Treffpunkt Freizeit
"Auf der Suche nach dem richtigen Osterhasen"
Von Mathias Deinert

Eine unüberschaubare Menge an lärmenden Kindern füllte den in jüngster Zeit heftig umstrittenen Kleinkunstsaal am Neuen Garten 64. Solche Massen sieht man gemeinhin nur am Potsdamer ›Tag des Hosenscheißers‹ in der beinahe luftleer ausgeschmückten Kindertram oder, wenn man in zwei Minuten durch das klotzige Bahnhofsgebäude hetzen muss, vor seinen geputzten Schuhen herumtapsen.

Um zehn Uhr sollte das Spektakel beginnen. Zehn Minuten später jedoch rannte die mutmaßliche Betreuerin des Stückes immernoch wichtig zwischen Bühne und Ausgang hin und her. Die Masse der Kinder, der man gottlob solche Patzereien im Ablauf nicht so einfach ohne ein entschuldigendes Wort vorsetzen kann, erzwang sich mit einem ohrenbetäubenden An-fan-gen! An-fan-gen! das Öffnen des schweren Vorhangs; schließlich lässt man sich als Rabauke von Ruf die angepriesene Vorstellung 3 DM kosten und verlangt für diesen Preis (die ›Bussi-Bär‹-Lesehefte sind nämlich etwa ebenso teuer) dann auch - wenn man so sagen will - prompte Bedienung!

Nachdem gleißendes Licht aus zu niedrigen Scheinwerfern auf die Bühne gerichtet war und die Kinder auf diesen Missstand sogleich mit Schattenspielereien hingewiesen hatten, wurde eine Meisterleistung kindlichen Ausdruckstanzes dargeboten: Zwei hagere Mädchen (das eine grün, das andere weiß gewandet) sprangen und wedelten sich unbescholten ihre Frühlings- und Wintergefühle aus dem Leibe, rangen spielerisch miteinander und verschwanden, nachdem das grüne Mädel die Oberhand gewonnen hatte, wieder so rasch wie sie erschienen waren. Dies geschah ganz ohne gesungene Worte und ohne aufdringliche Symbolik. Ja, bis zum Ende blieb das Gefühl bestimmend, dass man von Autorenseite in seinem Publikum des Vorschulalters durchaus junge Persönlichkeiten mit Talent zum Nachdenken sah, welches keiner unnütz erklärender Worte bedurfte; und dies war, neben noch ganz vielen anderen Dingen hierbei, äußerst lobenswert.

Die darauf folgende eigentliche Handlung sei kurz erzählt: Toni und Tino, zwei kleine bepelzte Langohren, machen sich auf die Suche nach dem Osterhasen; aber (wie der Titel vermuten lässt) nach dem richtigen Osterhasen! Der verschlagene Fuchs Kasimir sucht auch, nämlich einen Osterschmaus; und zwar (was der Titel nicht verrät) einen richtigen Osterschmaus! Und nachdem die beiden Häschen dem Rotpelz einmal in die Falle gegangen, doch glücklich entkommen sind, jagt er sie von nun an durch das ganze Stück. Wo man es am wenigsten vermuten würde - inmitten der Stadt einer milchsüchtigen Cowboy-Rotte - treffen die jungen Helden schließlich doch noch auf ihren Osterhasen! Dem Fuchs wird selbstverständlich das von niederen Instinkten bestimmte Handwerk von Sherlock Pommes und Dr. Husten gelegt … Doch wer nun glaubt, damit sei der gesamte Zauber des Stückes geschildert, irrt sich: Überaus reizvolle Einfälle der Regisseurin Margitta Burghardt in Text und Dramaturgie und des talentierten jungen Komponisten Jens Blockwitz (der bereits durch die Musical-Adaption des RHUE-Romans »Die Welle« von sich reden machte) verliehen dem Bühnenspektakel den eigentlich (im wörtlichen Sinne) WERTvollen Geist.

Und der wurde vom ehrlichsten Publikum der Welt, das Kinder unfehlbar sind, dankbar gewürdigt: Applausraketen und das Mitsingen der eingängigsten Melodien, die das Finale noch einmal herausgriff, rundeten die einstündige Aufführung ab. Schade, dass nachdenklich stimmende Songs wie »Ich möcht einmal was andres sein« und flott eingestreute, würzige Lieder wie »Cowboys schießen, werfen Lasso« heuer am 11. April zum letzten Male gesungen wurden: weil die Spielzeit des Musicals endete.

[Anmerkung: Den Bürgern sei Dank, wird es aber mit dem kindkulturgerechten »Treffpunkt Freizeit« nicht zu Ende sein! Diese Bühne einer Art, welche man hierzulande einfach Altlast nennt, wurde unserer freien Kulturszene nun vorerst doch nicht weggesprengt! Man beteuerte anfangs natürlich scheinheilig, das Angebot für Kinder nicht zu schmälern, sondern auf andere Einrichtungen zu verteilen; leider hatte uns die Erfahrung und der vergleichend schielende Blick auf demgegenüber geförderte PRESTIGEobjekte etwas anderes gelehrt …

So bleibt uns das marode Stück Lebendigkeit bewahrt, das sich mit seiner Möglichkeit, jungen Nachwuchskünstlern die ersten Bretter zu bieten, natürlich niemals mit den bald durch Unsummen Geldes zurückgeholten, stummen Götzen einer überreizten, geltungshurenden Schickeria messen kann -- noch will.]

Überraschend, wie viel an Eindrücken nicht allein des Dargebotenen zurückbleibt (ist dies doch bei unzähligen anderen künstlerischen Versuchen für ein reiferes Publikum selten in diesem Maße der Fall). Kinder sind, wie ich zu behaupten wage, die kritischste Hörerschaft überhaupt: Sie schalten geistig einfach ab und beschäftigen sich selbständig, wenn ein Stück misslungen ist; sie sind ganz vertieft, wenn ein Musical (wie dieses) ihren Nerv getroffen hat. Dann zittern und jubeln sie mit den Helden; dann winken sie ihren Lieblingen zu und weisen die Schurken rufenderweise in die Irre. Am dankendsten für künftig so erfolgreiche Autoren und Komponisten aber: Ihre applaudierende Begeisterung ist immer echt!

© POTZDAM 2001 - Mathias Deinert