Ach, es sollte eigentlich so wundervoll werden!
Acht Freunde klassischer Romantik hatten sich Karten für
"Romeo und Julia" (am 8. Juli unter freiem Himmel
auf dem Pfingstberg) besorgt. Und da saßen wir nun: voller
Spannung, wie die Inszenierung Martin Meltkes an diesem gemütvollen
Ort unsere seichten Gefühle ausseufzen machen würde.
Vor dem geistigen Auge sahen wir immer nur das aus den Lokalzeitungen
bekannte Bild, wie Romeo splitternackt seine ebenfalls entblößte
Julia unter einem locker fallenden Mantel in die Arme schloss
- auf einem Teppich aus zerrupften Lilien stehend und den Blick
gen Himmel schickend! Betörend!
Was uns jedoch schon wenige Minuten später
um die Ohren gerufen wurde, war hässlichste Gossensprache,
die manchmal seltsamerweise wieder ins Klassische abrutschte,
um dann wieder grob sexuell zu werden - ganz so, wie Thomas
Brasch den Shakespeareschen Text ins Deutsche gefurzt hatte.
Dass Julia darin pausenlos mit niederträchtigen Beinamen
belegt wurde, war noch nicht einmal das Ärgste!
"Die Liebeszenen zwischen Romeo und
Julia haben eine schöne Intimität und Poesie",
lobte die PNN. "Nina El Karsheh und David Emig haben sich
ihrer Helden mit großer Natürlichkeit angenommen."
Eine glatte Lüge! Nur Romeo nimmt man die heißspornige
Verliebtheit ab, die ihn umtreibt; Nina El Karsheh hingegen
ist von solch einer Eiseskälte, dass die von ihr getragenen
Szenen zuweilen recht lächerlich anmuten.
Flegelhaft ist mit dem klassischen Stoff
umgegangen worden, doch das konnte bisweilen ungewohnt reizvoll
wirken. Bisweilen! Denn die triebhaften Gefährten des jungen
Protagonisten waren derb überzeichnet, und aus der bübischen
Neckerei der Amme, die man durchweg nur "die Brust"
nannte, wurde beinahe eine Vergewaltigung! Durch diese grobe
Verlotterung der Handlung und den kotzigen Unflat in der Sprache
konnten die Schauspieler schlichtweg keine anderen Empfindungen
unter uns Zuschauern erzeugen als Abscheu und Drang zum Gelächter.
Die Schauspieler vermochten auch nicht,
den gewaltigen Schauplatz zu füllen. Sie versuchten Präsenz
zu zeigen und raumfüllend zu spielen, indem sie immerfort
die Treppen, die Balustraden, den Steg und die Wege abliefen.
Dabei hätte ein leidenschaftlicheres Spiel und eine im
Körper sitzende, kräftige Stimme schon ausgereicht,
die Zuschauer am häufigen Gähnen zu hindern. Aber
für die zurückgelegten Wegstrecken: mein Kompliment!
Um eine lange Hetzrede kurz zu machen: Es
war nun einmal modernes Theater. Theater freilich, in dem Nacktheit
und Anstoß nicht fehlen durften. Und so sprang Mercutio
als liederliche Trümmertunte umher, während die Amme
Schlüpfer zu zeigen hatte und die beiden Protagonisten
Schniedel und Bär exhibitionieren mussten. Soviel also
zur angesprochenen Szene, in der beide splitterfasernackt die
Bettszene sprechen und gen Himmel blicken!
Irgendwann - es muss gewesen sein, als Julia
scheintot auf dem Stege lag - fing es an zu regnen, und von
da an habe ich vor aufgespannten Schirmen kaum mehr etwas sehen
können. Doch bevor uns der große Guss von den Sitzen
jagte, war das Stück gottlob zu Ende und die Schauspieler
- mit ernsten Mienen - wurden kurz beklatscht, mussten sich
jedoch mehr als einmal vor den Zuschauern verneigen. Ich habe
nur für Eva Weißenborn in der Rolle der Amme geklatscht,
weil sie, wie die PNN ausnahmsweise richtig anmerkt, "diese
Rolle mit vielen differenzierten Ausdrucksmitteln, mal liebevoll-mütterlich
bis beherzt-sportiv" verkörpert hat.
Was bleibt zurück? Nun, wer modernes
Theater mit nackter Haut und hingerotzem Ekel liebt, der wird
die Art der Darbietung vielleicht reizend finden. Mir selbst
war sie im Verlaufe des Stückes sehr verhasst, doch hatte
ich rückblickend nicht mehr den Eindruck vertaner Zeit.
Wem jedoch an klassischen Inszenierungen gelegen ist und wer
nur manchmal dem modernen Theater den ihm gebührenden Platz
einräumen mag, für den ist das Meltke-Stück ganz
und gar Gift! Glücklicherweise ist erst einmal Sommerpause,
bevor es ab dem 8. September im Schlosstheater im Neuen Palais
erneut regelmäßig aufgeführt wird.
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