KEINE Ermäßigung für Senioren!
Montag
Von M. Gänsel

"KEINE Ermäßigung für Senioren!" Dies prangt auf einem A4-Blatt, das mit durchsichtiger Selbstklebefolie auf den Tresen der Kasse zur Preußen-Ausstellung im Charlottenburger Schloss geklebt wurde. Und das kam so:

An einem der ersten heißen Tage dieses nun fast schon Jahre andauernden Sommers kam Herbert der Museumskassierer zu Ilse der Garderobenfrau. Es war ein Montag, und beide hatten frei. Herbert und Ilse treffen sich gerne mal zwischendurch, nur so zum Alte-Fotos-Gucken. Im Museum soll niemand was wissen.

Wie immer pfiff Herbert vor der Tür den Radetzky-Marsch, und Ilse ließ ihn ungesehen, denn so gut sah sie seit den 80ern nicht mehr, ein. Herbert gab ihr die vom Grab seines Erzfeindes geklauten Blumen und ging fix durch bis zur Küche. Montags durfte er immer nur in die Küche, weil der Salon nur für gut war. Herbert war zwar gut, aber so gut nun auch wieder nicht. Ilse hatte schon den Kuchen bereitgestellt, die Foto-Mappen lagen auf einem kleinen Tischchen bereit, und mit einem leichten Freudenjuchzer bemerkte Herbert, dass es die Jahrgänge 1930-1940 waren. Auf das eine Bild, wo Ilse im Alter von zwölf Jahren einen knallengen Badeanzug trägt, freute er sich besonders. D.h. er freute sich auf die Wölbung, die das Hakenkreuz machte. Und auf das, was diesem Foto folgte.

Ilse schenkte Kaffee ein, Herbert schnabulierte Kuchen, beide tauschten Todesfälle. Dann setzten sie sich endlich auf das kleine Küchensofa, und die Alben wurden geholt. Eine Hälfte auf Herberts, die andere auf Ilses Knien, blätterten sie kichernd, mit dem Finger mal hier-, mal dorthin zeigend. Dann kam jene Seite, und Herbert war schon vorab reineweg wuschig. Das Knisterpapier zwischen den Pappseiten raschelte in Ilses Fingern. Daaaaaa war es.

Leicht schräg stand sie in der Pose einer Turmspringerin am Meer. Einen Arm erhoben, den anderen keck in die Hüfte gestemmt. Ihr Haar funkelte von der untergehenden Sonne. Sie lächelte kokett und, ja: schweinemäßig versaut. Herbert hieb sich auf den freien Schenkel vor Wonne. Ilse gickste verschämt. "Nee, wat warste ne Wolke," röhrte Herbert. "Ach du nu wieder," rief Ilse. Dann gingen sie ins Schlafzimmer und hatten Sex.

"Du bist immer noch ne Wolke," säuselte Herbert danach und piekste ihr in die Backe. "Ja ja, ick altet Huhn," wiegelte Ilse ab, "wat bleibt uns denn noch außer det hier." Herbert stützte sich mühsam auf einen Ellenbogen und schaute ihr in die kobaltblauen Augen. (Ob sie ihn so nah sah?) "Weißte meine Zuckerschnute, jesetzt den Fall, du hättest n Wunsch, und ich wär der Oberwunscherfüller. Was würdstn wünschn?" Sie seufzte und schwieg. Sie dachte an früher, an den Kaiser. Ans Meer, an die Wiesen. An Herbert, an die Küche. Und schließlich an die Arbeit. "Scheiß Garderobe, scheiß Mäntel," murmelte sie. Herbert schwieg gespannt. "Scheiß Rentner, unterbeschäftigtes Pack, hängen im Museum rum, jeden Tag." Herbert wartete noch immer auf einen Wunsch. "Und det schlimmste is ja, wenn die fünfmal anjeschissn kommen wegen irgend nem Scheiß, den sie vergessen haben: ACH ich hab meine TABLETTEN in der Tasche vergessen, ich muss doch immer meine TABLETTEN nehmen, wissen Sie, ich habs ja so im MAGEN, furchtbar, haben Sies auch im Magen?!" Ilse rief jetzt fast, ihre Stimme wurde schneidend und klirrte gegen die verdunkelten Scheiben. Sie setzte sich auf und blickte in die Richtung, in der sie Herberts Gesicht vermutete.

"Ich will, dass die nicht mehr da sind. Keine Senioren mehr im Museum. Keine Zeittotschläger mehr. Die mir die Nerven rauben. Ich geh arbeiten. Sollen die auch arbeiten gehen."

Herbert lächelte und nahm sie in die Arme. Am nächsten Tag holte er Ilse nicht wie gewohnt ab, sondern ging früher ins Museum. Er schlich hinter seinen Kassen-Tresen, holte das Blatt Papier aus seiner Aktentasche und klebte es auf. Bis zum Mittag musste es mindestens unbemerkt sein, denn da kam Ilse frühestens. Die Blumen versteckte er hinter dem Schreibtisch.

Zahllose Senioren zuckten vor ihm zusammen, sahen ihn ungläubig an und kehrten um. Ilse blieb den ganzen Vormittag über unbehelligt, nur ein paar junge Leute gaben ihre Rucksäcke ab. Sie schaute irritiert zu ihm herüber. Er lächelte nur. Dann kam sie, um ihn zum Mittag abzuholen. Er holte den Blumenstrauß hervor und hielt ihn über das Schild. Ilse kam und sah fragend auf den Strauß. Er zog ihn weg. Ilse lächelte. Und lächelte und lächelte.

"Und?"
"Ja. Ja, ich werde dich heiraten."

Und weil sie nicht gestorben sind, prangt das Schild immer noch auf dem Tresen der Kasse zur Preußen-Ausstellung im Charlottenburger Schloss.

© POTZDAM 2001 - M. Gänsel