Welches Teilchen hättens gern?
Dienstag
Von M. Gänsel


Tatort: Supermarkt auf der Brandenburger Straße. Noch nicht lange auf, endlich einer in der City, gern gesehen, gern eingekauft. Vorn ist ja so ein Bäckerstand, da holt man sich auch gern mal was. Freund von mir, nennen wir ihn der Einfachheit halber Peter, steht an diesem Bäckerstand. Fröhlich steht er da in der Schlange, draußen scheint die Sonne, vor dem Laden spritzen sich Potsdamer Punks mit Pumpguns voll, die Welt ist in ein helles, warmes Licht gehüllt, die beiden Verkäuferinnen hinter dem Bäckertresen haben ordentlich zu tun.

Hier ein Teilchen, dort ein Kaffee, und plötzlich kommt die eine hinterm Tresen vor, geht zur Glasfront neben dem Eingang, nimmt eine Spiegelreflexkamera mit Stativ, die dort steht, und geht mit dem diesmal ziemlich fetten Teilchen hinter den Tresen zurück. Legt die Kamera an einen Ort, der im Osten unterm Ladentisch hieß. Peter guckt zu, denkt sich nix bei. Noch paar Leute vor ihm, da hat er Zeit zu gucken.

Nach ein paar Minuten kommt einer der Pumpgun-Punks von draußen hinein, schaut auf die Glasfront, schaut nach unten, nach links, nach rechts, ja gar nach oben schaut er. Peter ahnt was. Der Punk geht bisschen im Kreis, tausend Fragen im Gesicht. Fragt ein paar Umstehende, ob sie vielleicht... Kopfschütteln. Kommt zum Bäckerstand, fragt eine Verkäuferin, die andere steht daneben. "Nein," sagt die Verkäuferin. Die andere schüttelt energisch den Kopf. Der Punkt geht traurig wieder raus. Peter hält die Luft an.

Die Verkäuferinnen wechseln einen Blick, die eine geht zu DER Stelle, nimmt die Kamera raus, packt sie woanders hin, stapelt ein paar Tüten drüber. Peter atmet aus. Kauft das Brot, geht raus zum Punk und sagt zu dem Punk: "Ähem, frag mal beim Bäcker..." - "Hab ich schon;" sagt der Punk deprimiert. "Frag noch mal," raunt Peter mit wissendem Blick, "ich hab gesehen, dass die die weggenommen haben." Der Punkt geht rein, fragt noch mal.

Peter sieht von draußen, wie die beiden Tresendamen erneut, diesmal unisono, den Kopf schütteln. Punk kommt raus, Peter nimmt Punkhand, beide auf den Wellen der Gerechtigkeit wieder rein. Verkäuferinnen: "Na da kann ja jeder kommen, so ein teures Ding, das lässt man ja nicht einfach so, ich meine woher soll ich denn wissen dass die DEM gehört." Peter grient fies. Verkäuferin: "Hab ja gesehn, wie der die dahingestellt hat, ich dachte, der hat die geklaut, wir wollten gerade die Polizei..." Punk ist so verunsichert, dass er technische Daten runterrasselt, sagt welcher Film drin ist und wie viele Bilder er verschossen hat. "Ich hab die hier nur reingestellt, dass die nicht nass wird!"

Kamera wird schweren Herzens dem Punk übergeben. Peter bekommt eine Pumpgun geschenkt. Die Welt ist um eine himmelschreiende Ungerechtigkeit ärmer. Es ist so widerlich, wie es peinlich ist. Es ist ein Elend.

© POTZDAM 2001 - M. Gänsel