Spanierin Isabel Coixet,
hat schon mit ihrem Film "Mein Leben ohne mich" ins
Herz getroffen. Ihre sensible Art ist es, die "Elegy"
glaubwürdig und berührend macht.
Die Geschichte an sich klingt kitschiger, wie sie nicht sein
kann. Und ist es mit Penélope Cruz und Ben Kingsley in
den Hauptrollen überhaupt nicht. Als Ich-Erzähler
lässt David die Zuschauer an seinen Gedanken teilhaben,
an seinen Schwärmereien, seiner Lust und seinen Ängsten
vor dem Alt- und vor dem Verlassenwerden, macht den Film damit
ehrlich. Dennis Hopper setzt als bester Freund George Akzente
und reißt David immer wieder aus seinen Träumen.
Nach eineinhalb Jahren, in denen sich David stets entzog, Consuelas
Familie vorgestellt zu werden, kommt es zum Bruch zwischen den
Beiden. David erfindet eine Ausrede, nicht zu Consuelas Abschlussfeier
zu kommen. Damit ist es aus für Consuela. Viele Jahre ist
Funkstille. Jahre, in denen er sie nicht vergessen kann. Dass
George stirbt, ist nur der Anfang von einem dramatischen Ende.
Consuela steht in der Silvesternacht vor Davids Tür und
bittet ihn, sie noch einmal zu fotografieren, bevor ihr Körper
zerstört wird. Sie will das Bild von sich bewahren, ehe
der Brustkrebs seine Konsequenzen einfordert. Nach der Operation
ist David wieder an ihrer Seite. Sie verschmelzen zu einem Paar,
das sich ähnlicher in seiner Liebe zueinander und Angst
vor dem Sterben kaum sein kann. Isabel Coixet zeichnet dieses
Paar und die Geschichte still und klar, darin liegt ihre Glaubwürdigkeit.
Penélope Cruz und Sir Ben Kingsley
Die Pressekonferenz
Sie ist wirklich eine Schönheit.
Wer es nicht schon vorher in einem ihrer Filme festgestellt
hatte, den überzeugte spätestens ihr Auftritt bei
der Pressekonferenz in natura. Schönheit und Vergänglichkeit
- nicht zuletzt geht es in der Liebesgeschichte auch darum.
Vor sechs Jahren fiel Penélope Cruz das Buch von Philip
Roth in die Hände. Seitdem hoffte sie, den Stoff einmal
als Drehbuch in Händen zu halten, erzählt die Schauspielerin.
Dann wird sie etwas auf Spanisch gefragt, was allein die Spanier
verstehn und diejenigen, die sich mit Kopfhörern ausgerüstet
haben. Auch Cruz´ Antwort verstehen nur die wenigsten.
Isabel Coixet zeigt sich kooperativ und sagt: "I translate:
She said I´m a fucking genius." (Ich übersetze:
Sie sagte, ich wäre ein Genie.") Erleichtertes Lachen
unter den Journalisten. Doch der spanischen Unterhaltung ist
es nicht genug. Penélope Cruz wird nach der Arbeit mit
Ben Kingsley gefragt. "She said he is a fucking genius,
too", ergreift Coixet nach einer langen Rede der Schauspielerin
ein zweites Mal das Wort. Dann ist Ben Kingsley an der Reihe.
Wie er das Altwerden sieht, will ein Journalist wissen. "Manche
Menschen bringen dich dazu, dich in einer halben Stunde plötzlich
alt zu fühlen. Mit anderen fühlt man sich jung, sobald
man mit ihnen telefoniert", erzählt Kingsley. Und
Penélope Cruz, hat sie Angst vorm Altwerden? - "Ich
freue mich darauf, denn ich möchte nicht so bald sterben.
Also klar, ich möchte alt werden."
Nun kommt eine Frage, auf die alle Romankenner wahrscheinlich
schon gewartet haben. Warum sind im Film viel weniger Sexszenen,
als im Buch beschrieben (in einer Szene spielt David onanierend
Klavier zum Beispiel). Die Regisseurin antwortet: "Das
war für die Charaktere nicht wichtig. Es sollte so intim
und natürlich wie möglich zwischen ihnen sein. Und
eine solche Atmosphäre habe ich geschaffen. Die anderen
Szenen waren nicht nötig." Bis zu diesem Zeitpunkt
war den meisten wohl entgangen, dass auch Produzent Gary Lucchesi
durch Anwesenheit glänzte. Mit rotem Kopf warf er ein:
"Ich fühlte mich privilegiert, dass ich im selben
Raum sein durfte." Und ergänzte schnell: "Mit
all diesen Künstlern." Zuletzt fragt ein Journalist
noch nach, ob Ben Kingsley sich beim Dreh nicht in seine Filmpartnerin
verliebt hätte. Trocken gibt er zur Antwort: "David
und Consuela sind nicht Ben und Penélope."
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Von
Astrid Mathis
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Am
Abgrund
Wettbewerb "Julia"
Sie tanzt und lacht, flirtet und trinkt. Alles scheint normal
zu sein mit Julia. Am Morgen wacht sie neben einem Typen auf,
von dem sie jetzt nur noch weg will. Ihr Mund ist trocken. Den
faden Geschmack kann man Julia (Tilda Swinton) ansehen. Ihr
grünes Glitzerkleid macht bei Licht nicht mehr viel her.
Eine Nacht wie viele. Danach kann sie sich an nichts mehr erinnern.
Auf einem Treffen anonymer Alkoholiker lernt sie die Mexikanerin
Elena kennen, die ihren Sohn Tom wiedersehen will. Elena hat
auch schon einen Plan. Sie hat vor, Tom von Julia kidnappen
zu lassen und damit seinem reichen Großvater zu entreißen.
Julia sieht ihre Chance, endlich an Geld zu kommen, ein anderes
Leben anzufangen. Von Elena ist von nun an nicht mehr die Rede.
Julia kidnappt Tom (einfühlsam gespielt von Aidan Gould)
und verlangt zwei Millionen Dollar Lösegeld. Tom erzählt
sie, dass er bald seine Mutter sehen wird, sie nur noch anrufen
muss. Aber es kommt anders. Tom glaubt ihren Lügen nicht
und rennt weg. Als Julia den Jungen in der Wüste sucht,
sind erste mütterliche Gefühle in ihr zu erahnen.
Sie flieht mit ihm nach Mexiko und macht den Deal mit Toms Großvater
perfekt. Wieder passiert alles anders als geplant. Tom wird
von Mexikanern entführt. Um den Jungen wiederzubekommen,
ist Julia kein Preis zu hoch. Sie tut, was sie am besten kann:
Sie lügt.
Regisseur Erick Zoncka macht mit seinem Film eine Alkoholikerin
(dank einer überzeugenden Tilda Swinton) zur Mutter. Zu
lang und zu amerikanisch inszeniert vielleicht, um das Publikum
letztendlich wirklich vom Hocker zu reißen.
Es geht ihm um das Wecken des Mutterinstinkts, betont Regisseur
Erick Zonca auf der Pressekonferenz. Hatte der elfjährige
Aidan Gould gar keine Angst, mit so einer durchgeknallten Mutter
zu spielen? "Schauspieler können einem schon Angst
machen", erwidert der Junge altklug, "aber ich hatte
keine Angst, denn es ist ja bloß ein Film." - "Thank
you and good night", kann Tilda Swinton dazu nur sagen.
Als "freaky pair of freaks" sieht sie die beiden Hauptcharaktere
in dem Film. Eine Frau, die nie Mutter war, geschweige denn
Verantwortung übernahm, auf der einen Seite, und ein Junge,
der nie eine Mutter hatte und unter Männern aufwuchs auf
der anderen Seite. Dass sie eine Alkoholikerin verkörpert,
die nah am Abgrund entlangbalanciert, ist für die Schauspielerin
"just dress up and play" (anziehen und spielen). Ihr
Leben lang ist sie es gewohnt, von Alkoholikern umgeben zu sein,
sie selbst verträgt nichts. Ist diejenige, die nüchtern
bleibt und nach der Party alle nach Hause fährt. Die höchstens
spielt, betrunken zu sein. "Mit Leuten herumzuhängen,
die trinken, ist die einzige Vorbereitung, die man dafür
braucht", behauptet Swinton.
Perspektive Deutsches Kino "Berlin 1. Mai"
Was losmachen, mal richtig was erleben wollen die Freunde Jacob
und Pelle aus Minden. Harry aus der 68er-Generation hat vor,
wie immer eine Barrikade zu errichten. Der kleine Yavuz will
einfach nur einen Bullen "plattmachen, umlegen". Polizist
Uwe sieht sich in einer Lebenskrise, nachdem ihn seine Frau
betrogen hat, und muss zum Einsatz antreten. Es ist 1. Mai in
Berlin.
Sven Taddicken verknüpft die vier Geschichten miteinander
und erzählt sie so pur, dass sie nicht nur glaubwürdig
sind, sondern auch berühren. Es kann nur schief gehen.
Man weiß es von Anfang an. Nur wie es geschieht, ist unklar.
Die Aggression ist spürbar, die Unzufriedenheit mit sich
selbst, die Sehnsucht, einmal auszubrechen, durchzudrehen. Taddicken
schreckt nicht davor zurück, Gewalt zu zeigen, wie sie
in Berlin jährlich am 1. Mai zutage tritt.. Dieser Tag
ist bei ihm ein Prüfstein für Menschlichkeit, Toleranz,
Selbstbeherrschung, Vernunft, Freundschaft. Keiner der Protagonisten
scheint in dem Film dazu in der Lage zu sein, auch nur eines
der Attribute zu bewahren oder in seinem Inneren zu suchen.
Das hat für den Morgen danach Konsequenzen, die am Ende
doch keiner wollte.
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Von
Astrid Mathis
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Drama,
Drama, Drama
Wettbewerb "Zuo You - In love we trust"
Es ist einer dieser leisen chinesischen 9-Uhr-Filme, den Wang
Xiaoshuai auf die Kinoleinwand zaubert. Kaum mit Musik gefüllt.
Das Drama kündigt sich auch ohne sie an: Ein Paar in den
30ern erfährt, dass Tochter Hehe an Leukämie erkrankt
ist und nur durch eine Knochenmarkspende gerettet werden kann.
Allerdings ist das Kind, das Spender sein könnte, noch
nicht einmal gezeugt, denn Hehes Eltern Mei Zhu und Xiao Lu
sind geschieden und haben längst andere Partner gefunden.
Sie werden plötzlich mit einer Situation konfrontiert,
für die es keine Lösung gibt, oder eine, mit der sie
nie zurechtkommen werden. Gehen die Eltern von Hehe miteinander
ins Bett, wird es für keinen der Vier mehr wie vorher sein.
Und alle Hoffnung hängt an dem Kind. Eine lebensrettende
Maßnahme, die Opfer fordert und die Liebesbeziehung mit
den neuen Partnern unweigerlich in Frage stellt. Von Zauber
hat der Film wenig, vielmehr von einer Geschichte, die nicht
nur in China spielen könnte.
Wettbewerb "There will be blood"
Südkalifornien 1898. Er gräbt im Dreck. Wühlt
wie ein Tier. Sucht nach Silber. Um jeden Preis. Daniel Plainview
steht ganz am Anfang seiner Karriere. Gespielt wird er von Daniel
Day-Lewis, der eine phantastische Vorstellung gibt. Großes
Theater in bestem Sinne. Paul Thomas Anderson nimmt sich den
Stoff des Upton Sinclair Romans "Öl" von 1927
und macht ihn aktuell. Er erzählt eine Geschichte über
Gier und Macht, Gewalt und Lügen, Väter und Söhne,
Gewinner und Verlierer. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
1911 gräbt Plainview längst nicht mehr selbst im Dreck,
er hat seine Männer. Farblose Gestalten auf der Kinoleinwand.
Austauschbar. Und das sollen sie wohl auch sein. Einzig und
allein sein angenommener Sohn H.W. hat klare Züge, erweist
sich als derjenige, der ihm nahe kommt wie kein anderer. Dennoch
bleibt Plainview einsam sein Leben lang. Er hat keine Freunde,
er betrügt Farmer um ihr Land, und an Gott glaubt er schon
überhaupt nicht. Dabei ist er in eine religiöse Gegend
geraten und sieht sich ständig mit dem jungen Pastor Eli
Sunday (Paul Dano) konfrontiert. Am Ende hat er mehr Geld, als
er ausgeben kann, sitzt in einem prachtvollen Herrenhaus und
schießt auf seine Einrichtung. H.W. kommt, um ihm zu sagen,
dass er mit seiner Frau nach Mexiko geht und sich eine eigene
Firma aufbauen möchte. Plainview sieht ihn sofort als Konkurrenten,
trunken vor Wut schleudert er H.W. ins Gesicht, dass er nicht
sein Sohn ist und verliert damit den einzigen Menschen, an dem
sein Herz hing. Im großen Finale trifft er ein letztes
Mal auf Eli Sunday und hält ihm seine Macht- und Geldgier
vor Augen. Er ist kein besserer Mensch als Plainview. Der wähnt
sich als Sieger. Dabei hat er lange vorher schon alles verloren.
"There will be blood"
"There might be blood" sollte der Film heißen,
hatten Regisseur und Hauptdarsteller Daniel Day-Lewis anfangs
überlegt, verriet Paul Thomas Anderson auf der Pressekonferenz.
Ein Versprechen sollte der Titel sein, und so gaben sie dem
Film letztendlich doch den Namen "There will be blood".
Ein schwarz-weißes Hemd mit pinkfarbenen Blumen darauf,
Ärmel mit goldenen Ornamenten, goldene Ohrringe, Hut -
so erscheint Daniel Day-Lewis vor den Journalisten. Bei jedem
anderen hätte der Aufzug albern ausgesehen, bei ihm hat
er Stil.
Ob er mit dem Oscar rechnet, wird der nominierte Hauptdarsteller
gefragt. "Ich beantworte die Frage", erwidert Anderson
und stellt klar: "Ich hoffe, sie geben uns alle Oscars".
Nervös wird er sein, aber relaxt tun oder umgekehrt, beschreibt
der Schauspieler das bevorstehende Gefühl in der Oscar-Nacht.
Daniel Day-Lewis nimmt sich nun die Antwort auf die Frage an
Anderson vor, erklärt, jeder Film fordere seinen eigenen
Stil. So sei das auch hier geschehen. "Und was hat der
Film mit ihnen persönlich zu tun?", bekommt Anderson
als nächstes aufgetischt. "Er ist unglaublich autobiographisch",
meint der Regisseur und lacht. Ohne Day-Lewis zu blamieren,
will sich Paul Dano zu den emotionalen und gewaltsamen Szenen
äußern. "Es war ein großes Vergnügen.
Daniel machte es einem leicht. Wenn man Angst hat, kann man
gut spielen." Und wirklich. Selbst wenn er lacht, ist einem
der Schauspieler ein bisschen unheimlich.
Paul Thomas Anderson
Paul Dano
Am roten Teppich zeigen sich die drei Herren von "There
will be blood" äußerst redselig und zeigen Verständnis
für ihre Fans. Daniel Day-Lewis gibt der kompletten ersten
Fan-Reihe vor dem Berlinale-Palast Autogramme und außerdem
viele Interviews. Anderson eilt sogar noch einmal zurück,
als ihn die Zaungäste beharrlich rufen und mit Kugelschreibern
auf ihn warten. Das sollen ihnen erst einmal andere Stars nachmachen.
Daniel Day-Lewis
Wettbewerb
"Black Ice"
Noch mehr Drama als im finnischen Wettbewerbsbeitrag von Petri
Kotwica geht nicht. Dabei fängt der Film so vielversprechend
an. Saara hat Geburtstag und deckt auf, dass ihr Mann sie mit
einer Studentin betrügt. Sie verfolgt die junge Frau und
lernt sie kennen. Mehr noch: sie schließt sich Tuulis
Karateclub an, belegt bei ihr den Anfängerkurs, wird ihre
Freundin. Zu Hause ist sie ausgezogen. Saara ist jetzt Crista.
Doch sie findet wieder zu ihrem Mann Leo zurück. Was macht
man dann mit der Freundschaft zur Geliebten, die wahrscheinlich
ein Kind vom eigenen Mann erwartet, wenn man Gynäkologin
ist? Saara flößt Tuuli nach einer Feier Schlafmittel
ein und legt selbst Hand an, um herausfinden, ob es tatsächlich
an dem ist. Zu dumm. Tuuli wacht auf. Und Saara? Die rettet
sich durch das Verhalten einer Verliebten, knutscht Tuuli. Alles
in dem Haus von Leo und Saara. Als Tuuli sich genauer umsieht,
wird ihr klar, wo sie sich befindet. Doch Leo kommt, und Tuuli
ergreift per Auto die Flucht. Leo hält sie allerdings für
Saaras jungen Liebhaber und fährt ihr nach. Es knallt.
Aber nichts passiert. Tuuli sieht Leo noch einmal an. Er soll
nach Hause gehen, sagt sie. Es ist Nacht. Saara fällt vor
Schreck ein, dass Leo von dem Schlafmittel-Glas getrunken hat
und stürzt los. Dann ist es taghell. Was für ein Sprung!
Was für ein Fehler! Leo ist erfroren. Doch Tuuli erfährt
es erst spät. Nun will sie ihr Kind loswerden und landet
nach dieser Aktion auf Saaras Tisch. Die rettet beide. Alles
gut? Wohl kaum.
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Von
Astrid Mathis
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Chinesisch
Dieter Kosslick mit Berlinale-Schal
Die Berlinale-Werbeartikel winken aus jeder Ecke des Potsdamer
Platzes. Es ist soweit. Donnerstagvormittag. Los geht´s.
Die Jury
Nachdem Berlinale-Chef Dieter Kosslick vor zehn
Tagen das Geheimnis um die diesjährige Jury gelüftet
hat, verkündete er zur Vorstellung derselben: "Wie
Sie sehen, haben wir zwei Jurymitglieder verloren." Sandrine
Bonnaire und Susanne Bier mussten in letzter Minute absagen.
Kosslick kommentierte diesen Fakt mit: "Man bekommt eben
nicht immer, was man will." Beziehungsweise "You can´t
always get what you want", wie es die Stones mit einem
Lied sagen. Lustig findet die Absage in Kosslick-Scherz-Manier
keiner. Die Journalisten reagieren gelassen, fast unbeteiligt.
Selbst die Dolmetscher für Jury-Mitglied Shu Qi, ihres
Zeichens eine Actrice aus Taiwan, zeigen wenig Herzblut an der
Vorstellung. Statt zu übersetzen, was die Schauspielerin
gefragt wird, ist lediglich "die Fragen kann keiner verstehen"
über Kopfhörer zu erfahren. Nur chinesisch versteht
offenbar auch die deutsche Hollywood-Schauspielerin Diane Krüger,
die des Englischen hoffentlich mächtiger ist als des Deutschen.
"Mir" und "mich" kann sie jedenfalls nicht
auseinander halten. Die Arbeit mit Ed Harris in einem Film,
für den beide Dirigentenunterricht nahmen, "hat mich
viele, viele Tore geöffnet". Aber es ist ja schließlich
aufregend,mal zehn Tage nur Filme zu sehen und zu bewerten,
anstatt sie zu drehen und auf Promotion-Tour zu gehen, wie sie
selbst sagt.
Vom Begriff "beurteilen" distanziert sich die Jury,
allen voran der Präsident Costa- Gavras. Er geht danach,
was ihm gefällt, was ihn berührt. Und redet von einer
Liebesgeschichte zwischen ihm und dem Film, den er sieht. Die
muss es geben, dann ist ein Film für ihn gut. Musik war
in seinen Augen schon immer Thema in allen Filmen, denn sogar
beim Stummfilm laufe nichts ohne sie. Dass heutzutage die Digitalisierung
Überhand nimmt, sieht er als phantastische Chance, die
eine große Gefahr birgt.
Sehen wir die ach so musikalisch angekündigte 58. Berlinale
einfach ebenfalls als Chance, eine Chance auf den Rest der Filmfestspiele,
der hoffentlich mehr rockt als die Vorstellung der Jury.
Abgang der Jury
Die Steine rollen über Berlin
Wettbewerb "Shine a light"
Martin Scorsese. Wie er aufgeregter nicht sein kann. Wie man
ihn kennt. Schnellredend mit fahrigen Bewegungen. Ganz Regisseur.
Detailliebend. Perfektionist.
Mick Jagger sieht sich die Bühne an - aus Pappmaché.
"Was ist das?" - "Die Bühne." - "Die
sieht aus wie ein Puppenhaus." - "Aber du wolltest
es so!" - "Nein, Marty wollte es so." "Shine
a light" beginnt. Die Setliste soll Marty erst eine Stunde
vor der Show im New Yorker Beacon Theatre zu sehen bekommen.
Es wird am Ende eine Sekunde vorher sein. Eine gefühlte
Sekunde. Bill Clinton begrüßt die Fans. Die Stones
begrüßen den Politiker und seine Frau. "Nett,
Sie kennen zu lernen", sagen die Rocker einer nach dem
anderen. Man kauft es ihnen nicht recht ab, dieses Getue. Die
Stones und Floskeln? Man lacht. Alles andere hätte verwundert.
Zu viele Kameras, zu viele Scheinwerfer, klagen die Musiker.
"Wenn Mick länger als 18 Sekunden vor diesem Scheinwerfer
steht, riskieren wir, dass er verbrennt", bekommt Martin
Scorsese gesagt und antwortet genauso sachlich: "Wir können
Mick Jagger nicht verbrennen, nein, das geht nicht." Ein
Running-Gag ist die Setliste, ein inszeniert wirkender, aber
unterhaltsamer Anfang.
Wenig später brennt das Theater. Aber nur im übertragenen
Sinne. Überall Kameras, so fühlt der Film sich an.
Dabei sind es nur 16. Interessant wird es, wenn Martin Scorsese
Ausschnitte aus Interviews von früheren Tagen der Band
zeigt. Die ersten interessieren besonders. Zwei Jahre sind sie
alt. Mick gibt sich und seinen Jungs noch sicher ein Jahr, zwei
hatte er schon nicht erwartet. Weiter denkt er nicht. Nach der
zweiten Tour redet er von "einer chemischen Reaktion",
die es zwischen der Band und dem Publikum gab. Zehn Jahre später
fragt ihn wieder ein Journalist, wie lange er noch so weiterleben
will, ob er sich vorstellen kann, das noch mit 60 zu machen.
"Easily" ist seine Antwort. Die Haftstrafen von ihm
und Keith Richards kommen zur Sprache, werden jedoch nur kurz
angerissen. Überhaupt gibt es viel Konzert, den Hit "Shine
a light" natürlich und wenige Rückblicke. Der
Zuschauer ist dabei, alles von früher erfahren zu wollen,
bekommt ein paar Informationshappen und sitzt dann doch im Kino.
Ein Film ist eben ein Film, kein Live-Konzert. Und trotzdem
hat man nach diesem Stück Kino das Gefühl, den Rolling
Stones so nah wie nie gekommen zu sein. Keine Falte bleibt verborgen.
Mick Jagger tanzt, springt, joggt über die Bühne.
Ein körperlicher Kraftakt ist jedes der beiden im Herbst
2006 eingefangenen Konzerte. An Jaggers Seite tauchen Jack White,
Christina Aguilera und Blues-Legende Buddy Guy auf. Aber die
Stones sind der Kult, der hier gefeiert wird.
Berlin macht auf Stones
Die Pressekonferenz
Geschlagene anderthalb Stunden müssen die
Journalisten nach der Pressevorführung warten, ehe die
alten Herren erscheinen. Alte Herren, die Legenden sind und
immer noch abrocken können. Mick Jagger, redselig, aber
unkonzentriert, Keith Richards, bunt und unterhaltsam, Ronny
Wood, dezent schweigend, Charlie Watts, zerknirscht und wenig
interessiert. Mittendrin Martin Scorsese, um keine Antwort verlegen
und mit freundlichem Gesicht. Erst in den 70ern lernte er die
Musik der Rockband kennen. Seither lässt er keine Gelegenheit
aus, ihre Werke in seinen Filmen einzubringen. Sie sind für
ihn zeitlos. "Ich glaube, Shine a light ist der einzige
Film von dir, in dem nicht Gimme shelter vorkommt", merkt
Jagger grinsend an.
Doch wann kam Scorsese überhaupt auf die Idee für
diese Doku? "Ich habe damals schon gesagt: Eines Tages
... Es hat zwar 40 Jahre oder so gedauert", erwidert der
Regisseur, derweil er an seiner Hornbrille herumnestelt. Ob
die Musiker das mochten - gefilmt zu werden, will ein Journalist
wissen. "Charlie!" ruft daraufhin Jagger und lacht.
Charlie lacht nicht: "Ich habe es gehasst. Es ist zwar
schön gefilmt, aber ich habe es gehasst." Dann folgen
Lobesreden aufeinander. Mick Jagger guckt wahllos in die Menge,
auch wenn der Fragende extra aufsteht. Marty betont noch einmal,
dass er versucht hat, so nah wie möglich ein Stones-Konzert
einzufangen. "Die Show beginnt. Und zwei Sekunden später
ist alles vorbei", resümiert er nach den Aufnahmen.
So fühlten sich auch die Stones an. Sie kamen, sagten ein
paar verschlafene Worte, und zwei Sekunden später war der
Rummel vorbei.
Die Stones halten sich nicht lange auf. Das bekamen am Abend
auch die Fans bei der Gala-Vorstellung im Berlinale-Palast zu
spüren. Sie waren spät dran, die Rockmusiker. Zeit
für Autogramme und Interviews hatten sie wenig eingeplant.
Nach erstem Jubel quittierten die geschmückten und geduldig
wartenden Fans das mit Buh-Rufen und Pfiffen. Gefühlte
zwei Sekunden, und weg waren sie.
Wer alles zur Eröffnungsgala erschien
Fans
Schauspielerin Goldie Hawn
Punkrocklady Patti Smith
Regisseur Tom Tykwer
Die Schauspieler Jessica Schwarz
Christiane Paul und Ralf Möller
August Diehl
Regisseur Martin Scorsese
Rockstar Mick Jagger
Außerdem gesehen: Alfred Biolek, Jasmin Tabatabai, Mario
Adorf, Hellmuth Karasek, Marius Müller Westernhagen, Jürgen
Vogel und und und
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POTZDAM 2001-2008 |
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