|
Meine Hassliebe zu Potsdamer Bäckern währt fast solang,
wie mein 10jähriges Gastspiel in dieser Stadt: Viele hat
man kommen, noch mehr gehen sehen, rechnen wir jetzt einmal
diverse Konsumbäckereien und Kaufhallenbackstände
mit ein.
Geblieben sind liebenswerte Erinnerungen wie die an die patente
ältere Verkaufskraft bei Bäcker Schröter in der
Charlottenstraße, die in mich jungen Studenten wohl so
vernarrt war, dass Sie mir immer ein paar Brötchen extra
mit einpackte oder ein Pfannküchlein mehr als verlangt
und bezahlt. Besonders reizend, wenn das Pfannküchlein
als Geschenk heimlich in die Brottüte geschmuggelt wurde
und man der unerwarteten Bescherung erst zuhause gewahr wurde:
durch die Marmelade, die der nun zerquetschte Pfannkuchen auf
dem Brot hinterlassen hatte.
Kaum war die freigiebige Bäckersfrau im Ruhestand, ging
man zur Konkurrenz, die als ernstzunehmende natürlich nur
der Potsdamer Kultbäcker schlechthin sein konnte: Braune
in der Ebertstraße.
Hier gehen Sie ja alle hin, stellen sich sogar an, ertragen
das griesgrämige Gesicht der Frau, die immer links Schrippen
verkauft, nein besser zuteilt, als sei es 1945 und die Ware
knapp.
Natürlich sind die kleinen Herdschrippen das Beste, was
man in der Stadt bekommt, und Bäcker Braune verliert seinen
Charme auch nicht dadurch, dass er im Schaufenster neuerdings
den hässlichen Buga-Frosch und das Nauener Tor als Marzipan-Kopien
anbietet. Urgs. Aber gerade die jedem billigen Zeitgeist trotzende
Auslagengestaltung, die ältliche Ladeneinrichtung aus Friedenszeiten
und die insgesamt recht bodenständig-solide Erscheinung
machen den Einkauf dort zu einem unverwechselbaren Erlebnis.
Doch leider: Braune liegt nicht auf dem Arbeitsweg, hat montags
zu, und man wird mit zunehmendem Alter faul.
Viel günstiger liegt doch da unser neuer Kultbäcker
Wiedemann in den Bahnhofspassagen: Nur ein seelenloser Filialist
ohne eigene Backstube, meinen Sie? Weit gefehlt! Der Backstand
garantiert einen Erlebniseinkauf pur.
Aber beginnen wir mit der Qualität: die ist durchgehend
sehr gut, es gibt die knusprigsten Baguettebrötchen, die
(nach Bäcker Braune) leckersten Schrippen und das vollwertigste
Körnerbrot. Aber ach, es gibt auch große Hürden
zu überwinden, um an das appetitliche Backwerk zu kommen,
so dass man sich fast an Hermann Kants "Dritten Nagel"
erinnert fühlt, welcher uns dazumal tief in das Zuteilungswesen
der DDR-Privatwirtschaft führte.
Nein, der sicher hohe, aber unserer Meinung berechtigte Preis
der mehligen Produkte ist es nicht, der uns stocken macht, es
sind viel eher die abstrusen Namen, die Wiedemann seinen kulinarischen
Kunstwerken verpasst und die man als Kunde nachplappern muss,
sonst gibt es nichts und man wird belehrt. Die kleine Imbiss-Pizza
heißt nicht Pizza, sondern "Protz", und wenn
man Vollkornbrot möchte, prasselt aus den kleinen Verkaufsmündern
ein Schauer seltsamer Bezeichnungen hernieder: "Malz-Korn
an Korn", "Vollkorn-Sonne", "Kraftprotz-Brot".
Besonders letzteres Produkt (plakatweise feilgeboten durch eine
dumm dreinlächelnde nichtsnutzige Tennis-Trine) bringt
den Kunden an den Rand nur noch logopädisch zu heilender
Sprachstörungen (Versuchen sie mal "Kraftprotz-Brot
5mal hintereinander schnell aufzusagen). Einer derart stotternden
Leidenskundin bescheinigte die Verkäuferin lachend:; "Ja
ja, das können die wenigsten Kunden richtig aussprechen"
Es heißt trotzdem noch so oder gerade deswegen. Wir sehen
im Geiste Bäcker Wiedemann samt seiner Familie am Abendbrotstisch
zum lustigsten Brainstorming: Wie kann man kleine Baguettes
besonders blöde nennen: Baguettinis? Jau, für die
Franko-Romanesken unter den Kunden ohne wirkliche Fremdsprachenkenntnisse
schon ein Hörgenuss.
Ein weiterer negativer Kultfaktor ist die abgefahrene wiedemannsche
Bedienung: piepsende Mädels, "frisch aus dem Kinderheim
weggefangen" (Zitat R. Heinrich), denen man affige Papierhäubchen
und niedliche Servierschürzchen verpasst hat. Dazu eine
ältere Aufpasserin. Früher nannte man das "FDJ-Jugendkollektiv"
und Achtung war geboten.
Wiedemanns Backstand hat zudem zwei Kassen, eine vorne, eine
hinten, die Verkäuferin vorne wechselt das Geld aus der
Kasse hinten, die hintere aus der vorderen Kasse, warum weiß
niemand.
Aber ich will hier nicht alle Geheimnisse des Kultstatus' Wiedemanns
preisgeben, sehen Sie selbst, kaufen sie selbst, schmecken sie
selbst.
Denn Handwerk hat goldenen Humor.
|