Schlossführungen
sind selten schön: Entweder schnoddern uns halbversierte
Studenten kurz einen Geschichtsabriss ins finstre Gesicht, dass
einem jegliches Nachfragen vergeht; oder sie sprechen gut, aber
ohne Eindringlichkeit und Würze. Nicht so in einigen abgelegenen
Orten unseres Landes, in denen man stolz auf seine illustren
Vorväter und dankbar dafür ist, was uns von ihnen
hinterlassen wurde. Eines dieser vergessenen Kleinode ist der
Park und das Schloss Branitz zu Cottbus, beide im englischen
Stil von Fürst Pückler und Architekt Schinkel ausgebaut
- womit für den geneigten Leser bereits eine Verbindung
zu Babelsberg und Glienicke hergestellt ist.
Ein Kleinod ganz anderer Art birgt Schloss Branitz jedoch in
Gestalt seiner Touristenführerin Frau Konradi. Sie ist
ein echtes märkisches Urgestein: klein von Wuchs, gut im
Fleische und (was sie so würdig macht) belesen und geschichtlich
sattelfest. Wenn sie so redet von "ihrem" Fürsten
Pückler ("hochgewachsen, blauäugig, schwarzhaarig
und leidenschaftlich"), merkt man, dass sie seine Tagebücher
nicht nur durchblättert hat - sie hat mit ihnen gebuhlt!
Nächtelang! "MeinDamundHerrn, dieser Mann war nicht
allein ein adeliger Landschaftsgärtner, ein Diplomat und
begnadeter Schriftsteller, der getrost neben Goethe und Schiller
bestehen kann, ER WAR EIN GENIE!" Bei diesem Satze schließt
sie die Augen, und jeder weiß, welche Stellung sie in
seinem Leben eingenommen hätte: Zu jeder sexuellen Dummheit
mit ihm wäre sie bereit gewesen! Und allein SIE, die Führerin,
zu erleben ist einen sonntäglichen Ausflug nach Branitz
wert!
Denn nachdem wir verspätet zur Touristengruppe
gestoßen waren, trieb sofort eine kleine, üppige,
laute Weibsperson im hässlichen Baumwoll-Blazer (der ihr
fast bis zu den Knien reichte) uns buntes Häuflein auseinander:
DAS war Frau Konradi. Sie wies uns alle an, im grünen Musiksalon
Platz zu nehmen. Zack, zack! Hinter uns schloss sie die großen
Flügeltüren, räusperte sich, begrüßte
uns, stellte sich vor und holte daraufhin tief Luft: "Ich
werde Ihnen nun von der wechselvollen Geschichte unseres Schlosses
und unseres Fürsten Pückler erzählen. Einiges
davon werden Sie vielleicht schon wissen, und wenn Sie an manchen
Stellen besonders interessiert sind, können Sie auch nachfragen.
Ich lasse mich davon nicht aus der Ruhe bringen!"
Und genau so gestaltete sich Frau Konradis
halbstündiger Monolog, zumindest anfangs: punkt- und kommagetreu
gab sie ihn zum besten, nicht das kleinste Bindewort war aus
dem Augenblick geboren. Geistvolle Spracheffekte, ihre Mimik,
scheinbar zufälliges Umhergehen, Fusselabstreifen und Nägelsäubern
- alles war treffend gesetzt und wohl dosiert. Dieser ausgefeilte
Vortrag hatte ihre Vormachtstellung unter allen Führern
des Schlosses Branitz vor etwa zwanzig Jahren markiert, und
er - eigentlich eine Darbietung für sich - hat längst
ihre überlegene Kompetenz bis zum Ende ihres Wirkens festzementiert.
Davon bin ich überzeugt.
"Nun war Hermann Fürst von Pückler-Muskau
nicht allein in Geldnot, sondern musste sich nach damaliger
Sitte im mannhaften Alter auch verheiraten. Nachdem ihm alle
englischen Fräulein zu spröde waren, sah er in der
neun Jahre älteren Lucie von Pappenheim aus dem Berliner
Hochadel eine gewinnbringende Chance; doch da sie seinem Heiratsantrag
nicht sofort zustimmte, hielt er gleichzeitig um die Hand ihrer
beiden Töchter an und machte daraus auch keinen Hehl. Ich
kann mir vorstellen, wie sich Lucie gefühlt haben muss
- und sicher können Sie es auch, meinDamundHerrn - und
keiner von uns hätte die abschlägige Antwort an den
Liederjan noch einmal überdacht."
(
inzwischen flimmerte es mir vor Augen:
das Blassgrün der Sitzpolster, das Saftgrün des Dederon-Klavierbezugs
und das Abdeckfarbengrün der Wände gingen mit Frau
Konradis Blazer eine ganz ungute Kombination ein
)
"Doch hören Sie, was dann geschah:
Er zähmte sich vier weiße Rentiere, spannte sie vor
eine weiße, herrschaftliche Kutsche und fuhr mit diesem
Gespann bis vor die Tür des Berliner Cafés Kranzler.
Dort wartete er, bis Lucie und ihre Töchter sich vom täglichen
Kaffeehausbesuch auf den Heimweg machten, hielt nochmals förmlich
um ihre Hand an, lud sie in die weiße Kutsche - und ich
bitte Sie, meinDamundHerrn, wer von uns hätte ihm da noch
widerstehen können!?"
Frau Konradis Widerstand jedenfalls war
gebrochen.
Und nun schilderte sie uns glühenden
Eifers die herausragendsten geschlechtlichen Verirrungen des
saftstrotzenden Fürsten, dass es wenigstens mich angesichts
solcher Schamlosigkeit erröten ließ.
Dann durchschritten wir die Räumlichkeiten.
Als wir ins pfirsichfarbene Zimmer traten, schloss Frau Konradi
lächelnd alle Türen. "Die Farbgebung dieses Raumes,
meinDamundHerrn, war zum Zeitpunkt der Wiederherstellung des
Interieurs völlig unbekannt. Sämtliche Aufzeichnungen
widersprachen einander oder waren uneindeutig." Und nachdem
sie die ratlosen Blicke der Gruppe abgewartet hatte, setzte
Frau Konradi mit einem süffisanten Lächeln fort: "ICH
war es, die unsere Restauratoren auf die Einzelheit hinwies,
dass sich die Farben aller hier befindlichen Räume in den
Kacheln DIESES Ofens wiederfinden, meinDamundHerrn!" und
mit großer Geste wies sie auf den unscheinbaren Raumbeheizer
in der Ecke. "Das Muster dieser Ofenkacheln mag Ihnen bloß
wie eine wirre orientalische Verzierung vorkommen; aber tatsächlich
kann aus ihr die fehlende Farbe ermittelt werden: Sehen Sie
hier das Blau des blauen Salons, das Rot des roten Salons, das
Grün
und schließlich ein Rosé, das nur
einem Zimmer zuzuordnen ist," - unsere Nerven knisterten
- "diesem hier!" Wer nicht anerkennend aufatmete,
verbeugte sich innerlich vor dem Genius der Konradi. Sie aber
lächelte nur und bat uns weiter.
Irgendwann machten wir im Schlafzimmer des
Schlosses Halt. Interessant war, wie sie die Ausmaße und
die Bequemlichkeit aller Möbel mit ihrer Körpergröße
und der des Herrn Pückler ins Verhältnis setzte. Und
als sie abermals eine Anekdote über die leibgesunden Regungen
des schließlich 80-jährigen Fürsten zum besten
geben musste - ich sah sie bereits den obersten Knopf ihrer
Bluse lösen!
Nun kann ich allen Lesern nur den einen
Rat geben: Nutzen Sie einen Sonntagsausflug und fahren Sie 'raus
nach Branitz! Stellen Sie sicher, dass Sie die Konradi gewissenhaft
durch das Schloss und seine Vergangenheit führt, und Sie
werden feststellen, dass Sie sich bei jedem Bildnis des Fürsten
erneut fragen, ob Sie auch mit ihm oder der Konradi geschlafen
hätten. Ei, ich hätte mich beherrschen können
...
doch immerhin lyrisch musste ich lustgipfeln.
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