Ausflug ins Elbflorenz
Impressionen einer morgendlichen Fahrt
Von Mathias Deinert


Betuliche Stille. Es schellt. Energisch öffnet sich eine Tür frühmorgens in der Wagnerstraße. "Aaach, Brigitte, du bist es schon? Wir wollten dich doch gleich abholen!" Aber Brigitte bleibt gelassen, zieht noch einmal genüsslich (doch nicht ohne Wut im Bauch) am Zigarettenrest und bläst lungengefilterten Dunst in die frische Morgenluft: "Ich habe schon seit zehn Minuten gewartet! Da bin ich dann irgendwann einfach losgelaufen." Aber gut. Eilig werden bereits geschmierte Brötchen gegriffen und auf geht es in den kleinen Citroën. Zu viert. Eleven hinten. Zwei reizvolle Diven vorn. Der Sitz wird zurechtgeschoben, der Rückspiegel kontrolliert, die Handtasche unter dem Sitz versteckt (man weiß ja nie); doch da - ein finstrer Blick nach rechts. "Brigitte, mach das mal jetzt weg!"

Ahnungslose Blicke folgen.

Achso," beschwichtigt die Fahrerin, "ich dachte, du rauchst schon wieder."
Und ernst vom Beifahrersitz: "Also was ihr immer gegen die Raucher habt …!"

Dann wird die Fahrertür rangezogen und nach einem Nasenatmer erklärt: "Sieh mal, das ist so: Wenn du rauchst, rauche ich ja geradezu mit!" Doch die Beifahrerin nicht minder gelassen: "Rauche ich denn?" Pause. "Rauche ich denn jetzt?"

Und ohne eine Antwort wird der Wagen ausgeparkt und auf Geschwindigkeit getreten. Zwei Stunden liegen vor uns: Potsdam - Dresden. Autobahn. Zwei herrliche Stunden, in denen hörenswerteste Stilblüten unbemerkt von den Rücksitzern notiert werden.
"Du sag mal, wie hat denn Inge überhaupt ihre Terrasse verändert?"
"Die Terrasse? Die ist weg."
Prachtvolle Landschaften ziehen vor unseren runtergekurbelten Fenstern vorbei. Der Wind des ersten heiß angesagten Sommertages saust durch unser vorher mühsam zurechtgekämmtes Haar. Zerfahrene, angetrocknete Waldtiere und enge, aus Baustellen zusammengestoppelte Autobahnspuren pflastern unseren Weg nach dem ostdeutschen Süden.

Abgesehen von einer Tankstelle, zu der uns gewisse Bedürfnisse trieben (die Notdurft nämlich und das Nikotin), wird Meißen unser erster Zwischenhalt. Denn hier gibt es Erdbeeren, wie man zufällig im Vorbeifahren an einem Hoftor gelesen hat: "'s Pfund 1,50 DM! Wo bitte findet man sowas in unsren Breiten noch?" Und man ist sogleich über die grundehrliche Eigenart der Sachsen überrascht, da hier die Erdbeeren einfach pfundweise in Körbchen abgefüllt stehen, herrenlos, und bloß ein unaufdringliches Geldkörbchen daneben. (Der Potsdamer wäre, wollte jemand hierzulande mit ebensolcher Aufrichtigkeit rechnen, für so eine Verkaufsstrategie viel zu durchtrieben!) Also wird eine willkommene Pause eingelegt, und wir füttern uns mit ungewaschenen Erdbeeren.

Kurz darauf rauscht der voll besetzte Citroën wieder durch die schön geratene sächsische Landschaft.
"Wisst ihr, warum die Chinesen so dünn sind?"
"Weil die nicht rauchen, wa?" unterbricht's ironisch von rechts.
"Nein, weil die kein Fleisch essen. Nur Obst und Gemüse, Reis …"
Doch einmütig hallt dieser Behauptung von allen Seiten (auch der hinteren) Widerspruch entgegen:
"Die essen Hühnchen und Fisch," weiß man zu berichten, "die essen Enten, Hunde, Katzen, Schlangen, Mäuse …"

Schließlich ist das erste Fahrtziel erreicht und die Routen trennen sich.

Erst auf der Rücktour wird man sich wiedertreffen und im Abendrot zurück ins heimatliche Potsdam brausen, das verglichen mit dem Elbflorenz nicht minder schön, jedoch ein wenig grobherziger scheint. Ja, gerade auch der Leute wegen!

Dann werden zwei bewundernswerte Damen den Schmunzelnden auf den Rücksitzen Wortkanonaden erster Güte stegreifen und von Begebenheiten erzählen, die einem nur der Alltag solcherart serviert ("Ich sag zu dem unfähigen Fräulein: Ich habe meine Tasche verloren und muss nun alle meine Karten sperren lassen! - Sagt die: Das kann ich nicht! - Ich sag: Na, 's wusst ich!"), und wir werden uns gedacht verbeugen und dankbar sein, dass wir sie kennen dürfen! Und das meine ich wie ein Sachse: grundehrlich!

© POTZDAM 2001 - M. Deinert