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Neunter Tag
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17. Februar 2012
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Von
Astrid Mathis
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Wettbewerb
"Bel
Ami" (außer Konkurrenz)
Zu
schön, um wahr zu sein
George
Duroy alias Robert Pattinson hat nichts als sein Lächeln,
als er Ende des 19. Jahrhunderts mitten in Paris landet. Und
er landet wohlbemerkt in einem Bordell. Dort trifft er auf
seinen einstigen Kriegskameraden Forestier, der ihm nicht
nur einen Job besorgt, sondern ihn in die höchsten gesellschaftlichen
Kreise einführt. So soll Duroy das Tagebuch eines Soldaten
schreiben und bekommt dafür Schützenhilfe von Forestiers
Frau Madeleine (Uma Thurman), die sich dem charmanten Jüngling
entzieht, ihn aber gern an Clotilde (Christina Ricci) vermittelt.
Nach dem Tod Forestiers sieht er - der sich den Namen Bel
Ami inzwischen verdient hat - alle Hindernisse aus dem Weg
geräumt und heiratet Madame Forestier. Damit nicht genug.
Er will nicht nur gesellschaftlich aufsteigen, er will Rache
für die Nichtachtung, die ihm stets begegnet, und beginnt
ein Verhältnis mit Madame Rousset (Kristin Scott Thomas),
der Frau des Herausgebers. Indessen sägen Rousset und
Konsorten am Stuhl der Regierung und ziehen aus Kriegsanleihen
Profit.
So
schön die Kulisse auch sein mag und wie ansehnlich Robert
Pattinson mit diversen Damen herumturtelt, es wird kein Bel
Ami aus ihm. Guy de Maupassants Roman bleibt Vorlage für
einen Film, aus dem man mehr hätte machen können.
Die Pressekonferenz
Während
der Pressekonferenz übt sich der "Twilight"-Star
im Kopfsenken. Schüchtern und verunsichert reagiert er
auf die Fragen der Presse, die es gut mit ihm meint. Hauptsächlich
schlägt er die Augen nieder. Scheinbar würde er
am liebsten seinen Pulli übers Gesicht ziehen. Dass er
im Film für die Klatschspalte schreibt, habe nichts mit
ihm zu tun. Er selbst habe gar keine Erfahrung im journalistischen
Bereich, aber lustig sei es schon, ausgerechnet für den
Teil zu arbeiten, dem er täglich ausgesetzt ist. Ob er
sich als "Guter" oder "Böser" besser
fühle, will er nicht recht beantworten: "Ich muss
diplomatisch sein. - Es hat alles seine guten Seiten."
Für einen weiteren Vampir-Film hält er sich im übrigen
schon zu alt. Vier Wochen vor Drehstart begannen die Regisseure
Declan Donnellan und Nick Ormerod mit den Proben. Donnellan
erklärt die Rolle einfach so: "Es ist die Energie
von einem, der kein Talent hat, aber nach oben will. Die treibt
ihn." Robert Pattinson meint dazu, er sähe in Bel
Ami einen Mann, der sich von Geburt an zu Besserem berufen
fühle und seine Lektion lernen müsse. Bel Ami sei
überaus sensibel und egoistisch. Alles, was er hört
und sieht, bezieht er auf sich. Christina Ricci merkt an,
dass ihre Clotilde nicht den Mann sehen will, der er ist,
und als sie es sich eingestehen muss, ist es ohnehin egal,
denn sie liebt ihn sowieso. Ihr fiel es ganz leicht, dem Film
zuzustimmen. Schließlich wollte sie schon immer in einem
Kostümfilm mitspielen. Nur dass sie ihre Achselhaare
wachsen lassen musste, war ihr unangenehm.
Angesichts
der vielen weiblichen Fans will eine Journalistin wissen,
was Robert Pattinson von dem Trubel um seine Person halte,
die gar nicht so weit weg von Bel Ami wäre. Wieder rettet
er sich in Diplomatie. Natürlich ist ihm aufgefallen,
dass er hauptsächlich von einem Geschlecht gefeiert werde.
"Sie sind großartig, hier warten sogar Leute aus
Thailand. Ich kann nur sagen, dass sie sich mir gegenüber
loyal verhalten. Sie sind toll", schwärmt der Teenie-Star.
Christina
Ricci und Robert Pattinson nach der Pressekonferenz
Auch
Robert Pattinson punktet mit Loyalität, besonders aber
mit Fan-Pflege. Bereits eine halbe Stunde vor Premierenbeginn
steigt er am Berlinale-Palast aus dem Wagen, er schreibt unzählige
Autogramme, macht im Regen Fotos mit seinen Fans und gibt
letztendlich Fernsehsendern geduldig Interviews. Die beendet
er wie folgt: "Thank you for your support." (Danke
für Ihre Unterstützung.)
Das klingt doch nach einem echt britischen Gentleman.
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Achter Tag
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16. Februar 2012
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Von
Astrid Mathis
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Wettbewerb
"Gnade"
Im
hohen Norden
Norwegen
ist eine Chance für ein Paar, das sich nichts mehr zu
sagen hat. Maria und Nils wandern mit ihrem Sohn aus. Nach
Hammerfest, wo man zwischen November und Januar vergeblich
auf einen Sonnenstrahl hofft. Jürgen Vogel spricht später
von der Sehnsucht nach einem Ort, der einen nicht will. Er
kennt das. In diesem Ort ist die Polarnacht zu Hause, über
Monate Dunkelheit und Kälte, das passt zu "Gnade".
Regisseur Matthias Glasner setzt die Schauspieler einer noch
größeren Belastung aus. Die Frau, die Patienten
in den letzten Stunden ihres Lebens liebevoll begleitet, hat
einen Unfall und begeht Fahrerflucht. Das Mädchen stirbt.
Sie macht ihren Mann zum Mitwisser. Ahnungslos beobachtet
ihr Sohn, was vor sich geht, und bittet darum, wahrgenommen
zu werden.. Wie geht man mit solch einer Schuld um, gesteht
man sie am besten am Ende doch? Glasner macht dank guter Kamera
spürbar, welcher Rauheit und Schönheit das Ehepaar
ausgesetzt ist. Allein - die sakralen Elemente gelingen zu
pathetisch. Die Lösung scheint unwirklich und unannehmbar.
Die Länge des Films macht es nur noch schlimmer.
Jürgen
Vogel, Birgit Minichmayr und Matthias Glasner
Auf
der Pressekonferenz stellen sich Birgit Minichmayr, Jürgen
Vogel und Regisseur Matthias Glasner unbequemen Fragen und
versuchen, das Beste daraus zu machen.Gottseidank sind sie
nicht die ersten, die am Eismeer drehen. Trotzdem ist der
Dreh für das Team eine Reise, durch die man sich durchkämpfen
muss, betont Matthias Glasner. Jürgen Vogel muss sich
nicht mehr fragen, wie er einen Satz sagt. Da frieren Hände
und Mund so schnell ein, dass er froh ist, wenn er ihn überhaupt
rausbringt.
Ja,
Birgit Minichmayr hat die Dunkelheit aufs Gemüt geschlagen.
Sieben Wochen lang Sprachunterricht haben sie auf ihre Rolle
vorbereitet. Jürgen Vogel hat es ihr erst nicht abgenommen.
Erst als sie endlos mit einem norwegischen Busfahrer debattierte,
musste er es einsehen. Das war keine Schauspielerei, sondern
Können. Er habe im Gegensatz dazu absolut kein Sprachtalent.
Für ihn waren die Dreharbeiten in Norwegen die lustigsten
und interessantesten, von der Art, die Leute zusammenält.
Was haben sie dort Feste gefeiert! Vor allem Birgit. "Gnade"
- eine Reise von der Dunkelheit ins Licht.
Wettbewerb
"En
Kongelig Affaere"
("Die Königin und der Leibarzt")
Die
in England aufgewachsene Prinzessin Caroline Mathilde ist
Prinz Christian VII. versprochen, und so, wie sie auf ihn
wartet, kann es nur ein wahrer Romeo sein, der in Dänemark
in der Mitte des 18. Jahrhunderts ihr Gemahl werden soll.
Aber Christian ist anders, er versteckt sich bei ihrer ersten
Begegnung hinter einem Baum und zeigt seine offensichtliche
Enttäuschung über die ihm versprochene Braut mit
den kleinen Brüsten. Er ist kein Mann, zu dem sie aufsehen
kann. Zu ihm sieht keiner auf. Seine Verspieltheit wie auch
seine Stimmungswechsel lassen den jungen König zum Instrument
des ihm untergebenen Adels werden. Der nutzt sein Desinteresse
an Politik aus.
Als
sich der deutsche Arzt Johann Friedrich Struensee den Fall
genau ansieht, gewinnt er schnell Christians Vertrauen. Schließlich
erkennt er, dass Christians so genannte Verrücktheit
nicht vom vielen Masturbieren herrührt, sondern vielmehr
von Langeweile, mangelnder Akzeptanz und Aufrichtigkeit. Struensee
weckt das Interesse des Königs an Reformen und macht
ihn zu seinem Sprachrohr. Sie ziehen ja beide am selben Strang.
Königin Caroline, wahrhaft interessiert an Fortschritt
und Veränderung, kann gar nicht anders, als Struensee
ebenfalls zu erliegen. Die drei Freunde, die scheinbar alles
haben können, so zeigt es Regisseur Nikolaj Arcel in
einem Bild, wo die Drei einträchtig nebeneinander sitzen,
sind dennoch verloren. Auf den Sitz seines Hundes im Kabinett
und ein Heim für ungewollte Kinder folgt das Ende einer
sich verändernden Zeit. Caroline ist schwanger. Irgendwann
musste ja auffliegen, dass sie mit Struensee ein Verhältnis
hat. Der königliche Rat sieht seine Chance gekommen,
dem König Struensee abspenstig zu machen und seine Frau
zu verbannen. Erneut instrumentalisiert und als geistesgestört
abgestempelt, sieht er der Hinrichtung seines Freundes und
der Abschiebung Carolines tatenlos zu, fast alle Reformen
werden rückgängig gemacht.
Andrej
Arcel entwirft mit seinen Schauspielern ein historisches Gemälde
zwischen 1770 und 1772, in dem kein Strich zu viel, kein Ton
zu auffällig erscheint. Mads Mikkelsen in der Rolle des
Arztes und Alicia Vikander als Königin Caroline geben
ein bezauberndes Liebespaar ab. Aber Mikkel Boe Folsgaard
spielt unglaubliches Kino auf der Leinwand. Sein König
ist preisverdächtig.
Mads
Mikkelsen ist nicht der Typ für Kostümfilme, gesteht
er auf der Pressekonferenz, aber als er das Skript las, war
er so bewegt und fand es so aus Fleisch und Blut geschrieben,
dass er sofort begeistert zusagte. Für die Erzählung
dieser wahren Geschichte recherchierte Arcel fünf Jahre,
am Set war außerdem ein Historiker. Für Arcel ist
er auch eine Hommage an den Gedanken der Aufklärung.
Die französische Revolution ereignete sich wohlbemerkt
kurze Zeit nach dieser Geschichte. Christians Sohn Friedrich
setzte später unter anderem die Aufhebung der Leibeigenschaft
durch. Soweit die Belege. Und auch für die große
Liebe zwischen Johann und Caroline soll es Beweise geben.
Auf
die Frage, wie es war, einen Deutschen zu spielen, antwortet
Mads Mikkelsen lachend: "Wir haben ja alle Dänisch
gesprochen, also kann ich nur sagen: Ich liebe es, einen Deutschen
zu spielen." Weitaus interessanter war die Anekdote,
dass er in einer der Kopenhagener Straßen, die nach
den Filmfiguren benannt wurden, früher Äpfel geklaut
hat.
Für
die Rolle des Königs hatte Mikkel Boe Folsgaard viel
gelesen. Mal wurde Christian als manisch-depressiv hingestellt,
mal als launenhaft. Er sieht in ihm einen naiven Menschen,
der schon als Kind viel durchgemacht hat (mit drei Jahren
starb seine Mutter, sein Hauslehrer erzog ihn mit sadistischen
Mitteln). Viele Proben und Gespräche mit Nikolai gehörten
ebenso zur Erarbeitung der Rolle wie das Üben einer besonderen
Lache. "So haben wir das Monster kreiert", meint
Mikkel lächelnd, und jeder weiß, dass er den Begriff
"Monster" nur ironisch meinen kann.
Mads
Mikkelsen
beim
Autogramme-Geben
Alicia
Vikander auf dem Roten Teppich
Filmcrew
"Die Königin und der Leibarzt" vor der Premiere
im Berlinale-Palast
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Siebenter Tag
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15. Februar 2012
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Von
Astrid Mathis
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"Frauentag"
Wettbewerb
"Postcards from the Zoo"/ "White Deer Plain"
Der
Preis, den Meryl Streep für ihren Ruhm zu zahlen hat,
ist der Verzicht auf Museumsbesuche, bemerkte die Schauspielerin
gestern auf der Pressekonferenz. "Ich liebe Museen und
würde mir auch gern die in Berlin ansehen, aber das ist
dann so, dass ich ein Bild anschaue und zeitgleich mindestens
fünf Leute vor mir stehen und mich ansehen."
Der
Preis für Journalisten während der Berlinale ist
ein völlig anderer. Der Schlafrhythmus ist hin. Und dann
passiert noch so was wie heute. "Postcards from the Zoo"
("Postkarten vom Zoo") ist der 9-Uhr-Film. Ein Mädchen
läuft allein durch den Zoo. Irgendwann begegnet sie uns
als junge Frau und Tierpflegerin, sie landet bei einem Zauberer
und später in einem Salon für erotische Massagen.
Am Ende kann sich die junge Frau den Wunsch, einmal eine Giraffe
am Bauch zu berühren, erfüllen. Das schönste
Bild in der Geschichte. Zugegeben, der erste indonesische
Film auf der Berlinale wäre eine gute Gelegenheit für
eine Runde Schlaf gewesen, aber nein, manchmal klappt es eben
nicht, weil man denkt, da kommt noch was, das alles rausreißt.
Als
mittags der Historienschinken "White Deer Plain"
von Wang Quan'an (der bereits mit "Tuyas Ehe" einen
Goldenen Bären gewonnen hat) beginnt, wird um mich herum
schon getuschelt, man fragt sich, wie man den chinesischen
3-Stunden-Film aushalten soll, wenn er nicht gut ist. Bestenfalls
schlafend, aber umsonst gehofft. Der Film hat einen vielversprechenden
Anfang: Weizen. Zwei befreundete Jungs spielen die eigene
Geburt und lachen sich kaputt, natürlich mitten im Weizenfeld,
um das sich von nun an alles drehen soll. Da gibt es schon
den ersten Schock, der Kaiser konnte nicht beschützt
werden, die Getreidesteuer auch nicht. Das Dorf ist den Revolutionären
ausgesetzt, die plündern und vergewaltigen. Beide Jungen
sind herangereift und werden Frauen versprochen, müssen
heiraten, aber wo die Liebe hinfällt! Einer von ihnen,
Heiwa, verguckt sich in seine Arbeitgeberin, als er Weizen
erntet. Da wäre eine gute Gelegenheit, die Augen zu schließen,
um sie beim Abspann wieder zu öffnen. In der Hoffnung,
die Geschichte vom Ende des Kaiserreiches bis zur Invasion
der Japaner anhand zweier befreundeter Familien spannend erzählt
zu bekommen, bleibe ich hellwach. Um mich herum vernehme ich
synchrones Schnarchen. Außer schönen Bildern wird
hier nichts gezeigt, was den Zuschauer packen könnte.
Eine Frau namens "Xiaoe", die alles auf den Kopf
stellt, opiumsüchtig ist und bei sämtlichen Männern
Sexspielchen mit Fäkalsprache begleitet, bestimmt das
Geschehen. Xiaoe ist im Dorf von Heiwa von Anfang an die Ausgestoßene
und steht für das moderne Leben, das jeder probieren,
aber keiner behalten will. Von Chen Zhongshis Roman bleiben
eine Menge Prügeleien, Bestrafungen, Kriegsbilder und
Sex. Und wäre der Weizen nicht...
Wettbewerb
(außer Konkurrenz)
"Haywire"
Nur
in der ersten Minuten kann der Zuschauer Mallory Kane (Gina
Carano) für ein schutzbedürftiges Mädchen halten.
Die Kapuze ins blasse Gesicht gezogen, will sie ja nur Kaffee
trinken. Dann kommt es zur Schlägerei mit ihrem Kollegen,
und Mallory entpuppt sich als mit allen Kampfkunstarten gesegneten
Agentin. Mit der sollte sich lieber keiner anlegen, macht
Regisseur Steven Soderbergh schnell klar. Sie schnappt sich
den nächsten Typen am Eingang und flieht mit ihm und
dessen Wagen. Rückblick: Mallory sollte einen chinesischen
Journalisten in Barcelona befreien und wird zur Zielscheibe
für andere Agenten. Mit Michael Fassbender scheint sie
für denselben Auftrag da zu sein, sie kann im Abendkleid
mal zeigen, wieviel Weiblichkeit sie drauf hat. Im Hotelzimmer
liefert sie sich dann aber mit ihm eine Schlacht, wie sie
wohl bis dato nur unter Männern stattfand. Ihre Kontrahenten
in dem Actionthriller sind Ewan McGregor, Michael Douglas
und Antonio Banderas. Bill Paxton spielt den besorgten Vater,
ihre einzige Vertrauensperson.
Mal
ganz ehrlich, mit diesem Ensemble und Steven Soderbergh als
"Head of Department" kann nun wirklich nichts schief
gehen. Dazu Dublin und Barcelona als Drehorte. Einfach nur
gut.
Steven
Soderbergh mit Antonio Banderas und Gina Carano
Die Pressekonferenz
"Ohne
Gina hätte es den Film nicht gegeben", setzt Steven
Soderbergh gleich an den Anfang der Pressekonferenz. Die Mixed-Martial-Arts
Kämpferin hat Ausstrahlung, mal abgesehen von ihrem durchschlagenden
Talent. Sie ist die Gute in dem Film, und der bleibt spannend:
keine ermüdenden Verfolgungsjagden oder langweiligen
Schlägereien. Gina Carano ist ein echter Hingucker, eine
echte Kämpferin - ohne Double. Nur einmal traf sie während
der Dreharbeiten Michael Fassbender mit einer Vase am Kopf.
Nichts Schlimmes. Als Soderbergh Michael Fassbender für
den Film gewinnen wollte, fragte er ihn erst mal, ob er ein
Problem damit habe, eine Frau zu schlagen. Fassbender verneinte,
es sei ja nur eine Rolle. "Am Ende hat sie ja gewonnen",
bemerkt der Schauspieler lächelnd auf der PK. Und fügt
noch hinzu: "Ich habe herausgefunden, dass es besser
aussieht, wenn ich eine drauf kriege als umgekehrt."
Er hätte sich außerdem alles von Antonio Banderas
abgeguckt. Der gab erst mal zum besten, dass er Urlaub und
Filmdreh schon hinter sich hatte, als Soderbergh ihm überraschend
mitteilte, dass er ihn für drei letzte Szenen bräuchte.
Da war sein Bart bereits ab. "Haben Sie mitbekommen,
dass der Film mit 'oh, shit' anfängt und aufhört?
Es gibt auch eine Menge 'shit' dazwischen", kommentiert
Banderas die letzte Szene.Gina Carano schwärmte vom Adrenalinrausch
in ihrer ersten Hauptrolle. Sicher soll es nicht die einzige
bleiben.
Der
Regisseur betonte, dass 45 Prozent des Films ohne Dialog gemacht
sind, andere Actionfilme seien frustrierend. "Deswegen
funktioniert auch Hitchcock", erklärt Soderbergh,
"der Zuschauer kann zusehen und ist freier in seinen
Gedanken." Beim Filmemachen dachte er im übrigen
mehr an die 60er und 70er. Niemals sollte die Geschichte Mallorys
Perspektive verlieren. Das sei der Grund, warum es von den
Drehorten keine Postkarten-Ansichten gäbe.
Ans
Aufhören denkt Soderbergh, nebenbei bemerkt, überhaupt
nicht. "Gehen Sie nie mit Matt Damon einen trinken. Er
hat zwar hinterher behauptet, er wäre nicht betrunken
gewesen, aber er hat diese Geschichte rumerzählt, dass
ich aufhöre, und jeder fragt mich danach."
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Sechster Tag
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14. Februar 2012
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Von
Astrid Mathis
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Wettbewerb
"Was bleibt"
Leben
im Schatten
Nach
den vielen komischen Elementen, die das Südstaatendrama
"Jane Mansfield's Car" aufzubieten hatte, kommt
Hans-Christian Schmids Familiendrama recht düster daher.
Da ist nichts komisch. Marko, der sich seit dem Studium in
Berlin niedergelassen hat, fährt mit seinem Sohn übers
Wochenende zu den Eltern. Dort trifft er auch seinen Bruder,
der gleich nebenan wohnt. Papa hat die Verlagsleitung abgegeben
und will für sein eigenes Buch im Ausland recherchieren.
Marko hat schon eins rausgebracht, verschweigt aber seine
Beziehungskrise. Jakob hat seine Freundin zu Besuch und verheimlicht
ihr erst mal, dass er mit seiner privatisierten Zahnarztpraxis
am Ende ist. Keiner will über den Schatten springen und
irgendetwas eingestehen. Vor allem, weil die Mutter (hervorragend
gespielt von Corinna Harfouch) eine Krankheit hat, die seither
immer alles überschattet hat: Depression. An jenem Wochenende
klärt sie alle darüber auf, dass sie zwei Monate
zuvor die Tabletten abgesetzt hat und gut alleine zurechtkommt.
Entsetzen von allen Seiten. Ihr Mann Günther fühlt
seine Auslandsreise bedroht, will seine Frau dort aber auch
nicht an seiner Seite haben. Die Söhne sind in heller
Aufregung, fragen sich, wie lange das gut geht. Aber wie steht
ihre Mutter Gitte da? Jedes Gespräch verstummt, wenn
sie den Raum betritt. Nie weiß sie, was gerade wirklich
los ist. Nur wenn so ein Moment da ist wie in der Szene, als
alle in das Lied "Du lässt dich gehn" einstimmen,
scheint die Welt in Ordnung. Zu ihrem Ältesten Marko
hat sie die innigste Verbindung - er ist ja auch am weitesten
weg. Das sieht auch der Jüngste, der ihm Vorwürfe
macht, immer wieder weg zu sein und ihn allein mit der Situation
zu lassen. Sie nennen ihre Eltern beim Vornamen, müssen
jedoch einsehen, dass sie deren Kinder bleiben werden, egal,
wie sie sie nennen.
Was bleibt:
Corinna Harfouch, Lars Eidinger und Hans-Christian Schmid
Corinna
Harfouch will nicht beim Vornamen genannt werden. Ihre Kinder
sollen "Mutti" oder "Mama" zu ihr sagen.
"Das ist vielleicht eine westdeutsche Erfindung. Ich
finde das furchtbar", merkte sie während der Pressekonferenz
an. Zuvor hatte sie ein Journalist mit dem Gerücht konfrontiert,
eine "Regie-Plage" zu sein. "Nicht jedes Mal.
Ich lasse immer mal einen aus", konterte sie lächelnd.
Dass ihre Filmsöhne "Gitte" zu ihr sagen, ist
ganz entscheidend, findet Lars Eidinger, denn schließlich
hat es einen Grund, warum er später im Wald "Mama"
ruft. In Eltern Freunde zu suchen, kann ein Problem sein,
schließt er das Thema ab. Letztlich bliebe die Sehnsucht
nach ursprünglicher Vertrautheit, etwas Natürlichem.
"Die Krankheit prägt alle", betonte Corinna
Harfouch, "darum sind alle anderen auch krank oder unglücklich.
Alles dreht sich darum - Das erzählt auch was über
unsere Gesellschaft." Und wie hat sie sich selbst auf
die Rolle einer depressiven Mutter vorbereitet? "Mein
Gott. Das Leben bereitet einen darauf vor", erwiderte
sie, "jeder hat Probleme, und Freunde haben Probleme.
Das ist mir nicht fremd." Die Rolle einer Frau zu spielen,
die ihr Leben nicht leben darf, bewegte sie extrem. Sich in
dem Haus und dem Leben von Gitte zurechtzufinden, dauerte.
"Die Einrichtung, die Oberfläche - ich sehe sie
ganz stark. Das ist nicht meine Geschichte."
Schmid
hat im eigenen Leben recherchiert, er kennt das Gefühl,
nicht zeigen zu wollen, wie es einem geht, wenn man nach Hause
kommt. Er entlässt den Zuschauer aus dem Film mit einer
Katastrophe ohne Katharsis und endet mit einem Epilog.
Wettbewerb
"Die eiserne Lady" (außer Konkurrenz)
Die
Frau an der Spitze
Ist
sie es wirklich? Diese Frau, die da im Kleiderschrank zwischen
alten Anzügen wühlt, könnte eine noch ältere
Margaret Thatcher sein, als Meryl Streep sie geben soll. Man
muss schon genauer hinsehen, um zu erkennen, dass sie es ist,
die von der ersten Sekunde an die Szene beherrscht. Mein Gott,
diese Frau spielt unglaublich!
Der
Film beginnt mit einer Margaret Thatcher, die im kleinen Laden
um die Ecke von der Kasse gedrängt wird, weil sie keiner
mehr für voll nimmt. Sie geht nach Hause mit einer Packung
Milch und setzt sich zu ihrem Mann Dennis (hervorragend: Jim
Broadbent) an den Frühstückstisch. Was sind die
Milchpreise bloß gestiegen!, beschwert sie sich. Ihre
Tochter kommt später vorbei und will ihr beim Aussortieren
von alten Kleidungsstücken helfen. Da erst wird endgültig
klar, Margaret Thatcher ist nicht mehr Premierministerin von
England, und ihr Mann ist schon lange tot. Sie blickt zurück
auf ihr Leben, die Anfänge ihrer politischen Karriere,
der einer Krämertochter, die von den konservativen Parteigenossen
belächelt wird und in ihrem Vater immer das große
Vorbild sieht. Den Beginn ihrer großen Liebe Dennis,
der sie immer unterstützt hat und den man verstehen kann,
als er ihr einen Antrag macht. Als sie Premierministerin wird,
haben sich die Wege zwischen ihr und Dennis getrennt. Sie
lebt für die Politik, nimmt dafür Sprachtraining
für eine tiefere Stimme und mehr Wirkung sowie eine neue
Frisur in Kauf. Ihre Kinder kommen praktisch nicht mehr vor.
Schließlich ist sie die erste Frau, die in das Amt des
Premierministers gewählt wird.
Sie
sagt einmal: "Früher zählte, was du tust. Heute
zählt nur, wer du bist."
Ja,
das will man wohl glauben. Sie tat eine Menge und traf nicht
immer auf Verständnis. Vielmehr duldete sie keine andere
Meinung, so der Eindruck nach dem Film. Von der freien Marktwirtschaft
und Steuern für jeden Bürger überzeugt, zog
sie auch den Groll der Bevölkerung auf sich. Nach elf
Jahren Amtszeit, dem gewonnenen Krieg um die Falklandinseln,
der viele Menschenleben kostete, und zahlreichen Disputen
mit ihren Parteigenossen, stieg sie aus der Politik aus. Sie
wurde nicht im ersten Wahlgang gewählt, sie zog die Konsequenz.
Ob sie tatsächlich zu dem Zeitpunkt, wie im Film intendiert,
nicht mehr geistig auf der Höhe war, sei dahingestellt.
Fakt
ist, Meryl Streep als Margaret Thatcher zu erleben, ist ein
besonderes Kinoereignis.
Jim Broadbent,
Meryl Streep und Phyllida Lloyd
Die
Pressekonferenz
Es
ist Valentinstag, und Meryl Streep wird zur Beschenkten. Ein
Verehrer überreicht ihr weiße Rosen, ein anderer
schenkt eine Matroschka, die einmal Meryl Streep, einmal die
Schauspielerin als Margaret Thatcher, schließlich mit
der Robe von "Ein Teufel trägt Prada" zeigt.
Meryl Streep ist hingerissen, und das sind auch die Journalisten
im Pressekonferenzraum. Ihr Filmpartner Jim Broadbent sieht
ein bisschen verloren aus neben der Frau mit der starken Aura
- wie im Film.
Ob
sie immer noch aufgeregt sei, wenn es hieße: "The
winner is". "Aber ja." Sie mache ja auch nur
ihre Arbeit und würde nicht nach dem Superbowl greifen
wollen. Nebenbei bemerkt, um von der Rolle "runterzukommen",
gab es für die Schauspielerin nach Drehschluss ganz einfach
Gin Tonic. "Hattest du keinen?", fragt die Hollywood-Schöne
arglos ihren Film-Ehemann. Jim Broadbent verneint, und Lady
Streep hat sie Lacher auf ihrer Seite. Sie sei immer so, merkt
Broadbent lachend an. Meryl Streep gibt zu, das Make-up dauerte
lange - jeden Tag, aber immerhin arbeitet sie seit "Sophies
Entscheidung", also seit 35 Jahren, immer mit demselben
Maskenbildner. Das sei ihr großer Vorteil. Um sich der
Rolle anzunähern, habe sie sich gefragt, was sie mit
MT verbinde. Die Menschlichkeit sei sicher ein bedeutender
Faktor, erklärt Meryl Streep. "Ich habe viel durch
die Rolle gelernt", bemerkt die Schauspielerin, "als
linksliberale Amerikanerin." Vorher hatte sie immer nur
gedacht, Thatcher wäre ein Freund Ronald Reagans und
hätte eine komische Frisur. Was Frauen so denken, wenn
sie über Frauen nachdenken. "Wer weiß, was
die Leute über mich sagen. Vielleicht dasselbe",
ergänzt sie. Was Meryl Streep durch die Arbeit lernte,
war einiges: So hatte Thatcher schon früh die globale
Erwärmung erkannt, und sie tat viel für die Gleichberechtigung
der Frauen. Um nur zwei Punkte zu nennen. Nach Meryl Streeps
Meinung hat die Britin allerdings keinen Humor, so musste
ihn ihr Ehemann ja haben. Als sie nach ihrem Geheimnis für
ihre Umsetzung der Rollen gefragt wird, hält sie inne.
Das Schwierige sei, immer frisch und neu aufzutreten. Angst
sei sehr wichtig, denn die würde einen zur Vorsicht gebieten..
Sie mag generell schwierige Frauen. Dass sie nun von Dieter
Kosslick mit dem goldenen Ehrenbär ausgezeichnet wird,
sei für sie eine besondere Ehre. Besorgt fragt ein Journalist:
"Ist das jetzt das letzte Mal, dass Sie hier sind?"
Ohne Zögern antwortet die Künstlerin: "Nein",
schlägt die Augen nieder und klappt sie auf mit den Worten,
"das ist nicht das letzte Mal, dass Ihr mich hier seht."
Was den Inhalt des Filmes angeht, genauer gesagt, seinen Wahrheitsgehalt,
spricht Regisseurin Phyllida Lloyd Tacheles: 50 Prozent aus
Sicht der Premierministerin (auf Grundlage ihres Buches),
50 Prozent Erfindung. Und es war nicht ihr Anliegen, aus der
eisernen Lady eine goldene zu machen.
Dann
entschwebt die Diva mit ihren Blumen und einem Lächeln.
Seufz!
Meryl
Streep beim Abgang
Jim Broadbent
schrieb noch fleißig Autogramme.
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Fünfter Tag
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13. Februar 2012
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Von
Astrid Mathis
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Wettbewerb
"L'enfant d'en haut" ("Sister")
Das Kind von oben
Das
Kind von oben, so die wörtliche Übersetzung des
Titels, trifft es haargenau. Da lebt ein Junge in der Schweiz
und macht das Geschäft seines Lebens, wenn die Saison
beginnt. Das Geld für den Skipass hat er schnell wieder
raus. Simon stiehlt Skier, Handschuhe, Brillen und verkauft
die Ausrüstung wieder. Von dem Geld profitiert auch seine
Schwester, die im Tal mit ihm lebt und von der er sich selbst
Umarmungen erkaufen muss. Der Junge sehnt sich nach einer
Familie und schwindelt einer Amerikanerin vor, eine solche
zu haben, um wiederum deren Zuneigung zu gewinnen. Irgendwann
muss er ja auffliegen, und das passiert. Er kann nicht mehr
hoch und will in seiner Verzweiflung die Skisachen sogar am
Straßenrand verkaufen. Er tut einfach alles, um nicht
verlassen zu werden.
Die
Schweizer Regisseurin Ursula Meier hält die Situation
des Jungen nicht für unrealistisch, sagt sie während
der anschließenden Pressekonferenz. Es gäbe Leute,
die durch das soziale Netz fallen. So eine Situation wollte
sie zwischen den Schauspielern Léa Seydoux und Kacey
Mottet Klein schildern.
Wettbewerb
"Jane Manfield's Car"
Ganz in Familie
Billy
Bob Thornton holte sich für diesen Film einen ganzen
Clan an Stars zusammen. Kevin Bacon mimt den Hippie-Sohn,
Robert Duvall spielt den unnahbaren Vater, Thornton selbst
übernimmt den Part des merkwürdig agierenden, vom
Vietnamkrieg traumatisierten Sohnes. John Hurt ist das Familienoberhaupt
der zweiten Ehe.
Zur
Geschichte:1968. Mama stirbt und wird aus England überführt.
Weil sie zwei Mal verheiratet war, kommt auch der Clan der
englischen Familie nach Amerika gereist, um sich auf der Beerdigung
zu verabschieden. Es ist von Anfang an klar, dass verbal die
Fetzen fliegen werden. Die Anspannung ist einfach zu groß.
Über all dem schwebt die Erinnerung an die Kriegserfahrungen,
die der Vater (Robert Duvall) und seine Söhne erlebt
haben. Einmal fragt Billy Boby Thornton seinen Vater, ob er
eine Anekdote aus der Kindheit wüsste. Irgendwas. Er
antwortet nicht. Alle reden eigentlich aneinander vorbei.
Statt dessen nimmt der Vater seine Söhne zu Autowracks
nach einem Unfall mit und starrt scheinbar endlos darauf.
Katherine
LaNasa, John Hurt und Billy Bob Thornton
Es
ist Billy Bob Thorntons vierter Film, und er erklärt
gleich zu Anfang der Pressekonferenz, dass er ihn gemacht
hat, weil er lieber was tut, anstatt sich immer über
die laufenden Filme zu beschweren. Er schrieb das Drehbuch
und suchte Unterstützer des Projektes. "Das will
ja keiner machen, so eine Thematik in der Art. Deshalb haben
es die Russen finanziert", so Thornton. Schon als er
das Skript schrieb, hatte er für die Rollen bestimmte
Leute im Hinterkopf. Auf die Frage, ob er den Sohn spielt,
weil er niemand anderen dafür fand, antwortete er: "Warum
soll ich jemandem sagen: Mach es so oder so, wenn ich weiß,
dass die Rolle zu mir passen würde. Ich glaube, selbst
wenn ich vorher nicht entschieden hätte, hätten
alle Beteiligten sich genau die Rolle ausgesucht, die sie
bekommen haben."
Ein
bisschen was von Tschechows Humor und Tragik sei darin, findet
er. Die Schauspielerin Katherine La Nasa bemerkt, Thornton
sei ein Regisseur, der genau wüsste, was er wollte, der
die Bilder dazu im Kopf hatte und dafür sorgte, dass
sich alle am Set wohl fühlten. "Ich hatte die beste
Zeit meines Lebens", schwärmt sie. John Hurt lobt
die Sorge um Privatsphäre aller Charaktere und deren
Frieden. Ray Stevenson (den die Serie "Rom" berühmt
gemacht hat), erzählt, er wäre ganz baff gewesen,
als der Anruf kam und stolz, dabei zu sein.
Schließlich
erzählt Billy Bob Thornton, dass sein Vater - ein gewalttätiger
Ire, der im Korea-Krieg war, wie er ihn selbst beschreibt
- ihn immer zu Autowracks geschleppt hatte. Er und sein Bruder
hätten daneben gestanden und sich zwei Stunden gefragt,
warum er darauf starrte. Er konnte nicht reden. Als Thornton
17 war, starb sein Vater. Natürlich habe er ihn geliebt,
weil er sein Vater war, und natürlich wünscht er
sich, von seinem Film-Vater Robert Duvall akzeptiert zu werden.
Zu
guter Letzt - man hatte schon befürchtet, keiner würde
fragen - erkundigt sich ein Journalist nach Angelina Jolie,
mit der Thornton früher zusammen war. Will wissen, ob
sie sich sehen würden, jetzt, wo sie beide mit Filmen
auf der Berlinale präsent seien. Nein, er hat sie noch
nicht getroffen, aber das würde sicher bald zum Kaffee
einmal klappen. "Sie ist eine wunderbare Frau, eine meiner
besten Freundinnen. Auch Brad ist ein Freund von mir."
Na
dann ist ja alles gut.
Panorama
" Unter Männern - Schwul in der DDR"
Ach,
sie hätten noch so viel mehr erzählen können,
diese sechs Männer, die Regisseur Ringo Rösener
in seinem Film befragt. Frank Schäfer, der in der DDR
Verhaftungen über sich ergehen lassen musste, weil er
am Alexanderplatz in Berlin mit pinken Haaren auftauchte.
"Es war auch irgendwie cool", bemerkt er einmal,
Wenn man auffiel, war man cool. Und er stach aus der Menge
nicht nur hervor, weil er die Frisur von Billy Idol für
sich entdeckt hatte. Dass er homosexuell ist, blieb nicht
lange unbekannt und hatte Folgen, die er lieber hinnahm, als
erschossen zu werden. Dank seiner Tätigkeit am Theater
kam er in den Westen. Er wollte seinen Freund nachholen, schickte
eine Frau, die er nur zum Schein heiraten sollte. Darauf ging
er nicht ein, wollte lieber, dass Schäfer zurückkam,
aber für Schäfer war die Freiheit im Westen unverzichtbar
geworden.
Von
Freiheit konnte Eddy Stapel nur träumen. Er war auf der
Liste, konnte nicht mal seinen Traumberuf Pfarrer ausüben,
weil er Zusammentreffen von Schwulen organisierte und so was
wie Volkshochschulkurse für Schwule gab. Seine Akte ist
dick und offenbart, dass Männer auf ihn angesetzt waren,
um sich nur aus einem Grund mit ihm anzufreunden - nämlich,
um ihn zu bespitzeln.
Für
John Zimmer war es lange unvorstellbar, sich in seinem Heimatort
Lauscha zur Homosexualität zu bekennen. Und weil er in
seiner Jugend nicht ein noch aus wusste, wollte er fliehen
- durch den Thüringer Wald über die Grenze. Allein
der Gedanke, seinen Kumpel, in den er in Wirklichkeit verliebt
war, nicht wiederzusehen, hielt ihn zurück. Ihm ist anzumerken,
wie schwer es ihm fällt, sich an sein "Coming Out"
zu erinnern. Den Satz seiner Mutter bringt er nicht über
die Lippen. Alle anderen reagierten unaufgeregt, meinten:
"Hauptsache, der Junge arbeitet ordentlich."
Die
ältesten Protagonisten in dem Film sind heute 80 und
erzählen, dass es Homosexualtität nicht geben durfte
und sie sich Orte suchten, an denen sie akzeptiert wurde,
wie am FKK-Strand an der Ostsee oder auf der Klappe in Leipzig.
Jeder wusste davon, keiner sprach darüber.
Die
Dokumentation gewährt nur einen kleinen Einblick in die
Welt der Schwulen in der DDR, aber immerhin, sie tut es mit
viel Herz, lässt die Ostdeutschen lange zu Wort kommen
und weckt Verständnis für ein Leben hinter der Mauer.
Das Interesse daran stillt der Film jedoch nicht.
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Vierter Tag
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12. Februar 2012
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Von
Astrid Mathis
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Wettbewerb
"Metéora"
Liebe versetzt Berge
Was
für ein ungewöhnlicher Beitrag. Ein Klosterfilm,
in dem eine Nonne einen Mönch liebt. Stillschweigend.
Dazu noch an einem Ort, den man erfinden müsste, wenn
es ihn nicht schon gäbe - auf den Gipfeln der Metéor-Klöster
in Thessalien. Denn vom russisch-orthodoxen Kloster kann die
Nonne nicht so leicht weg. Sie muss in einem Netz per Seilwinde
heruntergelassen werden. Als sich die beiden in Gottes freier
Natur treffen, lässt einen die Frage nicht los, wie es
überhaupt anfing. Allerdings sind wir erst am Anfang.
Die Zwei fallen sich nicht einfach so in die Arme. Sie wehren
sich gegen ihre Gefühle, lassen ihre Blicke ausdrücken,
wofür ihnen die Worte fehlen. Sind sie in ihrem Heim
zurück, kämpfen sie mit ihrem Gewissen und beten.
Dazwischen wird die Geschichte bruchstückhaft auf Papier
eingeblendet wie in einem Kinderbuch. Oder wie sie als Trickfilm
aussehen könnte. Metapher für Metapher. Immer wieder
erscheint die wunderschöne Landschaft vor dem Auge des
Betrachters, und die beiden Klöster sind zu sehen. Wie
ein Refrain wiederholen sich die Bildausschnitte. Fast erschrickt
man, dass es tatsächlich zum Liebesakt kommt. Und plötzlich,
noch während die Kloster wieder eingeblendet werden,
hört man jemanden "Schande" rufen und dann
befreit auflachen. Das ist entweder sehr albern oder filmische
Dichtkunst. Ich bin für letzteres.
Berlinale Spezial "Marley"
Auf der Seite Gottes
Bob
Marley (1945-1981) ist eine Legende, und das zeigt Regisseur
Kevin Macdonald auch in seiner Dokumentation, die am Sonntagabend
im Friedrichstadtpalast Weltpremiere feierte. Von einer sehr
intimen Seite. Er zeigt ihn nicht hauptsächlich als Reggae-Ikone,
sondern vielmehr als Mensch. Macdonald hat sie dafür
alle vor die Kamera gelockt - die Mutter, den Cousin, Marleys
Frauen, seine Kinder und Freunde, Kollegen. Mit dem Filmmaterial
zusammen ergibt das eine Mischung, die mehr über Bob
Marley verrät als alles andere zuvor und ihn dadurch
vor allem nahbar macht.
Seine
Lehrerin ist die erste, die über ihn spricht. Er habe
schon immer gern gesungen, am liebsten das Lied vom Esel.
- Marley wuchs auf dem Land in Nine Mile (Gemeinde Saint Ann
auf Jamaika) auf und war als Sohn eines weißen Briten
von Anfang an ein Außenseiter in seinem Dorf. Von seinem
Vater weiß er nur, dass er gern geritten war und nicht
lange blieb. Marley sagte einmal: "Ich bin nicht auf
der Seite der Weißen und auch nicht auf der der Schwarzen.
Ich bin auf Gottes Seite." Mit 12 zog er mit seiner Mutter
nach Kingston, wo er neben dem Schweißer-Job immer mehr
an seiner Musik arbeitete. Im Alter von 16 Jahren ging er
nach Jamaika zurück, das gerade seine Unabhängigkeit
durchgesetzt hatte, und gründete seine erste Band - die
"Wailers", mit denen er sich verwirklichen wollte.
Die Wailers schleppte er sogar zum Friedhof. Seine Meinung:
"Wenn man vor Toten singen kann, kann man auch auf einer
Bühne vor vielen Menschen singen." Es dauerte nicht
lange, bis er sich Dreadlocks wachsen ließ als eindeutiges
Zeichen dafür, Rastafari zu sein. Die Verehrung von Ägyptens
Kaiser Haile Selassie ist im Film allgegenwärtig. Dazu
erklärt ein Weggefährte, was Reggae ist: Jazz, Soul,
Rhythm & Blues. Drei Schläge, den vierten denkt man
sich. So geht das. Bis zum endgültigen Durchbruch dauerte
es. Das Konzert in London 1975 war letztlich der Auslöser
für eine Reggae-Manie, die verwunderlicherweise vor allem
Weiße ergriff. Seine Gabe - er konnte Menschen zusammenbringen.
Er spielte vor 60000 Leuten, und seine Bandkollegen hatten
den Eindruck, die Hälfte davon nähme er mit nach
Hause. Sein Ort für Zusammentreffen und Gedankenaustausch
war Hope Road.
Marleys
Frauen (aus 7 Beziehungen zu Frauen gingen 11 Kinder hervor)
haben nur herzliche Worte für den Star. Sein Trumpf war
Schüchternheit. Keine konnte ihm böse sein. "Gehörte
er jemandem?" fragt eine Ex-Partnerin in der Doku. Und
seine Tochter bemerkt: "Ich dachte, dass man ihn wenigstens
einmal für sich haben könnte." Er war nicht
so. Er war für alle da. So entschied er sich für
ein Friedenskonzert, vor dem er, seine Frau Rita und sein
Manager einen Anschlag erlebten. Marley entschied sich auch,
für die Tour mit den Commodores als Vorband durch Amerika
zu reisen. Das Konzert in Pittsburgh sollte sein letztes werden.
Eine unbehandelte Fußverletzung hatte Hautkrebs zur
Folge, für den es keine Rettung mehr gab. Im verschneiten
Rottach-Egern/Bayern ließ er sich behandeln. Ohne Erfolg.
Am 8. Mai trat er die Rückreise nach Jamaika an und verstarb
drei Tage später, bevor er sein Ziel erreichte.
Neville
Garrick, Rohan Marley und Kevin Macdonald
Rohan
Marley, ein Sohn Robert Marleys, stellte sich zur Premiere
den Fragen der Journalisten. Er repräsentiere alle Marleys,
und um es vorwegzunehmen, alle seien eine Familie. Es gäbe
keine Halbgeschwister. Er sage genauso "Mummy" zu
seiner eigenen wie zu den anderen. Über seinen Vater
einen Spielfilm zu machen, hält er fast für unmöglich.
Selbst der talentierte Will Smith sei dazu nicht in der Lage.
Man müsse diesen spirituellen Geist einfach fühlen.
Das könne ja nur ein Sohn von Marley selbst. Allein schon
die Tänze!
Der
Film sollte zum 60. Geburtstag fertig werden, passend zum
Jubiläum 50 Jahre Unabhängigkeit auf Jamaika. Zwei
andere Regisseure hatten schon begonnen und aufgegeben. Kevin
Macdonald recherchierte 13 Monate und packte es. Zusammen
mit Marleys Freund, NevilleGarrick (Musikdirektor). Er machte
daraus einen Film, der mitreißt, selbst wenn man kein
Reggae-Fan ist. Bob Marley und seinem Stellenwert in der Musikgeschichte
kann man nicht näher kommen als mit dieser Dokumentation.
Rohan
Marley mit einem Fan
Kevin
Macdonald
Wettbewerb (außer Konkurrenz)
"Shadow Dancer"
Fass ohne Boden
Diese
blasse Frau mit den dunklen Haaren und dem traurigen Blick
kann keine Terroristin sein, will man meinen. Colette McVeigh
kann aber nicht anders. Sie ist hineingeboren in eine Familie,
die Anschläge verübt und mordet. Vor 20 Jahren starb
ihr jüngster Bruder, den sie statt ihrer zum Zigarettenholen
schickt. Diese Schuldgefühle wird sie nie los. Belfast,
1993. Das FBI ist ihr während eines Anschlags in der
U-Bahn auf der Spur und stellt ihr ein Ultimatum. Entweder
sie hilft als Informant, oder sie sieht ihren Sohn nie wieder.
"Keiner wird verletzt", verspricht der zuständige
Agent Mac. Und kann es doch nicht halten. Zu spät erfährt
er, dass es in der Familie schon einen anderen Maulwurf gibt
und Colette ausgeliefert ist. Diese Angst und Sehnsucht nach
Freiheit, die Colette beherrscht, trägt durch den ganzen
Film.
Andrea
Riseborough spielt Colette mit einer Zerbrechlichkeit und
Eindringlichkeit, dass man diese Figur lange nicht vergisst.
An der Seite von Clive Owen (Agent Mac) glänzt sie mit
einer überragenden schauspielerischen Leistung, sofern
sich in den tristen Farben eingebettet von Glanz sprechen
lässt.
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Dritter Tag
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11. Februar 2012
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|
Von
Astrid Mathis
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Wettbewerb
"Barbara"
Komm mit - Lauf weg
Warum
ist sie nur so sauer? Diese Frau, die da mit dem Bus auf dem
Lande ankommt und sich auf eine Bank setzt, um ja nicht zu
früh da zu sein. Aus Berlin ist sie, von der Charité,
eine gute Ärztin. Strafversetzt. Nur warum? Barbara hat
einen Ausreiseantrag gestellt und will zu ihrem Freund nach
Westdeutschland. Es ist 1980.
Nina
Hoss ist Barbara - spröde, unnahbar, abweisend. Vor allem
misstrauisch. Sie hat eine schäbige Wohnung zugeteilt
bekommen, in der immer wieder Besuch von der Stasi auftaucht,
der alles auf den Kopf stellt und sie mit einem widerlichen
Ritual untersucht. Ihr Kollege André (Ronald Zehrfeld)
kann nur ahnen, warum sie sich "separiert". Er bietet
ihr trotzdem seine Hilfe an - zu renovieren oder einen Klaverstimmer
zu besorgen. Beobachtet, wie liebvoll sie mit den Jugendlichen
umgeht, die auf die Station kommen. Das junge Mädchen,
das aus einer Besserungsanstalt ausgebrochen ist und fliehen
will, erweicht ihr Herz. Auch der Junge, der versucht hat,
sich umzubringen, lässt sie nicht los. Aber sie will
loslassen - trifft sich heimlich im Wald mit ihrem Freund,
versteckt Geld für die Flucht, plant alles genau. Dazwischen
schafft sie sich kleine Freiheiten, fährt mit dem Fahrrad
los und genießt den Wind in den Haaren. André
weiß nichts von ihren Plänen. Er sieht, dass sie
eine gute Ärztin ist und will den Schutzwall, der sie
umgibt, durchbrechen, ohne ihr weh zu tun. Aber Barbara hat
Angst, er könnte auch von der Stasi sein oder ihre Pläne
durchkreuzen. Und sie will ihren eigenen Weg wählen.
Regisseur
Thomas Petzold hat für Barbara seine Lieblingsschauspielerin
gewonnen. Nina Hoss hatte schon mit dem Film "Yella"
und, zugegeben, ihrer mystischen Art, eine Frauenfigur verkörpert,
die fesselt - und das bis zum Schluss der Geschichte. Man
will diese Frau - Petzolds Barbara - verstehen und sie begleiten,
wohin sie auch geht.
Barbara
(Nina Hoss)
Wettbewerb
"Caesar muss sterben"
Shakespeares Geheimnis
Ja,
Shakespeare wirkt therapeutisch. In dem Film der Brüder
Paolo (80) und Vittorio Taviani (82) aus Italien wird es ganz
deutlich. Die beiden Männer haben im römischen Gefängnis
Rebibbia verfolgt, wie die Insassen unter der Leitung Fabio
Cavalli Shakespeares Stück "Julius Caesar"
einstudieren. Zuerst müssen die Akteure allerdings durch
ein Casting. Einmal sollen sie sich traurig und ein anderes
Mal sehr wütend vorstellen. Sie hätten in diesem
Moment lügen und einen falschen Namen sagen können.
Sie taten es nicht, agierten mit ihrer persönlichen Geschichte.
Und ihrem Dialekt. Das sind zweifellos die schönsten
und interessantesten Minuten dieses Films. Danach wurden die
Rollen verteilt, und schon begannen die Proben. Mittendrin
sagt einer der Akteure, erst durch das Theater fühle
er, dass er in einem Gefängnis sei.
Bis
zur Aufführung sieht der Zuschauer nur Schwarz-Weiß
- Stück für Stück das Drama. Die Premiere und
das eigentliche Finale erlebt er in Farbe. Die Darsteller
reißen die Arme hoch und strahlen dem begeisterten Publikum
entgegen. Am Ende des Films wird erwähnt, dass einige
der Mitwirkenden inzwischen frei sind, Schauspieler oder Autor.
Nicht die Mörder wohlbemerkt.
So
interessant die Form der Inszenierung auch sei, man wünscht
sich, man hätte in dem Film mehr über die Menschen
erfahren, die Zeit zwischen den Proben oder zumindest, wie
es zur Freilassung kam. Schade, dass die Tavianis darauf verzichtet
haben. Das fehlt. In der Pressekonferenz verraten sie, wie
sie sich während ihrer Regie-Arbeit verständigt
haben - mit Kratzen am Kopf, Hüsteln, Zwinkern. Mehr
verraten sie nicht.
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Zweiter Tag
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10. Februar 2012
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|
Von
Astrid Mathis
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Wettbewerb
(außer Konkurrenz)
"Extrem
laut und unglaublich nah"
Black gesucht
Stephen
Daldry lässt seinen Film so harmonisch beginnen wie nur
irgend möglich. Tom Hanks und Sandra Bullock geben ein
Elternpaar ab, das wie geschaffen für Thomas Horn scheint,
und dieser Junge, der in die Rolle des Oskar schlüpft,
ist ganz klar der Held in der Geschichte. Oskar ist zwölf
und besonders. Nicht nur, weil er seinen Vater am 11. September
beim Terroranschlag in den Twin Towers verliert. Er ist irgendwie
anders als andere Kinder. Er mag nicht schaukeln, traut sich
nicht. Dafür geht er lieber auf Entdeckungsreise, zum
Beispiel nach dem verschwundenen 6. Bezirk von New York City.
In seinem Dad hat er den besten Kameraden und Herausforderer
an seiner Seite. Als ihm nach dem Tod des Vaters ein Schlüssel
in die Hände fällt, der in einem Umschlag mit der
Aufschrift "Black" steckt , versucht er, das Schloss
zu finden. Mit diesem Rätsel hat er eine Aufgabe, die
ihn länger in Verbindung mit seinem Vater sein lässt.
So denkt er. Mit seiner Mutter kann er nicht reden, er kann
sich einfach nicht überwinden, enthält ihr sogar
den Anrufbeantworter vor, auf den sein Vater an dem schlimmsten
aller Tage, wie er ihn nennt, sechs Mal sprach. Er sagt ihr
nicht mal, dass er alle New Yorker mit dem Namen "Black"
besuchen will, um eine Spur zu finden. In dem Untermieter
seiner Großmutter sieht er jedoch bald einen Verbündeten,
der ihn begleitet. Der alte Herr (Max von Sydow) ist stumm
und birgt in sich ebenfalls ein Geheimnis, das am Ende gelüftet
wird.
Nun
könnte man sagen, dass über 9/11 wirklich schon
genug Filme gedreht wurden. Aber: Stephen Daldry orientiert
sich an einer Romanvorlage, und das macht er sehr gut. Zu
meckern, weil einem die Suche lang vorkommt und man keine
feuchten Augen haben will, ist unfair. In der Geschichte werden
wir darauf gestoßen, wie man die Welt mit Kinderaugen
sieht, man fragt sich, wovor man selbst als Kind Angst hatte
und was man nicht loslassen konnte. Und der Schmerz, weil
man einen Menschen verloren hat, wie auch die Unfähigkeit,
mit jemandem darüber zu reden, ist immer wieder Thema
dieser Welt. Wie in diesem bewegenden Film.
Die
Pressekonferenz
Es
drehte sich eigentlich alles um Thomas Horn. Kaum hatte er
den Raum betreten, zog der junge Schauspieler die Aufmerksamkeit
eines jeden auf sich. Schon die erste Frage an Max von Sydow
bezog sich auf den Jungen. Wie es war mit ihm zu arbeiten.
"Ich war beeindruckt", so die Kurzzusammenfassung.
Auch Stephen Daldry geriet ins Schwärmen: "Wir haben
viel geprobt, und bald konnte ich mit ihm wie mit einem erwachsenen
Schauspieler am Set umgehen." Außerdem interessierte
die Journalisten, wie Thomas Horn sich fühlte, mit solchen
Stars wie Sandra Bullock und Tom Hanks zu arbeiten. Als er
antwortete, dankte er für die Zusammenarbeit und sagte:
"Sie waren alle sehr nett und haben mich sehr unterstützt.
Wir hatten viel Spaß." Überhaupt war es für
ihn viel angenehmer, in Szenen mit anderen zu spielen als
allein. - Bei all dem, was er sagte, klang er so überlegt
und erwachsen, dass es fast unnötig war, dass Daldry
erwähnte, Thomas stamme aus einem wohlbehüteten
Elternhaus. Vielleicht so eines wie im Film. Jedoch wies der
Star des Films jede Ähnlichkeit mit der Figur Oskar von
sich. Dafür lieferte er kurz darauf einen weiteren Beweis
für seine spezielle Art: Eine Frage ging an Daldry, die
er per Kopfhörer verpasst hatte. Sofort erklärte
ihm Thomas präzise: "Ich weiß, was die Frau
meint. Sie fragt, warum das Ende so ist, wie es ist. Es hätte
ihrer Meinung nach viel früher vorbei sein können.
So ist es ihr zu perfekt." Und nicht nur die Frage brachte
ihm Applaus ein, sondern, dass er sie selbst beantwortete.
Er erklärte, in dem Film ginge es darum, eine Familie
zusammenzubringen. Bevor das nicht passiere, könne der
Film nicht aufhören. Apropos aufhören. An Max von
Sydow ging die Frage, ob es denn anders sei, einen stummen
Charakter zu spielen. "Überhaupt nicht", entgegnete
er. Dann wurde es noch einmal sehr ernst. Jeder erzählte,
wo er sich am Tag des Anschlags befand. Max von Sydow bekam
einen Anruf, als er gerade mit seiner Frau in Schweden mit
dem Auto unterwegs war. Stephen Daldry erinnerte sich daran,
zu dem Zeitpunkt gerade den Film "The Hours" in
London fertigzustellen, und Thomas Horn meinte, er wäre
da drei Jahre alt und wahrscheinlich in New York bei seiner
Familie gewesen. Er hatte von den Ereignissen erst allmählich
erfahren und langsam begriffen, was für einen emotionalen
Schock die Betroffenen erlitten haben mussten.
Zum Abschluss baten die Fotografen Thomas Horn, auf einen
Tisch zu steigen. "Ich denke nicht, dass er dafür
gemacht ist", erwiderte er darauf und konnte sich gerade
so überwinden, den Stuhl zu nehmen, bevor er schüchtern
die Arme um die beiden Herren legte.
Incredibly
Loud
Panorama
"Elles" ("Ein besseres Leben")
Männer und Frauen
Alles
fängt mit einer scheinbar harmlosen Recherche an. Eine
Journalistin, gespielt von Juliette Binoche, will über
junge Frauen einen Artikel schreiben, die sich ihr Studium
mit Prostitution finanzieren. Heimservice sozusagen. Die Filmheldin
selbst lebt gut bürgerlich, richtet Geschäftsessen
an, übernimmt den pupertären Sohn und den Kleinen,
der dem Computerspiel verfallen ist, weil keiner recht für
ihn Zeit hat. Die Journalistin trifft sich mit zwei Frauen,
und die erzählen freizügig, wie bei ihnen das Geschäft
abläuft. Keine Spur von Leiden. Beide Frauen sehen sich
nicht als Opfer, sie können sich die Männer aussuchen,
die auf ihre Anzeige antworten. Diese Männer sind fast
immer verheiratete Männer, die von ihrer Frau gelangweilt
sind oder die gewünschten Sexpraktiken nicht erfüllt
bekommen. Man fühlt dieses unangenehme Sich-selbst-Ertappen
der Journalistin. Die sich ab diesem Moment hinterfragt und
ausflippt, als sie Pornos auf den Laptops ihre Mannes und
ältesten Sohnes entdeckt. Irgendwas kann doch nicht stimmen
in dieser Gesellschaft und in der Familie. Was das Schlimmste
oder überhaupt schlimm an dem Job sei, will die Journalistin
am Schluss noch wissen. Und sie bekommt zur Antwort: "Die
ganze Zeit lügen zu müssen." Diese Antwort
rüttelt die Protagonistin endgültig auf.
Juliette
Binoche spielt die Frau phantastisch mit viel Feingefühl
und auch einem Hauch Selbstironie. Im Gespräch fasst
sie zusammen, dass sich Männer und Frauen nach Liebe
und Sex sehnen, aber jeweils andere Vorstellungen haben. Da
helfe nur Kommunikation.
Die
polnische Regisseurin Malgoska Szumowska suchte für die
Rolle eine Frau mit Personalität und Sensibilität.
In Juliette Binoche fand sie diese Frau sofort. Beim ersten
Treffen in Paris hatte Binoche für beide gekocht, und
anschließend war klar, dass sie zusammenarbeiten würden.
Feminismus ist nicht einfach, das sollte dieser Film zeigen.
Er hatte für die Regisseurin mit einem Artikel über
die Studentinnen in Paris begonnen und fand als Filmpremiere
bei den Filmfestspielen einen krönenden Abschluss.
Elles
(Juliette Binoche)
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Erster Tag
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9. Februar 2012
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|
Von
Astrid Mathis
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Die
graue Eminenz
Die Jury stellt sich vor
Die Schauspielerin
Charlotte Gainsbourg ist die einzige, die ein bisschen Farbe
in die Jury bringt, als das Ensemble am ersten Tag der Berlinale
vor die Presse tritt. Harmonie schon in der Farbgebung. Grau
dominiert, vor allem beim Präsidenten Mike Leigh. Kaum
vorzustellen, dass die Runde aus Schauspielern, Regisseuren,
einem Fotografen und einem Autoren in den nächsten Tagen
in heftige Diskussionen verfallen wird. "Wir haben einen
offenen Geist", verkündet Regisseur Mike Leigh,
der Jury-Präsident ist und mit seinem scharfen Verstand
und angenehmen Witz nicht hinter den Berg hält. Das Berliner
Filmfestival mochte er schon immer. Und auch der Winter hier
hat was Spezielles. Jake Gyllenhaal hält sich bedeckt,
nicht nur mit der Hand vorm Gesicht, sondern auch mit seinen
Äußerungen. Er kann Mike Leigh immer nur zustimmen.
Als eine Journalistin fragt, wann sie essen und über
die Filme reden und ob sie in Bars gehen und ins Museum, ergreift
wieder Mike Leigh das Wort, sagt: "Natürlich reden
wir über die Filme, und wir gehen auch viel essen, und
wenn wir Zeit haben, tun wir all die anderen Dinge."
Einzig die deutsche Schauspielerin Barbara Sukowa erweist
sich während der halben Fragestunde ebenfalls als plauderfreudig.
Auf die Frage, wie ihre Reaktion auf die Einladung als Jurymitglied
war, antwortete sie: "Wenn man als Schauspielerin älter
wird, bekommt man eine Menge Jury-Anfragen. Wenn es dafür
Geld gäbe, könnte ich davon leben." Jake Gyllenhaal
erzählt lediglich, dass er einfach aufgeregt sein musste,
weil Festivaldirektor Dieter Kosslick so aufgeregt sei, dass
einem keine andere Wahl bliebe.
Mike Leigh
erklärt schließlich, es gäbe Weltkino, und
es gäbe Hollywood. Dass die Dominanz von Hollywood vom
Weltkino aufgehoben wird, stimme ihn optimistisch..So viel
mal zur Entwicklung des Kinos. Er gibt noch seine Deutschkenntnisse
zum besten, indem er bemerkt: "Alles ist schneebedeckt."
Schon ist der Auftakt vorbei.
Francois Ozon, Barbara Sukowa und Mike Leigh (von links)
Charlotte Gainsbourg, Jake Gyllenhaal und Asghar Farhadi (von
links)
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©
POTZDAM 2012 |
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