»Kennwort Glück«
Jugendtheatergruppe ›Havarie light‹ im Waldschloss
Von Mathias Deinert


"Das ist schon die erste Unart", raunte mir meine spritzige Begleitung zu. "Ein Publikum bei der Premiere warten zu lassen!" Ganze zehn Minuten hatten wir zu warten und in die abgedunkelten, leeren Kulissen zu starren, bevor Ruhe einkehrte und das Stück mit dröhnender Beat-Musik begann. Doch das besaß Reiz.

Yasmina Ouakidi vom Theater HAVARIE hatte ein zeitgeistiges Stück geschrieben, über dessen Probenverlauf ich eingehend informiert gewesen war: Handlung und Ende hatten zu Beginn der Proben noch nicht bis ins Einzelne festgestanden, und erst zwei Wochen vorher war die Ausarbeitung von "Kennwort Glück" zu dem geraten, was den Zuschauern am 6. Juli präsentiert wurde.

Die Geschichte kurz umrissen: Detektiv Brandt, jung und erfolglos, wird eines Tages von einer mysteriösen Frau beauftragt, das Glück zu finden. Sie äußert sich nicht näher dazu, doch gibt ihm eine Anzahlung, die ihn den Auftrag annehmen lässt. Vierundzwanzig Stunden hätte er Zeit, sagt sie und verschwindet. So beginnt seine Suche inmitten einer Welt von Menschen, die das Glück entweder von ihm erwarten oder ihm verkaufen wollen, einer Welt voll von Haien, Dealern, Untergangspropheten, Gebrochenen, Kriminellen, Idealisten und Frauen; und es endet mit dem hinterfragten Sinnwort: Ist das größte Glück, sich selbst zu finden!?

Der Applaus war gewaltig; erst recht für Spielort und Publikum. Und es war de facto ein wohlfeil inszeniertes Stück, dem man die lockere Federführung anmerkte. Immer waren es prägnante, stilisierte Episoden, anhand derer sich die Handlung zusammenfügte. Erzählt wurde mal anschaulich, mal abstrakt. Es schien jedoch, das Stück sei an keiner Stelle mehr, als gezeigt wurde. Gewisse sinnfällige Verknüpfungen mussten gedanklich nicht bewältigt, sondern lediglich geschaut werden, womit das Stück ein genaues Kind unserer Zeit ist - was ich nicht abwertend meine. Platt oder belanglos war es nämlich nicht: vielmehr eine zeitgenössische Fotografie, die man sich kurz betrachtet, denn ein Gemälde, vor dem man stehen bleibt.

Während die Intendantin jedem der Akteure eine rote Gerbera überreichte, klatschte meine Begleiterin auch und flüsterte: "Eine wunderbare Möglichkeit, Leute von der Straße weg zu holen!" Ein Kommentar, der zweifellos der Darbietung nicht gerecht wird, aber die Atmosphäre des Stückes beschrieb, das häufig genug alltäglich und jargonartig sein musste, um die Zugehörigkeit zur Gegenwart und die Abgrenzung zu einigen abstrakten Erzählelementen herauszustellen. Beachtlich muss in diesem Zusammenhang das Können einiger Schauspieler genannt werden, die selbstverständlich erst am Anfang ihrer möglichen Laufbahnen stehen, aber vielfach schon die Zusage einer Schauspielschule vorweisen können oder in anderen Off-Theatergruppen engagiert sind.

Im Anschluss gab es eine Nachfeier, bei der auch das Publikum eingeladen war, sich mit der Truppe auszutauschen, und ein nächtliches Nacktbaden im Heiligen See - von dem jegliche Zuschauer bedauerlicherweise ausgeschlossen waren. Anderntags wurde "Kennwort Glück" erneut aufgeführt. Und obwohl man über wenige technische Pannen hinwegspielen musste und das Publikum ein gehörig anderes war, wurde Yasmina Ouakidi und ihre "Havarie light" mit Applausraketen und Fußstampfern entlohnt.

© POTZDAM 2001 - Mathias Deinert