Stiftung Schrippentest
Potsdamer Kultbäcker im Vergleich
Von Markus Wicke


Meine Hassliebe zu Potsdamer Bäckern währt fast solang, wie mein 10jähriges Gastspiel in dieser Stadt: Viele hat man kommen, noch mehr gehen sehen, rechnen wir jetzt einmal diverse Konsumbäckereien und Kaufhallenbackstände mit ein.

Geblieben sind liebenswerte Erinnerungen wie die an die patente ältere Verkaufskraft bei Bäcker Schröter in der Charlottenstraße, die in mich jungen Studenten wohl so vernarrt war, dass Sie mir immer ein paar Brötchen extra mit einpackte oder ein Pfannküchlein mehr als verlangt und bezahlt. Besonders reizend, wenn das Pfannküchlein als Geschenk heimlich in die Brottüte geschmuggelt wurde und man der unerwarteten Bescherung erst zuhause gewahr wurde: durch die Marmelade, die der nun zerquetschte Pfannkuchen auf dem Brot hinterlassen hatte.

Kaum war die freigiebige Bäckersfrau im Ruhestand, ging man zur Konkurrenz, die als ernstzunehmende natürlich nur der Potsdamer Kultbäcker schlechthin sein konnte: Braune in der Ebertstraße.

Hier gehen Sie ja alle hin, stellen sich sogar an, ertragen das griesgrämige Gesicht der Frau, die immer links Schrippen verkauft, nein besser zuteilt, als sei es 1945 und die Ware knapp.

Natürlich sind die kleinen Herdschrippen das Beste, was man in der Stadt bekommt, und Bäcker Braune verliert seinen Charme auch nicht dadurch, dass er im Schaufenster neuerdings den hässlichen Buga-Frosch und das Nauener Tor als Marzipan-Kopien anbietet. Urgs. Aber gerade die jedem billigen Zeitgeist trotzende Auslagengestaltung, die ältliche Ladeneinrichtung aus Friedenszeiten und die insgesamt recht bodenständig-solide Erscheinung machen den Einkauf dort zu einem unverwechselbaren Erlebnis.

Doch leider: Braune liegt nicht auf dem Arbeitsweg, hat montags zu, und man wird mit zunehmendem Alter faul.

Viel günstiger liegt doch da unser neuer Kultbäcker Wiedemann in den Bahnhofspassagen: Nur ein seelenloser Filialist ohne eigene Backstube, meinen Sie? Weit gefehlt! Der Backstand garantiert einen Erlebniseinkauf pur.

Aber beginnen wir mit der Qualität: die ist durchgehend sehr gut, es gibt die knusprigsten Baguettebrötchen, die (nach Bäcker Braune) leckersten Schrippen und das vollwertigste Körnerbrot. Aber ach, es gibt auch große Hürden zu überwinden, um an das appetitliche Backwerk zu kommen, so dass man sich fast an Hermann Kants "Dritten Nagel" erinnert fühlt, welcher uns dazumal tief in das Zuteilungswesen der DDR-Privatwirtschaft führte.

Nein, der sicher hohe, aber unserer Meinung berechtigte Preis der mehligen Produkte ist es nicht, der uns stocken macht, es sind viel eher die abstrusen Namen, die Wiedemann seinen kulinarischen Kunstwerken verpasst und die man als Kunde nachplappern muss, sonst gibt es nichts und man wird belehrt. Die kleine Imbiss-Pizza heißt nicht Pizza, sondern "Protz", und wenn man Vollkornbrot möchte, prasselt aus den kleinen Verkaufsmündern ein Schauer seltsamer Bezeichnungen hernieder: "Malz-Korn an Korn", "Vollkorn-Sonne", "Kraftprotz-Brot". Besonders letzteres Produkt (plakatweise feilgeboten durch eine dumm dreinlächelnde nichtsnutzige Tennis-Trine) bringt den Kunden an den Rand nur noch logopädisch zu heilender Sprachstörungen (Versuchen sie mal "Kraftprotz-Brot 5mal hintereinander schnell aufzusagen). Einer derart stotternden Leidenskundin bescheinigte die Verkäuferin lachend:; "Ja ja, das können die wenigsten Kunden richtig aussprechen" Es heißt trotzdem noch so oder gerade deswegen. Wir sehen im Geiste Bäcker Wiedemann samt seiner Familie am Abendbrotstisch zum lustigsten Brainstorming: Wie kann man kleine Baguettes besonders blöde nennen: Baguettinis? Jau, für die Franko-Romanesken unter den Kunden ohne wirkliche Fremdsprachenkenntnisse schon ein Hörgenuss.

Ein weiterer negativer Kultfaktor ist die abgefahrene wiedemannsche Bedienung: piepsende Mädels, "frisch aus dem Kinderheim weggefangen" (Zitat R. Heinrich), denen man affige Papierhäubchen und niedliche Servierschürzchen verpasst hat. Dazu eine ältere Aufpasserin. Früher nannte man das "FDJ-Jugendkollektiv" und Achtung war geboten.

Wiedemanns Backstand hat zudem zwei Kassen, eine vorne, eine hinten, die Verkäuferin vorne wechselt das Geld aus der Kasse hinten, die hintere aus der vorderen Kasse, warum weiß niemand.

Aber ich will hier nicht alle Geheimnisse des Kultstatus' Wiedemanns preisgeben, sehen Sie selbst, kaufen sie selbst, schmecken sie selbst.

Denn Handwerk hat goldenen Humor.

© POTZDAM 2001 - Markus Wicke