Sommersonnenlende
Donnerstag
Von M. Gänsel


Es ist schon verdammt seltsam, dass es in jedem neu angebrochenen Sommer passiert, und ich meine mit Sommer jene schönschwitzige Hochwetterlage, die nach spätestens einer Woche beginnt, ein bisschen zu entnerven, weil man sich dann doch wieder einen See in der Nähe suchen muss, der mindestens in den Abendstunden, denn man hat ja zu tun den ganzen Tag, herhalten möchte zur körperlichen Erfrischung, nicht ohne eine seelische Hochstimmung, ja geradezu Bombenstimmung zu produzieren, in der es sommers an jenem kurzerhand naheliegendsten und also von der Stadt nur unwesentlich entfernten, ja mitten in der Stadt liegenden See immer wieder diesen irritierenden Moment gibt, in dem man jemanden sieht, den man zu kennen glaubt, obwohl doch alles an der Situation, denn Sie und der andere, den Sie da gerade sehen, sind ja nackt, dagegen zu sprechen scheint, dass Sie einander kennen, weil Sie den anderen Körper ja noch nie gesehen haben, was Ihre Blicke immer wieder zum Kopf des anderen zurückschnellen lässt, um dort, im bekannten und die Grübelei startenden Gesicht des anderen eine Antwort zu finden auf die Frage, woher Sie den andern wohl kennen könnten, und diese Antwort sich nach mehreren quälenden Schwimmrunden in der Bäckerei Ihrer Straße findet, weil einerseits das Gesicht zweifellos zum bis dato unbekannten Körper und andererseits unbedingt in die Bäckerei Ihrer Straße gehört, was Sie leicht benommen realisieren lässt, dass Sie soeben Ihre Bäckereiverkäuferin nackt gesehen haben - ist das nicht seltsam?

© POTZDAM 2001 - M. Gänsel