Es ist Nacht. Finstre Nacht über dem kleinen Universitätsdörfchen
Golm. Alles liegt ruhig. Nur eine einzelne geschlossene Gesellschaft
feiert im Campushauptgebäude noch die Jugendweihe ihres jüngsten
Sprosses. Frivol geht es her, und abstoßende Partygeräusche
hallen durch die Gänge des Hauses Vierzehn.
Im dritten Stock wird ungeacht der späten Stunde noch gearbeitet.
Da sitze ich. Ein Arbeitsbericht der zurückliegenden Woche will
vervollständigt und private e-Post beantwortet sein. Keins von
beidem fließt mir gut aus den Fingern. Sei's.
Mit
einem Male höre ich, wie eine kehlige Stimme über die langen
Flure gellt. Zuerst ist sie kaum vernehmbar. Dann kommt das
Rufen näher. "Hallooo?" Ein Schaudern überläuft mich. Werden
nicht ständig unschuldige Leute auf hiesigen Campusgeländen
überfallen und vergewältigt? So etwas fürchte auch ich um diese
Zeit! Und so halte ich inne. Wartend ob die Stimme ein zweites
Mal zu mir dringt.
Sie
tut's. Verflucht noch eins! Leise schleiche ich zur Tür. Wieder
das entsetzliche Rufen. Beherzt öffne ich die Tür - und vor
mir tappst orientierungslos einer der Wachthabenden unseres
Sicherheitsdienstes in der Dunkelheit umher.
"Sie wünschen?" (Auch noch außerhalb des Dienstes Etikette bewahren;
ja, so bin ich!) Da spuckt's mir entgegen:
"Du, Du wolltest doch um Elfe hier Schluss machen!"
Verdammt! Er hat recht, der zottelige Uniformierte! (Ich musste
mich, um den Haustürschlüssel zu bekommen, nicht allein ins
Schlüsselvergabebuch eintragen, sondern auch noch unvernünftigerweise
eine Zeit angeben, zu der ich ungefähr fertig sein würde.) Nicht
ohne ein inneres Seufzen versichere ich ihm, nun zum Ende zu
kommen. Er hustet. Lange hustet er. Bestimmt mit Auswurf. Und
fragt dann:
"Bei welchen Professor arbeitste hier?" Ich antworte.
Während
ich nun den PC herunterfahre, steht er im Vorzimmer und lacht
dreckig. Bestimmt geht das Lachen gleich in ein röchelndes Husten
über. Widerlich! Ebenso widerlich wie die Zotteln, die überall
an seinem grobschlächtigen Körper herauszuwuchern scheinen.
(Unweigerlich muss ich an F.W. Murnaus Episodenfilm "Satanas"
denken, wo der Teufel stets in Gestalt der …)
"Sach
ma, is dit die Brischitt Bardoh?" unterbricht er meinen Gedankengang
und deutet mit wurstigen Fingern auf eine Postkarte an der Wand.
Ich übergehe diese infame Bemerkung wortlos. Dann treten wir
auf den Flur. (Hoffentlich müssen wir nicht so lange auf den
Fahrstuhl warten, sonst labert der mir noch …)
"Kennste 'n Witz, Kleena?" (Langsam beginne ich zu ahnen, was
unsere neue Sicherheitsfirma so preiswert macht. Die Firma wurde
nämlich des Geldes wegen gewechselt.) Ich verkrampfe innerlich.
"Nö", bringe ich heraus und drücke zitternd nach dem Fahrstuhl.
Gott sei Dank öffnen sich sofort die Türen.
"Pass
uff: Sitzen zwee im Jefängnis. Sacht der eene zum andan: 'Ick
hatte letzte Nacht jeträumt, ick bin mit'n Fahrrad hier ausjebrochen
und inne Freiheit jefahr'n.' Sacht der andre: 'Ick hatte ooch
'n Traum: Brischitt Bardoh stand nackicht vor mir und hat mit
mir rumjemacht.' Schreit der eene: 'Mensch, was haste mir denn
nich jeweckt?' Und der andere druff: 'Na, du warst doch mit'n
Fahrrad unterwegs!' Und wieder dieses schlimme Röcheln, dass
ich denken muss, das Urviech verendet mir im Fahrstuhl. "Fastehste,
Kleena, der war doch mit'n Fahrrad unterwegs!" Darauf das diabolische
Lachen. (Scheußlich!)
"Wie
kommt es denn, das man in Universitätsgebäuden Jugendweihe feiern
darf?" frage ich themenwechselnd. Der Fahrstuhl gibt uns frei.
"Ja, die feian Jugendweihe!" erläutert der uniformierte Neandertaler
ausweichend. "Hattest du schon Jugendweihe?" (Wenn jetzt die
Haustür abgeschlossen ist, schreie ich um Hilfe!) "Ja klar!"
antworte ich wohlerzogen. (Herr des Himmels! Freiheit!!) "Ick
ooch!"
Schnell
kann ich in die Nacht entkommen. So trennen sich unsere Wege.
Er schlurft zurück in das Häuschen, in dem die geheuerten Männer,
denen man ihre Qualifizierung nicht sofort anmerkt, stets sitzen
und sich einschließen. (Wohl, damit sie selbst nicht überfallen
werden, die langen zwei Stunden, in denen sie das Pförtnerhaus
besetzt halten.) Und statt zwei Wachhabende pro Schicht einzuteilen,
wie es das Beste wäre, macht sich nun bloß noch ein Hintern
im ausladenden Bürostuhl breit. Unverantwortlich!
Was
nämlich tun, wenn dieser eine ausfällt (sei es - man hat so
etwas ja alles schon gehört - durch einen plötzlichen fremden
Überfall, eigenen Schlaganfall, spontane Selbstentzündung oder
bleierne Müdigkeit) und Golm unter die Fuchtel maraudierender
Dorf-Schergen gerät? Ich denke, darüber müssen wir uns keine
Gedanken machen; denn solche Leute, vor denen früher die Schranke
runterfiel, haben nun das Wachhäuschen in ihrer Gewalt. Was
hier nachts auch geschieht, es wird ungesehen und ungemeldet
bleiben. Und unsere neue Sicherheitsfirma mit ihren finsteren
Gesellen hat, bei Licht besehen, wirklich nur den einen Vorzug:
Sie
ist billig!
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