Früher, die konnten ja noch was
SACHBUCH: "Bürgerliche Villen in Potsdam"
Von Markus Wicke

"Hier fehlt doch nur mal ein Eimerchen Farbe, dann sieht das alles viel hübscher aus... Na hier müsste doch mal was gemacht werden... Wie die das hier verkommen lassen" - wer kennt Sie nicht - die allwochenendlichen Schreckenschreie westdeutscher Potsdamkurzbesucher angesichts brachliegender, fast verfallender, aber doch meist in der Grundsubstanz noch erhaltener Villen und anderer Baudenkmäler in den diversen Vorstädten Potsdams und der Neubabelsberger Villenkolonie. Die zweifellos beachtlichen Fortschritte bei deren Rekonstruktion hingegen werden gerne mit dem Verweis auf diverse Transfermilliarden ("Hier ist also unser Geld") bestaunt, ohne zu wissen, dass die bemerkenswerte private Initiative einiger unbelehrbarer Abenteurer (zumeist ebenso westdeutscher Provenienz) zum Erhalt und Wiederherstellung des alten Glanzes dieser Wohnhäuser führte.

Neid auf fast die original erhaltene Grundsubstanz der Villen im Äußeren und oft auch im Inneren - verursacht durch ostdeutschen Mangel an Baumaterial und personellen Kapazitäten - ist es, der zu solch verwunderlichen Äußerungen führt. Gerne soll der Verweis auf ostdeutschen Vandalismus in der Zerstörung und dem nachlässigen Umgang mit Baudenkmälern die - wenn auch aus anderem Grund erfolgte - Abrisswut und groben Akte der Totsanierung (Stuck ab und Kacheln ran) im Westen verschleiern.

Doch es gibt es Ausnahmen wie Wolfgang Bönner, Landeskonservator des Landes Rheinland-Pfalz., der diesen für den Denkmalschutz besonderen Glücksfall des Stillstands der Villen über 40 Jahre, ja der Konservierung neidlos zugibt. Sein kürzlich im Strauss Verlag herausgegebenes Buch "Bürgerliche Villen in Potsdam" ist eine wahre Ode an die Potsdamer Villenkultur und biete dem interessierten Laien eine kompetente Einführung und einen Querschnitt aus der Fülle beeindruckender Beispiele dieser "Wohnsucht", die die bürgerliche Oberschicht seit der Mitte des 19. Jahrhunderts befiel.

Unterstützt durch die prachtvollen Fotos des Herausgebers Jürgen Strauss beschreibt Bönner sehr detailreich das Schicksal und die Bedeutung bekannter und bisher eher verborgener Häuser: so der Villa Gericke, die 1893 als nahezu komplette Kopie der ehemals in Berlin Tiergarten stehenden Villa Ende gebaut und nahe des jüdischen Friedhofs heute ihr trauriges unsaniertes Dasein fristet. So mancher fragt sich im Vorüberschlendern, wer in diesem malerischen Haus wohl einstmals gewohnt habe, ohne die einmalige architekturhistorische Bedeutung zu erahnen, galt doch der Vorgängerbau Villa Ende in Kennerkreisen als Vorbild für eine Reihe ähnlicher Villenbauten.

Wolfgang Bönner macht die Bedeutung der Gericke-Villa durch Bauzeichnungen der verlorengegangenen Villa Ende überdeutlich, das Schicksal der Bewohner jedoch bleibt, wie fast durchgängig im Buch im Dunkeln. Dieses Manko erklärt der Autor auf Nachfrage mit der aufwändigen zusätzlichen Recherchearbeit, die für eine zuverlässige Aussage notwendig gewesen wäre, Bönner ist Architekturkenner, kein Historiker und verweist auf die Gefahr, "sich in Familiengeschichten zu verlieren". Eine Ausnahme bildet die Villa Rumpf - hier beleuchtet Bönner die Vita des Bauherrn des Bauherrn Fritz Rumpf, die sich in der eigenwilligen Architektur widerspiegelt. Ein Künstlerhaus verlangt auch Angaben zum Künstler, so die einleuchtende Begründung, ebenso einleuchtend erscheint angesichts der Fotos und der Beschreibung der Innenräume die Wahl Wolfgang Joops beim Kauf einer zweiten Villa am Ufer des heiligen Sees auf die einstige Rumpf-Residenz, passt doch die Villa sowohl zum "bits and pieces"-Konzept des Designer als auch zu seinem Hang nach Extravaganz.

Als gelungene Beispiele bereits erfolgter Rekonstruktionen kann man in der Potsdamer Villenbibel die Fischbach und die Villa Mirbach betrachten. Letztere ist schon wieder gefährdet durch den rücksichtslosen Verkehr in der Straße am Neuen Garten. Diese Straße ist auch ein Beispiel, wie viel es noch zu erhalten und erneuern gilt. So wurde die von den Potsdamer Neuesten Nachrichten ausgerichtete Buchvorstellung (es moderierte in seiner sehr gewöhnungsbedürftigen Art die große alte Dame der PNN - Klaus Büstrin) denn auch zu einer Diskussion über die Potsdamer Denkmalpflege, angesichts der Absage von Potsdams Denkmalpfleger Jörg Limberg mussten die vielen gestellten Fragen jedoch zumeist unbeantwortet bleiben. Aber vielleicht wollte Limberg ja lieber an seinem Buch über die Potsdamer Villenkolonie arbeiten, dessen Erscheinen Herausgeber Strauss bereits ankündigte, ohne einen Termin zu nennen.

Die Villa bleibt also Thema und das Staunen oder Verbreiten gutgemeiner Ratschläge vor den Zäunen der Villen wird wohl auch in naher Zukunft nicht abreißen, denn "Früher - die konnten ja noch was!".

© POTZDAM 2001 - Markus Wicke