Ungezwungenes Multikulti ...
... oder ob in Japan ein Sack Reis umfällt
Von Markus Wicke

Am Potsdamer Hauptbahnhof steigen neben mir noch zwei Kinderwagen in die Straßenbahn. Dazu gehören eine blässliche Ex-Pionierleiterinnen-Erscheinung, angetan mit einem "action"*-farbenen Top und einem Jugendmode**-Jeans-Rock sowie eine zierliche junge Japanerin, die statt des propren Pionierleiterinnen-Nachwuchses nur einen ca. 10 Kilo schweren Reissack in ihrem Wägelchen vorzuweisen hat.

Reissack hin oder her, das gemeinsame Ächzen und Wuchten beim Transport der Gefährte in die Tram schweißt zusammen; mit Ausländern reden ist eh schwer angesagt; also beginnt die Potsdamer Mutti ganz ungezwungen ein Gespräch:

"Na, haben Sie auch ein Kind?"
"Ja!", antwortet die Japanerin höflich aber bestimmt.

"Aha, und wo sind Sie geboren?" will die Blasse weiter wissen?
"Potsdam-Drewitz!", antwortet die nicht sehr sprachsichere Japanerin knapp, wohl denkend, die Frage ziele auf Ihren Wohnort.

"We can call english!" ändert die Mutti nun Ihre Gesprächstaktik, was ihre unwillige Gesprächspartnerin schweigend mit einem freundlichen Lächeln quittiert.

"Is the rice typical japanese rice?" versucht es die Pionierleiterin mit Verweis auf den Reissack nun weiter. "Yes, for me and my friend!" Erneutes Schweigen.

Doch nun setzt die politisch korrekte Phase der Interviewerin ein: "And is it easy for you to live in Germany?" Dass es ganz schlimm ist in Deutschland, die Landschaft zwar schön, aber der viele Rechtsradikalismus; aber dass es auch ganz viel nette Menschen gibt, so wie sie; all das will die nette Pionierleiterin nun sicher hören, aber da kommt die nächste Station der Japanerin ganz recht. Mit fast entschuldigender Geste steigt sie aus und lässt die Pionierleiterin nur halb glücklich zurück.

Neue Abwechslung bringt da nur das kleine gelbe Fläschchen Sonnenmilch, welches nun rasch aus dem Kulturbeutel gezogen wird. Ein fetter Flaatz der milchigen Flüssigkeit wird auf die Fingerchen gespritzt und flugs überall hin verteilt: Arme, Beine, Füße, zwischen den Zehen. Und wo der Rock stört, wird er schnell ein wenig gelupft und weitergeschmiert.

Ganz ungezwungen.

 

* action - in der DDR urst beliebte Jugendkosmetikserie mit pinkfarbenem Etikett

** Jugendmode - DDR-Verkaufseinrichtung für jugendliche Mode

© POTZDAM 2001 - Text: Markus Wicke, Illustration: Antje Barke