»Jugendliche Weisheit...«
Donnerstag
Von Siobhan Groitl

Vorstellungsgespräch. Zahnarztwarteraumfeeling...
Die wievielte Vorstellung? Nummer 11?12? Aber immer wieder schön, und, vor allem, immer wieder was Neues. Eine Entdeckungsreise durch die Erwartungswelten deutscher Bosse...

Wer? Eine geisteswissenschaftliche Absolventin, (noch) jung, mehrsprachig, auslandserprobt und auch sonst viel gemacht.

(Blütenlese aus vergangenen Interviews:
"Aber Sie sind ja sooo überqualifiziert für die Stelle." - Jaja.
"Wenn ich Sie mir ankucke, dann könnten Sie meinen Job machen..., also das wollen wir weder Ihnen noch uns antun..." - Hä?
"Na Ihr Leben war ja sehr bunt, was wollen Sie denn eigentlich hier?" - Och, arbeiten? [etc.pp.])

Diesmal: in einem reputierlichen deutschen Unibetrieb
Was: "Ich kann dienen...ehrlich!" - Sekretärin / Lektorin

Die Herolde huschen herbei, die Posaune auf die rosigen Lippen gesetzt:

EINTRITT EINES DEUTSCHEN PROFESSORS

Die Erde bebt - kurz, die Wolken reißen auf, geblendet von IHM wende ich meine Augen zu Boden.

Wir setzen uns. Gepflegtes Chefbüro, drei Stühle zur Auswahl. Ein Psychotest? Ich wähle den mit dem Rücken zur Wand, mit Blick auf die Tür. Zu spät erkenne ich, das war ein Fehler. ER setzt sich mir gegenüber, VERSPERRT mir den schnellen Fluchtweg. Und er ist eine großer Mann, ein wichtiger Mann. Auch eher haarig, dem wachsen sicher so Büschel auf dem Rücken.

Entspannt zurückgelehnt, schlägt er seine (meine) Unterlagen auf, taxiert mich amüsiert aus eng zusammenstehenden Augen.

"Aus Ihren Unterlagen entnehme ich, dass Sie für diese Stelle nicht geeignet sind. Sie sind überqualifiziert und würden uns wohl schnell wieder verlassen. Aus Gründen der Fairness möchte ich Ihnen jedoch die Chance geben, sich zu verteidigen."

Warum, zum Teufel, hat der Depp mich dann überhaupt herbeordert, wenn er mich eh nicht will? - denke ich. Oder will er sehen, wie ich unter Stress reagiere? Provokation als Mittel der Auslese!

Ich bleibe ganz ruhig, lächle freundlich (ganz wichtig, das: lächeln, Kontakt aufbauen!!), fange an mich anzupreisen, Kooperationsfähigkeit, Flexibilität und Demut zu markieren. Und lächeln, immer lächeln!

Er entspannt sich. Legt die Unterlagen zur Seite. Oh ja, dass tut ja so gut, so'm Mädel zuzugucken, wie sie sich ranschmeißt. Wieso hat sie denn keinen Rock an, na, die Beine sind wohl nicht so toll... Hmmmh...

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Sie stellt eine Frage, äh, wie war das? Arbeitsklima im Institut? Na, da kann ich aber was erzählen.

Und gebauchpinselt erzählt er, und spreizt sich, und redet, über Kompetenzautorität (sehr viel, die hat er nämlich) und objektive Kriterien der Hierarchiebildung und gutes Arbeitsklima und wie sich Postdoktoranden von Doktoranden unterscheiden und wie toll er doch ist... und überhaupt ER, als Fachmann...

Ich überlege, ob er sonst noch ein Hobby hat, außer von sich erzählen und Haare in den Ohren... Hmmh...

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Zehn Minuten später, SEIN Urteil über mich. Natürlich ist es mir nicht gelungen, ihn umzustimmen, aber das war ja auch nicht zu erwarten. (Er als Fachmann und so.) Gespannt beuge ich mich vor.

"Diese Stelle erfordert eine Art jugendlicher Weisheit, eine Art Introvertiertheit..."

(TUSCH!)

Ich ward gewogen und für zu leicht befunden.

Ich bin noch mal davongekommen.

© POTZDAM 2001 - Siobhan Groitl