"Das ist schon die erste Unart", raunte mir meine
spritzige Begleitung zu. "Ein Publikum bei der Premiere
warten zu lassen!" Ganze zehn Minuten hatten wir zu warten
und in die abgedunkelten, leeren Kulissen zu starren, bevor
Ruhe einkehrte und das Stück mit dröhnender Beat-Musik
begann. Doch das besaß Reiz.
Yasmina Ouakidi vom Theater HAVARIE hatte
ein zeitgeistiges Stück geschrieben, über dessen Probenverlauf
ich eingehend informiert gewesen war: Handlung und Ende hatten
zu Beginn der Proben noch nicht bis ins Einzelne festgestanden,
und erst zwei Wochen vorher war die Ausarbeitung von "Kennwort
Glück" zu dem geraten, was den Zuschauern am 6. Juli
präsentiert wurde.
Die Geschichte kurz umrissen: Detektiv Brandt,
jung und erfolglos, wird eines Tages von einer mysteriösen
Frau beauftragt, das Glück zu finden. Sie äußert
sich nicht näher dazu, doch gibt ihm eine Anzahlung, die
ihn den Auftrag annehmen lässt. Vierundzwanzig Stunden
hätte er Zeit, sagt sie und verschwindet. So beginnt seine
Suche inmitten einer Welt von Menschen, die das Glück entweder
von ihm erwarten oder ihm verkaufen wollen, einer Welt voll
von Haien, Dealern, Untergangspropheten, Gebrochenen, Kriminellen,
Idealisten und Frauen; und es endet mit dem hinterfragten Sinnwort:
Ist das größte Glück, sich selbst zu finden!?
Der Applaus war gewaltig; erst recht für
Spielort und Publikum. Und es war de facto ein wohlfeil inszeniertes
Stück, dem man die lockere Federführung anmerkte.
Immer waren es prägnante, stilisierte Episoden, anhand
derer sich die Handlung zusammenfügte. Erzählt wurde
mal anschaulich, mal abstrakt. Es schien jedoch, das Stück
sei an keiner Stelle mehr, als gezeigt wurde. Gewisse sinnfällige
Verknüpfungen mussten gedanklich nicht bewältigt,
sondern lediglich geschaut werden, womit das Stück ein
genaues Kind unserer Zeit ist - was ich nicht abwertend meine.
Platt oder belanglos war es nämlich nicht: vielmehr eine
zeitgenössische Fotografie, die man sich kurz betrachtet,
denn ein Gemälde, vor dem man stehen bleibt.
Während die Intendantin jedem der Akteure
eine rote Gerbera überreichte, klatschte meine Begleiterin
auch und flüsterte: "Eine wunderbare Möglichkeit,
Leute von der Straße weg zu holen!" Ein Kommentar,
der zweifellos der Darbietung nicht gerecht wird, aber die Atmosphäre
des Stückes beschrieb, das häufig genug alltäglich
und jargonartig sein musste, um die Zugehörigkeit zur Gegenwart
und die Abgrenzung zu einigen abstrakten Erzählelementen
herauszustellen. Beachtlich muss in diesem Zusammenhang das
Können einiger Schauspieler genannt werden, die selbstverständlich
erst am Anfang ihrer möglichen Laufbahnen stehen, aber
vielfach schon die Zusage einer Schauspielschule vorweisen können
oder in anderen Off-Theatergruppen engagiert sind.
Im Anschluss gab es eine Nachfeier, bei
der auch das Publikum eingeladen war, sich mit der Truppe auszutauschen,
und ein nächtliches Nacktbaden im Heiligen See - von dem
jegliche Zuschauer bedauerlicherweise ausgeschlossen waren.
Anderntags wurde "Kennwort Glück" erneut aufgeführt.
Und obwohl man über wenige technische Pannen hinwegspielen
musste und das Publikum ein gehörig anderes war, wurde
Yasmina Ouakidi und ihre "Havarie light" mit Applausraketen
und Fußstampfern entlohnt.
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