Laut ist nicht lecker
Mittwoch
Von M.Gänsel

Überhaupt keine Ahnung vom Kochen, aber essen tu ich gern. Sehr gern sogar, und wenn es so richtig gut ist, so richtig lange dauert, dann bin ich zum Schluss besoffen vor Glückseligkeit und gackere hellauf glücklich vor mich hin, in Frankreich bin ich mal unangenehm aufgefallen, weil ich nach einem göttlichen kulinarischen Trip begann, die Engländer, die einen Tisch weitersaßen und zum Jahrestag der Normandie-Eroberung in Uniformen aufgelaufen waren, mit kleinen Semmelbröseln zu beschnipsen. Also Brösel auf den Löffel, mit dem Zeigefinger nach hinten gebogen und schnips. Sie fanden das doof, aber meine Begleitung sagte, ich hätte einen ganz süßen Schwips, und küsste mich auf die Nase. Das mit dem Schwips stimmte ja auch, aber der war vom Essen. Dass man so gut essen kann, dass einem schwummerig wird, wusste ich bis dahin nämlich noch nicht. Inzwischen hat sich das ein paar Mal wiederholt, aber ich schnipse nicht mehr, sondern bin einfach still und froh. Und danke dem Koch mit Nasenküssen.

Leider sind nicht alle Menschen, die gut kochen, auch gute Menschen. Das verdrängt man ja gerne, aber es ist nun einmal so. Bon, so einen richtig miesen Koch kenne ich nicht, da muss es einen Zusammenhang geben zwischen dem zarten Umgang mit diesem Fleischstückchen oder jenem Gemüseschnitzer und der auffallend großen Dichte an erträglichen Zeitgenossen, die unter guten Köchen zu finden ist. Das müsste man mal untersuchen.

Also still und froh bin ich dann. Still. Und ich kenne einen Koch, der ist nicht still, das ist ein ganz ganz lauter Mensch, und das stört beim Essen. Auch beim Kochen, und wenn man eingeladen ist, dann ja gern so ein bisschen vorher, dass man noch zusehen kann und schon mal ein Weinchen. Die Tür öffnet sich, und los geht das Gejohle und Ramentern, armeschwenkend wird man hineingeprügelt. Dann sitzt man am Küchentisch, in der Pfanne brutzelt es heimelig, auf dem Herd steht ein irre kompliziert aussehender Topf, und im Ofen ist auch noch was am Heißwerden. Das sieht vielversprechend, gut und lecker aus, das riecht genauso. Heißa, man möchte sich zurücklehnen. Aber das geht nicht. Weil der Koch redet. Nicht nur so, nicht Smalltalk - er redet laut. Und viel. Und noch lauter und noch mehr. Irgendwie soll man auch noch antworten. Nun mag man ja den Menschen. Und das ändert sich ja nicht, wenn der zum Koch wird, und also schweigt man ein bisschen und nickt immer mal, Seiteneinstiege in den Redefluss können versucht werden, sind aber nutzlos. Er redet redet redet. Themen hat ja Koch wie Mensch genug, nicht wahr. Es ist eine harte Nummer. Nach einer Stunde wird man "Und bei dir so?" gefragt und hustet erst mal, weil man sich so eingeschwiegen hat. Man kommt um die Antwort herum, weil's jetzt endlich zu essen gibt. Dabei wird auch geredet, aber man kann die Schluckpausen des Kochs dazu nutzen, zusammen mit der Begleitung ein Gespräch zu etablieren, das im besten Falle satte drei Schluckpausen überdauert, dann fängt der Koch mit vollem Mund wieder an zu reden, man ist ja unter sich.

Der wunderbare Augenblick eines guten Essens und die unschöne Lärmbelästigung durch den Hersteller dieser Köstlichkeiten stellen ein Dilemma dar, aus dem so gar nicht zu entkommen ist - Schweigen und genießen Sie, was anderes bleibt nicht. Es schmeckt ein bisschen schnell alles, wenn Sie verstehen. Weil der Koch so gehetzt ist im Reden, Sie so gehetzt sind im Pausenfinden, schmeckt es ein bisschen fix, wie verwischt. Trotzdem gut, aber wie verwischt, auch im Nachhinein, Sie erinnern diese ungeheure vierstündige Anstrengung und schwören sich, den Koch das nächste Mal in einem CAFÈ zu treffen, höchstens. Wenn nicht im Park, beim Laufen, da wollen wir doch mal sehen, wer schneller höher weiter redet. Ha!

© POTZDAM 2001 - M. Gänsel