Frau Schmidtke geht einkaufen
Ungehöriges Verhalten von Senioren in der Öffentlichkeit.
FOLGE 2
Von M. Gänsel

Zeitungsladen Marktcenter, ich kauf da ja immer Kaffee, weil die nämlich eine Tschibo-Ecke haben. Also rein, Kaffee der Woche geschnappt und angestellt. Vier Leute vor mir, der vierte wird gerade bedient, dahinter eine Dame um die sechzig in blauweißer Haarpracht, die eigenartig wolkig frisiert ist. Und wenn ich Wolken sage, meine ich Wolken - das war ausladend und wogend, das glauben Sie nicht. Dahinter eine junge Frau, dann ich.

Die Wolkenpracht ist an der Reihe, und es beginnt ein langer, langer Dialog. "Frau Schmidtke, Sie auch mal wieder hier! Schön, Sie zu sehen, gut sehn Sie aus! Was kann ich für Sie tun?" "Jaja, die Hitze, bisschen geh ich ja auch in die Sonne, aber so lange kann ich nicht, der Kreislauf..." "Aber gut sehn Sie aus! Farbe haben Sie!" "Ja am Wochenende warn wir bei den Enkeln draußen, schon schön da, aber das sind ja Rabauken, also hier wollen sie was und da, und wenn sies nicht kriegen, ich kann Ihnen sagen."

Das ist nicht erfunden, das ging wirklich so. Klischees werden ja aus der Wirklichkeit gespeist. Hin und her, unsere Köpfe pinpongten, unser Interesse war mäßig, unsere Geduld so lala. Ich wurde ein bisschen unwillig, als Frau Schmidtke die Verkäuferin bat, doch noch mal nach dieser einen Rätselzeitung zu suchen, sie habe sie nicht gefunden. Die Verkäuferin näherte sich dem Ende des Tresens, an dem ich stand. Hinter mir stand auch noch jemand, eine Frau, und die nutzte die Chance und beugte sich fix rüber, um nach einem Buch zur BUGA zu fragen, "da steht alles drin, ganz neu, haben Sie das?" Die Verkäuferin schüttelte den Kopf, mit den Augen die dämliche Rätselzeitung suchend. "Wo kann ich das denn bekommen, gibt's hier noch einen Buchladen?"

Die Verkäuferin schüttelte wieder, und dann geschah es. Frau Schmidtke erhob das Wort. "Dauert die Unterhaltung noch lange?!" Preußisch, laut, schneidend - ich dachte, mein Schwein pfeift. Ich griff sofort nach der Frau neben mir und drückte ihr den Arm, auf dass sie schwiege. Drehte mich zu Frau Schmidtke und zischte: "Glauben Sie, dass Sie die einzige sind, die hier das Recht auf ausgedehnte Konversation hat, Frau Schmidtke?!"

Zugegeben, nicht vernichtend, aber machen Sie mal was gegen Senioren. Ich drehte mich auch gleich feige um, ignorierte das Donnerwetter, das von Schmidtkescher Seite jäh über mich hereinbrach ("Das KANN doch wohl nicht WAHR sein muss ich mir hier DUMM kommen lassen oder WAS das KANN doch wohl!") und erklärte der BUGA-Besucherin rasch, wo der nächste Buchladen ist. Ich bemühte mich die ganze Zeit über um den saubersten Potsdamer Dialekt, auf dass mich a) Frau Schmidtke nicht für eine doofe Westdeutsche und b) die Touristin für eine NETTE Potsdamerin hielte.

Als ich rauskam, stand Frau Schmidtke mit irgendeiner andern alten Schachtel am oberen Ende der Rolltreppe und schwatzte hochroten, blauweißen Kopfes. Die andere knallte in weltumspannendem Hass immer mal ihren Krückstock gegen die Rolltreppe. Man kam nicht durch. Es war mir ein Vergnügen: "Frau Schmidtke, könnte ich kurz mal... dankeschön, Frau Schmidtke, schönen Tag noch! Dankeeeee!" Der Krückstock erwischte nur meine Tasche.

Bürger, wehrt Euch.

© POTZDAM 2001 - M. Gänsel