Potsdam ist wirklich nett
Dringende Empfehlung nicht nur für BUGA-Besucher
Von M. Gänsel

Sie sind in Berlin, für ein paar Tage. Im neuen, großen, schönen, angesagten Berlin. Wenn Sie lange nicht dort waren, haben Sie ordentlich zu tun in der kurzen Zeit, die Sie für Verwandte und Stadt eingeplant haben. Wenn Sie keine Verwandten in Berlin haben, ist das wegen der Unterkunft zwar teurer, aber dafür geraten Sie auch nicht in diese leidige Diskussion, dass "der Berliner an sich ja ganz anders ist als wir, also als Inge und ich jetzt". Wobei "Inge und ich" selbstverständlich zugezogen sind vor 11 Jahren, weil der Berliner an sich, also den gibt es ja gar nicht mehr.

Es gibt zwei Arten, wie Sie für gewöhnlich auf Potsdam stoßen: Entweder haben Sie diesen freien Tag gegen Ende Ihres Aufenthalts noch nicht verplant und schlagen im Reiseführer zufällig die Berlin-Potsdam-Seite auf. Potsdam wird ja gern einzig im Zusammenhang mit Berlin erwähnt, und Sie sehen dann diese Bilder mit diesen Schlössern und Parks und allem und denken sich "Och einen Tag mal, nicht?"

Die andere Variante ist, dass auf Ihrem abzuarbeitenden Sehenswürdigkeiten-Plan Sanssouci steht und Sie erst nach gründlicher Recherche herausbekommen, warum das nicht in Berlin ist: weil es in Potsdam steht, dieses Schloss. Na dann nach Potsdam. Mit der S-Bahn, sagen alle, ist günstiger, fährt direkt durch. Sie sitzen dann in der S-Bahn, Ihren unzureichenden Berlin-Reiseführer auf dem Schoß, der zu Potsdam genau zweieinhalb Seiten bietet, aber da steht auch alles drauf, da reicht ja ein Tag: Sanssouci, Cecilienhof (Geschichte! Stalin!!), Park Babelsberg (Ufa! Defa!! Dietrich!) und wenn wir schaffen, noch Holländerviertel - Sie sitzen also in der S-Bahn und bekommen das erste Mal schlechte Laune, weil sich das dann doch verdammt zieht, bis Potsdam. Also dass die S-Bahn einmal geschlagene zehn Minuten fährt, ohne zu halten... da sehen Sie dann ein, dass Potsdam wohl doch eine ganze Ecke weg ist von Berlin, auch der ganze Wald dazwischen, und die Stationen heißen bald auch nur noch -wald oder -see hinten. Wannsee kennen Sie, und von da ist es dann nicht mehr weit, Sie kommen in Potsdam an und sehen erst einmal gar nichts, nur Bahnhof, seit kurzem ist das fertig und heißt Potsdam-Center.

Als Tourist sind Sie in Potsdam radikal auf sich gestellt. Sie merken das recht schnell, die Beschilderung ist beliebig, da drüben gibt's Pläne, da vorne ist die Straßenbahn, aber der Herr hier erklärt Ihnen gerne, was eine Fahrt mit diesen albernen blau-gelben Wägelchen kostet, und dann nehmen Sie doch die Straßenbahn, Sanssouci werden wir ja wohl finden. Fragen Sie niemals einen Potsdamer "Wo ist denn hier das Schloss?" denn Sie werden immer abschlägig beschieden mit einem lässigen, vernichtenden, jetzt kann man ja sagen: im Jargon von John vorgetragenen "Welschet?!" Wenn Sie wissen welches, fragen Sie ruhig.

Nachdem Sie in Sanssouci festgestellt haben, dass die Führungen für heute ausgebucht sind und Sie sich hätten voranmelden müssen, weil man ohne Führung nicht reinkommt, wandern Sie durch den Park und stoßen nach einer erbaulichen halben Stunde unversehens auf das Neue Palais, von dessen Existenz nur die besseren Reiseführer berichten. Die sich dahinter anschließenden Communs und ehemaligen Verwaltungsgebäude, die nun zur Universität gehören, lassen Sie zum ersten Mal staunen - und beneiden. Die Studenten lümmeln auf dem Rasen, der Springbrunnen strahlt in den Himmel, die Kulisse ist wunderbar historisch und mächtig. Wenn hier zu den jährlichen Musik-Festspielen Klassik erklingt, der Chor singt und rotes Feuerwerk die Säulen und Kuppeln erleuchtet, das ganze gelassen auf Decken oder zahlend in 5-Mark-Pfand-Zelten genossen und der Rückweg durch den Park von unzähligen Glühwürmchen begleitet wird - dann möchten Sie wirklich nur in Potsdam wohnen und sonst nirgendwo.

Weil es im Park nur wenige (zwei), überteuerte und gern heillos überlaufende Möglichkeiten gibt, etwas zu essen oder zu trinken, sind Sie gezwungen, die Potsdamer City aufzusuchen. Das ständige Nebeneinander von realsozialistischem Zweckbau und Kirchen, Marställen, Bürgerhäusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert, verbunden mit hanebüchenen Verfehlungen im Bereich erhellender Sichtachsen, irritiert Sie nur eine kleine Weile; bald stapfen Sie ungerührt wie der Potsdamer an all dem vorbei und mögen es einfach. Die Fußgängerzone gibt es hier selbstverständlich auch, und auch hier hat es der Potsdamer nicht versäumt, dem Klischee gerecht zu werden und knappe 500 Meter mit sinnlosen Geschäften, kleinen überteuerten Souvenirläden und ca. fünf Dönerstützpunkten zu versehen.

Am Ende des Broadway (so nennt man das hier) gehen Sie aber einfach ganz schnell nach links, bis zum Nauener Tor, und setzen sich dort umgehend ins beste Haus am Platz, das Café Heider. Wahlweise auch auf dessen Terrasse, und da bleiben Sie erst einmal eine ganze Weile, denn da ist Potsdam so richtig schön. Die Sonne strahlt auf die frisch renovierten Altbauten, der Kellner ist ostdeutsch wortkarg und dennoch freundlich, durchs Nauener Tor rauscht plötzlich eine Straßenbahn, keine zehn Meter entfernt, die Potsdamer am Nebentisch haben die Füße auf den Stuhl gelegt und füttern die Spatzen - es sitzt sich so entspannt und gelassen, wie es nur geht in Potsdam.

Wenn Sie durch all die Schirme und Bäume mal einen Blick auf das Gebäude des Cafés erhaschen, stellen Sie leicht überrascht fest, dass das jetzt schon das Holländerviertel sein muss. Das ist ja rot, das ist ja Backstein, da sind ja die Giebel so... holländisch! Nach Kaffee und Kuchen wandeln sie durch das preußische Kleinod und ärgern sich ein bisschen, weil es hier so viele Cafés gibt, und nun haben Sie ja gerade... Wenn Sie clever sind, merken Sie sich diesen Ort und kehren am Abend dorthin zurück, da finden Sie dann nämlich eher weniger touristische Kollegen, dafür ganz viele Potsdamer, die es sich einfach nur gut gehen lassen.

Verwechseln Sie Babelsberg nicht mit Potsdam. Erstens ist es für den in Potsdam am häufigsten auftretenden Touristen-Typ eine große Herausforderung, beide Orte an einem Tag abzuarbeiten. Zweitens ist das alles zwar eine Stadt, aber nicht zu vergleichen. Denn Babelsberg heißt ja nur für die Babelsberger so, alle andern dynamischen, erfolgreichen jungen Menschen, die dort selbstverständlich nur arbeiten und in Berlin wohnen, arbeiten in der Medienstadt. Die Medienstadt ist ein mehrere Hektar großes Gelände auf dem ehemaligen Ufa-Boden, das unzählige Firmen beherbergt, die alle etwas mit Film, Fernsehen oder beidem zu tun haben. Als Tourist erschließen Sie diese Vielfalt eher weniger, da Sie einzig durch die Studio-Tour auf das Gelände kommen, Sie kennen das sicher aus München; in Babelsberg ist es ein bisschen kleiner, dafür stapfen Sie durch die Kulisse von Metropolis und können das Sandmännchen in Aktion sehen. Für Kinder eine sicher spannende Angelegenheit, Erwachsene ärgern sich wieder ein bisschen, weil dann schon soviel Zeit (und Geld) weg ist und bis zum Abend gerade noch der Park Babelsberg (inkl. Schloss) geschafft werden kann.

Nicht mehr zu denken an Cecilienhof und den Tisch, an dem sie saßen, damals, und die Zonen klarmachten. Nicht zu denken an die Berliner Vorstadt, die heranreicht bis an die Glienicker Brücke, in deren Hinterland sich am See die Villen der Prominenz tummeln. Wunderbar schlendern können Sie dort, den Kopf schütteln über diesen und jenen Bau, teilhaben an der ruhigen traumhaften Atmosphäre mitten in der Stadt. Sie könnten sogar hinausrudern auf den Heiligen See - auf der einen Seite Potsdam, auf der andern Berlin, dort das Marmorpalais und hier die badenden Potsdamer. Und Sie werden auch nicht mehr in den Genuss kommen, hinter einer besonders ausufernden Baustelle die Villa Kellermann zu entdecken, in deren Garten man äußerst italienisch, wunderbar entspannt und mit Blick aufs Wasser sitzt und speist. Weil das alles nicht zu machen ist an einem Tag.

Das hätten Sie mal vorher wissen sollen. Da hätten Sie sich glatt ein bisschen mehr Zeit genommen. Nun ist es zu spät, und morgen geht's zurück nach Nürnberg. Prinzenspielplatz, Alexandrowka, Pfingstberg - Sie müssen passen. Sie haben es nicht gesehen. Dieser versteckte Biergarten, Eingang Schiffbauergasse, das art-Hotel, auf deren Rasen die Tische zehn Meter auseinander stehen und eine leichte Brise vom nahen Wasser der Havelbucht weht, das Open-Air-Kino mit Steak und Bier vom Fass im Waschhaus und am (Potsdamer!) Brandenburger Tor. Nix war, vielleicht nächstes Mal. Oder Sie machen es gleich beim ersten Mal richtig und geben Potsdam genauso viel Zeit, wie jeder Potsdamer braucht, um warm zu werden. An einem Tag können Sie maximal die Aushängeschilder abklappern, haben am Ende genau das gesehen, was in Ihrem Reiseführer viel besser fotografiert ist, sind fußlahm und legen Potsdam unter "nett" innerhalb Ihrer Berlin-Reise ab.

Ein paar Tage dagegen lassen Sie nicht nur unheimlich neugierig auf dieses Kleinod werden, sondern bescheren Ihnen auch genau jenes Maß an Überraschung und passablem Lebensgefühl, das die Potsdamer so lieben. Potsdam fließt ruhig, unspektakulär und kommod dahin - lassen Sie sich einfangen von diesem Charme und fließen Sie ein paar Tage mit.

© POTZDAM 2001 - M. Gänsel