"Meryl
for President"
So
titelte eine Tageszeitung am 1. Berlinale-Tag. Zu Recht. Immer
wieder betont die amerikanische Schauspielerin Meryl Streep
in der Pressekonferenz, in der sich die Jury vorstellt, wie
wichtig ihr Gleichberechtigung ist. Und dass sie sich für
Inklusion ausspricht. Der Globus sollte sowieso halb-halb präsentiert
werden. "Wir sind alle Berliner, wir sind alle Afrikaner",
sagt sie sogar einmal. Immerhin sind die Frauen diesmal zu viert
und in der Überzahl. Selbst den Berliner Schauspieler Lars
Eidinger habe sie schon unter ihrem "Daumen". Außerdem
hat sie zwei Stimmen und die anderen nur eine. (Stellen Sie
sich gut mit mir...) Wie sie eine Jury führt, weiß
sie ehrlich gesagt nicht. Meryl Streep leitet ein anderes Unternehmen,
zu der auch vier Kinder gehören: ihre Familie. Doch sie
kann sagen, dass sie sich freut, unvoreingenommen in die Filme
zu gehen und Zeit zu haben, darüber zu reden. Vor allem
will sie eines: berührt werden. Filme seien eine emotionale
Erfahrung. Um so frisch wie möglich in die Filme zu gehen,
hat sie ihren Jurymitstreitern verboten, in das Berlinale-Journal
zu schauen. Es verrate einfach zu viel. Nicht zu wissen, was
kommt, das sei ja heute Luxus. Ihr Schauspielkollege Clive Owen
betrachtet die Berlinale als Sprungbrett für junge Filmemacher,
die mit dem Preisgeld die Chance haben, neue Filme entstehen
zu lassen. Und wie sieht Lars Eidinger seinen Ausflug in die
Jurorenwelt? "Wir urteilen doch die ganze Zeit. Sonst auch.
Man sagt doch: das war gut oder das war schlecht."
Mal
sehen, was am Ende Gutes dabei herauskommt. Die Meryl-Streep-Fans
sind jedenfalls schon mal nach dem ersten Tag beglückt.
Ihre Rufe am roten Teppich wurden erhört. Meryl Streep
gab fleißig Autogramme und lächelte in Kameras und
Smartphones. Völlig fassungslos, was für ein Wirbel
um sie herum gemacht werde, schritt sie mit erstaunten, aber
lachenden Augen in den Berlinale-Palast.
"Fuocoammare
- Feuer auf dem Meer"
Eine
Insel - zwei Welten
Ein kleiner
Junge beschreibt, wie man eine richtige Zwinge baut. "Mit
Leidenschaft!" Ohne Leidenschaft geht schon gleich gar
nichts. Sagt er sehr überzeugend. Fasziniert sieht der
Zuschauer ihm dabei zu, wie der kleine Kerl, der ihm mit staunenden
Augen gegenübersitzt. Samuel ist zwölf Jahre alt und
lebt auf der Insel Lampedusa, die Rettungsanker für Tausende
Flüchtlinge aus dem afrikanischen und arabischen Raum ist.
Während Nachrichten eintreffen, wie viele Menschen auf
einem überladenen Boot in Lebensgefahr schweben, geht das
Leben auf der Insel weiter. Samuele hat ganz andere Probleme,
sein Herz tut ein bisschen weh, ihm ist übel, und hier
und da schmerzt ihn was. Beim Arzt klagt er über seine
Wehwechen - auch das hat seine Berechtigung: eine alltägliche
Szene mit Humor in einer Welt, in der Überlebenskampf alles
ist - für die Menschen auf Flüchtlingsbooten. Der
Arzt hat natürlich auch ganz andere Fälle, wie die
Untersuchung einer afrikanischen Frau, die Zwillinge erwartet.
Er spricht von unhaltbaren Zuständen. Samuels Oma putzt
Gemüse, als über Radio eine neue Schreckensnachricht
über ein gekentertes Flüchtlingsboot ertönt.
Wir erleben Pippo in seiner lokalen Radiostation, in der er
gut gelaunt Musikwünsche erfüllt. Einer davon ist
"Fuoco a mare", ein Nachkriegsschlager, mit dem Samuels
Tante den Fischern im Hafen Glück wünscht. Zwischendurch
lässt der Regisseur das Publikum an den Aufnahmen einer
italienischen Rettungsstation teilhaben: Notrufe von überfüllten
Schlepperbooten. Samuele ist einer von 5000 Bewohnern der 20
Quadratmeter großen Insel, die viele Flüchtlinge
nur tot erreichen. Sein neunmalkluger und unschuldiger Blick
gleichermaßen begleitet den Zuschauer durch den Film.
Nur einmal, bei einem Fußballspiel der Neuankömmlinge,
bekommt die Masse an Gestrandeten ein Gesicht.
Die beiden
Welten berühren sich nicht, bestehen nebeneinander. Genau
das macht den Charakter und den Erzählstil des Dokumentarfilms
aus, mit dem er den Zuschauer für sich gewinnt.
Regisseur Gianfranco Rosi verbrachte ein Jahr auf der Insel
Lampedusa, fängt mit der Kamera unberührte Natur und
Weite wie auch menschliches Drama ein.
Ohne Zweifel ist dieser Film den Goldenen Bären wert.
"Kollektivitet"
Weniger
ist mehr
Regisseur
und Autor Thomas Vinterberg (*1969), der in jungen Jahren mit
seinen Eltern selbst in einer Kommune lebte, präsentierte
auf der Berlinale seinen Film "Kollektivitet", in
dem Trine Dyrholm als innerlich wie äußerlich zerbrechende
Frau brilliert. Der Film spielt in den 70er Jahren und erzählt
die Geschichte einer Familie, die durch die Entscheidung für
ein Leben in einer Kommune auf eine harte Probe gestellt wird.
Während sich Erik (Ulrich Thomsen) als Architekturdozent
in seine Studentin (Helene Reingaard Neumann) verliebt und ihm
trotz anfänglicher Skepsis gegenüber einem Kommunenleben
diese Veränderung gefällt bzw. nichts anhaben kann,
muss seine Frau Anna einsehen, dass sie damit nicht zurechtkommt,
dass sogar ihre 14-jährige Tochter über der Situation
steht. Schließlich beendet dieser Einschnitt in Annas
Leben ihre Karriere beim Fernsehen. Allerdings hätte es
zum Ehebruch keiner Kommune als Rahmen bedurft.
Auf der
Pressekonferenz erzählt Vinterberg, dass ihn an solchen
Wohngemeinschaften immer der unbedingte Wille, Freud und Leid
zu teilen, beeindruckt habe. Den Alterungsprozess, wie ihn Anna
gewahr wird, sieht er jeden Tag im Spiegel - "sterben müssen
wir alle", bemerkt er kokett mit Seitenblick auf seine
Frau Helene. Nein, eine offene Beziehung ist nichts für
ihn. Und - um eines klarzustellen -, das einzige, was er zu
Trine Dyrholm gesagt hätte, war "Action!"
Trine Dyrholm
spielt die Rolle der betrogenen Ehefrau, der der Teppich unter
den Füßen weggezogen wird, so überzeugend, dass
sie dafür den Silbernen Bären als beste Hauptdarstellerin
bekommt.
|