Zu blöd zum Einkaufen
Intellektuelle im Alltag
Von M. Gänsel


Wenn Sie in einen Supermarkt gehen, denken Sie ja erst mal an nichts böses, bisschen einkaufen, lecker Sonderangebote erhaschen, so was. Ich gehe nicht gern einkaufen, weil ich entweder Hunger und den Korb danach nur mit Massen gefüllt habe, die noch am selben Abend verputzt werden. Ohne an morgen, übermorgen oder das Wochenende zu denken. Oder ich greife nach stundenlangem Verharren vor einem übervollen Regal mit geschlossenen Augen zu und schmeiße in den Korb, was mir in die Finger kommt. Entscheidungen sind eine feine Sache, aber wenn die Wahlmöglichkeiten im Verhältnis 1 zu 1 000 000 stehen, krieg ich schlechte Laune. Ich denke also sehr wohl an was böses, wenn ich einen Supermarkt betrete.

Schokolade kauf ich fast immer, Riegelchen oder tafelweise, Nerven usw. Einen Korb nehme ich selten. Nun steh ich in der Schlange, geduldig harrend und gar nicht mal so schlecht gelaunt, denn schließlich liegt der böse böse Einkauf hinter mir und das Ende ist nah. Leute gucken kann man auch prima, hier wird eine Beziehung beendet, dort ein Kleinkind gequält, da drüben Kaugummi geklaut. Friedlich habe ich ein Bein vorgestellt, halb offen linst mein Auge gnadenvoll über die Massen. Ich schaue zur Kasse vor, und dann seh ich es. Schon wieder ists passiert. Da hängt ein Schild, und auf dem steht: "Das ist eine süßwarenfreie Kasse!" Mein Auge verdreht sich nach oben, ich sehe auf die Süßwaren in meinen Händen, erwäge kurz, sie wieder wegzulegen - und wechsle schließlich an eine Kasse, die kein solches Schild vorweist. (Als ich das zum ersten Mal las, hab ich schon genauso darauf reagiert und mir eine Erklärung von wegen Steuer und 7% usw. zurechtgelegt.)

Das ist jetzt die Stelle, an der ca. 90% der Leser in schallendes Gelächter ausbrechen, wie kann man nur so blöd sein. Die anderen 10% machens genauso wie ich, ich weiß das, und sind jetzt noch ganz unschuldig auf meiner Seite, nicht erahnend, was daran lächerlich sein soll. Ich sag es Ihnen: Das Schild bedeutet nicht, dass SIE süßwarenfrei zu sein haben, wenn Sie an die Kasse treten. Es bedeutet, dass Sie sich dort ohne Not mit Ihrem 5jährigen Tyrannen anstellen können, weil im KASSENBEREICH keine Süßwaren in Kinderaugenhöhe feilgeboten werden. Ehrlich. Meine Tante arbeitet da, die weiß bescheid. Und die hat auch gesagt, dass total oft völlig verstörte Kunden hochroten Kopfes eine Tafel Schokolade hochhalten und fragen: "Geht das hier auch?" Also, liebe 10%: Wir sind nicht allein.

Um noch ein bisschen restintellektuellen Stolz in den nächsten Einkauf zu retten, sei darauf hingewiesen, dass die Formulierung "Das ist eine süßwarenfreie Kasse!" in sich WIRKLICH reichlich falsch zu verstehendes Potential birgt. Wer kein Kind hat, weiß ohnehin nicht, dass das Theater immer erst an der Kasse seinen Höhepunkt erreicht. Und so denkt der kinderlose Kunde zurecht, die Aufforderung gilt ihm. Und das Ausrufezeichen am Ende impliziert einen enormen Handlungsbedarf, der sich scheinbar einzig auf Süßwaren zu beziehen hat. Wahrscheinlich würde man misstrauisch, stünde dort etwa "Das ist eine butterfreie Kasse," aber bei Süßwaren oder auch Alkohol, quasi den Minderheiten unter den Basics zum täglichen Leben, akzeptiert sich eine Einschränkung und Diskriminierung irgendwie leichter - abgesehen vom jahrhundertealten Brauch in Deutschland, Schilder mit Ausrufezeichen als Verbot zu interpretieren und umgehend zu befolgen.

Also bitte: "Dieser Kassenbereich bietet keine Süßwaren an." Wäre eindeutig, würde uns helfen. Ermöglichte auch den Familienvätern, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen. Denn ausnehmend viele KINDER sind mir an diesen Kassen auch noch nicht aufgefallen, was dafür spricht, dass der eigentliche Adressat dieser Zeilen ebenfalls am Schild vorbei zu irgend einer Kasse schreitet. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Nächstes Mal geht's um die idiotischen Knöpfchen in Kopfhöhe, die der Kunde drücken soll, worauf "Bitte öffnen Sie eine weitere Kasse" ertönt. Andauernd drücken dann doofe Kunden mit bösem Gesicht auf das Knöpfchen, und nüscht passiert. Für die Befriedigung minderer Kundenbedürfnisse hätte ich da den einen oder anderen psychologischen Trick anzubieten, der WIRKLICH was bringt. Handfeuerwaffen am Gemüsestand. Falltüren im Kassenbereich. Farbbeutel an jedem Korb. Guten Einkauf.

© POTZDAM 2001 - M. Gänsel