»Eros«
Antje Blome-Müller im Nikolaisaal
Von Mathias Deinert

Eine halbe Stunde vorher hatte sich noch kaum ein Mensch eingefunden, und selbst Angestellte (von einem einsamen Barfräulein abgesehen) waren in der Ticket-Galerie und dem Foyer nicht auszumachen. Kein Empfang. Keine Garderobe. Doch als um 15.00 Uhr die Vernissage zur Ausstellung "Preußenbilder" im Nikolaisaal begann, mussten etliche Kunstbegeisterte gar mit einem Stehplatz zufrieden sein. Unter den bekannteren Gesichtern dieser siebten Ausstellung genannter Galerie befanden sich neben ausstellenden Künstlerinnen auch der aus Cottbus stammende Maler Hans Scheuerecker sowie die ehemalige Theater- und DEFA-Schauspielerin Annemarie Ripperger.

Ein wenig verzögert begann die als Einführung gedachte Vorrede, die Stil und Themenauffassung jeder Künstlerin näher beleuchten wollte; doch eingedenk der Tatsache, dass sämtliche Bilder erst anschließend begutachtet werden konnten, machte dieser Prolog wenig Sinn. Überdies zeugt es nicht eben von großer Begeisterung, leimt ein Lobredner sein Formeldeutsch lediglich mit ganz abgegriffenen "Bildungs"wörtern aneinander. Unkommentiert lässt man besser Sätze wie "Seine komplexen gestalterischen Intentionen werden zum Ausgangspunkt für grafische Strukturen, die Mona Höke in einem intensiven Prozess gestischer Formulierung seriell bildet", stattdessen sollte man ihm zu seinem eigenen Besten Ludwig Reiners' 800-seitige "Stilkunde" (Beck'sche Sonderausgabe: München 1961) um die Ohren schlagen, bis ihm der Mode gewordene Hang zum schwammigen Ausdruck, sein Kultivieren bloß lauwarmer Empfindungen und die Neigung zum sprachlichen Dünkel ein für allemal vergangen ist!

Was aber hat nun diese Vernissage zu etwas Besonderem gemacht, was hat sie veredelt und was war es wert, hier besprochen zu werden? Es war die anschließende Uraufführung einer Performance der jungen Antje Blome-Müller. Ihre Darbietung: ein Glanzstück ausdrucksstarker Körperbeherrschung! Ihr Thema, welches nur auf den ersten, flüchtigen Blick nichts mit dem Namen der Ausstellung zu tun hatte: Eros!

Rückgreifend auf Texte der frühgriechischen Lyrikerin Sappho, inszenierte Antje Blome-Müller den im menschlichen Körper sich manifestierenden Eros. Nach einem Einführungsdialog, der die Sinnlichkeit als eigentliche Triebfeder im Wirken und Trachten der Menschen entlarvte, gab sich ihr Leib ganz "Eros" hin. Sie verkörperte seine vielfachen Erscheinungen allein durch Haltungen der konzentrierten Ruhe, in die sie - langsam - und beinahe unmerklich - Zoll um Zoll - glitt -- innehielt -- und in jeder eindeutigen - vieldeutigen - manchmal nur unscheinbaren - dann wieder herausfordernden - treffend hinweisenden Pose einen Vers sapphischer Lyrik in selbstkomponierter Tonfolge sang: Stets sonor vibrierend, dabei klar, ohne jeden hörbaren Missgriff und mit dem gesamten Körper mitteilend! "Eros treibt mich wieder um!" Mal lag er drückend wie ein Alp auf ihrer Seele, mal umkoste er sie, erschlich sich vollkommene Hingabe. "Erlöst meine Glieder!" Welchen Zustand ihr sanftbewegter Körper auch gestaltete: Es wurde durch den gefühlvoll bewegten Leib ihr zur augenblicklichen Befindlichkeit. "Das erstarrte Blut!" Sie fleht zu ihm sehnend - "bittersüß, unbezähmbar" - sie wehrt ihm - ein Spiel aus Licht, Schatten und gebremster Bewegtheit - "ein wildes Tier!" - ja, und am Ende grätscht sie - stilvoll und vollkommen ohne jede Geschmacklosigkeit - kopfüber: erlöst!! Nicht vom Eros: durch den Eros!

Und nach einem kurzen Moment gefesselter Aufmerksamkeit bricht anerkennend würdiger Beifall los!

Die Performance, die im aufmerksamen Zuschauer weit mehr als lediglich einen ansprechenden, lebendigen Eindruck zurücklässt, ist aber nur ein Teil der heuer von Antje Blome-Müller für den Sommer geplanten Examensprüfung. Diese wird von ihr noch angereichert durch Wechselgespräche und mehrstimmig gesungene Passagen. Einen Ausblick darauf kann der interessierte Bewunderer schon während seines Galerierundgangs erhalten, wenn zuweilen Bruchstücke der bereits produzierten Fassung über Audioinstallationen in manche Räume der Ausstellung eingespielt werden. Kurzum: eine Vernissage, die gerade durch die Darbietung der an der Potsdamer Universität studierenden Künstlerin etliches hinzugewann.

Öffnungszeit der Ausstellung:
täglich (außer Sonntag) ab 10.00 Uhr

Mehr Informationen: www.nikolaisaal.de

© POTZDAM 2001 - Mathias Deinert