Polizeiliche Verjüngungskur
Mittwoch
Von Markus Wicke

Wenn ich manchmal das Gefühl habe, mich fit halten zu müssen, ziehe ich irgendwelches markenloses Schlabberzeugs an und hole mein Fahrrad aus dem Keller. Ab geht's nach Wannsee, erst n bisschen lahm und unbequem über die Berliner Straße, aber sobald ich die Glienicker Brücke überquert habe und links den Uferweg eingebogen bin, lasse ich mir die freie Westberliner Havel-Luft um die Nase wehen, dass es eine Freude ist.

Je nach Tageszeit blockieren den Radweg sportfanatische Skater, Jogger oder scharenweise Fußgänger, die ich gemütlich beiseite klingle; ich erquicke mich am glitzernden märkischen Wasser, der schönen Heilandskirche gegenüber und der näherrückenden Pfaueninsel, die ich jedoch links liegen lasse. Vorher muss ich noch aufpassen, denn ein kleines Schild an der dortigen Ausflugsgaststätte mahnt mich, die über die Straße wieselnden Keller nicht zu überfahren. Meistens halte ich mich dran.

Dann ist die Erholungsphase kurz vorbei, denn der Aufstieg über eine steile Piste durch den Wald beginnt. Abends kommen einem hier manchmal eine kleine Horde Wildschweine entgegen oder Profiradler in voller Montur, die jedoch seltsamerweise immer alle den Berg herunter fahren. Noch nie habe ich jemanden in meiner Richtung den Berg hoch keuchen sehen, aber das passt gut zu diesen ausstaffierten Sportblendernaturen.

Oben angekommen geht es meist nach rechts über die B 1 zurück nach Potsdam, gestern jedoch bog ich nach links ab in die Villenkolonie, bisschen Häuser gucken. Nur ein kleines Einbahnstraßenschild wollte mich partout hindern. Weit und breit niemand sonst zu sehen, also setzte ich mich einfach darüber hinweg, die Straße war eh breit genug und wo soll hier bitte schön ein Polizeiauto ... kaum hatte ich den Gedanken ausgedacht, bog ein kleiner weiß-grüner Wagen um die Ecke.

Voller Überraschung konnte ich einem inneren Zwange gehorchend nicht absteigen. Das kleine Auto hielt also auf mich zu und ließ mich - eine Kollision knapp verhindernd - stoppen. Die kleine Scheibe des kleinen Wagens wurde heruntergekurbelt, ein kleiner Polizistenkopf lugte heraus und hielt eine kleine Predigt, die ich kopfgesenkt und sünderschmollend über mich ergehen ließ:

"Würdense bitte ma absteijen? Dit iss hier ne Einbahnstraße, junger Mann, ohne Beschilderung, die eine Durchfahrt von Fahrrädern erlauben würde. Und 12 Jahre sindse ja wohl nich mehr!"

"Nein" entgegnete ich bereuend angstvoll und stieg ab. Irgendwie erschien mir das aber noch nicht genug: mich mit einem Bein schon im Moabiter Gefängnis sehend legte ich noch nach:

"Es tut mir leid, entschuldigen Sie bitte". Damit hatte der erfahrene Polizist wohl nicht gerechnet, er guckte erstaunt, aber er wäre kein Berliner Polizist, wenn er nicht schlagfertig erwidert hätte: "Ach, hörnse doch uff, wenn ick um die Ecke bin, steijense doch wieder auf".

Ich schüttelte heftig den Kopf. Der Mann kurbelte die Augen verdrehend die Scheibe hoch und fuhr weiter. Als ich mein Fahrrad dann hastig umdrehte, mich draufsetzte und dem Polizeiwagen bis zur nächsten Kreuzung demonstrativ hinterherfuhr, wusste ich auf einmal, der Mann hatte Unrecht. Ich WAR 12 Jahre alt.

© POTZDAM 2001 - Markus Wicke