Pin, Tan und die Rentenlücke
Mittwoch
Von Markus Wicke

Da wo Berlin-Mitte am mittigsten/ milchkaffeesten/ schuhlädigsten ist, am Hackeschen Markt, ist meine Bank. Meine Bank ist modern bzw. will dies sein, also weg mit den Schaltern; weg mit den letzten Barrieren, die Kunde und Bankmensch bisher noch voneinander trennten. Am Tresen meiner Bank wird jetzt "freundlich" bedient, nicht mehr ausgezahlt. Kasse? Weit gefehlt, wozu eine Kasse in einer Bank, dafür hat der Kunde doch eine Karte, die man in einem der blitzsauberen Automaten verschwinden lassen kann. Und wenn man alles richtig gemacht hat, kommt vielleicht Geld raus. Oder ein Auszug. Oder man steckt Geld rein und ein Zettel kommt raus.

Das Personal lümmelt derweil gelangweilt am Tresen herum (kann ja keiner mehr überfallen, das Geld ist ja im Automaten) und behelligt ahnungslose Kunden wie mich, der eine der wenigen nicht automatisierbaren Begehren persönlich vorbringen möchte. Und das kam so.

Als moderner Mensch mache ich meine Überweisungen "online". Dafür braucht man eine Pin und eine Tan (so wie Yin und Yang, Mauz und Hoppel, Bimmel und Bommel). Die Pin bleibt immer die selbe (eigentlich), von der Tan bekommt man auf einem Bogen gleich ganz viele, damit man für jede wichtige Überweisung eine neue, frische nehmen kann. Mein alter Bogen war fast abgelaufen, der neue schon beschafft, aber, sparsamer Preuße, wie ich bin, versuchte ich, die letzten drei Tan meiner Tan-Liste noch einzugeben. "Ihre Tan ist verbraucht" log mir das Internet frech ins Gesicht, auch beim zweiten und dritten Mal, so dass ich entnervt zum neuen Bogen griff. Aber nun war Tante Bank gnatzig: "Sie haben dreimal die falsche Tan eingegeben, zu Ihrer Sicherheit wurden alle Tans gesperrt, bitte bestellen sie eine neue Tan-Liste!" Na toll, gottseidank kann man das ja auch per Internet, aber was braucht man dazu: richtig, eine Tan, die ich ja nicht mehr hatte, kafkaesk, kafkaesk.

Also zur Tante Bank selber hin. "Ich möchte gern eine Tan-Liste bestellen". "Gern", wird mir freundlich von der Tresen-Kraft vorgelogen, "aber wenn ICH das jetzt bestelle, dauert es SEHR lange, da drüben hängt unser Service-Telefon, wenn Sie abnehmen, werden sie gleich verbunden und sie können selbst bestellen". "Aber da brauche ich doch eine Tan?" "Ja!" "Die will ich doch aber erst bestellen, weil... *die ganze geschichte von vorne erzähl*.

Nun gut, man ist einsichtig, man zieht seufzend einen Bogen aus der Lade, man füllt widerwillig meinen Bestellbogen aus. Die Dame am Nebentresen ist unterdessen aufmerksam geworden (neidisch auf die Kollegin, weil die einen Kunden hat?) und kommt nun mit besorgtem Gesicht dazu: "Sind Sie denn eigentlich schon über die Rentenlücke gesprungen?" fragt sie mich. Beide Bankdamen verweisen auf mein entsetztes Gesicht hin auf einen orangefarbenen Plastestreifen, den man quer über den Bankboden geklebt hat. "Sie sind doch noch jung" werde ich nun weichgekocht, "sie müssen an Ihre Zukunft denken, ich habe einen richtigen Schreck bekommen, als ich MIR das für MICH selber mal ausgerechnet habe, was ich später kriege, ich bin ja schon alt, aber bei Ihnen lohnt sich das noch". Eine Visitenkarte wird mir aufgenötigt, meine morgige Mittagspause ist bereits verplant. "Dann springen Sie schnell rein, und wir reden über alles". Worüber, welche Lücke, häh?

Ehrlich besorgt und verunsichert fahre ich nach Hause und leere den Briefkasten, ein Schreiben meiner Bank. Sie stellen den Direkt-Service um, ich bekomme eine neue Pin. Und einen neuen Tan-Bogen. Danke.

© POTZDAM 2001 - Markus Wicke