Berlinale 2016
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Erster bis zehnter Tag
11 – 21. Februar 2016
Von Astrid Mathis

"Meryl for President"

So titelte eine Tageszeitung am 1. Berlinale-Tag. Zu Recht. Immer wieder betont die amerikanische Schauspielerin Meryl Streep in der Pressekonferenz, in der sich die Jury vorstellt, wie wichtig ihr Gleichberechtigung ist. Und dass sie sich für Inklusion ausspricht. Der Globus sollte sowieso halb-halb präsentiert werden. "Wir sind alle Berliner, wir sind alle Afrikaner", sagt sie sogar einmal. Immerhin sind die Frauen diesmal zu viert und in der Überzahl. Selbst den Berliner Schauspieler Lars Eidinger habe sie schon unter ihrem "Daumen". Außerdem hat sie zwei Stimmen und die anderen nur eine. (Stellen Sie sich gut mit mir...) Wie sie eine Jury führt, weiß sie ehrlich gesagt nicht. Meryl Streep leitet ein anderes Unternehmen, zu der auch vier Kinder gehören: ihre Familie. Doch sie kann sagen, dass sie sich freut, unvoreingenommen in die Filme zu gehen und Zeit zu haben, darüber zu reden. Vor allem will sie eines: berührt werden. Filme seien eine emotionale Erfahrung. Um so frisch wie möglich in die Filme zu gehen, hat sie ihren Jurymitstreitern verboten, in das Berlinale-Journal zu schauen. Es verrate einfach zu viel. Nicht zu wissen, was kommt, das sei ja heute Luxus. Ihr Schauspielkollege Clive Owen betrachtet die Berlinale als Sprungbrett für junge Filmemacher, die mit dem Preisgeld die Chance haben, neue Filme entstehen zu lassen. Und wie sieht Lars Eidinger seinen Ausflug in die Jurorenwelt? "Wir urteilen doch die ganze Zeit. Sonst auch. Man sagt doch: das war gut oder das war schlecht."

Mal sehen, was am Ende Gutes dabei herauskommt. Die Meryl-Streep-Fans sind jedenfalls schon mal nach dem ersten Tag beglückt. Ihre Rufe am roten Teppich wurden erhört. Meryl Streep gab fleißig Autogramme und lächelte in Kameras und Smartphones. Völlig fassungslos, was für ein Wirbel um sie herum gemacht werde, schritt sie mit erstaunten, aber lachenden Augen in den Berlinale-Palast.

"Fuocoammare - Feuer auf dem Meer"
Eine Insel - zwei Welten

Ein kleiner Junge beschreibt, wie man eine richtige Zwinge baut. "Mit Leidenschaft!" Ohne Leidenschaft geht schon gleich gar nichts. Sagt er sehr überzeugend. Fasziniert sieht der Zuschauer ihm dabei zu, wie der kleine Kerl, der ihm mit staunenden Augen gegenübersitzt. Samuel ist zwölf Jahre alt und lebt auf der Insel Lampedusa, die Rettungsanker für Tausende Flüchtlinge aus dem afrikanischen und arabischen Raum ist. Während Nachrichten eintreffen, wie viele Menschen auf einem überladenen Boot in Lebensgefahr schweben, geht das Leben auf der Insel weiter. Samuele hat ganz andere Probleme, sein Herz tut ein bisschen weh, ihm ist übel, und hier und da schmerzt ihn was. Beim Arzt klagt er über seine Wehwechen - auch das hat seine Berechtigung: eine alltägliche Szene mit Humor in einer Welt, in der Überlebenskampf alles ist - für die Menschen auf Flüchtlingsbooten. Der Arzt hat natürlich auch ganz andere Fälle, wie die Untersuchung einer afrikanischen Frau, die Zwillinge erwartet. Er spricht von unhaltbaren Zuständen. Samuels Oma putzt Gemüse, als über Radio eine neue Schreckensnachricht über ein gekentertes Flüchtlingsboot ertönt. Wir erleben Pippo in seiner lokalen Radiostation, in der er gut gelaunt Musikwünsche erfüllt. Einer davon ist "Fuoco a mare", ein Nachkriegsschlager, mit dem Samuels Tante den Fischern im Hafen Glück wünscht. Zwischendurch lässt der Regisseur das Publikum an den Aufnahmen einer italienischen Rettungsstation teilhaben: Notrufe von überfüllten Schlepperbooten. Samuele ist einer von 5000 Bewohnern der 20 Quadratmeter großen Insel, die viele Flüchtlinge nur tot erreichen. Sein neunmalkluger und unschuldiger Blick gleichermaßen begleitet den Zuschauer durch den Film. Nur einmal, bei einem Fußballspiel der Neuankömmlinge, bekommt die Masse an Gestrandeten ein Gesicht.

Die beiden Welten berühren sich nicht, bestehen nebeneinander. Genau das macht den Charakter und den Erzählstil des Dokumentarfilms aus, mit dem er den Zuschauer für sich gewinnt.
Regisseur Gianfranco Rosi verbrachte ein Jahr auf der Insel Lampedusa, fängt mit der Kamera unberührte Natur und Weite wie auch menschliches Drama ein.
Ohne Zweifel ist dieser Film den Goldenen Bären wert.

"Kollektivitet"
Weniger ist mehr

Regisseur und Autor Thomas Vinterberg (*1969), der in jungen Jahren mit seinen Eltern selbst in einer Kommune lebte, präsentierte auf der Berlinale seinen Film "Kollektivitet", in dem Trine Dyrholm als innerlich wie äußerlich zerbrechende Frau brilliert. Der Film spielt in den 70er Jahren und erzählt die Geschichte einer Familie, die durch die Entscheidung für ein Leben in einer Kommune auf eine harte Probe gestellt wird. Während sich Erik (Ulrich Thomsen) als Architekturdozent in seine Studentin (Helene Reingaard Neumann) verliebt und ihm trotz anfänglicher Skepsis gegenüber einem Kommunenleben diese Veränderung gefällt bzw. nichts anhaben kann, muss seine Frau Anna einsehen, dass sie damit nicht zurechtkommt, dass sogar ihre 14-jährige Tochter über der Situation steht. Schließlich beendet dieser Einschnitt in Annas Leben ihre Karriere beim Fernsehen. Allerdings hätte es zum Ehebruch keiner Kommune als Rahmen bedurft.

Auf der Pressekonferenz erzählt Vinterberg, dass ihn an solchen Wohngemeinschaften immer der unbedingte Wille, Freud und Leid zu teilen, beeindruckt habe. Den Alterungsprozess, wie ihn Anna gewahr wird, sieht er jeden Tag im Spiegel - "sterben müssen wir alle", bemerkt er kokett mit Seitenblick auf seine Frau Helene. Nein, eine offene Beziehung ist nichts für ihn. Und - um eines klarzustellen -, das einzige, was er zu Trine Dyrholm gesagt hätte, war "Action!"

Trine Dyrholm spielt die Rolle der betrogenen Ehefrau, der der Teppich unter den Füßen weggezogen wird, so überzeugend, dass sie dafür den Silbernen Bären als beste Hauptdarstellerin bekommt.
 

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