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Über
die Bescheidenheit
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Dienstag
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Von
M.Gänsel
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Die neue Zier des Frühlings 2001 heißt Bescheidenheit. Denn sie fehlt allerorten. Mit großer Fresse drischt noch der luschigste Schluffi durch die Straßen, ein Gesicht machend, als habe er soeben DREI Oscars bekommen, sei in einer halben Stunde bei Joop eingeladen und habe den Ölteppich vor dem Darß persönlich weggesaugt. So HELDENHAFT. So ungeheuer selbstverliebt, so einig mit sich und der Welt. Eine Einigkeit, die selbstverständlich keine drei Wortwechsel überdauert. Das Benehmen ist ähnlich unsympathisch, sie betreten Cafés und Restaurants, als hätte der Zeremonien-Meister soeben ihren Namen verlautbart und das Fest könne nun, da sie endlich da seien, beginnen. Sie reden laut und rufen in ihre Handys, sie bestellen mit großer Geste das kleinste Frühstück und essen, als seien sie zuhause. (Nichts dagegen, wenn sich jemand, der essen KANN, in einem Restaurant wie zuhause fühlt.) Sie lesen mit abschätzigem Lächeln BILD oder FAZ, sie kennen die ganze Wahrheit, ja sie wissen, wo der Hase lang läuft. Nämlich da, wo sie lang laufen, in Dreierpacks auf Fußgängerzonen, hintereinander - sich anbrüllend - in der S-Bahn, tütenschwenkend auf Kuhdamm und Friedrichstraße. Sie haben keine Fragen mehr, dafür Antworten en masse, die sie ungefragt jedem hinbuttern, der es wagt sie auszulachen. Sie nehmen sich ernst, weil sie ja über sich lachen können - wenn man das mal testet, wird's richtig peinlich. Und sie können auch gar nicht bescheiden sein, denn das setzt voraus, dass etwas DA ist, das man zurückhalten möchte, weil es dem andern vielleicht zuviel Respekt einflößt, weil es gar nicht nötig ist, das jetzt auszustellen, weil angeben einfach nicht cool ist. Das Fatale: die Attitüde ist so leicht, so einfach nachzumachen, dass selbst Leute, die etwas geleistet HABEN, darauf hereinfallen und sich so geben, wie es die Unsäglichen ihnen vormachen. Jungunternehmer, -autoren, -journalisten, -theatermacher usw. benehmen sich dann gern genauso, und man kann darüber nachdenken, was zuerst da war: Die Dummen, die sich für mehr verkaufen, als sie sind, oder die Unbescheidenen, die ihre Leistung zum Vorwand nehmen, sich einmal ganz groß hinzustellen, den Mund weit offen und laut, die Augen wissend gen Horizont gerichtet. Man kann darüber nachdenken. Man kann aber auch einfach nur versuchen, Bescheidenheit zu üben in diesem großfressigen Frühjahr, dabei still und freundlich seines Wegs gehen und allen Dummlauten, die man trifft, kräftig dreimal vors Schienbein treten nicht ohne - ebenfalls dreimal - "DU BIST SO SCHEISSE!" zu rufen. Dann weiter still und freundlich. Danke. |
| © POTZDAM 2001 - M. Gänsel |