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Wahrheiten, nichts
als Wahrheiten
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Von
M. Gänsel
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1) Kommen Sie an einem schönen, sonnigen Tag, wie
die anderen vierzigtausend. Wenn es kalt und dunkel ist, riecht
Potsdam nach nassem Schäferhund und die Bürgersteige
bleiben ganztags hochgeklappt.
2) Wenn Sie mit nacktem Oberkörper
auf einer Wiese im Park Sanssouci liegen und schauen, wie sich
Gänseblümchenblüten neben Ihren Brustwarzen machen,
antworten Sie dem Sie anherrschenden Parkwächter: Ich
habe 50 Euro freiwilligen Parkeintritt bezahlt. Was natürlich
der Wahrheit entsprechen sollte.
3) Wenn Sie Potsdam Hauptbahnhof
ankommen, gehen Sie umgehend zur Straßenbahn und fahren
Sie bis Luisenplatz, dortselbst: Sanssouci gleich umme Ecke.
Sollten Sie laufen wollen, sind Sie selbst schuld: Die Baustelle
vom Stadtschloss liegt im Wege, wurscht, ob Sie links oder rechts
daran vorbeigehen > Sie werden sich verlaufen.
4) Wenn Sie nach Schloss Cecilienhof
wollen, müssen Sie an der S-Bahn-Station Griebnitzsee oder
an der S-Bahn-Station Babelsberg aussteigen, je nach Lauflaune.
5) Das Holländische Viertel
ist kleiner, als Sie denken.
6) Der Park Sanssouci ist
größer, als Sie denken.
7) Wenn Sie die Treppe zum
Schloss Sanssouci hochgehen, bleiben Sie oben bitte nicht STEHEN,
sondern gehen Sie fünf bis sechs Schritte nach rechts oder
links, um die irre Aussicht zu bewundern / fotografieren. Sollten
Sie, wie wahre Kenner, dortselbst um fünf Uhr morgens sein,
ist dieser Hinweis zu vernachlässigen.
8) Sollten Sie Potsdamer Bürgerinnen
und Bürgern begegnen, ignorieren Sie sie. Nicht ansprechen.
Nichts fragen. Augenkontakt meiden. Halten Sie Stadtplan und
/ oder Reiseführer mit ausgestrecktem Arm nach oben und
lachen Sie.
9) Regionalbahn, S-Bahn, laufen
laufen laufen, Kaffeetrinken, laufen laufen laufen, Souvenir
einkaufen, laufen laufen laufen, Regionalbahn, S-Bahn
überlegen Sie sich, ob Sie Ihren Kindern das antun.
10) Kommen Sie mit dem Schiff.
Schöner gehts nicht.
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"Potsdam
ist wirklich nett!"
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Dringende Empfehlung
nicht nur für BUGA-Besucher
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|
Von
M. Gänsel
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Sie sind in Berlin, für ein
paar Tage. Im neuen, großen, schönen, angesagten
Berlin. Wenn Sie lange nicht dort waren, haben Sie ordentlich
zu tun in der kurzen Zeit, die Sie für Verwandte und Stadt
eingeplant haben. Wenn Sie keine Verwandten in Berlin haben,
ist das wegen der Unterkunft zwar teurer, aber dafür geraten
Sie auch nicht in diese leidige Diskussion, dass "der Berliner
an sich ja ganz anders ist als wir, also als Inge und ich jetzt".
Wobei "Inge und ich" selbstverständlich zugezogen
sind vor 11 Jahren, weil der Berliner an sich, also den gibt
es ja gar nicht mehr.
Es gibt zwei Arten, wie Sie für gewöhnlich auf Potsdam
stoßen: Entweder haben Sie diesen freien Tag gegen Ende
Ihres Aufenthalts noch nicht verplant und schlagen im Reiseführer
zufällig die Berlin-Potsdam-Seite auf. Potsdam wird ja
gern einzig im Zusammenhang mit Berlin erwähnt, und Sie
sehen dann diese Bilder mit diesen Schlössern und Parks
und allem und denken sich "Och einen Tag mal, nicht?"
Die andere Variante ist, dass auf Ihrem abzuarbeitenden Sehenswürdigkeiten-Plan
Sanssouci steht und Sie erst nach gründlicher Recherche
herausbekommen, warum das nicht in Berlin ist: weil es in Potsdam
steht, dieses Schloss. Na dann nach Potsdam. Mit der S-Bahn,
sagen alle, ist günstiger, fährt direkt durch.
Sie sitzen dann in der S-Bahn, Ihren unzureichenden Berlin-Reiseführer
auf dem Schoß, der zu Potsdam genau zweieinhalb Seiten
bietet, aber da steht auch alles drauf, da reicht ja ein Tag:
Sanssouci, Cecilienhof (Geschichte! Stalin!!), Park Babelsberg
(Ufa! Defa!! Dietrich!) und wenn wir schaffen, noch Holländerviertel
- Sie sitzen also in der S-Bahn und bekommen das erste Mal schlechte
Laune, weil sich das dann doch verdammt zieht, bis Potsdam.
Also dass die S-Bahn einmal geschlagene zehn Minuten fährt,
ohne zu halten... da sehen Sie dann ein, dass Potsdam wohl doch
eine ganze Ecke weg ist von Berlin, auch der ganze Wald dazwischen,
und die Stationen heißen bald auch nur noch -wald oder
-see hinten. Wannsee kennen Sie, und von da ist es dann nicht
mehr weit, Sie kommen in Potsdam an und sehen erst einmal gar
nichts, nur Bahnhof, seit kurzem ist das fertig und heißt
Potsdam-Center.
Als Tourist sind Sie in Potsdam radikal auf sich gestellt. Sie
merken das recht schnell, die Beschilderung ist beliebig, da
drüben gibt's Pläne, da vorne ist die Straßenbahn,
aber der Herr hier erklärt Ihnen gerne, was eine Fahrt
mit diesen albernen blau-gelben Wägelchen kostet, und dann
nehmen Sie doch die Straßenbahn, Sanssouci werden wir
ja wohl finden.
Fragen Sie niemals einen Potsdamer "Wo ist denn hier das
Schloss?" denn Sie werden immer abschlägig beschieden
mit einem lässigen, vernichtenden, jetzt kann man ja sagen:
im Jargon von John vorgetragenen "Welschet?!" Wenn
Sie wissen welches, fragen Sie ruhig.
Nachdem Sie in Sanssouci festgestellt haben, dass die Führungen
für heute ausgebucht sind und Sie sich hätten voranmelden
müssen, weil man ohne Führung nicht reinkommt, wandern
Sie durch den Park und stoßen nach einer erbaulichen halben
Stunde unversehens auf das Neue Palais, von dessen Existenz
nur die besseren Reiseführer berichten. Die sich dahinter
anschließenden Communs und ehemaligen Verwaltungsgebäude,
die nun zur Universität gehören, lassen Sie zum ersten
Mal staunen - und beneiden. Die Studenten lümmeln auf dem
Rasen, der Springbrunnen strahlt in den Himmel, die Kulisse
ist wunderbar historisch und mächtig. Wenn hier zu den
jährlichen Musik-Festspielen Klassik erklingt, der Chor
singt und rotes Feuerwerk die Säulen und Kuppeln erleuchtet,
das ganze gelassen auf Decken oder zahlend in 5-Mark-Pfand-Zelten
genossen und der Rückweg durch den Park von unzähligen
Glühwürmchen begleitet wird - dann möchten Sie
wirklich nur in Potsdam wohnen und sonst nirgendwo.
Weil es im Park nur wenige (zwei), überteuerte und gern
heillos überlaufende Möglichkeiten gibt, etwas zu
essen oder zu trinken, sind Sie gezwungen, die Potsdamer City
aufzusuchen. Das ständige Nebeneinander von realsozialistischem
Zweckbau und Kirchen, Marställen, Bürgerhäusern
aus dem 18. und 19. Jahrhundert, verbunden mit hanebüchenen
Verfehlungen im Bereich erhellender Sichtachsen, irritiert Sie
nur eine kleine Weile; bald stapfen Sie ungerührt wie der
Potsdamer an all dem vorbei und mögen es einfach. Die Fußgängerzone
gibt es hier selbstverständlich auch, und auch hier hat
es der Potsdamer nicht versäumt, dem Klischee gerecht zu
werden und knappe 500 Meter mit sinnlosen Geschäften, kleinen
überteuerten Souvenirläden und ca. fünf Dönerstützpunkten
zu versehen. Am Ende des Broadway (so nennt man das hier) gehen
Sie aber einfach ganz schnell nach links, bis zum Nauener Tor,
und setzen sich dort umgehend ins beste Haus am Platz, das Café
Heider. Wahlweise auch auf dessen Terrasse, und da bleiben Sie
erst einmal eine ganze Weile, denn da ist Potsdam so richtig
schön. Die Sonne strahlt auf die frisch renovierten Altbauten,
der Kellner ist ostdeutsch wortkarg und dennoch freundlich,
durchs Nauener Tor rauscht plötzlich eine Straßenbahn,
keine zehn Meter entfernt, die Potsdamer am Nebentisch haben
die Füße auf den Stuhl gelegt und füttern die
Spatzen - es sitzt sich so entspannt und gelassen, wie es nur
geht in Potsdam. Wenn Sie durch all die Schirme und Bäume
mal einen Blick auf das Gebäude des Cafés erhaschen,
stellen Sie leicht überrascht fest, dass das jetzt schon
das Holländerviertel sein muss. Das ist ja rot, das ist
ja Backstein, da sind ja die Giebel so... holländisch!
Nach Kaffee und Kuchen wandeln sie durch das preußische
Kleinod und ärgern sich ein bisschen, weil es hier so viele
Cafés gibt, und nun haben Sie ja gerade... Wenn Sie clever
sind, merken Sie sich diesen Ort und kehren am Abend dorthin
zurück, da finden Sie dann nämlich eher weniger touristische
Kollegen, dafür ganz viele Potsdamer, die es sich einfach
nur gut gehen lassen.
Verwechseln Sie Babelsberg nicht mit Potsdam. Erstens ist es
für den in Potsdam am häufigsten auftretenden Touristen-Typ
eine große Herausforderung, beide Orte an einem Tag abzuarbeiten.
Zweitens ist das alles zwar eine Stadt, aber nicht zu vergleichen.
Denn Babelsberg heißt ja nur für die Babelsberger
so, alle andern dynamischen, erfolgreichen jungen Menschen,
die dort selbstverständlich nur arbeiten und in Berlin
wohnen, arbeiten in der Medienstadt. Die Medienstadt ist ein
mehrere Hektar großes Gelände auf dem ehemaligen
Ufa-Boden, das unzählige Firmen beherbergt, die alle etwas
mit Film, Fernsehen oder beidem zu tun haben. Als Tourist erschließen
Sie diese Vielfalt eher weniger, da Sie einzig durch die Studio-Tour
auf das Gelände kommen, Sie kennen das sicher aus München;
in Babelsberg ist es ein bisschen kleiner, dafür stapfen
Sie durch die Kulisse von Metropolis und können das Sandmännchen
in Aktion sehen. Für Kinder eine sicher spannende Angelegenheit,
Erwachsene ärgern sich wieder ein bisschen, weil dann schon
soviel Zeit (und Geld) weg ist und bis zum Abend gerade noch
der Park Babelsberg (inkl. Schloss) geschafft werden kann.
Nicht mehr zu denken an Cecilienhof und den Tisch, an dem sie
saßen, damals, und die Zonen klarmachten. Nicht zu denken
an die Berliner Vorstadt, die heranreicht bis an die Glienicker
Brücke, in deren Hinterland sich am See die Villen der
Prominenz tummeln. Wunderbar schlendern können Sie dort,
den Kopf schütteln über diesen und jenen Bau, teilhaben
an der ruhigen traumhaften Atmosphäre mitten in der Stadt.
Sie könnten sogar hinausrudern auf den Heiligen See - auf
der einen Seite Potsdam, auf der andern Berlin, dort das Marmorpalais
und hier die badenden Potsdamer. Und Sie werden auch nicht mehr
in den Genuss kommen, hinter einer besonders ausufernden Baustelle
die Villa Kellermann zu entdecken, in deren Garten man äußerst
italienisch, wunderbar entspannt und mit Blick aufs Wasser sitzt
und speist.
Weil das alles nicht zu machen ist an einem Tag. Das hätten
Sie mal vorher wissen sollen. Da hätten Sie sich glatt
ein bisschen mehr Zeit genommen. Nun ist es zu spät, und
morgen geht's zurück nach Nürnberg. Prinzenspielplatz,
Alexandrowka, Pfingstberg - Sie müssen passen. Sie haben
es nicht gesehen. Dieser versteckte Biergarten, Eingang Schiffbauergasse,
das art-Hotel, auf deren Rasen die Tische zehn Meter auseinander
stehen und eine leichte Brise vom nahen Wasser der Havelbucht
weht, das Open-Air-Kino mit Steak und Bier vom Fass im Waschhaus
und am (Potsdamer!) Brandenburger Tor. Nix war, vielleicht nächstes
Mal.
Oder Sie machen es gleich beim ersten Mal richtig und geben
Potsdam genauso viel Zeit, wie jeder Potsdamer braucht, um warm
zu werden. An einem Tag können Sie maximal die Aushängeschilder
abklappern, haben am Ende genau das gesehen, was in Ihrem Reiseführer
viel besser fotografiert ist, sind fußlahm und legen Potsdam
unter "nett" innerhalb Ihrer Berlin-Reise ab. Ein
paar Tage dagegen lassen Sie nicht nur unheimlich neugierig
auf dieses Kleinod werden, sondern bescheren Ihnen auch genau
jenes Maß an Überraschung und passablem Lebensgefühl,
das die Potsdamer so lieben. Potsdam fließt ruhig, unspektakulär
und kommod dahin - lassen Sie sich einfangen von diesem Charme
und fließen Sie ein paar Tage mit.
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Von
P. Brückner
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Manchmal wundern
sich Leute, wenn ich erzähle, dass ich römisch-katholischen
Glaubens bin. Sie gucken dann so, als erwarteten sie nun, da
sie das von mir wissen, ich würde als nächstes versuchen
sie zu missionieren. Oder aber mindestens ihr außereheliches,
nicht zur Zeugung von Kindern dienendes und also vom Papst nicht
sanktioniertes Sexualleben öffentlich anprangern. In milderen
Fällen werde ich gefragt, ob ich die Kreuzzüge denn
gut fände. Wenn ich dann erkläre, an keinem Kreuzzug
teilgenommen zu haben und hypothetisch in den Raum stelle, der
Kreuzfahrer an sich werde schon seine Gründe gehabt haben,
taxieren mich oft Blicke die sagen: "Du bist katholisch,
das ist mittelalterlich, also erzähl mir nicht, du wüsstest
nicht, was so ein Moslemtotschläger in Christus Namen gedacht
hat."
So etwas ärgert mich: Ich bin
ein ganz normaler Durchschnitts-Mitteleuropäer, auch wenn
ich sonntags zur Kirche gehe. Besonders, wenn die Kirche in
Potsdam ist.
Wenn sonntags die Glocken läuten,
wird aus der Touristenattraktion Peter-und-Paul-Kirche am Bassinplatz
ein kultischer Ort. "Ha," wird jetzt der aufgeklärte
Leser denken, "also doch verstaubte Riten!" Weit gefehlt.
Natürlich erscheint vieles dem nichtchristlichen Besucher
merkwürdig und fremd, doch bei genauem Hinschauen bemerkt
man recht schnell, dass es hier so zugeht wie auf vielen Potsdamer
Straßen oder in Potsdamer Einkaufszentren.
Besucht man einen Potsdamer Gottesdienst,
kommt man nur schwer darauf, dass hier religiöse Praxis
ausgeübt wird. Gut, Priester und Ministranten tragen seltsame
Kleidung, doch darüber kann man leicht hinweg sehen. Was
fehlt, ist die magisch-mystische Stille, das Dämmerlicht
und was man sonst noch bei einem Gottesdienst erwartet.
Woran das liegt ist schwer zu sagen,
denn man könnte vermuten, dass die Touristen, welche auch
- oder gerade - während des Gottesdienstes bis zum Altar
vordringen, um dann, verschämt bemerkend, dass im Augenblick
wohl doch eine Veranstaltung statt findet, noch schnell ein
Foto zu schießen (natürlich mit Blitz); dass diese
Touristen eben nicht bemerken können, dass sie gerade stören,
denn es geht tatsächlich keine allzu große Veranstaltungsatmosphäre
vom Gottesdienst aus. Das Schild am Eingang ("Gottesdienst
- keine Besichtigung möglich") kann man einfach ignorieren.
Peinliche Fluchten seitens der nichtchristlichen Besucher sind
vorprogrammiert, denn irgendwann kommen diese offenbar immer
zu der Überzeugung, die Abwesenheit der feierlichen Aura
hinge unmittelbar mit dem eben abgefilmten Panorama des Altarraums
zusammen und dass ungeduldige Fußgescharre gelte demzufolge
ihnen.
Eigentlich schade, denn sollte der
uneingeweihte Besucher länger verweilen, wird er bemerken,
dass die Füße der Gottesdienstbesucher weiter scharren
und auch die Blicke nicht freundlicher werden. Dazu kann er
dann auch den einen oder anderen erhebenden Augenblick erleben,
und wenn kurz vor der Kommunion der Kanon "Wo zwei oder
drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter
ihnen!" gesungen wird, kommt sogar sakrale Stimmung auf
- fast ist man geneigt, doch noch so etwas wie eine transzendente
Rührung zu erfahren.
Gibt sich der Betrachter dieser Empfindung
zu lange hin, wird er niedergerissen und im ungünstigsten
Falle auf dem Boden zertrampelt. Denn nun wird die Kommunion
verteilt. Dies ist die Stelle, an der am deutlichsten wird,
dass Potsdamer Katholiken eben hauptsächlich Potsdamer
sind. In anderen Gemeinden schreiten die Gläubigen gesittet
durch den Mittelgang, empfangen am Altar das Abendmahl und gehen
dann ebenso gesittet durch die Seitengänge zu ihren Sitzplätzen
zurück. Das alles in mehr oder weniger kontemplativen Schweigen.
In Potsdam stürmen alle gleichzeitig
nach vorne. Hauptsache ich kriege etwas ab, wer weiß,
wann es alle ist. Es ist schnell zu bemerken, dass die Mittvierziger
dank ihrer noch intakten Mobilität, ihres Körpergewichts
und ihrer durch jahrelange Erfahrung gestählten Bereitschaft
beides einzusetzen, klar im Vorteil sind. Kinder und Alte haben
das Nachsehen, versuchen aber - teils den Siegertypen nacheifernd,
teils der Erinnerung an frühere, bessere Zeiten nachtrauernd
- mitzuhalten. Alte Frauen werden mit den Ellenbogen aus dem
Weg geräumt. Wer in seiner Bank kniend betet, wird auf
die berühmt direkte Potsdamer Weise auf den absolut deplazierten
Charakter seiner Handlungsweise hingewiesen. Verwirrung, Chaos
und der Gedanke "ich zuerst" durchziehen das Gotteshaus.
Wenn die Kommunion verteilt ist, sinkt der Ungeübte erschöpft
auf seinen Platz.
Verweilen aber kann er dort nicht
lange, denn gleich wird der Schlusssegen gesprochen. Alle drängen
zur viel zu kleinen Ausgangstür - was passiert weiß
jeder, der jemals mit einer vollbesetzten S-Bahn am Potsdamer
Hauptbahnhof ankam. Und es gibt keine Rolltreppe.
Sie sehen also, Potsdamer sind Potsdamer,
egal ob katholisch, atheistisch, touristisch oder was auch immer.
Wir können unsere Gleichheit nicht verleugnen, wo wir auch
hingehen. Aber zum Glück hat es Jesus trotzdem bis Potsdam
geschafft.
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Von
M. Gänsel
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Kann man sich
eigentlich im Park verstecken am Tag der Schlössernacht,
im Gebüsch lauern und kichernd die Zeit abwarten, bis es
endlich Abend wird und nachts? Sodann hervortreten in einem
günstigen Moment, DM 44,- glatt sparen und dahingehen?
Kann man? Ich schätze: nein.
Denn oh, eine Wachmannschaft ist aufgelaufen.
Schwarz gekleidet rennen sie schon am Nachmittag des Tages,
dem die Nacht, DIE Nacht folgt, kreuz und quer durch den Park
Sanssouci. Walkie-Talkies in der Hand und den Körper, gleich
ob Mann ob Frau, John-Wayne-like wiegend, gerade vom Pferd gestiegen,
Sonnenbrillen dunkelschwarz. Vielerlei Vorbereitungen werden
getroffen, ein paar aufgeregte Touristen kommen gar nicht richtig
zum Schloss-Gucken, sogar kleine Transporter rasen von hier
nach dort. Schwarze Zweierpacks durchkämmen den Park.
Es ist ohnehin nicht so ruhig wie sonst, aber
das hat auch niemand erwartet. Motorengeräusche, Musikfetzen,
selbst die Raben sind aufgeregt und schwärmen krächzend
von hier nach dort. Aber das alles wird übertroffen:
"LEINEN SIE IHREN HUND GEFÄLLIGST AN!!
DEN HUND AN DIE LEINE!!!"
und
"RUNTER VOM FAHRRAD! ABSTEIGEN!!! RUNTER VOM RAD!"
Man kanns gar nicht so groß schreiben, wies
laut gebrüllt wurde. Elend laut. Überschlagende Stimme,
so ein Kieksen immer, inklusive. Wäre fast von der Bank
gefallen. Und nicht nur einmal, immer wieder ertönen andere
Stimmen, ausnahmslos von schwarzen Sheriffs in Höchstform
geprügelt. Die Radfahrer, meist Touristen mit gemieteten
Rädern, halten verdutzt an: Auf ihren kleinen Plänen
ist dies hier als Radweg eingezeichnet, sie wissen nicht, dass
heute Ausnahmezustand ist. Eine ältere Dame sinkt langsam
zur Seite weg, als keine zwei Meter vor ihm einer der Schreier
freidreht und das mit dem Runter-vom-Rad brüllt. Sie kann
sich mit dem Fuß abfangen, strauchelt aber dennoch ordentlich.
Sie ist so verdutzt, dass sie umgehend wieder aufsteigt und
weiterfahren will, die zweite Wachschutz-Person brüllt
alles noch einmal. Noch lauter. Sind das Schlagstöcke da
am Gürtel?
Ein paar Studenten fahren auch ihren gewohnten
Weg, einer ist gar mit Fahrrad UND Hund unterwegs, natürlich
ohne Leine, das Tier. Vier Schwarzbrüller vereinen sich,
haben den Jungen jedoch zu spät gesehen, der nun ordentlich
in die Pedale tritt. Die Verfolgung per pedes wird kurz aufgenommen,
jedoch nach wenigen Metern beendet: SCHREIEN ist im Rennen nicht
möglich. Der Student winkt freundlich zurück, als
er entschwindet.
Als ich in Höhe Hans-Sachs-Straße wieder
hinausgehe, teste ich die Wehrhaftigkeit des Zaunes, der dort
seit einem Monat und einzig im Hinblick auf die Schlössernacht
errichtet wurde. Letztes Jahr gabs keinen Zaun, Hans-Sachs-Straße
war Schwachstelle, durchlässig, zu viele Menschen, Potsdamer
auch noch, kamen da einfach so rein.
Der Zaun wird das verhindern. Die Schwarz-Nasen
werden verhindern, dass sich jemand bis zum Einbruch der Dunkelheit
versteckt, ob nun mit Fahrrad und Hund oder ohne. Wahrscheinlich
wird der Park gegen 20 Uhr mit Bewegungsmeldern gekämmt,
die auf die Eintrittskarten geeicht sind. Da könnten kleine
Chips drin sein, die elektronische Weiß-Westen-Signale
aussenden. Wenn man so ein Signal nicht aussendet, hat man Pech
und wird erschossen. Die haben auch Hunde, wetten. Aber an der
Leine.
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Von
Mathias Deinert
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Schlössernacht,
Freitag, kurz vor Neun: Vor der großen Bühne am Neuen
Palais sammeln sich die Massen für den Auftritt der drei
jungen Tenöre. Auf den Terrassen zählt die Tanzschule
ADTV Walzerschritte. Gerade geht milchig rot die Sonne unter.
Stimmung also, wie sie schöner nicht sein kann!
Doch berichten wir nicht von dem,
was alle erlebt haben:
Fernab jeder Zivilisation, in einem
zwielichtigen Örtchen namens Golm sitzen um diese Zeit
nämlich sechs finstere Gestalten in der kleinen Wartehalle
am Bahnhof. Die Schlössernacht ist für sie kein Thema;
sie waren noch nie da, wollen da auch nicht hin, und wenn sie
da jemals wären, dann nur als Störenfriede für
Aug und Ohr.
Diesem Trüppchen nähert sich nun eine
junge Studentin - Häkel-Rucksack auf dem Rücken, Brille
auf der Nase, züchtig geflochtene Haare, bestimmt ein Tenor-Groupie
- und stellt sich vor den Busplan. Sie schaut auf den Plan,
auf die Uhr, auf den Plan, auf den Pulk und fragt ängstlich:
"Ist der 21-Uhr-Bus schon hier gewesen?"
Das schmutzige Häufchen johlt.
Es ist die einzige Antwort, die sie der kleinen
süßen Dirn geben. Und sie wendet sich angewidert
ab.
Ein Mann stößt zu den Spießgesellen,
sichtlich erregt. "Wisst ihr, warum der Zug ausgefallen
ist?" röchelt der Mittfünfziger. "Man hat
jemanden überfahren zwischen Wustermark und Golm."
Die Gruppe grunzt überrascht.
Eine Glatze mit Bomberjacke und Schnürstiefeln
rotzt verächtlich aus. "Janaund? Könnense danich'
nochma' rüberfahrn? Der is'doch eh tot!"
Eine Frau in den Wechseljahren, scheinbar seine
Mutter, weißt ihn schüchtern zurecht: "Mensch,
die müssen doch erst die Leichenteile von den Schienen
räumen." Und sie rümpft die Nase. "Man kann
das da doch nicht einfach liegen lassen."
Der Mittfünfziger berichtet weiter, während
er sich mit einem benutzten Herrentaschentuch die schwitzige
Nase unter der Hornbrille wischt: "Der liegt fuffzehn Meter
weit auf den Schienen verstreut! Fuffzehn Meter!"
"Krass, Alter!" schnuddelt die Glatze
dazwischen.
"Ja, fuffzehn Meter weit! Darum sind bis
auf weiteres die Züge ausgesetzt und es gibt Schienenersatzverkehr."
Der greise Späher schnäuzt ins Tuch und stopft es
weg. "Aber hier kam noch kein Ersatzverkehr, wa?"
Wieder lacht und johlt die Gruppe, dass einige
ihrer lumpengefüllten Kaufland-Tüten umstürzen.
"Nee, hier kam seit einer Stunde nüscht. Kein Zug,
kein Bus, kein Ersatzverkehr. Die Kleenen müssen det ja
immer ausbaden!"
"Ick vasteh nich," seiert die Rotzglatze,
"wiesodieda so'n Jewese drummachen! Det jibt sovilleMenschen
uff daErde, und um mir würdesich doch ooch keenaJedanken
machen!"
Da plötzlich biegt ein Taxi auf den Bahnhofsvorplatz.
Der Haufen gafft. Und wer sitzt, baumelt mit den kurzen Beinen.
Aussteigt der Fahrer, hilfsbereit und freundlich, und nicht
schon genug damit bestraft, zur Schlössernacht Dienst tun
zu müssen, hat er nun für diese Mischpoke auch noch
Ersatzverkehr zu spielen! "Sie wollen alle nach Potsdam
rein?" lächelt er. Und der Pöbel glotzt nur.
"Oder etwa nicht?"
"Na kucken Sie sich mal um, junger Mann.
Kriegen Sie uns etwa alle weg?" Die Frau in den Wechseljahren
deutet auf ein Dutzend Zellophanbeutel und ein schmandiges Herrenrad
mit langen Einweckgummis am Gepäckträger.
Der Taxifahrer wundert sich. "Das nicht,
aber ich kann ja schon mal die anderen mitnehmen, und dann nach
einem Großraumtaxi funken."
Doch seine Hilfsbereitschaft wird nur mit verächtlichem
Hohngelächter gewürdigt.
Die Glatze rotzt wieder sein Innerstes auf die
Straße. Die wechseljährige Frau schaut beleidigt
zur Seite. "Das ist schon unerhört, wissen Sie, einen
hier so sitzen zu lassen
"
Indes räumt der Fahrer ruhig die Taschen
der Fahrwilligen ins Taxi. "Tja, es wird gleich noch ein
zweites Taxi kommen. Wir wurden ja auch nur hier hin beordert."
"
und das, obwohl man schon eigentlich
vor einer Stunde hätte zu Hause sein können
"
Dem Fahrer wird unbehaglich. "Ich sagte Ihnen
doch, wir können nichts dafür. Wir haben das nur gesagt
bekommen. Wir haben's doch nicht verursacht. Da müssen
Sie sich an die Bahn wenden."
"
aber nein, weil für so einen
Lebensmüden natürlich wieder alle Hebel in Bewegung
gesetzt werden, und die armen Leidtragenden, die dafür
nichts können, es ausbaden müssen
"
"Beruhigen Sie sich, wir werden eine Lösung
finden für ihr Fahrrad!" Doch der Taxifahrer kann
noch nicht losfahren, weil noch niemand aus der Truppe zum Einsteigen
bereit ist.
"Det falln hier sowiesoständig Züje
aus, und et kümmertsich keena drum! Findense det inOrdnung?"
Die Stimmung der wartenden Meute wird angriffslustiger. "Die
solln een Bus schicken, vadammtnochma'!"
Nun wird auch der Taxifahrer laut.
Zur selben Zeit biegt ein Bus auf den Platz. Die
Linie 605. Pünktlich wie selten. Alle Haltestellen des
ausgefallenen Zuges fährt auch sie ab. Der Pulk aber ist
zu sehr mit dem Taxifahrer beschäftigt, und der Taxifahrer
zu sehr mit der Angst um seine Gesundheit, als dass irgend jemand
diesen Bus bemerken könnte - der beinahe alle über
den Haufen karrt.
Die schüchterne Dirn und ich steigen ein.
Niemand sonst. Die Türen schließen sich. Keiner kuckt.
Von draußen hört man, wie sich verstandesbegabte
Menschen anschreien.
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Was wir im nächsten
Jahr anders machen
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Von
M. Gänsel
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Januar 2003
Das bundesweit erste "Ever-In-The-Company"-Event
findet in Potsdam statt. Die gesamten Berlin-Belegschaften der
Firmen Siemens, Deutsche Bahn und Kaiser's werden zwei volle
Tage lang durch Potsdam gefahren. In 48 Stunden wird genau 3mal
gehalten: Beim Einsteigen, am Sterncenter und beim Aussteigen.
In den Bussen lesen StudentInnen der Universität Potsdam
(KEINE Geisteswissenschaftler!) ununterbrochen aus Fontanes
"Wanderungen durch die Mark Brandenburg". Pro Nase
kostet der Spaß schlappe 130 Euro, Frauen das Doppelte,
wegen der Toiletten im Bus. Riesenreibach für die Stadt
Potsdam.
Februar 2003
Die "Lange Nacht der Fußgängerzone" wird
in jeder Nacht von Dienstag auf Mittwoch durchgeführt.
Eintritt 5 Euro. In der Brandenburger Straße bleibt alles,
wie es ist. Kleinvieh für Potsdam, aber immerhin. (Werbung
dafür UNBEDINGT mit Prominenten!)
März 2003
Alle Potsdamer, die noch nie den Prinzenspielplatz gesehen haben,
müssen 10 Euro bezahlen. Alle Berliner, die Potsdam als
"zu weit weg" bezeichnen, auch. Berliner, die in Potsdam
waren und den Prinzenspielplatz nicht kennen, MÜSSEN ein
Getränk im Wiener Café & Restaurant nehmen.
Kohle satt!
April 2003
An allen 4 Sonntagen des Monats werden sämtliche Schlösser
und Parks in Potsdam geschlossen. Der Eintritt wird versteigert,
die Veranstaltung findet im Nikolaisaal in Potsdam statt. Eintritt
für die Versteigerung: 2 Euro. Mindestgebot: 5000 Euro.
Reibach: eher unwahrscheinlich, aber man kann's ja mal probieren.
Mai 2003
Zum "Tag der Befreiung vom Faschismus" müssen
sämtliche Neonazis der Stadt Potsdam (NUR Potsdam! Keine
Brandenburger!) ein Kulturprogramm vorbereiten, das auf einer
MULTIMEGAMONSTER-Bühne dargeboten wird, die sich vom Fortuna-Portal
bis zum Lustgarten zieht. An die Besucher werden Gewehre verteilt,
die mit Farbpatronen gefüllt sind. Der Neonazi, der am
Ende der 5-tägigen Veranstaltung am buntesten ist, darf
mit der S-Bahn nach Berlin fahren. Die anderen müssen Praktika
im Hans-Otto-Theater machen. Eintritt 10 Euro, mit Gewehr 250
Euro. Moralischer Druck, ein Gewehr zu nehmen: enorm. Gewinn:
Millionen.
Juni 2003 bis Oktober 2003
Jeder Potsdamer muss mit einem Berliner seiner Wahl irgendwo
nach Brandenburg fahren, um ihm zu beweisen, dass es dort nicht
NUR Neonazis gibt. Der Berliner muss dann so dankbar sein, dass
er dem Potsdamer Geld schenkt. Das wird dann beim Bürgermeister
abgegeben. Wenn der Berliner kein Geld gibt, kann er zusammen
mit dem Potsdamer auch einen Brandenburger bitten, ihm Geld
zu geben (min. 50 Euro). Meldepflicht für alle Potsdamer:
JEDER MUSS! Geschätzte Einnahmen: Genug, um im
November / Dezember 2003
ca. 54 Schlössernächte in den Potsdamer Schlössern
und Parks zu veranstalten. Der Eintritt ist kostenlos, alle
dürfen rein, müssen allerdings Gürtel tragen,
in denen Sprengstoff mit Fernzündung enthalten ist. Jeder,
der den Rasen betritt, wird gesprengt (Sprengmeister: StudentInnen:
NUR Geisteswissenschaftler!). In den Schlössern stellen
die dank ihrer Praktika inzwischen ganz passabel schauspielenden
Neonazis Szenen aus dem Alltag der jeweiligen Schlossbewohner
dar. Per Generalbeschallung gibt es Musik, die ausschließlich
von "Normal Generation?" auf einer Bühne in Wust
(Brandenburg) eingespielt wird. Am Himmel wird eine riesige
Lichtshow aufgeführt, die als krönenden Abschluss
das Stadtschloss in blitzendem Gold zeigt. Alle Nase lang finden
auf dem Hauptweg Hochzeiten statt, bei denen sich die Paare
verpflichten, innerhalb des nächsten Jahres aus Potsdam
wegzuziehen. Wegen der Kälte werden an den Eingängen
Fackeln verteilt, die aus dem Himmel über Potsdam ein total
toll flackerndes Etwas machen, das unwahrscheinlich anziehend
auf Berliner und Brandenburger wirkt. Wim Wenders darf KEINEN
Film darüber machen. Wer möchte, darf einen Neonazi
mit nach Hause nehmen.
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Brisanzgranate
trifft Prinzenspielplatz!
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Zuschüten? Erhalten?
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Von
M. Gänsel
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Im nordwestlichen
Teil des Parks von Sanssouci findet sich auf einem kleinen Hügel,
in Wiese eingebettet, eine Gruppe von ziemlich ramponierten
Mauern. Wer zufällig darauf stößt und im Reiseführer
nachschlägt, findet zwischen "Neues Palais" und
"Drachenhaus" keinen weiteren Eintrag. Wer von einem
Potsdamer hingeführt wurde, hört den Satz: "Des
isser, der Prinzenspielplatz."
Man erkennt nur Bruchstücke,
der Großteil ist mit Gras überwachsen und modert
im Erdreich. Hier erhebt sich ein Giebel, dort zieht sich ein
Graben entlang; kleine Treppchen beflügeln die Phantasie
und man bedauert, die Zinnsoldaten zuhause gelassen zu haben.
Die Anlage mutet militärisch an - große Löcher
sehen wie Kanonenhalterungen aus. Ein Spielplatz für künftige
Feldherren: Das wundert in Preußen keinen.
Man raucht eine Zigarette, man nickt
beifällig, der Potsdamer ist stolz - und weiß auch
nicht mehr darüber zu erzählen. Immerhin weiß
er, dass es dieses Miniatur-Bauwerk gibt. Im Sommer hocken Familien
hier auf Picknickdecken und lächeln cool über Touristen,
die fragenden Blickes um die Anlage herumlaufen. "Des is
der Prinzenspielplatz," sagen sie bedeutsam. Doch das ist
falsch.
Das Fort im Park von Sanssouci, wie
Eingeweihte das Bauwerk nennen, wurde im Auftrag von Kaiser
Wilhelm II. im Jahre 1893 als Modell errichtet, um militärisch
mithalten zu können. Denn ein Ereignis mit wunderschönem
Namen erschütterte ab 1880 die Fachwelt der Festungsbauer
und die Generalstäbe der europäischen Armeen: die
Brisanzgranatenkrise.
Seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts
experimentierte man nämlich mit neuem Sprengstoff; die
daraus hergestellten Granaten machten alle bis dahin errichteten
Befestigungsbauten zu überflüssigen Pappwänden
(die Sprengkraft einer Granate heißt Brisanz). Kaiser
Wilhelm II. ließ das Fort bauen, um Verteidigungsmöglichkeiten
gegen die neuen Granaten zu testen - die Panzerfestung mit einer
Kombination aus Panzerkuppeln und Betondecken wurde im Maßstab
1:10 testtauglich errichtet.
Was wie eine Kanonenhalterung aussieht,
ist tatsächlich eine Einfassung für ein Panzerturmgeschütz.
Die Zinnsoldatentreppchen sind in der Tat Aufgänge - von
der Kehlkaserne zur oberen Galerie. Wer wissen möchte,
was sich hinter Zentralwerk, Spitzgrabenwehr, Anschlussbatterien
und Grabenkoffer verbirgt, sei auf eine kleine Broschüre
verwiesen, die Peter Feist veröffentlich hat: "Das
Fort im Park von Sanssouci" (Berlin 1995). Feist bezeichnet
das Fort als "außerordentlich bedeutsames Denkmal
der deutschen Militärgeschichte" (Ebd., S. 3) und
bedauert den Verfall des Modells. Der Putz platzt ab, die Gräben
wachsen zu, Sammler bedienen sich fleißig.
Und wirklich scheint sich bis heute
niemand darum zu scheren: Keine Tafel informiert über das
Bauwerk, in Reiseführern findet das Fort kaum Erwähnung.
Verantwortlich ist die Stiftung Preußische Schlösser
und Gärten Berlin-Brandenburg, die dem aus gut unterrichteten
Kreisen stammenden Gerücht, die ganze Anlage würde
in naher Zukunft zugeschüttet, gern widersprechen darf.
Es finden sich sicher, über
die Motivation darf man geteilter Meinung sein, genügend
Militärexperten, die den historischen Wert ausreichend
schätzen und den Erhalt des Forts unterstützen würden.
Das Ganze zuzuschütten, nur um sich Erklärungen und
Arbeit zu ersparen, scheint widersinnig.
In jedem Falle: Gehen Sie schnell
noch einmal hin, sehen Sie es sich an, stellen Sie sich Kaiser
Wilhelm II. vor, wie er das Fort im Juli 1893 bei einem Festschmaus
entgegennimmt. Und murmeln Sie doch bitte Brisanzgranatenkrise
vor sich hin, wenn Sie die Picknickfamilien anlächeln.
Literatur für den Festungsfreund:
Volkmar Braun / Herbert Jäger / Hertwig Neumann: POTSDAM
- Kaiser Wilhelms Modellfort von 1893 im Park von Sanssouci
und die Panzerfrage der Festungen. Wesel 1992.
Walter Dumbsky: Die deutschen Festungen von 1871 bis 1914: Strategische
Bedeutung und technische Entwicklung. Frankfurt a. M. 1987.
Martin Schönemann: Das wilhelminische Sanssouci. Potsdam
1990.
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Niemand
hat die Absicht, einen Parkeintritt zu erheben...
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...denn es gibt genug
Alternativen
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Von
Markus Wicke
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Um es gleich vorwegzunehmen: Nein,
wir gehören nicht der buntbewimpelten fahrradkinderanhängerhintersichherziehenden
LangzeitstudentInnenfraktion an, die die drei Potsdamer Schlossparks
so ziemlich mit allem zernutzen will, was Dreck macht, Wege
zerrillt, Rasen zerstört und nicht gut aussieht. Wir wollen
also weder weiter zusehen, wie unangeleinte Hunde die Parkenten
jagen, möchten auch nicht mehr blöden FahrradfahrerInnen
(gern auch mit besagten mobilen Kinderspielecken im Schlepp)
auf den Parkwegen ausweichen und haben es satt, dass picknickgeile
Pärchen und größere Familienverbände meinen,
den Park-Rasen und die Sichtachsen mit sich und ihrem Fresskrempel
voll machen zu müssen. Wir halten demzufolge den Park auch
eher für ein großartiges Gesamtkunstwerk, das man
erlaufen soll und kann, und zwar auf praktischerweise den dafür
vorgesehenen Wegen. Und zum Sitzen gibt es Bänke.
Somit hätten wir zunächst alle Vorurteile für
gemeinhin als bürgerliche Spießer verschrieene und
nicht mehr up-to-date Zeitgenossen erfüllt. Umso erstaunlicher,
dass wir gegen den Parkeintritt sind. Und das aus zunächst
ganz und gar konservativen Gründen:
Für alle Menschen, die in Deutschland Steuern zahlen (und
das sind so ziemlich alle, die sich mehrwertsteuerpflichtige
Dinge kaufen müssen), wäre es eine doppelte "Abzocke",
um mal diesen etwas boulevardesken Bild-Titelzeilen-Stil zu
bemühen. Denn schließlich finanziert sich die Stiftung
aus Steuermitteln des Bundes und der beiden Bundesländer
Berlin und Brandenburg. Wieso also doppelt zahlen?
Ein weiterer Grund ist die von der Stiftung immer wieder beschworene
kulturelle Tradition, die es zu bewahren gilt: Dazu gehören
unserer Ansicht nach nicht nur die Schlösser und Parks,
sondern auch jahrhundertealte Traditionen wie der kostenfreie
Zutritt zu den Schlösserparks, der für Sanssouci schon
unter Friedrich dem Großen möglich war; so zumindest
erzählen es die amtlichen Führer der Stiftung. Die
mit einem Parkeintritt zusätzlich verbundenen hässlichen
Drehkreuze, Zäune, Tore und Kontrollkräfte mögen
wir uns in diesem Zusammenhang gar nicht vorstellen.
Der Hauptgrund jedoch ist ein ganz heutiger, sozialer: Dieser
Park gehört zu dieser Stadt und ihren ganz unterschiedlichen
Bewohnerinnen und Bewohnern, die ihn ganz unterschiedlich nutzen:
zum Joggen, Walken, Spazieren, Erholen, Erfahren, Studieren,
Lesen, Verlieben, Entlieben, Streiten, Diskutieren, Glotzen,
Ergötzen, Lernen, Beobachten, Entenfüttern, Ergründen.
Die Toleranz dafür sollte erst da aufhören, wo die
Nutzung zur Zerstörung und Störung anderer Parkgäste
führt. Ein Parkeintritt würde eine soziale Ghettoisierung
des Parks bedeuten oder - zugespitzt: zu einer Trennung zwischen
Park und Stadt.
Nun könnte man einwenden, dass die Potsdamerinnen und Potsdamer
ja vom Eintritt ausgenommen werden könnten, was sie jedoch
als gute Gastgeber gegenüber ihren Gästen als beschämend
und peinlich empfinden würden. Somit kommen wir zum Hauptgrund
unseres Missfallens:
Ein Parkeintritt gehört sich schlicht und einfach nicht,
er ist so abwegig wie eine Bürgersteigbenutzungsgebühr,
eine Sprechtaxe oder Luftholsteuer.
Hier könnte dieser Text enden, das wäre jedoch zu
einfach, weil nur kritisierend. Daher ein paar Vorschläge
zur Güte an die Stiftung:
1. Mehr und sichtbarere Spendensäulen
2. Konsequentere Ahndung von teurer Parkzerstörung durch
Fahrradfahrer, Hochgraswiesenpicknicker, Uferstreifenzertrampler,
die dafür ein empfindliches Bußgeld zahlen müssen.
3. Ein moderater Eintritt gerne im Badestellenbereich am Heiligen
See als Ausgleich für die dadurch entstehenden Schäden.
4. Öffnung des befestigten Ökonomieweges im Park Sanssouci
für Fahrradfahrer, dafür eine konsequentere Durchsetzung
des Fahrradfahrverbotes auf den übrigen Wegen. Prüfung
alternativer festgelegter Fahrradrouten durch den Neuen Garten
und den Park Babelsberg.
5. Mehr publikumswirksame Ausstellungen, die wirklich Geld in
die Kasse bringen und nicht nur ein elitäres Berliner Minderheitenpublikum
bedienen.
Für weitere Ideen fragen Sie einfach die Potsdamerinnen
und Potsdamer, Herr Dorgerloh: Machen Sie eine Tagung, eine
Ideenwoche, was immer. Und tun Sie uns bitte einen Gefallen:
Laden Sie auch Touristen dazu ein oder Kollegen aus London,
München oder Rom. Und vergleichen Sie Potsdam bitte nicht
noch einmal mit parkeintrittnehmenden Städten wie Schwetzingen
(sic!). Das haben wir nicht verdient.
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Von
M. Gänsel
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Stellen Sie sich bitte den Edward
Munch'schen Schrei vor. Dies wäre die Pose, mit der die
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg
jedwede Erwähnung der Worte "Prinzenspielplatz"
oder "Fort von Sanssouci" oder "Steinhaufen schräg
links vorm Neuen Palais" quittieren. Das Gegenüber
lässt aus Mitleid schnell und verlegen ab - und schweigt.
PotZdam mahnte, die PNN diskutierten immerhin beide Seiten,
irgendwelche Studenten der Uni Potsdam gar vermaßen u.a.
auch dieses Gebiet (da ging es aber eher um Gartenbau), ein
Verein gründete sich! In Spandau! August diesen Jahres,
allein der Rest ist - Schweigen.
Die Genannten hatten, mit Ausnahme der Studenten, die ja nichts
wissen, etwas gemein: Alle fanden es irgendwie ein Stück
weit nicht richtig, dem von der Stiftung bevorzugten Vorschlag
des Zuschüttens des Prinzenspielplatzes zu applaudieren.
Teile der Genannten waren strikt dagegen. Die Begründungen
lagen meist im Bewahren, im Edlen, im Guten. PotZdams Motivation:
Ohne den Prinzenspielplatz gerät das Wort Brisanzgranatenkrise
[Verlinken: http://www.potzdam.de/2002/] in Vergessenheit. Wider
den Sprachverfall!
Und jetzt: Zugeschüttet.
Das - und mehr - liegt darunter:
[BILD]
Die Gründe für das Verschütten liegen offiziell
im Bewahren, im Edlen, im Guten. Die wahren Gründe treffen
auf extrem dünnem Eis eben jene Argumente, mit denen die
Gegner des Wiederaufbaus der Garnisonkirche arbeiten: Angst
vor einem Nazi-Wallfahrts-Ort, Militär-Gedöns-Antipathie,
Kriegstreiber-Gegnerschaft.
Überraschend mag an dieser Stelle scheinen, dass es sich
bei den Gegnern der Garnisonkirche und den Befürwortern
des Zuschüttens des Prinzenspielplatzes NICHT um ein und
dieselben Leute handelt. Vernunftbegabte Menschen auf ersterem,
die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten
Berlin-Brandenburg auf letzterem Posten. Niemand hat die Absicht,
die Stiftung der Vernunftunbegabung zu bezichtigen. Jedoch:
Mit Ruhm bekleckert sich einer, der die Augen zumacht und denkt,
man sieht ihn nicht mehr, in diesen Zeiten allumfassenden Informationsflusses
mitnichten.
Zugeschüttet. Bewahrt. Im Millionenjahre alten Erdreich.
Dortselbst kriecht Wilhelm Zwo und rammt kleine Kanonen in eine
Voltaire-Puppe. Preußen soll Geist sein, Bildung, Kosmopolit.
Die Geschichte des Prinzenspielplatzes ist eine Geschichte von
Unverständnissen.
Vielleicht begehrt der Spandauer Verein auf. Vielleicht ist
nicht aller Unmut Potsdamer Bürger auf die Brandenburger
Straße begrenzt. Die Farce der alljährlichen Schlössernacht
findet bereits ohne die Potsdamer statt, der Parkeintritt ist
Sache der kleenen Punks. Natürlich ist es viel verlangt,
sich für den Erhalt eines Wortes - Brisanzgranatenkrise!
- nicht nur auszusprechen, sondern eben jenes Wort im zivilen
Ungehorsam gleichsam flächendeckend zu verbreiten. Schreit!
Sprüht! Wehrt euch!
Hat einer eigentlich ein schnelles Foto gemacht, als unlängst
auf die schönen roten Baustellen-Wände am Stadtschloss
die Worte "WENN STADTSCHLOSS, DANN FICKEN!" gesprüht
waren?
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Neue
Vorschläge für UNESCO-Weltkulturerbe
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Platzeck reicht Liste
weiterer Potsdamer Objekte ein
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Von
Markus Wicke
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Der UNESCO wird
in den nächsten Tagen ein Brief von Potsdams Oberbürgermeister
Platzeck ins Haus flattern. Der bislang streng geheim gehaltene
Inhalt: Insgesamt fünf neue schützenswerte Objekte
der Landeshauptstadt sollen in die UNESCO-Weltkulturerbe-Liste
aufgenommen werden. Die Liste, die der Redaktion zugespielt
wurde, umfasst dabei vor allem Bauwerke und Installationen,
die "typisch für die emporstrebende Entwicklung der
Stadt Potsdam in den Jahren nach 1945" sein sollen, wie
es in der Begründung Platzecks heißt. Wir dokumentieren
exklusiv die vorgeschlagenen Bau- und Personen-Denkmäler
und die dazugehörigen Begründungen:
KAUFHAUS BRANDENBURGER STR.
Dieses einzigartige Zeugnis verfallender Innenstadtkaufhäuser
konnte von der Stadtverwaltung in letzter Minute vor einer Sanierung
durch den Karstadt-Konzern gerettet werden. In keiner anderen
ostdeutschen Landeshauptstadt lässt sich heutzutage noch
solch ein herrlich-gammelndes Objekt in bester Innenstadtlage
besichtigen. Die Stadt Potsdam bereitet für den "Tag
des Offenen Denkmals" eine Ruinenbesichtigung vor.
SPORNSTRASSE
Nachdem durch übereifrige Investoren ein
Großteil der historischen Potsdamer Bausubstanz bereits
saniert wurde, möchte die Stadt Potsdam die verfallende
Spornstraße als Flächendenkmal unter Schutz stellen.
Als "Straße des Mangels" in fußläufiger
Nähe zur "Straße der 50-Cent- und Schlüpferläden"
(Brandenburger) sollen hier die Zeiten der DDR und der Nachwende
weiter erlebbar gehalten werden. Die bereits sanierten Häuser
werden wieder in den ursprünglichen Zustand zurück
versetzt.
RASENLATSCHER UND -LIEGER
Um dem Problem des Rasenlatschens und -liegens
in den Potsdamer Schlossparks endlich ein Ende bereiten zu können,
plant die Stadtverwaltung in Zusammenarbeit der Stiftung Preussische
Schlösser und Gärten, die entsprechenden Personen
dauerhaft unter Schutz zu stellen. Damit kommt man dem Wunsch
der Stiftung entgegen, die sich aufgrund mangelnder Courage
und mangelnden Personals nicht mehr in der Lage sieht, dem Treiben
Einhalt zu gebieten.
IMBISS AM PARKPLATZ
Der historische Imbiss am historischen Autoparkplatz
in der Nähe der Historischen Mühle soll ebenfalls
Bestandteil des Weltkulturerbe werden, lässt sich doch
hier anschaulich die gehobene gastronomische Kultur des ausgehenden
20. Jahrhunderts erleben. Insbesondere die Thüringer Rostbratwurst
und die Boulette sollen dauerhaft unter Nutzung der historischen
Brättechnik für die Besucher im Angebot bleiben.
BAHNHOF POTSDAM-PIRSCHHEIDE / KAISERBAHNHOF
Die sogenannte "leere große Halle"
des früheren Potsdamer Hauptbahnhofs soll in Kombination
mit dem bereits unter Schutz stehenden ehemaligen "Kaiserbahnhof"
zum "Potsdamer Bahnhofsfriedhof" umgewidmet werden.
Die Deutsche Bahn AG, die weitere ihrer stillgelegten Bahnhöfe
in Brandenburg nach ähnlichem Muster verfallen lassen will,
unterstützt das Projekt großzügig durch Unterlassung
von Sanierungsarbeiten.
EHEMALIGES CHARLOTT-KINO, ZEPPELINSTRASSE
Die Bewerbung dieses Objekts für die Liste
der UNESCO dürfte nur eine Formsache werden: Der verfallene
Bau mit seiner nur noch mühsam zu erkennenden Vergangenheit
als Kino besticht durch nach außen demonstrierte Toleranz
und Genügsamkeit. "An keinem Ort in Potsdams Innenstadt,"
so Platzeck, "spürt man deutlicher, was mit jedem
nach seiner Fasson' gemeint war." Anwohner und marodierende
Jugendliche haben es sich zur Herzensangelegenheit gemacht,
die Worte des Bürgermeisters bis zum Exzess zu unterstützen.
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|
Von
M. Gänsel
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Ort:
Potsdam, Waschhaus, d.h. ein Zirkuszelt auf dem Gelände
desselben
Zeit:
Samstagabend
Personen:
Till Brönner (Bühne), Helge Schneider (Bühne)
und andere Jazz-Superstars
(Bühne) - plus ganz viele Berliner (vor der Bühne,
um das Zelt rum, an den
Bierbuden)
Es war ein wundervoller Abend. Die Musik ging
rein in einen und durch durch einen, den Leuten hat es Spaß
gemacht, Till, Helge und die andern hatten Spaß, vier
Stunden wie nix, und draußen hats gepieselt. Der Himmel
war der einzige, der dem dort wie überall grassierenden
Elend Tribut zollte. Eine Auswahl:
Berlinerin Nr. 1:
"Na wir sind Freunde von Till!"
Einlasserin:
"Du stehst hier aber nicht. Bist du die Tochter, Cousine,
Ehefrau?!"
Berlinerin Nr. 1:
"Na nee, wir sind Freunde!"
Einlasserin:
(nickt uns zu, ignoriert die Berlinerin, die mit ihrem Freund,
der rot
angelaufen ist, verschämt zur Seite tritt)
Berliner Nr. 2:
"Also da hat man 20 Euro bezahlt und dann freie Platzwahl!"
Berlinerin Nr. 3:
"Guck mal, das sieht aus wie Krieg."
(Gemeint ist das - zugegeben brache - Gelände, auf dem
das neue Hans-
Otto-Theater entstehen wird.)
Berlinerin Nr. 4:
"Ich hab gehört, dass die aufm Dorf keine ausländischen
Euros nehmen."
Begleiter: (brummt)
Berlinerin Nr. 4:
"Die kennen das nicht, weißte." (wühlt
in ihrer Geldbörse)
Berlinerin Nr. 5:
"Nee is einfach komisch: Hier stehen total wenig und da
vorn stehen total
viele an."
Barmensch:
(brummt)
Berlinerin Nr. 5:
"Nee weißte, ich hab mich einfach nur gewundert,
weil hier so wenig stehen
und da vorne, also da stehen ja total viele."
(DA VORNE ist natürlich der Getränkestand, der als
ERSTES vor dem
Zirkuszelt steht.)
Aber die Konzerte waren wirklich klasse. Hoffentlich haben die
eben Zitierten davon etwas mitbekommen. Natürlich viele
Mädels, die mit ihren Mackern hin mussten. Endlich die
Leute, die den Lärm machen, den ER immer Zuhause hört,
live sehen, und der Till ist ja wirklich süß, na
und dass Helge Schneider SOLCHE Musik -
Bleibt zu hoffen, dass das Pärchen von schräg
rechts, als es ENDLICH Zuhause war, genauso viel Spaß
hatte miteinander... mit seinen Armen und ihren Beinen, mit
ihren Hüften und seinen Ohren, mit seiner Zunge und ihrem
Hals...
Bleibt weiter zu hoffen, dass die junge Dame vom
Stehtischchen, ganz in Schwarz kostümiert, komplizierteste
Schuhe, eine kunstvoll aufgesteckte Frisur, gnadenlos perfekt
geschminkt, eine lange Zigarette rauchend, ihren Gesprächspartner,
der gierend dreiviertel des Stehtischchens einnahm, gelangweilt
abweisend - bleibt zu hoffen, dass jene Dame, die drei Stunden
später, ihres Jacketts beraubt und also in einem weißen
Spitzennichts plus Schwarzrock plus Schwarzstrumpfhose plus
schwierige Schuhe und leider sturzbetrunken und verwischten
Auges / Lippenstifts durch das Zelt wankte - bleibt zu hoffen,
dass der Kerl, der sie abschleppte, kein Riesenarschloch war.
Sondern vielleicht nur ein harmloser Idiot.
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|
Von
Thilo S.
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Potsdam ist so
etwas wie der gekämmte kleine Bruder der Schwester Berlin.
Nett im Matrosenanzug, der die abgetragenen Klamotten der wilden
Hilde erhält. Hat sogar ein Brandenburger Tor. Zwar ein
kleines, aber jedenfalls hat es eines, wie die große Schwester.
Außerdem hat es Filmstudios. Wie Köln. Aber die Filme
aus Köln will jeder sehen. Die aus Potsdam nicht. Sind
Experimentalfilme. "Eine Frau sucht die Einkaufsmark und
findet den Sinn des Lebens".
In Berlin kann jeder alles, in Potsdam kann jeder
alle. Potsdam ist die wichtigste Stadt Brandenburgs. Soweit
ich weiß, auch die einzige. Deswegen trägt es auch
den stolzen Namen "Landeshauptstadt".
Damit steht es in einer Reihe mit Städten
wie München, Dresden, Hannover, Hamburg und Stuttgart.
Was diesen Städten ziemlich peinlich ist. Potsdam nicht.
Für uns aus dem Westen hat Potsdam in erster
Linie zu tun mit Brandenburg. Und Stolpe. Das ist bei uns der,
der das neue Brandenburg aufgebaut hat. Deswegen soll die Hauptstadt
von Neu-Brandenburg demnächst wohl Neubrandenburg heißen.
Obwohl das wieder in Mecklenburg-Vorpommern liegt. Aber die
Hauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern heißt nicht Mecklenburg,
sondern Schwerin, obwohl es fast Rostock geworden wäre.
Das kapiert kein Mensch.
Aber ich schweife ab. In Potsdam gibt es eine
Garnisonskirche, aber keine Garnison. Aber der alte Fritz liegt
wohl da, oder lag er da? Oder lag er in Sanssouci? Und wie schreibt
man das? Egal. Irgendwo in Potsdam liegt oder lag er. Mit Windspielen.
Das sind aber keine Windspiele, sondern Köter. Vom alten
Fritz. Eigentlich müssten die wohl im Zwinger begraben
sein. In Dresden, das ist in Sachsen. Aber der Zwinger ist wohl
ein Schloss. Das hat schon wieder nichts mit Potsdam zu tun.
Und auch das kapiert kein Mensch. Jedenfalls keiner, der nur
zwei Buchstaben auf dem Autokennzeichen hat.
Hat Potsdam ein eigenes Kennzeichen? Wenn ja,
lautet es P? Oder, nachdem ja Berlin der Nabel der Welt und
Potsdam weiter westlich liegt, PO? Oder ist PO für den
fernen Tag reserviert, wenn Posen, das die Polen zu dem ähnlich
klingenden Poznan verkackeiert haben, wieder reunitiert wird?
Das Kennzeichen heißt wie ein Magazin. PM. Wird auf der
A3 Nähe Köln auch gerne für "Pommern"
gehalten, womit wir wieder im dritten Absatz wären. Aber
da wollten wir nicht hin. Wir wollten nach Poznan. Oder Potsdam.
Obwohl Potsdam nicht an der Oder liegt. Aber hier im Westen
ist das völlig egal. Oder nicht?
In Potsdam gibt es wohl eine Eiche. Das ist aber
kein Baum, sondern ein Stadtteil. Da wurden früher die
Leute zu volkseigenen Zöllnern ausgebildet. Mit Klemmbrettern
und Richtmikrofonen. Beim Zoll. Seltsam, diese DDR-Ausbildungen.
Nur, um den Staat zu schützen. Vor uns Wessis. Gottseidank
war die Ausbildung nicht gut genug. Sonst könnte ich das
hier nicht schreiben, weil es kein Potzdam gäbe.
In Potsdam findet die Bundesgartenschau statt.
Das weiß hier keiner. Deswegen fährt auch keiner
hin. Und in Potsdam wird für ein Weltoffenes Deutschland
gekocht. Aber ich frage mich, was? Broiler? Oder gibt es ein
typisches Brandenburger Gericht? Sandkuchen vielleicht.....wegen
des märkischen Sandes - und ich bitte, den korrekten Gebrauch
des Genitivs zu verachten. Aber auch das ist egal.
Potsdam ist eine wichtige Stadt. Mindestens so
wichtig, wie, äh, sagen wir, tja, eine andere x-beliebige
Stadt. Egal.
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Der Makler empfiehlt:
Burgen im Fläming
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|
Von
M. Gänsel
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Schon wieder einer
dieser Augenblicke: Man fällt kaum aus Potsdam raus, fährt
ein paar Kilometerchen durch schönste Alleen (und schwört
sich, im Herbst wiederzukommen ,das muss ja Wahnsinn sein mit
den bunten Blättern), und schwups, steht man zwischen putzigen
Fachwerk-Häuschen, erkennt den von einem Brunnen in der
Mitte und durch ein Rathäuschen verzierten Platz als ehemaligen
Markt und ahnt: Alt, sagenreich und burgig wird es werden.
Und siehe da: Einmal um die Ecke, und es erhebt
sich die "Perle des Hohen Flämings" vorm ohnehin
schon verwöhnten Auge, mächtig ragt das Schloss samt
Turm und Torhaus gen Himmel, jäh lugt die Sonne über
eine Ringmauer, die dort seit Jahrhunderten lauert. Für
die, die "Fläming" für was zu essen halten:
Wir befinden uns in einem "Grenzland und Brennpunkt historischer
Ereignisse", auch "Reisegebiet Fläming"
genannt. Denn es ist burgenvoll, weil im frühen Mittelalter
Festungen offensichtlich vonnöten waren, ja es geht sogar
die Mär, dass sich damals drei Riesen als Bauleute der
Burgen im Hohen Fläming verdingt haben, und Wunder nimmt
das angesichts der trutzigen Festungen keineswegs.
Der aktuelle Ort heißt Wiesenburg, und das
Schloss ebenfalls. Seit dem 12. Jahrhundert als Burgward genannt,
im 13. Jahrhundert ordentlich erweitert, während der Renaissance
noch ein bisschen schöner gemacht und bis ins 19. Jahrhundert
ständig wiederauf- und umgebaut, strotzt das Schlösschen
schön und alt dem Verfall. Der Charme, mit dem die Anlage
durch die so unterschiedlichen Stile der Zeiten äußerlich
besticht, wird nun im Innern vervollkommnet: Die Schlossinnenräume
werden derzeit saniert, mit leicht hochgezogenen Augenbrauen
liest man von Eigentumswohnungen und Tagungsräumen. Aber
dann liest man, dass das früher mal eine Jugendherberge
war, und dann doch lieber Kommerz, da wirds immerhin schick.
Rein kann man also leider nicht, aber rum kann
man. Hinten ist es auch viel schöner, denn da schlendert
eine Freitreppe gen Terrassenbeete, Park und Wasser, da blüht
und sprießt und schwimmt so manches. Im Gegensatz zu Sanssouci
hat der Park dort den entscheidenden Vorteil, dass man sitzen
und stehen und springen und liegen kann, wo man will - keine
Parkwächter stören die Ruhe im schattigen Weidenbaum.
Allerdings scheint das Personal für den Park allgemein
etwas knapp zu sein, trocken müht sich ein Rhododenron-Strauch,
hüfthoch wallen die Gräser.
Schön ist das alles aber trotzdem, weitläufig
erstrecken sich die Wege, überall warten kleine Nischen
auf Picknick-Körbchen, laden Bänke zur dollen Sichtschneise
aufs Schloss. Als das vor Sozialneid auf die künftigen
Besitzer der Eigentumswohnungen ohnehin schon tränende
Auge schließlich im hinteren Teil des Parks einen leise
vor sich hin verwahrlosenden Tennisplatz entdeckt, ist Wiesenburg
aufgenommen in den erlauchten Kreis der Orte, an denen man bitte
ein-, zweimal im Jahr ein paar Wochen verbringen möchte:
Man wäre anders.
[Karte]
Wie Sie schon richtig ahnen: Es gibt nicht nur
Wiesenburg. Wenn Sie auf der A9 nach Süden brettern und
mutig einfach mal nach rechts abfahren, stolpern Sie andauernd
über solcherlei Kleinod, sogar Orte wie Belzig, bisher
einzig durch doofe Neonazis einzuordnen, nennen beeindruckende
Festungen ihr eigen. In Belzig heißt das übrigens
Burg Eisenhardt und bietet nach dem schweinesteilen Aufstieg
einen wunderbaren Blick über - ja - Belzig und die Berge
drumrum. Lobenswert zu erwähnen ist ebenfalls, dass sämtliche
Burgen gastronomisch erschlossen sind und Sie die Sache in kleinen,
aber feinen (und, mit Verlaub, preiswerten) Etablissements so
richtig rund machen können. Und schmeißen Sie in
Belzig keine Steinchen den Abhang runter - das gibt Ärger.
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Es
nervt, dass Mitte nervt
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|
Von
M. Gänsel
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"Mitte sucks!"
Ben Becker hat das gesagt, und jetzt haben die anderen Bezirke
in Berlin Angst, das der verwirrte Entertainer zu ihnen zieht
- ich mag es ihnen nicht verdenken. Die angenervte Reaktion
auf ja wirklich entnervende Zustände in Kneipen, Straßen,
Cafés in Mitte (die Leute, die LEUTE!) gebiert allmählich
jedoch ihrerseits Zustände, die paradoxer nicht sein können:
Das Vorurteil, Berlin-Mitte entnerve, macht diverse Verrichtungen
in Berlin-Mitte unmöglich. Wenn Sie nicht dazu beitragen
wollen zu entnerven, müssen Sie sich in Zukunft ziemlich
viele Dinge verkneifen. Ich erzähl Ihnen mal von einer
Sache, die ab sofort unmöglich ist.
Es gibt da am Hackeschen Markt dieses große
Restaurant / Café, "Ampelmännchen" heißt
das, diese bahnhofsgroße Halle, Sie wissen schon. Fällt
man direkt rein, wann man aus der S-Bahn aussteigt und dann
Richtung Hackesche Höfe geht. Als es ganz neu war, stapelten
sich da die Leute, die dafür gesorgt haben, dass Ben Becker
nun entnervt ist. Mittlerweile ist es dort etwas unaufgeregter,
ziemlich normal. Es kommt zwar immer noch dieser komische Typ
aus dem Fernsehen, den ich zuerst immer für einen von Siemens
halte, weil ich mal bei Siemens gearbeitet habe und die Leute
da wirklich genauso aussehen, aber der Typ ist aus dem Fernsehen,
Riverboat oder so, irgendwas, und er schaut immer so um sich,
und meist grüße ich ihn, weil ich im ersten Moment
ja immer denke, ich kenn den von Siemens. Aber sonst ist es
wirklich nett. Man kann immer noch auf der Bank an der Wand
sitzen und ein Buch lesen, dabei in zwei Stunden eine Cola trinken
und nicht dafür belangt werden.
Ich also neulich da rein, setze mich mitten in
den Raum, weil auf der langen Bank an der Wand leider nichts
mehr frei ist. Verabredung kommt erst in einer Stunde, weil
ich keine Lust zu lesen habe und die neue Potzdam-Ausgabe ansteht,
hole ich Zettel und Stift raus und fange an zu schreiben. Nach
ein paar Minuten, die Kellnerin ist nett und stellt den Kaffee
ganz vorsichtig ab, um nix zu verschütten, sehe ich hoch
und geradewegs in zwei begeisterte Augen. Sie liegen hinter
Brillengläsern, die in eine Wim-Wenders-Brillenfassung
eingesetzt sind. Schwarz und so eckig, Sie wissen. Die Brille
gehört einem jungen Mann, der mit seiner Freundin und deren
Mama am Nebentisch sitzt. Er strahlt mich an, ich drehe mich
um, da sitzt niemand, er muss mich meinen. Ich lächle schüchtern
zurück, meine Hand fährt nach Gesicht und Haar, aber
alles scheint wie immer. Was strahlt der?
Mit leicht erhobenen Brauen senke ich den Kopf
wieder und schreibe weiter. Hm. Wer weiß. Verwechslung,
vielleicht hält er mich für jemanden von Siemens,
haha. Als ich jedoch in den Augenwinkeln sehe, wie sich Freundin
und Mama umdrehen und ebenfalls lieb lächelnd und verständnisvoll
nicken, ahne ich etwas. Ich schaue hoch, sie strahlen mich an,
alle drei. Wenden sich gleich darauf wieder ab und greifen nach
ihren Milchcafés. Wim Wenders sagt irgendwas von "total
hipp".
Dann kapiere ich. Sie denken, ich bin die neue
Mitte! Die alte neue Mitte! Ich bin Berlin-Mitte, jung, kreativ,
schnell, tierisch am Leben! Wohne umme Ecke, komm gerade aus
der Agentur, schreib eben fix den Roman zuende, fliege gleich
nach Rom. Ach du Scheiße. Schnell falte ich mein Blatt
zusammen und schreibe in großen Druckbuchstaben "ERSTE
FASSUNG! ÜBERARBEITEN!! (Anruf BSB?)" drauf und lege
den Zettel so, dass sie ihn lesen können. Dann gehe ich
auf die Toilette.
Als ich wiederkomme, hat sich jeder am Nebentisch
so gesetzt, dass er mich gut sehen kann. Die Mutter fummelt
in ihrer Handtasche und holt eine Geldbörse heraus. Ich
gucke ganz konzentriert und in mich gekehrt und setze mich,
greife nach einer Zigarette. Und genau in diesem Moment, ich
schwöre es, kommt der Typ aus dem Fernsehen rein! Und weil
ich wie immer pawlowsch denke, ich kenn den von Siemens, grüße
ich! (Er grüßt übrigens immer recht freundlich
zurück, vielleicht ist er ganz in Ordnung.) Der Nebentisch
hyperventiliert. Sie sind so nah dran! Am Leben!! In Mitte!!!
Plötzlich kommen die beiden Freunde, mit
denen ich verabredet bin. Ich flüstere ihnen heiser zu,
sie sollen mich "Rebecca" nennen, aber sie schauen
mich nur verständnislos an. Der Nebentisch zahlt. Meine
Freundin sorgt für Wim-Wenders-Freudentänze, als sie
von den Proben erzählt, die "gut gelaufen" seien.
Mein Freund holt ein Buch aus seinem Rucksack, zeigt mir eine
Stelle, und dann lachen wir alle drei. Der Nebentisch steht
bereits, ist uns aber vollkommen zugewandt, als ob sie gleich
beginnen zu singen.
Stattdessen hebt die Brille die Hand und winkt
mir wirklich so ein kleines bisschen zu. Die Mama lächelt
scheu, seine Freundin sagt leise "Tschüß"
und nickt kurz. Ich nicke nur zurück, wir unterhalten uns
gerade so angeregt. Dann gehen sie. Mein Gott.
Als wir kurz darauf auch gehen, bemerke ich beim
Jacke-Anziehen, dass hinter mir inzwischen doch jemand sitzt.
Er muss schon eine Weile da gesessen haben, denn als ich ihn
ansehe, schaut er gerade total angewidert auf den Zettel, den
ich in meine Tasche stecke. Dann hinauf zu mir, und sein Mund
verzieht sich zu einem "Gott-bist-du-scheiße"-Grienen.
Ich versuche, total ambivalent zu gucken.
Ich hätte mich genauso angesehen.
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Von
M. Gänsel
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ich weiß,
dass Sie zum ersten Mal in Potsdam sind,
ich weiß, dass Sie Potsdam ganz wunderbar
pittoresk und niedlich und echt schön finden,
ich weiß, dass Sie ein bisschen überfordert
sind, weil die Schilder zwar da, die Orte auf den Schildern
aber trotzdem nicht leicht zu finden sind,
ich weiß, dass manche von Ihnen im Holländerviertel
stehen und nach dem Holländerviertel fragen,
ich weiß, dass es als Tourist manchmal Enttäuschungen
gibt und ganz dolle positive Überraschungen,
ich weiß, dass Sie sich tierisch freuen,
wenn Sie einen Potsdamer aufgetan haben,
ABER:
Bitte bitte bitte nicht IMMER, wirklich immer,
gern gegen vier Uhr, manchmal auch gegen halb zehn Uhr morgens,
aber eigentlich permanent - bitte nicht immer immer immer MITTEN
AUF DER STRASSE stehen bleiben und rumgucken. Nur gucken. Stehen
und gucken. Bitte nicht mehr,
WEIL:
Es gibt Autos hier, die auf diesen Straßen
fahren möchten. Es gibt Fahrradfahrer, die wie gesengte
Säue angeschossen kommen und eine Vollbremsung hinlegen
müssen. Es gibt Motorräder, die nicht nur so zum Spaß
blubbern.
Vielen herzlichen Dank.
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Von
M. Gänsel
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PotZdam berichtete. Hier
und hier.
Natürlich scheuen wir keine Mühe und dokumentieren
auch den schlimmsten Teil der Geschichte. Obschon wir nicht
sicher sind diesen schlimmsten Teil nun zu erleben - wer weiß?
Geht es nicht schlimmer? Folgende Bilder mit Neonazis garniert,
die Runen in den schwarzen [sic!] Sand pinkeln? Fackeln im Sturm?
Sehen Sie.
Und hierhin sehen Sie bitte auch. So sieht das da jetzt aus.
Ist das nicht furchtbar? Sehen Sie
noch einmal hin. Ja, es muss weh tun:
Nun ist das Aufregen über eine
himmelschreiende Blödheit die eine Seite. Die Tat muss
dem Worte folgen. Der unterschätzte Ernst von Feuchtersleben
schrieb die Maxime dieser Tat:
"Ein tüchtiger Mensch muss immer
ein tüchtiges Werk vor sich haben; eine Aufgabe, die
ein Zusammenstreben aller seiner Kräfte verlangt. Dieses
Leben ist ja doch nur eine Spannung, mehr oder weniger gewaltsam;
jedes Nachlassen ist ein Erkranken, ein Ersterben."
Wir wollten nicht ersterben lassen.
Die zufällig des Wegs kommende Spaziergängerin wurde
aus der Kaffeekasse fürstlich entlohnt und in den Plan
eingeweiht. PotZdamer Autoren können aus Sponsoringvertragsgründen
nicht selbst aktiv werden. Ganz verständig gab sich die
junge Frau mit Hund. Vorsichtig näherte sie sich dem Tatort
von der Seite.
Schon nach wenigen Schritten ergreift
ein Entsetzen Besitz. So schlimm schwarz das Ausmaß, so
schmutzweit der Blick. Ihren Hund lässt die sensible Tierkennerin
am Fuße des Horrorhügels zurück. Das Tier ist
zum Sprung bereit, sein Frauchen zu retten. Wenn der Boden sich
öffnet und Granaten ungeheurer Brisanz detonieren.
Auf dem Gipfel angekommen, misst
das Elend mehrere einhundert Meter in der Weite, der Hügel
erstreckt sich gut fünf Meter überm Parkbodenspiegel.
Alles wurde großräumig zugeschüttet. Muttererde,
auf dass darauf etwas wachse. Schon im Frühjahr diesen
Jahres wird ein grüner Hügel mehr sein, wird nichts
erinnern. Die unerschrockene Ausüberin unseres Plans schreit
plötzlich leise auf. Ihr Blick verharrt in einer Richtung.
War es möglich? Konnte dies
sein? Zuerst konnten auch wir es nicht glauben. Doch die Natur
lügt nicht. Sie reagiert, auf ihre Art. Am Rande des schwarzen
Grauens war vor lauter Aufregung ein Baum in Ohnmacht gefallen.
Wir beschworen die Täterin die Nerven zu behalten. Von
weitem sahen wir das Zittern ihrer Knie, hörten das leise
Wimmern des Hundes. Die Spannung war mit den Ohrläppchen
zu spüren.
Nun frisch zur Tat geschritten!
Flugs begann die Frau. Flink spritzten Bröckchen schwarzen
Höllendrecks links und rechts an ihren knienden Beinen
vorbei. Rasend schaufelten Hände, unwirsch wurde eine Haarsträhne
aus dem Gesicht geblasen. Der Hund bellte.
Doch was war das?
Kaum begonnen, schwoll Sirenenklang an, öffneten sich umliegende
Baumstämme und entließen mit Baumbuschhelmen bewehrte
Parkwächter! Die stundenlang im Baum harrenden exekutivrechtlosen
Kerls jedoch konnten in der plötzlichen Helligkeit kaum
geradeaus laufen und irrten sekundenlang wirr herum. Spaziergängerin,
Hund und wir nutzten die wenige Zeit und entkamen.
Es ist ein kleiner Beitrag. Doch es ist ein Anfang:
Denken Sie bitte darüber nach.
Wir schließen mit Ernst von Feuchtersleben.
"Das Kleine in einem großen
Sinne behandeln, ist Hoheit des Geistes; das Kleine für
groß und wichtig halten, ist Pedanterie."
© PotZdam 2004, Fotos Mathias Deinert. Dank
an Luise!
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Von
M. Gänsel
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Bestimmer ist, wer das Geld hat.
Das ist bei Geschäftspartnern so, bei Ehepaaren, und auch
Kinder halten sich dran, wenn Max die Kohle hat und für
sich und Peter etwas beim Bäcker kauft: "Was willst
du? Ich will den Pfannkuchen zu einszehn, bleiben 40 Cent für
dich!"
Potsdam ist seit ein paar Jahren mit Günther Jauch verheiratet.
Die sorglos schöne Stadt ist schlapp geworden und deshalb
umso froher, einen derart geldseligen und tatbereiten Lebensabschnittspartner
gefunden zu haben. Die Ehe wirkt auf den ersten Blick harmonisch:
Der juvenile Liebhaber schenkt Mietshäuser, Portale und
andere schöne Dinge. Die charmant ungepflegte Dame lächelt
sommers milde und - dankt. Oft redet der Ehemann, sein Alterswerk
im Arm, über seine Liebe, die Höhepunkte im Zusammenleben
und die - ja - Schwierigkeiten. Denn die Dame dankt nicht gern,
wenn sie nicht drum gebeten hat. Ein Geschenk? Gut. Aber muss
es denn so etwas sein?
Der Mann aber denkt, dass er weiß, was sie will. Nur ihr
Bestes jedenfalls will er. Und auch andere schwingen sich auf,
tragen Pläne herbei und zeigen alte Karten. Ihre Liebhaber
wird die Stadt nicht los, selbst wenn sie wollte. Und sie meinen
es ja nur gut. "Ist es nicht schöner," fragen
sie, "wenn wir diese Falte weg machen? Und hier vielleicht
ein wenig aufspritzen? Was sagst du, meine Liebe, zu einem neuen
Kleid? Wir bezahlen!" Potsdam lächelt, natürlich
will die Dame schön sein. Geliebt werden um ihrer Schönheit
willen. Denn was ihr Geist sagt, das weiß sie selbst nicht
so genau.
Es hat ja nie jemand zugehört, und besonders laut ist sie
auch nie gewesen. Eine Dame eben, still und zurückgenommen,
sie wurde aus dem Sumpf gestampft, da war sie froh überhaupt
zu leben. Den Schlamm streifte sie ab und zog ganz schnell die
schönen neuen Kleider an, ein Schloss gab es, noch eins.
Und noch eins, und dort der Garten, hier die Sichtschneise.
Schön war sie, schön ist sie. Weil das Leben geht,
wie es geht, kamen die Männer und gingen. Schöne,
kluge. Hässliche, dumme. Sie schaut zurück und hat
Erinnerungen. Einige haben noch Form und wieder Farbe. Andere
sind fort, verfallen, zerstört, gesprengt.
Will sie, dass etwas aufersteht? Man lässt ihre Toten nicht
ruhen. Die Männer liegen neben ihren Hunden, manch ein
Bestimmer wird auch das bedauern. Dann immerhin die Bauten,
das Stadtschloss, der Kanal. Die Garnisonkirche. Wozu? Sie zuckt
die Schultern: Wenn sie dafür geliebt wird, bitte. Verwirrt
schaut sie aufs Portal, die Fortuna dreht sich im Wind.
Sie bekam eine Brosche geschenkt vor hundert Jahren. Die Brosche
verglühte in der Feuersbrunst. Nun kommt ein Bestimmer
und schenkt ihr die gleiche Brosche. Es ist aber nicht dieselbe.
Natürlich steckt sie sie an, sie will schön sein.
Weil die neue Brosche aber nichts neues bedeutet, schaut sie
verwirrt. Sie steckt die Erinnerung an und weiß nicht,
was denken: Soll sie sein wie damals? Sie hat sich doch aber
verändert! Die Bestimmer jedoch kommen schon mit dem Kleid,
das längst verrottet und nun neu genäht ist.
So dreht sich Potsdam, rafft die Röcke, lässt das
Haar wehen. Sie muss sich beeilen, der nächste Bautrupp
kommt. Sie zieht die Strümpfe glatt und prüft die
Naht. Wenn sie dafür geliebt wird, bitte.
Und wenn Peter auch einen Pfannkuchen haben will, sollte er
sich einen Gönner auf dem Spielplatz suchen. Solange Max
die Kohle hat, wird Max sich in Pfannkuchen wälzen.
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©
POTZDAM 2001-2006 |
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