Der Kuschelnazi
Freitag
Von Mathias Rau


Den Irish Pub im S-Bahnhof Hackescher Markt kennt der eine oder andere wahrscheinlich. Das man da gut essen und vor allem trinken kann, ist auch nicht unbekannt. Und bei der Anzahl der Gäste, die da rumschwirren, ist es wohl auch nicht ungewöhnlich, den einen oder anderen komischen Kunden zu sehen.

Das Pärchen, dem ich da letztens begegnen durfte, gehört wohl dazu. Ich sitze also nichtsahnend, mein Guiness trinkend an der Bar. Die Umgebung ist laut und recht verraucht, also gute Atmosphäre. Aber der Geräuschpegel sinkt auf die Hälfte und die Luft wird auch schlagartig dünner, als die Tür auffliegt und irgendwo gegenhämmert - Stopper oder vielleicht sogar Wand. Wer die Tür kennt, weiß, wie schwer das zu bewerkstelligen ist. Ich drehe mich also wie fast jeder andere im vorderen Raum um und erwarte, jetzt so eine Art Holzfäller zu sehen. Aber Pustekuchen.

Mit seinen knapp Einsfünfundsiebzig steht da ein kleiner Glatzkopf im üblichen Outfit, das heißt grüne Bomberjacke, weißgraue Tarnhose und Springerstiefel. Und er grinst frech durch die Gegend.

Mühsam stapft er zu einem Tisch, so knapp fünf Meter von mir weg. Scheinbar sind ihm seine Stiefel zu klein. Dann fläzt er sich auf seinen Stuhl und bestellt laut und deutschlich: "Ein Bier! Bitte!" Nachdem er sich ein Kopfschütteln von der Kellnerin eingefangen hat und das Bestellte bekommen hat, trinkt er schnell und hörbar - wie sich das halt so anhört, wenn einer mit halboffenem Mund schluckt.

Irgendwann wird's ihm zu heiß, und die Jacke fliegt achtlos auf die Bank an seinem Tisch. Und jetzt kommt er mir richtig komisch vor. Nicht wegen dem Umstand, dass ein Nazi in einer nichtdeutschen Kneipe ein Bier trinkt. Nazis sind inkonsequent. Und auch nicht wegen seinem "Deutsche Landser"-T-Shirt. Daran gewöhnt man sich.

Aber ich habe noch nie einen magersüchtigen Nazi gesehen. Das XS-Shirt flattert dermaßen um seine deutschen Schultern, dass ich ihn spontan auf maximal sechzig Kilo schätze. Wahrscheinlich tut er deshalb so aufgeblasen.
Das allerdings denn auch nicht mehr lange. Denn gerade, als es mir reicht und ich mich wieder meinem Guiness zuwenden will, fliegt die Tür erneut hörbar auf. Und ich drehe mich wieder um.

Und im Türrahmen steht, mit dem gleichen dämlichen Grinsen, das Nazivollweib schlechthin. Groß, blond, breit. Schon bald hat sie ihr Zielobjekt erspäht und trampelt an den Tisch unseres Klappernazis. Treffsicher schlägt sie ihm die Hand auf den Rücken (wobei er fast auf den Tisch fällt) und setzt sich dazu, bestellt ein Bier. Inzwischen rafft Mr. Landsershirt hastig seine Bomberjacke von der Bank zusammen und hängt sie ordentlich über seine Lehne. Auch fläzt er sich nicht mehr so dahin, sondern sitzt jetzt gerade wie ein 1A-Musterschüler. Und an seinem Bier nippt er nur noch in der Art eines Weinverkosters.

So sitzen die beiden eine Weile nebeneinander und trinken Bier. Und schließlich legt der Nazi den Kopf auf die breite Schulter (und der paßt da tatsächlich fast rauf) seiner Walküre. Tolles Bild. Kuschelnazis.

© POTZDAM 2001 - Mathias Rau