Geräuschwerkstatt
Golm
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Dienstag
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Von
Mathias Deinert
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Frühmorgens ist es. Rötlich, still, kühl liegt
die Luft auf taubenetztem Grün und Grau. Man hört vereinzelt bezaubernden
Vogelsang. Viele Menschen atmen noch im sanften Wohlgefühl der Nacht. Ein einsamer Schläfer räkelt sich in seinen Kissen, lugt manchmal verstohlen blinzelnd mit einem Auge hervor und sieht ein Bild, fast wie im Traum - 6.58 Uhr - noch Zeit, ein halbes Stündchen sich den Armen Morpheus' anheim zu geben, bis der Wecker schrillt. Während unser ehrbarer Schläfer allen morgendlichen Freuden der Welt entrückt scheint, rotten sich etwa 20 Meter vor seinem Fenster kleine, bunt angezogene, raubeinige, wieselflinke Rohlinge zusammen, sich mit prolligem Handschlag begrüßend und willig, der schlaftrunkenen Idylle jäh ein Ende zu setzen. Noch ahnt der müde Bummler nichts von alledem. Wohlig seufzend schmiegt er sich in warme Laken und schlummert seligst. Zufrieden mit sich selbst. Seinem Schöpfer dankbar um die Schöpfung. Da! Ein wuppernder Motor wird gestartet! Kurz darauf: Gelächter. Dann! Zzzziiiiiiiiiiiiessssssss …! Wie ein Kreissägeblatt schneidet sich die anbiedernd laute Geschäftigkeit der spießgeselligen Meute in den Freitagmorgen! Jeder Vogelsang verstummt. Und wieder: Hohngelächter. Hastig schreckt der Schläfer auf! Angsttraum? Warnruf? Kampf? Die erste Posaune der Apokalypse? Die Ragnarök? Zzzziiiiiiiiiiiiessssssss …! Nein. Eine allzu irdische Hölle! Dieser Lärm … schauderhaft! Der Erschreckte windet sich - Geheul der Qual - drückt beide Handflächen auf seine Ohren. Zwecklos! Das überlaute Kreischen der Säge frisst sich tiefer in sein Hirn - zzzziiiiiiiiiiiiessssssss -, stößt sich wie ein glühender Spieß in jede Windung der grauen Masse seiner Menschlichkeit, filettiert sie wie mit stumpfzahniger Messerschneide, mit sadistischem Behagen, unerbittlich - teuflisch! Kraftlos, unfähig aufrecht zu stehen, fast niedergestreckt schleppt der Gefolterte seine schlotternden Glieder bis zum offenen Fenster und stößt es mit einem Schmerzensschrei zu - ein Bild der Verzweiflung! Die Hoffnung auf Stille aber: eine Totgeburt! Zzzziiiiiiiiiiiiessssssss …! Der wachgerissene Schläfer wankt auf den Flur. Irgendetwas muss er tun, um das überlaute Geschrei aus seinem Kopfe zu verbannen: die Stirn auf eine rotglühende Herdplatte legen, den Schädel gegen Wände schlagen, bis das Gemarterte durch die Nase gegen schreiende Gaffer spritzt - irgendeine erlösende Übersprungshandlung! Doch da! Ein Dutzend anderer Wohnheimstudenten, aufgescheucht durch die ohrenbetäubend bautätigen Vorboten der Hölle, treffen dösig in der Waschbeckenhalle zusammen und wünschen sich - während unter ihren Fenstern hörbar die dämmerzeitliche Stille und das steinerne Erdreich geschändet wird - einen allseits guten Morgen! Schweigende Leidendulder! Ihnen und ihrem täglichen Martyrium gilt dieser Text! |
© POTZDAM 2001 - Mathias Deinert |