PNN kämpft für Sie
Ein ambivalente Gratulation zum 50.
Von Markus Wicke

"Wo Berlin am schönsten ist, heißt es Potsdam", wiederholt unser kunstsinniger und durch und durch intellektueller, belesener Oberbürgermeister bei jeder sich bietenden Ausstellungseröffnung. "Und wo Berlin am provinziellsten ist, heißt es auch Potsdam", möchte man hinzufügen, angesichts der für diese Stadt so typischen Mischung aus Weltkulturerbe und Wellblechtheater, Holländerviertel und Hundekot, Prominenz und Proletkult.

Die provinzielle Stadt verdient eine provinzielle Zeitung, bekommen hat sie gleich zwei: Die Märkische Allgemeine Zeitung (um die es hier nicht gehen soll) und die Potsdamer Neuesten Nachrichten, kurz und liebevoll PNN genannt. 50 Jahre wird das Blättchen heuer, die schlimme DDR-Zeit natürlich mitgerechnet, man war NDPD-Parteiorgan, mit den üblichen DDR-Block-Parteien-Medien-Problemchen: Bisschen Zensur, die man ein bisschen umgehen konnte, Papierrationierung; und dann nach 1989 aber losschreiben, das Übliche also. Glück gehabt, der TAGESSPIEGEL hat sich des Blättchens angenommen, und so hat man als Potsdamer den Luxus von 2 Zeitungen, wenn man nicht gleich auf die Berliner Presse umschwenkt, weil man da ja sowieso arbeitet und das Wichtigste beim An-der-Kasse-Warten im Kaufland erfährt. Oder im Regionalexpress von den lautstarken Zugezogenen, aber ich schweife ab.

Das öffentliche Bild der PNN in Potsdam wird vor allem durch die bemitleidenswerten StraßenverkäuferInnen geprägt, die - wie in den schlimmen Zeiten der Inflation - bei Wind und Wetter als lebende Litfaßsäule und als Mahnung (Das wirst Du, wenn Du nach dem Studium keine Job kriegst!) an den Kreuzungen der Stadt stehen. Man möchte Ihnen den ganzen Stapel abkaufen oder hat zumindest ein schlechtes Gewissen, wenn man einfach so vorüber geht oder fährt. Demonstrativ halte ich daher immer die aus dem Briefkasten gezogene PNN in der Hand um zeigen: Ich habe sie abonniert! Ich lese sie schon! Tut mir leid!

Aber reden wir vom Inhalt, vom Lokalteil. Wirklich gut und interessant sind die historischen Artikel, die Hintergrundberichte, die kleinen aufgedeckten Skandale der Stadtpolitik, unterhaltsam-lächerlich die Grabenkämpfe zwischen CDU und der "Kampagne" im Leserbriefteil um Garnisonkirche, Häuserbesetzungen und alldas.

Richtig schlimm wird es jedoch, wenn die PNN die wenigen "Prominenten" feiert, die in dieser - auf Fremde grundsätzlich eher mit Unverständnis (Wie können die nur hier her ziehen?) reagierenden - Stadt Quartier bezogen haben. Jeder Furz von Wolfgang Joop wird zum Leitartikel, ob er nun Potsdam gerade mal wieder ganz toll findet, oder den Potsdamern eine Neidkultur unterstellt, die doch nur eine feine Reaktion auf seine angeberhafte "Ich bin Weltbürger"-Lüge ist. Joop ist Potsdamer, daher ebenfalls provinziell, aber er hat, wie jeder Potsdamer, Mutterwitz, er kann einem Scheiße zu Gold reden, er lässt einen "Jugendmode"-Laden zu einer Boutique umbauen, die leider weiterhin wie eine "Jugendmode" aussieht, nur die Preise sind anders. Und wenn der Laden dichtmacht, hatte er nie was damit zu tun, Schuld sind die Potsdamer und der Potsdamer Geschäftsführer.

Aber jetzt fange ich auch schon an wie die PNN. Das ist ja das Schlimme, man will das alles lesen, über Joop, Jauch, die Nick, Die Springer-Witwe und regt sich doch drüber auf. Also meinetwegen kann die PNN auch weiterhin drüber schreiben.

Wo die Toleranz jedoch aufhört, beginnt bei der PNN das Engagement für den sog. "einfachen Bürger" den sich der PNN-Redakteur in Wohnhaft am Stern oder Schlaatz oder im Kirchsteigfeld (die Edelplattenvariante) vorstellt. Der Potsdamer, der eigentlich im Stern-Center einkaufen geht und daher nie in die Stadt muß, es sei denn, "es ist was los", also Weihnachtsmarkt, Rummel, Zirkus oder ähnlich Schlimmes.

Dann holt sich die PNN die Frau, die so schön volksnah schreibt: Hella Dittfeld deckt alles auf, sie ergreift Partei: für den gerade sanierten Festplatz, den man nun doch vielleicht woanders hinbauen sollte (Geld ist ja genug da), für die armen Kinder, die aus dem häßlichen unmodernen Treffpunkt Freizeit getrieben werden sollten: die Millionen-Spende des Herrn Otto für das Pfingstbergschloss solle man "umlenken", um den maroden architektonischen Schandfleck am Ufer des Heiligen See aufzuhübschen. Und nun, wo die Stadt - durch Timur und seinen Treffpunkt-Trupp per Unterschriftenkampagne (schick Kinder los, und die Leute unterschreiben Dir alles) erpresst - den begrüßenswerten Abriß gestoppt hat, ist sich Chefredakteur Michael Erbach nicht zu schade, dies als Sieg der Demokratie zu feiern. Nur weil einige ehemalige DDR-Funktionäre sich ihren kleinen Palast der Republik mit Fanfarenchor und pipapo nicht kaputt machen lassen wollen. Man verschwendet nun öffentliches Geld in die Sanierung einer Lagerhalle sozialistischer Ideologien, statt neu zu bauen für die Kinder, aber nun wird es zu pathetisch.

So kann man der PNN zum 50. eigentlich nur ein paar jüngere Mitarbeiter in der Redaktion wünschen und etwas mehr Mut, auch mal mit unkonventionellen Meinungen außerhalb der Leserbriefspalten gegen die Überzahl der Abonnenten zu schießen.

Und behandeln Sie Ihre StraßenverkäuferInnen gut!

© POTZDAM 2001 - Markus Wicke