Nightzapping
Montag
Von Mathias Rau

Wenn die gesundheitlich unausgeglicheneren Seelen unter den Menschen wieder einmal der Schlaflosigkeit anheimfallen, könnte es ihnen unter Umständen in den Sinn kommen, sich in den Schlaf fernzusehen. Zeit, einmal zu dokumentieren, was diesen Geschöpfen von unseren Fernsehanstalten zur Schlafenszeit geboten wird.

Also bewegen sich meine Finger zur Fernbedienung und schalten wahllos ein paar Sender durch. Station Nummer eins ist das Erste. Dort bekommen meine Augen einen 70er-Jahre Kriegsfilm zu sehen. Na klar, gegen das Vergessen muss vorgegangen werden, und wer eignet sich besser dafür als die ARD? Ganze fünf Minuten halte ich das aus, dann nervt mich ein Dialog. Inhalt: Sind Verluste notwendig, um einen Krieg zu gewinnen? Ende des Ganzen: Eine Nein-Doch Diskussion. Das kann ich mir auch tagsüber im Kindergarten anschauen. Also weiterschalten.

Sat 1 ist der nächste Sender. Ein schlecht synchronisierter amerikanischer Film, der zu allem Überfluß so aussieht, als würde vor der Kamera ein Sandsturm toben. Ein paar Minuten inhaltsloses Gequassel zwischen zwei großbrüstigen, vollgeschminkten Damen Mitte Dreißig. Ich schaue im Videotext nach. Aha. Ein Erotikthriller. Stöhnen bis an den Rand des Erstickens und dann abschlachten. Würg.

Da mich das Ganze an RTL 2 erinnert, ist dies meine nächste Wahl. Aber statt dem dort üblichen Nachtprogramm gibt es eine Wiederholung vom Vortag. Conan der Barbar ist dran. Arnold Schwarzenegger schaut bedeutungsschwanger in die Kamera, oder nein, der guckt wahrscheinlich immer so. Im Augenblick hypnotisiert er gerade die Reinkarnation von Kublai Khan. Erst denke ich, die beiden gehen gleich mit ihren Brotmessern aufeinander los. Dann aber fängt der Arnold an zu sprechen, und es wird klar: Er und der Mongole gehören wohl zusammen. Da aber Fantasy besser gelesen als gesehen wird (man denke nur an die Zeichentrick-Version des Herrn der Ringe, brrrr!), schalte ich zu etwas Ernsterem weiter.

N-TV. Mir ist es nach etwas Information zumute. Fast erwarte ich, vom nächsten Selbstmordanschlag eines irren Hamas-Aktivisten zu hören, doch nein: Es läuft das N-TV-Quiz. Thema ist Afghanistan. Der Anrufer darf sich Entscheidungsfragen stellen lassen. Nummer eins: In Afghanistan ist Mädchen die Schulbildung untersagt, wahr oder falsch. Der Anrufer weiß es. Das ist wahr. Bravo. Nächste Behauptung: Afghanistan war eine Kolonie der USA. Hilfe. Natürlich falsch. Wieder gewußt, wieder bravo. Irgendwie sind Quizsendungen blöd. Und weil die Quote bei einem Nachrichtenquiz wahrscheinlich sowieso im Keller ist, kommt es zu so einer nachtschlafenen Zeit. Irgendwie auch nicht das Richtige.

Schließlich lande ich beim DSF. Zwei starke Männer sägen um die Wette an einem Baumstamm herum, dazu brüllt ein Moderator mit leicht amerikanischem Akzent. Szenenwechsel. Wieder zwei Männer. Sie schlagen eine Kerbe in einen stehenden Baumstamm, stecken ein Brett dort hinein, stellen sich drauf, schlagen wieder eine Kerbe in den Baumstamm, stecken wieder ein Brett hinein, stellen sich da drauf und schlagen die Spitze des Baumstamms ab. Dazu brüllt der Moderator was von "Super-Zeit". Ich bin beim Lumberjack gelandet, einer Art Weltmeisterschaft für Holzfäller. Offenbar geht es darum, einen Baum auf zehn verschiedene Arten kurz und klein zu hacken, und zwar möglichst schnell. Ist mir irgendwie zu hektisch für diese Uhrzeit.
Schon reichlich frustriert, tippen meine Finger eine seltene Kombination in die Fernbedienung. Hoppla. "TM3 Live!" zeigt ein Emblem in der linken oberen Ecke des Bildschirms. Ich bin interessiert. In Livesendungen passiert immer so viel Ungeplantes. Links unten entdecken meine inzwischen etwas müden Augen noch etwas. Dort steht "La Notte". Welche Sprache ist das eigentlich? Französich isses nich, Spanisch isses nich. Hm. Noch überraschter bin ich von der Moderatorin. Das ist Ex-BB-Schlampe Alida. Na die hat ja Karriere gemacht, denke ich, bis sie ankündigt, mit einem Anrufer einen "Quickie" zu spielen. Peinlich berührtes Schlucken meinerseits.

Es stellt sich heraus, dass es sich dabei um eine "A oder B"-Quizfrage handelt. Schon wieder ein Quiz, bääh. Aber statt um Afghanistan geht es diesmal um "Deutschlands größte Erotikmesse". "Findet die A) in Köln oder B) in New York statt?" - dabei muss sogar Fräulein Containerküken lachen. Oh je, ist das blöd. Anruferin Traudel aus München weiß, dass es Köln ist, und gewinnt zweihundert Mark. Wofür geht der Mensch eigentlich noch arbeiten?

Der eigentliche Höhepunkt der Sendung ist allerdings ein Spiel namens "Chickenpoppen". Dabei muss der bemitleidenswerte Anrufer ein Hähnchen in Moorhuhnoptik mit Links-Rechts-Kommandos steuern. Trifft er auf ein Hühnchen, gilt es, die Silbe "Popp" so schnell wie möglich zu wiederholen. Untermalt wird das ganze durch Darstellung einer Kopulation zwischen dem Hähnchen und dem Opfer, wie sie sich ein Zwölfjähriger wohl vorstellen dürfte. Und dafür gibt es Punkte, will sagen, bares Geld. Angesichts dieser enthirnten Weise des sogenannten Entertainments ist mir nach Schreien-und-dabei-im-Dreieck-hüpfen zumute.

Eine Hoffnung habe ich noch. EUROSPORT, Leichtathletik-WM in Edmonton. Ich bin kein großer Sportfreak, aber die Kommentatoren (Sigi Heinrich und Dirk Thiele seien an dieser Stelle mal lobend erwähnt) verstehen es tatsächlich, mir das allgemeine Rennen, Schmeißen und Hüpfen näherzubringen, und das um drei Uhr nachts. Mehr noch, das gegenseitige Sticheln ("Du taugst als Hutmodel mit dem Ding auf dem Kopf, den müßten Sie mal sehen") lockert die Pausen ziwschen den Wettkämpfen ganz gut auf. DAS ist Entertainment, meine Damen und Herren von den Privaten, und nicht mal ausgedachtes. Das passiert wirklich.

© POTZDAM 2001 - Mathias Rau