Was viele ja nicht wissen
Zur Rekrutierung der Potsdamer Kellnerschaft
Von M. Gänsel

Wenn in Potsdam Kellner, Abräumer oder ähnliches Bedienpersonal für Kneipen, Cafés etc. gesucht werden, setzt sich der bemitleidenswerte Mensch, der für deren Einstellung verantwortlich ist, nächtens zwischen drei und vier Uhr in einen Kleintransporter, ramentert durch Potsdams Straßen und sackt alles unter 30 Jahren ein, was um diese Zeit noch irgendwo rumlungert. Das Ergebnis sind junge verwirrte Menschen, die zum ersten Mal in ihrem Leben den Job einer SERVICE-Kraft antreten. Manchmal heillos übermotiviert, meist jedoch komatös ignorant stehen sie in den Kneipen und Bars, wie sie zuvor an der Straße standen: jung, gutaussehend, selbstüberschätzt - und still.

Nun ist es mehr als billig, sich über schlechte Bedienung aufzuregen, man sieht den hochroten Oldenburger im Heider den Kellner runtermachen und denkt sich: "Touristen, pft!" Was Potsdam jedoch so einzigartig macht und Berlin wieder einmal in den Schatten unserer kleinodigen Stadt stellt (in Berlin kellnern nämlich ausnahmslos Menschen, die EIGENTLICH Schauspieler sind), ist der Umstand, dass die Potsdamer Kellner nichts sind als Menschen, die zufällig eine weiße Schürze tragen und offensichtlich dazu da sind, die Gäste zu bedienen. Die Psychologie-Studentin verhält sich exakt genauso wie die ABM-Kraft, der Gymnasiast steht dem Lehramts-Anwärter in nichts nach - ALLE kommen sie nach frühestens zehn Minuten das erste Mal an den Tisch, duzen knallhart jeden, der schon mal da war und gehen, nachdem sie die erste Bestellung gebracht haben, für immer weg.

Natürlich hat es einen gewissen Reiz, wenn jemand am Kopfrechnen scheitert und beharrlich die Zuhilfenahme von Zettel und Stift verweigert. Natürlich ist es irgendwie niedlich, wenn auf die Bemerkung, man wünsche der Bedienung noch einen schönen Tag, ein augenrollendes "Ich muss noch bis zehn machen" kommt, NATÜRLICH macht ihnen ihr Job keinen Spaß, und selbstverständlich ist der Kunde schuld daran. Sie haben es nie gelernt zu bedienen, und schlimmer als ein Ungelernter ist nur, wer sich ein paar Sachen ABGEGUCKT hat und einem bei der Bestellung quasi ins Gesicht kriecht vor lauter Augenkontakt. Außerdem ist Rufweite überall, und wer hat gesagt, dass man bis zum Tisch rennen muss, wenn der Gast noch was will.

Beeindruckend ist, dass sie ALLE so sind, dass kaum jemand eine Ausnahme macht, was dann DOCH vermuten lässt, dass sie vorab einen Kurs mitmachen, in dem sie ex negativo lernen, was sie auf jeden Fall vermeiden sollten: Lächeln, Nettsein, Schnelligkeit, Service. Wie perplex man ist, wenn die Rechnung stimmt! Wie sehr von den Socken, wenn nachgefragt wird, ob man noch etwas möchte! Ich bin ROT geworden, als mir neulich im Leander der CHEF des Etablissements Feuer gab - ja natürlich gibt es Ausnahmen. Aber die Regel, die Regel sind jene gekidnappten Straßenkinder, die wahrscheinlich alle unter dem Schock der Entführung stehen, nachts in Turnhallen schlafen und jeden Tag 16 Stunden kellnern müssen. Das ist die einzige Erklärung für die miese Arbeit, die sie leisten.

Aber es gibt ja Handlungsmuster, die das Ertragen leichter machen: Abfälliges Reden über andere Gäste / Kneipen / Kellner, Fragen nach dem Studium, selbständiges Errechnen der getrennten Rechnung... Sie ernten ein beherztes Lächeln und fast zuvorkommende Bedienung, Sie werden ZUFRIEDEN sein, wenn sie wieder gehen. Nur so als Tipp. Sie sollten das nur mal wissen.

© POTZDAM 2001 - M. Gänsel