Wenn ich manchmal das Gefühl habe, mich
fit halten zu müssen, ziehe ich irgendwelches markenloses
Schlabberzeugs an und hole mein Fahrrad aus dem Keller. Ab geht's
nach Wannsee, erst n bisschen lahm und unbequem über die
Berliner Straße, aber sobald ich die Glienicker Brücke
überquert habe und links den Uferweg eingebogen bin, lasse
ich mir die freie Westberliner Havel-Luft um die Nase wehen,
dass es eine Freude ist.
Je nach Tageszeit blockieren den Radweg
sportfanatische Skater, Jogger oder scharenweise Fußgänger,
die ich gemütlich beiseite klingle; ich erquicke mich am
glitzernden märkischen Wasser, der schönen Heilandskirche
gegenüber und der näherrückenden Pfaueninsel,
die ich jedoch links liegen lasse. Vorher muss ich noch aufpassen,
denn ein kleines Schild an der dortigen Ausflugsgaststätte
mahnt mich, die über die Straße wieselnden Keller
nicht zu überfahren. Meistens halte ich mich dran.
Dann ist die Erholungsphase kurz vorbei,
denn der Aufstieg über eine steile Piste durch den Wald
beginnt. Abends kommen einem hier manchmal eine kleine Horde
Wildschweine entgegen oder Profiradler in voller Montur, die
jedoch seltsamerweise immer alle den Berg herunter fahren. Noch
nie habe ich jemanden in meiner Richtung den Berg hoch keuchen
sehen, aber das passt gut zu diesen ausstaffierten Sportblendernaturen.
Oben angekommen geht es meist nach rechts
über die B 1 zurück nach Potsdam, gestern jedoch bog
ich nach links ab in die Villenkolonie, bisschen Häuser
gucken. Nur ein kleines Einbahnstraßenschild wollte mich
partout hindern. Weit und breit niemand sonst zu sehen, also
setzte ich mich einfach darüber hinweg, die Straße
war eh breit genug und wo soll hier bitte schön ein Polizeiauto
... kaum hatte ich den Gedanken ausgedacht, bog ein kleiner
weiß-grüner Wagen um die Ecke.
Voller Überraschung konnte ich einem
inneren Zwange gehorchend nicht absteigen. Das kleine Auto hielt
also auf mich zu und ließ mich - eine Kollision knapp
verhindernd - stoppen. Die kleine Scheibe des kleinen Wagens
wurde heruntergekurbelt, ein kleiner Polizistenkopf lugte heraus
und hielt eine kleine Predigt, die ich kopfgesenkt und sünderschmollend
über mich ergehen ließ:
"Würdense bitte ma absteijen?
Dit iss hier ne Einbahnstraße, junger Mann, ohne Beschilderung,
die eine Durchfahrt von Fahrrädern erlauben würde.
Und 12 Jahre sindse ja wohl nich mehr!"
"Nein" entgegnete ich bereuend
angstvoll und stieg ab. Irgendwie erschien mir das aber noch
nicht genug: mich mit einem Bein schon im Moabiter Gefängnis
sehend legte ich noch nach:
"Es tut mir leid, entschuldigen Sie
bitte". Damit hatte der erfahrene Polizist wohl nicht gerechnet,
er guckte erstaunt, aber er wäre kein Berliner Polizist,
wenn er nicht schlagfertig erwidert hätte: "Ach, hörnse
doch uff, wenn ick um die Ecke bin, steijense doch wieder auf".
Ich schüttelte heftig den Kopf. Der
Mann kurbelte die Augen verdrehend die Scheibe hoch und fuhr
weiter. Als ich mein Fahrrad dann hastig umdrehte, mich draufsetzte
und dem Polizeiwagen bis zur nächsten Kreuzung demonstrativ
hinterherfuhr, wusste ich auf einmal, der Mann hatte Unrecht.
Ich WAR 12 Jahre alt.
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