Berlinale 2015
Inhalt
 

Siebenter Tag
11. Februar 2015
Von Astrid Mathis

Wettbewerb
"Aferim!"
In der Walachei

Zwei Männer zu Pferde in einer Landschaft wie aus einer anderen Zeit. Die Geschichte spielt in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Es fängt so idyllisch an. Das Schwarzweiß zieht den Zuschauer in die Walachei nach Rumänien. Ein Hauptmann, den man später Kopfgeldjäger nennen würde, ist mit seinem Sohn unterwegs und hat den Auftrag, einen Mann einzufangen, der Zigeuner ist und seinen Herrn mit dessen Frau betrogen haben soll. Zigeuner werden zu jener Zeit Krähen genannt und generell schlecht behandelt. Frauen haben übrigens auch eine niedrige Stellung in jenen Tagen. Als sie ihn gefasst haben, liegt ein langer Weg vor ihnen. Ein Weg, auf dem sie einander kennen lernen, sogar zusammen feiern. Nachts beraten Hauptmann und Sohn, was mit ihm geschehen soll, ob sie seine Strafe verhindern können. Ein kurzes "Haltet's Maul!" des Betroffenen unterbindet ihre Unterhaltung. Wie hier, so hat der Zuschauer immer wieder Grund zum Lachen. Das vergeht ihm jedoch endgültig, als der Gejagte vom Herrn vorgeführt und kastriert wird. "Du kannst die Dinge nicht ändern", sagt der Vater am Ende zum Sohn. Irgendwann wirst du Oberst, machst ein, zwei Kriege mit usw. So ist es eben.

Die Geschichte ist nach Aufzeichnungen aus dieser Zeit entstanden, vor allem nach wahren Dialogen. Das hätte lustig sein können, wenn es nicht so abschreckend gewesen wäre. Auf jeden Fall für die Männer ein Film, aus dem sie ob der Kastration wohl mit unbehaglichem Gefühl gehen. Zwischendurch verliert der Film ungemein an Spannung. Sein großes Plus ist die Kamera, die den Eindruck von einer Reise der Helden Don Quichote und Sancho Pansa erweckt.

Wettbewerb
"Eisenstein in Guanajuato"
Coming-Out eines Regisseurs

Das ist doch mal ein richtig durchgeknallter Film! Der Zuschauer wird mit Bildern von dem Filmemacher Sergej Eisenstein zugeballert. Ein bisschen verrückt sieht der Hauptdarsteller mit seiner Frisur ohnehin schon aus, aber die Schnitte verstärken die Verrücktheit, die von ihm ausgeht. Drei Filme gehen zu dem Zeitpunkt auf sein Konto, als der Zuschauer in die Geschichte einsteigt. Er hat Kontakt zu sämtlichen Kinogrößen der Zeit und wird hofiert bis zum Gehtnichtmehr. Seine Reise nach Mexiko soll eigentlich eine Filmreise werden, aber sie avanciert zur Erfahrungsreise sexueller Natur. In Mexiko angekommen hat er einen persönlichen Führer, der ihm nicht nur die Dusche erklärt, sondern ihn zudem aus unangenehmen Situationen rettet. Das Zimmermädchen hat nämlich pornografische Bilder entdeckt. Hui! "Aber das sind doch Gemälde!" entrüstet sich Eisenstein. So was ist prinzipiell ein Skandal. Das übergroße Bett steht mitten im Zimmer - ganz klar soll es eine zentrale Rolle spielen. Eisensteins persönlicher Begleiter, der eigentlich Frau und Kinder hat, die dann komischerweise nicht mehr auftauchen, überredet ihn nicht nur zur Siesta, sondern auch zum Beischlaf. Eben noch vom Restaurant Öl geklaut, dann erklärt er seine sexuelle Handlung mit politischen Beziehungen und Geschichte zwischen Mexiko und Russland. Er kann gar nicht nein sagen, steht da wie ein verlorenes Kind, das mit großen Augen auf die versprochene Schokolade wartet. Eine Vereinigung ist unausweichlich. Natürlich sind sie nackt, Sex gibt's inklusive zu sehen. Sergej freut sich, nicht mehr der Schüchterne zu sein und sich mal austoben zu können. Nie zuvor hat er zu seiner sexuellen Neigung gestanden. Aber er muss aufpassen, dass er sich nicht unbeliebt macht. Acht Monate hat er schon in Mexiko zugebracht, viel Filmmaterial bekommt der Zuschauer nicht präsentiert. Das Ausleben der Sexualität steht im Vordergrund. Doch eine jede Reise geht einmal zu Ende.

Der Film ist bunt und schmissig und spart nicht mit Bildern vom Liebesakt und wilden Kamerafahrten, die längste kreist natürlich um das Bett. Peter Greenaway ist ein Kunstfilm gelungen, den ich persönlich kein zweites Mal sehen muss.

Wettbewerb
"Gone with the Bullets"
Die Friedensmacherinnen

Das letzte Mal, als ich einen chinesischen Wettbewerbsbeitrag im Cinemaxx 7 gesehen habe, liegt ein Jahr zurück. Ich bin nach zehn Minuten raus, genau nach der Kamerafahrt mit dem Moped, die alle nachher als höchst kunstvoll lobten. Später gewann der Film, und ich rastete total aus, weil ich den Preis lieber "Boyhood" gegeben hätte. Ich wollte es diesmal länger aushalten.

Ein junger Typ klagt einem Mann, der mitten im Leben steht, sein Leid mit den Frauen. Dass er sie nicht kriegen kann, egal, wohin er sie ausführen will. Der Auserwählten waren halt die Nudeln im Restaurant nicht frisch genug. Als der Ältere ihm erklärt, dass er sich eben immer Frauen aussucht, die eine Nummer zu groß für ihn sind, finden das noch alle im Saal witzig. Und als kurz darauf drei Frauen um den Posten der Präsidentin singen, denkt man wohlwollend: Das ist ganz großes Kino. Denn "Grüner Drache" singt "Summertime" und "Weißer Tiger" den Opernhit "O mio babbino caro". Aber dann beginnt der Wirrwarr. Die Präsidentin gewinnt zwar, weil sie eine Rede darauf hält, dass die Männer nicht mehr in den Krieg ziehen, sondern eher ihre Frauen beglücken sollten. Doch spätestens in der Szene, in der die Gewinnerin auf Drogentrip ist und sich die Schnitte und Bilder überschlagen, wird es zu bunt. Als ich gehe, ist eine Stunde rum. Etwa 50 Kollegen sind schon vor mir raus. Einige von ihnen treffe ich später, sie sagen mir, sie hätten gerade einen so schlechten Film gesehen aus China... Kamera und visuelle Effekte hin oder her, das Ganze war schlichtweg zu bekloppt.

Panorama
"Studio 54. Director's Cut"
Die Party geht weiter

In "Studio 54" weiß man, was man hat. Ich sitze neben dem Regisseur Mark Christopher und weiß, alles wird gut. Es wird wirklich richtig gut. Ich habe den Film damals nicht im Kino gesehen, aber ziemlich schnell danach. Mein Auslandsjahr in Southampton hatte ich gerade hinter mir und in Potsdam mit der Uni angefangen. Berlin war für mich immer die Reise in eine andere Welt. Ein Kinoausflug wurde für mich jedes Mal zum Abenteuer. Ja, ich fand Ryan Phillippe toll. Außerdem hatte ich vorher so einen Film noch nicht gesehen. Wo einfach so Drogen konsumiert wurden und Sex in einem Club zum guten Ruf gehörte. Die Welt des berühmtesten Nachtclubs der Welt: Studio 54 in New York. In diese Welt gerät in den 70er Jahren auch Shane aus Jersey, obwohl er nicht New Yorker werden will, nur cool sein. Ins Studio dürfen nur Leute, die Steve auswählt, und die müssen verdammt gut aussehen. Da drinnen ist Party, ein Paradies, von dem er seinem Vater und den Schwestern vorschwärmt. Klar, dass seinem Vater nicht recht ist, wo Shane die Nächte verbringt. Der Club ist berüchtigt. Mein Gott, Andy Warhol geht da ein und aus! Shane reitet auf dieser Welle mit, kann er doch seinem Schwarm, der schönen Julie Black, als Barkeeper endlich nah sein. Shane freundet sich mit einem jungen Ehepaar an, das ebenfalls dort arbeitet. Salma Hayek spielt die rassige Schönheit, die auf eine Gesangskarriere hofft. Wie sich diese Welt verkehrt, die so reizvoll scheint, auf welche Probe die Freundschaft der Drei gestellt wird, das zeigt die neue Fassung noch viel besser als die vorangegangene.

Mark Christopher schickt der Vorführung voraus, dass er nirgendwo anders als in Berlin die Weltpremiere wollte. Hier hatte er vor 20 Jahren mal einen Teddy gewonnen, einen richtigen. Zur Vorgeschichte verrät er, dass in der ersten Fassung von 1998 die Hälfte des Films geschnitten und eine halbe Stunde nachgedrehtes Material verwendet wurde (nach Intervention der Produzenten). Jetzt wäre die Zeit für Nostalgie gekommen. Mit den 17 Jahren bis zur Fertigstellung könne er glatt mit "Boyhood" mithalten. Es ist ein anderer Film als damals. Geblieben ist die Stimmung, das Spiel mit Dunkelheit und Licht (Kamera!). Die Schwierigkeit war, überhaupt an das Negativ zu kommen. Eine ausgefranste Rolle - mehr hatten sie nicht zur Restauration. Gedreht haben sie "Studio 54" seinerzeit in einem Club in Toronto. Draußen spielt die Szenerie klar in New York. Acht Wochen drehten sie insgesamt. Warum die Wahl auf Ryan Phillippe fiel, will eine Dame aus dem Publikum wissen. "Haben Sie ihn gesehen?" erwiderte der Regisseur lachend, erklärte dann aber ausführlich. Phillippe war beim ersten Casting allerdings noch ein 16-jähriges Kind, obwohl Christopher ihn in der engeren Wahl hatte. Da sie ein Jahr casteten und der Schauspieler in diesem Jahr zum Mann heranwuchs, war er schließlich doch die Idealbesetzung. In Vorbereitung auf den Director's Cut spricht Ryan Phillippe im übrigen als 40-Jähriger, wie er auf die Zeit im Studio 54 zurückschaut.

Die nächsten Premieren finden in Lateinamerika und im März in London statt. Den Soundtrack soll es bald auf Vinyl geben.
 

Sechster Tag
10. Februar 2015
Von Astrid Mathis

Wettbewerb (außer Konkurrenz)
"Every Thing Will Be Fine"
Keine Frage der Schuld

Staubflocken tanzen im Licht der Hütte, auf dem Tisch ein Buch, das Heft eines Schriftstellers. Tomas (James Franco) geht es wie den Eisfischern vor der Tür, kein Erfolg. Dennoch ist es, als wollte die kanadische Winteridylle sagen: Alles wird gut. Dabei wissen wir schon, das kann doch nicht ernst gemeint sein. Tomas streitet sich mit seiner Freundin (Rachel Mc Adams) am Telefon im Schneegestöber. Ein Schlitten prescht ihm vors Auto. "Bitte, lass es nicht wahr sein!" formen seine Lippen tonlos. Der Junge lebt, er ist schweigsam, geschockt, aber er lebt. Was für ein Glück! Huckepack trägt ihn Tomas zum kleinen Haus hinauf. Der Blick der Mutter, Kate (Charlotte Gainsbourg), trifft ihn, den Zuschauer. Nichts ist gut. Wie kann es das denn? Sein Bruder war auch auf dem Schlitten. Tomas zieht sich zurück, von seiner Freundin und dem Leben da draußen, wirkt noch in sich gekehrter als vorher. Er will das mit sich ausmachen und mit dem Schreiben. Er kann nicht anders und sucht doch die Nähe die Mutter, die ihm vergibt und ein Stückchen mit ihm geht. Sie lässt ihn in ihre Welt. Einen Moment in der Nacht im Schein des Feuers, als sie das Buch verbrennt, das sie las, als der Unfall passierte, ist Frieden, nicht nur im Haus, in Tomas. Es hat etwas Magisches, das der Regisseur Wim Wenders durch den 3D-Effekt erst richtig herauskitzelt. Die Jahreszeiten, die Einsamkeit. Man ist einfach so verdammt nah dran - an dem Verlust der Mutter wie auch an den Schuldgefühlen von Tomas. Er ist der Schweigsame, der alles mit sich allein ausmacht und in seine Bücher eintaucht, auch wenn er die Geschichte nicht darin erzählt, die ihn geprägt hat. Ist es Verrat, aus einem Schicksalsschlag künstlerische Stärke zu schöpfen? Für seine Freundin ist Tomas so unnahbar, dass sie es kaum aushält. Kann er denn nicht ein einziges Mal die Fassung verlieren, muss er immer Haltung bewahren? Tomas ist bei sich. Jeder verarbeitet den Tod anders. Schuldgefühle. Das Leben danach. Man muss verzeihen können. Das zeigt uns Wim Wenders mit "Every Thing Will Be Fine". "Sie haben wohl keine Kinder?" fragt Kate einmal. "Merkt man das?" erwidert Tomas. Wir begleiten ihn viele Jahre, bis er eine Ahnung davon bekommt, wie es sich anfühlen kann.

Die Pressekonferenz

3548 James Franco und Charlotte Gainsbourg

3553 Wim Wenders

Die Deutschen haben es mit dem Nordischen, sagt Wim Wenders später während der Pressekonferenz. Ein junger Autor aus Norwegen gab ihm das Skript, und er fand es großartig. Nach "Pina" wusste er, mit 3 D ließe sich noch mehr machen, als Tanzwelten zu schaffen. Er gehe gern auf Risiko. Die Komposition des Raumes gefällt ihm einfach, und damit meint er nicht nur das nächtliche Telefonat zwischen Kate und Tomas, das er wie Zauberei parallel erscheinen lässt, als wären sie gleich nebenan. Der Titel allein schon habe so etwas Märchenhaftes. Der Titel "Der Zauberer von Oz" fällt, und letztlich sei es doch die Frage: Wie können Wunden heilen? Kate und ihr Sohn Christopher haben ihren Weg gefunden…

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James Franco, in der nunmehr dritten Pressekonferenz während einer Berlinale (Wahnsinn! Hut ab! Hallo?) schon etwas müde der Antworten, unterbricht gleich mal die Einleitung einer Journalistin, die ihn auf das Gespräch zwischen ihm und Anke Engelke bringt: "Ja, wir hatten den Drink!" Berlin ist großartig, er hätte immer so eine "epische Erfahrung" da - was auch immer das heißen mag. Wim Wenders wird etwas konkreter. Seit 1974 sei das sein Zuhause, meistens fahre er mit dem Rad herum, er möchte nirgendwo anders leben als hier. Gerade ist die Stimmung wieder oben, als jemand zu James Franco meint, er hätte so viele Filme in einem Jahr gemacht, und das sei ja nicht alles - "Ist das nicht ein bisschen viel?" Wieder schmettert er jedes weitere Wort mit einem Satz ab: Diesmal mit: "Ich komme klar." Er macht eben gern Verschiedenes, wie diese Kurse für Drehbuchautoren zum Beispiel. Franco mag es, den Blickwinkel zu wechseln.

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Die wunderbare Charlotte Gainsbourg sitzt auch auf dem Podium. Man könnte behaupten, sie hätte so etwas Entrücktes, aber sie ist ganz da und sagt sehr bestimmt, dass sie nicht darüber reden möchte, ob sie beim Spielen an ihre persönliche Situation denke, sie sich vorstelle. Natürlich habe sie als Mutter eine Vorstellung davon zu trauern. Für Wim Wenders kam keine andere für diese Rolle in Frage. Charlotte war für ihn einfach Kate. "Es geht ja so oft im Leben und in Filmen um das Verletzen, ich wollten einen Film über das Heilen machen, das Vergeben."

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Und noch einmal, weil er schließlich vergleichen kann, wird James Franco aus dem Halbschlaf gerissen und soll die Arbeit mit Wim Wenders mit der Werner Herzogs vergleichen. Hm, er grinst. "Wim ist lockerer, kommt weicher rüber. Werner ist immer Teil der Geschichte, voll drin, nimmt es sehr ernst, will mit allen Abteilungen verbunden sein." Würde er es wieder tun? Sofort. Diese Ruhe in den Film zu bringen, hatte ihm Spaß gemacht. Wim Wenders bemerkte immer: "Noch ruhiger. Noch weniger!" Na, noch ruhiger wurde es erst für James Franco nach seiner Abreise.

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Nun aber los!
 

Berlinale Spezial
"Selma"
Gegen den Sturm

Zugegeben: Ich wusste nichts von Selma, und so wie mir mag es noch mehr Leuten gegangen sein, die den Film vorher nicht gesehen haben. Dass endlich diesem Teil der amerikanischen Geschichte ein filmisches Denkmal gesetzt wird, wurde verdammt noch mal Zeit. Danke, Ava DuVernay. Dass ausgerechnet - und dieser Ausdruck ist doch auch schon wieder ein Stück Ironie - eine Frau den Stoff auf die Leinwand bringt, ist ebenfalls eine Aussage. Provoziert eine Frage.
David Oyelowo spielt Martin Luther King. Wie er vor dem amerikanischen Präsidenten Lyndon B. Johnson steht und auf das Wahlrecht für die Schwarzen pocht, hat so eine eindringliche Ruhe, dass es einem kalt und heiß über den Rücken läuft. Es ist nicht zu fassen, dass dieses Wahlrecht einmal keine Selbstverständlichkeit war. In den Tagen vor Selma, das heißt, bevor der Fußmarsch am 7. März 1965 seinen blutigen Anfang nahm, setzt der Film ein. Die Bürgerrechtsbewegung ist in vollem Gange, doch in Alabama herrschen andere Gesetze, werden die Schwarzen von den Behörden mit unsinnigen Fragen konfrontiert, um ihnen die Stimmabgabe unmöglich zu machen. Martin Luther King scheitert an der Regierung, nicht aber am Volk. Nach mehreren Kundgebungen, in denen er sich in Selma mit klaren, überzeugenden Worten zu einem von ihnen gemacht hat, sind 600 Bürger bereit, die Brücke zu überqueren, die nach Montgomery führt. Mit diesem Marsch wollen die Demonstranten ein Zeichen setzen. Sie haben Koffer dabei, auf der anderen Seite steht berittene Polizei mit Schlagstöcken und Tränengas. Auf die gewaltsamen Aufeinandersetzungen folgt ein Marsch, der wieder an der Brücke endet. Es sind Weiße dabei, die sich ebenfalls für Gleichberechtigung einsetzen. Niemand greift an. Martin Luther King kniet nieder - und mit ihm alle anderen.
 
Damit setzt er ein Zeichen, denn was hätte alles passieren können?! Als die Bürgerbewegung am 21. März 1965 den 80 Kilometer langen Fußbarsch nach Montgomery gewaltfrei hinter sich bringt, hören der Rede von Martin Luther King 25000 Menschen zu.

Der Film zeigt nicht nur den Martin Luther King, der für die Rechte seiner Brüdern und Schwestern eintritt. Er zeigt auch einen Mann, dessen Frau Angst hat, die Kinder zur Schule zu schicken, dessen Familie so der Öffentlichkeit ausgesetzt ist, dass die persönlichen Wünsche und Sicherheitsdenken vor der großen Sache zurückstehen muss.

Als nach der Kinovorstellung der Abspann läuft, will der Applaus im Friedrichstadtpalast nicht aufhören. Bis das Filmteam selbst auf der Bühne steht. Gerührt dankt Regisseurin Ava DuVernay dem Berliner Publikum. Sie fühlt ihren Film verstanden, sieht in den Zuschauern Gleichgesinnte, die selbst mit dem jüdischen Denkmal ein Zeichen gesetzt haben und um gleiche Rechte kämpfen. Das ist ihr mehr wert als jede goldene Ehrung durch eine Filmjury.
 

Fünfter Tag
9. Februar 2015
Von Astrid Mathis

Panorama
"I am Michael - Ich bin Michael"
Erst lieben, dann glauben

9 Uhr. Ich gebe dem spanischen Wettbewerbsbeitrag "El Club" genau eine halbe Stunde, ehe ich den Saal verlasse. Da hat sich schon ein Priester erschossen, nachdem drei andere abtrünnige Pastoren Vorwürfe von Missbrauch aushalten mussten.

Auf dem Weg zum Ticketcounter hatte ich gesehen, dass die Pressekonferenz von Anton Corbijns Film "Life", in dem es um die Freundschaft zwischen James Dean und Dennis Stock geht, nicht mit meinen abendlichen Filmplänen zu vereinbaren ist. Also sehe ich mir "I am Michael" schon am Morgen an. James Franco in seinem zweiten von drei Beiträgen.

Er sagt auch gleich "I am Michael" und klingt dann sehr christlich, als er einem jungen Homosexuellen erklärt, jeder hätte eine Wahl. Moment, ist das derselbe Michael Glatze, der ein eigenes Magazin für junge homosexuelle Amerikaner (Young Gay America) herausbringt? Cut! Wir steigen ein in eine wilde Rave-Party in San Francisco im Jahr 1998. Michael lebt ein unbeschwertes Leben mit seinem Freund Bennett. Der überredet ihn, nach Halifax mitzukommen. Michael geht noch einmal zu der Stelle, wo er die Asche seiner Mutter begrub. In Halifax fehlt ihm offensichtlich was. Er streitet mit seinem Freund, der das Geld nach Hause bringt, und will sein eigenes Magazin. Alles scheint in Ordnung, als er ein neues Projekt startet, schwule Jugendliche in Amerika zu interviewen, ihr Lebensgefühl einzufangen und Tyler der Dritte im Bett und in der Partnerschaft wird. Als Michael einen schwulen und christlichen jungen Mann kennen lernt, wird das sein neues Thema. Glaube und Homosexualität schließen sich nicht aus - das will auch er als Botschaft ins Land tragen. Von nächtlichen Panikattacken gepeinigt, wendet er sich nach der Diagnose, nicht infarktgefährdet zu sein, verstärkt der Religion zu. Auf der Suche nach sich selbst entfernt er sich immer mehr von seinem Freund und seiner früheren Gesinnung. Sein Aktivismus schlägt um. Er besucht ein Priesterseminar und distanziert sich von Homosexualität und seiner Vergangenheit.

Zachary Quinto spielt den Freund, der die Wandlung von Michael Glatze hinnehmen muss. Die ist so unglaublich, dass ich nur den Kopf schütteln kann. Die beiden als Paar - okay. Aber so recht ergriffen bin ich nicht. Der Film ist mehr Beschreibung als mitreißendes Biopic, aber dafür eine Erzählung, die mir einen Eindruck von Michael Glatze vermittelt. Man möchte danach sagen: "Bleib um Gottes willen schwul!" James Franco urteilt nicht, er lässt offen, wie glaubwürdig für ihn selbst die Geschichte ist. Gern hätte ich die Pressekonferenz erlebt, aber die Verspätung zwingt mich, noch vor dem Auftritt des Filmteams mit Regisseur Justin Kelly zum Berlinale-Palast zu eilen.

Wettbewerb
"Als wir träumten"
Gewitter im Kopf

Dieser Film ist anders als das, was der Zuschauer von Regisseur Andreas Dresen gewohnt ist. Diese Bemerkung muss er sich später auch auf der Pressekonferenz gefallen lassen. Dresen hat schließlich den Roman von Clemens Meyer verfilmt und einen jugendlichen Drive an den Tag gelegt. Mit Überschriften für die einzelnen Kapitel gibt er den Ton an. "Gewitter im Kopf" ist eine davon.

Dani sucht Mark und findet ihn. Beide bleiben im Dunkeln. Von Stoff ist die Rede. So beginnt der Film, das klingt schon nicht nach Happy End. Aber dann wird es erst mal lustig. In der Schule wird Feueralarm geprobt. Die Freunde Mark, Paul, Pitbull, Rico und Dani - noch Pioniere - beraten, wie sie durch ihre vermeintliche Verletzung an Zärtlichkeiten kommen. Auch Katja ist dabei, in die Dani verliebt ist. Dani - das ist der, der so schön das Gedicht "Ich trage mein Halstuch" aufgesagt hat und Reporter werden will. Immer wieder erwähnt der Schulleiter im Film das. Als die Jungs größer sind, wollen sie davon nichts wissen. Sie wollen die Größten sein, hängen mit dem coolen Erwachsenen Fred ab, der Autos klaut und eine hübsche Begleiterin hat, die auch Dani gefällt. Ihren eigenen Club wollen sie sogar aufmachen, "Underground" in Leipzig. Erst läuft es nicht, dann brummt es richtig. Die Clique bekommt Besuch von Kehlmann und seiner Gang, der den Tekkno-Laden übernehmen will. Bei der Kohlen-Oma, für die Dani und Co regelmäßig Briketts schleppen, sind sie schon einmal aneinander geraten. Rico will Boxer werden, und Dani träumt von der großen Liebe.

Immer wieder springt der Film zurück in die Pionierzeit kurz vor der Wende. Schon da zeichnet sich ab, wie unterschiedlich es mal laufen wird für die Jungs. Rico will den Soldatenscheiß nicht vorlesen. Dani nimmt ihn vor dem Pionierrat in Schutz, erklärt, Ricos Vater, der Offizier, wäre abgehauen. Er will alles richtig machen, weil Katja besonderen Pioniereifer zeigt. Als sie eines Tages ankündigt, ihre Familie würde weggehen, trifft es Dani richtig. Später sieht man ihn bei seiner alleinstehenden Mutter, beide sind mit ihren Sorgen allein. Er soll was von Kehlmann auf die Fresse bekommen, weil er die Augen von Kehlmanns Freundin nicht lassen kann. Sternchen. Die mal Freds Freundin war. Dani kann nicht ewig wegrennen.

Der Film ist laut und rau. Unbequem, ja, auch das. Das Publikum ist bei den Schlägereien dabei und beim Kaputtkloppen von Autos, auch beim Verrat untereinander. Dass sie die Größten sein werden und Kehlmann eines Tages eine Abreibung kriegt, sagt Dani (Merlin Rose) immer noch, da kann der Zuschauer das schon lange nicht mehr glauben. Es ist die Generation "Seid bereit", die sie geprägt hat. Irgendwie sind sie doch nicht bereit für das Leben da draußen nach der Wende.

Die Pressekonferenz

Links: Autor Clemens Meyer

Wolfgang Kohlhaase war für Regisseur Andreas Dresen der richtige Mann für das Drehbuch nach dem Roman des Leipzigers Clemens Meyer. "Man muss ein Stück weggeben", sagt Kohlhaase. "Ich habe versucht, das Herz zu verstehen", fügt Dresen hinzu. Das Buch hätte etwas Wildes, Chaotisches, sei zärtlich und liebevoll - den Geist der Zeit wollte er auffangen. Clemens Meyer kannte er schon vorher. Der wusste, dass sein Buch bei Dresen in guten Händen sein würde. Es sei nicht zwingend ein DDR-Film, obwohl Leipzig natürlich nicht Berlin sei. Abschied von der Kindheit und das Privileg der Jugend, absturzgefährdet zu sein, das kenne man überall, bemerkt Dresen.

Und die Gewalt gehöre einfach dazu, diese Wucht soll beim Zuschauer ankommen. Joel Basmann gesteht: "Autos zu zerkloppen, macht erstaunlicherweise Spaß. " Das hätte man aus Anstand schon nicht gemacht, weil ja der DDR-Bürger 13 Jahre auf sein Auto warten musste, ergänzt Dresen. Auf die Frage an die jungen Schauspieler, wie die Dialogsprache auf sie wirkte, reagieren alle begeistert. Die Kohlen-Oma lieben sie außerdem. Die Jungs hätten ihr alle Kohlen der Welt geschleppt, so der Regisseur. Überhaupt sind sie sich meist einig. Tekkno hören sie privat auch gern. Dresen gibt zu: "Ich bin eher der Gitarrentyp." Beim Dreh im Untergrund hätte er aber einige Tracks kennen gelernt, die ihm gefallen. Schauspielerin Ruby O. Fee mag alles von Klassik bis Rock. Mit ihrer unbekleideten Tanzeinlage wusste sie sich bei "Andy" in guten Händen, hatte aber anschließend ordentlich Muskelkater. Rico-Darsteller Julius Nitschkoff bezeichnet die zwei Drehtage mit seinem Boxkampf als die anstrengendsten seines Lebens. Gar nicht so leicht, wieder runterzukommen.

"Ich vermisse die Marke Dresen!" haut kurz vor Schluss der PK eine Journalistin raus, der Film hätte sie nicht erreicht. "Das tut mir leid", antwortet Andreas Dresen, die Ruhe in Person, "ich kann nur sagen, es ist ein Film von mir! Ich mochte die Tonlage und diese Jungs." Es stecke eine Menge Sehnsucht drin. "Als wir träumten" - der Titel sage schon alles. Und gegen Ende gibt es Hoffnung, betont der Regisseur. Denn es heißt ja: "Das Beste kommt noch." Was nicht zynisch gemeint sei. Er hätte sein Herzblut reingesteckt. Wolfgang Kohlhaase kommt mit einer Weisheit um die Ecke: "Am Ende läuft es auf eine Frage hinaus: Ist eine Geschichte wahr, weil sie schön ist, oder ist sie schön, weil sie wahr ist?" Hauptsache, es hat was von Magie. Für richtig schlechte Stimmung sorgt letztlich noch der Kommentar einer Journalistin, es wundere sie, dass es zwei Filme mit Problemen männlicher Jugendlicher gäbe und keine über Frauen im Mittelpunkt. Das sei ein wirkliches Problem. Clemens Meyer würde offenbar am liebsten vom Podium springen. Als Autor kann er schreiben, was er will. Das sei völliger Quatsch, danach zu fragen. Andreas Dresen will an dieser Stelle schnell Frieden stiften und erklärt, er würde sich nach verfilmbaren weiblichen Stoffen umsehen. Jetzt wäre es eben diese Geschichte.

Schauspieler Marcel Heupermann, Drehbuchautor Wolfgang Kohlhase, Produzent Peter Rommel (von links)

 

Roter Teppich

 

Joel Basman (Mark)

Ruby O. Fee (Sternchen)

Merlin Rose (Dani)

Schauspielerin Natalie Portman

Festivalleiter Dieter Kosslick mit den Shooting-Stars

Ensemble "Als wir träumten" komplett

 

Pressekonferenzen
"Woman in Gold" und "Life"

Meine Tickets für "I am Michael" und "Woman in Gold" habe ich zurückgegeben. Wichtiger sind ja doch die Pressekonferenzen für den Film mit Helen Mirren und den mit Robert Pattinson und Dane DeHaan. Obwohl es komisch ist, sich reinzusetzen, wenn man den Film noch nicht gesehen hat.

Bevor sich das Podium füllt, sagt jemand neben mir: "Ich mag ja Akzente, so wie zum Beispiel Ostdeutsch." Was man sich alles anhören muss! Erst mal meint die Person Dialekte. Und was ist bitteschön Ostdeutsch?

"Woman in Gold - Goldene Adele"

489 Produzent Harvey Weinstein mit Helen Mirren und Ryan Reynolds

Als Helen Mirren erscheint, habe ich den Spruch schon vergessen. Ryan Reynolds, Daniel Brühl und Max Irons nehmen mit Regisseur Simon Curtis Platz. Die erste Frage geht gleich mal an Ryan Reynolds. Er hätte in dem Film keine Superkräfte und wäre auch kein Sexsymbol... aber ein anderer Held. Reynolds hebt die Augenbrauen, schmunzelt. Nein, zu Superkräften könne er nichts sagen. Er hatte Verbindung zu seinem Großvater gesucht. Es sei eine Ehre, in dem Film mitzuspielen. Dieser historische Stoff hatte auch Helen Mirren bewegt. Sie eröffnet den Journalisten, sie hätte sich immer gesagt: "Spiel' niemals eine noch lebende Person - ich habe diese Regel gebrochen." Die Geschichte habe sie überwältigt, sie hätte Maria Altmann, die sie verkörpert, studiert. Ihr gerecht zu werden - unmöglich. "Aber ich habe getan, was ich konnte." Wien war? Einladend, enorm freundlich. Auch im Museum entgegenkommend. Drei Wochen hatten sie in Wien gedreht. Die Geschichte mit all den Kunstwerken zu erzählen, das war schon etwas. Als Produzent Harvey Weinstein zu Simon Curtis meinte: "Ich habe eine wunderschöne Geschichte für dich", konnte er gar nicht nein sagen.

492 Helen Mirren, Ryan Reynolds und Daniel Brühl

501 Ryan Reynolds, Daniel Brühl und Max Irons (von links)

Ob Maria Altmann ihren Frieden gefunden hat, fragt ein Journalist Helen Mirren. "Ich denke schon", erwidert die Schauspielerin. Die Anerkennung hätte ja nicht nur für ihre Familie stattgefunden. Es sei auch eine Genugtuung, die Gemälde zurückzubekommen. Welch ein Glück, dass Maria Altmann die Rückgabe noch erlebte. Das war 2006. Sie starb 2011 im Alter von 94 Jahren. "Diese Geschichten kannst du nie zu Ende schreiben, so viele Familien haben ihre Gemälde für immer verloren." Für Helen Mirren geht es in dem Film um Familie und Gerechtigkeit, einen Moment Gerechtigkeit.

513 Helen Mirren und Ryan Reynolds

515

Berlinale Spezial "Woman in Gold"

Bilder von Klimt

Ich habe immer noch vor Augen, wie Ryan Reynolds sich gegen die Wand lehnt, nachdem er das Holocaust-Denkmal in Wien berührt hat, und seine Tränen nicht zurückhalten kann. Den Film sah ich mir am Publikumstag im Zoo-Palast an. 9.30 Uhr am Sonntag. Ergriffen und benommen treten die Kinobesucher anschließend in die Sonne.

Der Film beginnt 1998, Maria Altmann ist 80 Jahre alt.

Helen Mirren spielt Maria Altmann, und die wollte aus Amerika nie in ihre österreichische Heimat zurück. Ihre Familie hat zu viel durchgemacht, als Juden wurden sie vertrieben oder ermordet. Aber da gibt es dieses Gemälde von Gustav Klimt, auf dem ihre Tante Adele Bloch-Bauer porträtiert ist, das ihr keine Ruhe lässt. Die Nazis haben sich dieses Gemälde neben anderen unter den Nagel gerissen, die österreichische Regierung gab es nach 1945 nicht zurück, obwohl es der Familie von Maria Altmann gehörte. Mit dem jungen amerikanischen Anwalt E. Randol Schoenberg, der ein Enkel des Wiener Komponisten Arnold Schönberg ist (Ryan Reynolds), macht sich die Erbin auf die Reise nach Wien, will Gerechtigkeit, will ihre Bilder. Über die gemeinsame Vorliebe für das Kinderbuch "Der Struwwelpeter" interessiert sie ihn für den Fall. Sie haben ja was gemeinsam. "Verklagen wir halt Österreich!" heißt es an einer Stelle, und das ist wörtlich zu nehmen. Mit Charme und Witz und dieser unwiderstehlichen Sprödigkeit spielt sich in die Herzen des Publikums. Zuerst rennt sie gegen Mauern und setzt dann doch durch, vor dem Obersten Gerichtshof zu sprechen. Für den jungen Anwalt, der sich dem Fall erst zögerlich nähert, wird die Geschichte Maria Altmanns eine Herzensangelegenheit, schließlich zum beruflichen Sprungbrett. Er will das Unrecht, das ihrer Familie angetan wurde, wieder gut machen. Daniel Brühl mimt den österreichischen Publizisten Hubertus Czernin, der Altmann ebenfalls darin bestärkt, auf ihrem Recht zu bestehen. Wie erleichtert alle nach der Rechtsprechung sind, ist bis auf den letzten Kinoplatz spürbar. Eine Genugtuung. Natürlich auch wegen der Streichermusik von Hans Zimmer. Ein wunderbarer, ergreifender und einfühlsamer Film nach einer wahren Begebenheit. Möge es noch viele Momente der Gerechtigkeit geben!

518 Helen Mirren und Ryan Reynolds

"Life"

Da sitzen sie nun alle, die Stars, die einen Film über einen Schauspieler gemacht haben, der über zum Star wurde und noch vor den Premieren seines zweiten und dritten Films starb: James Dean. In Elia Kazans "Jenseits von Eden" hatte er seine erste Hauptrolle, es folgten "Rebel Without a Cause" ("...denn sie wissen nicht, was sie tun") und "Giganten". In dem Film "Life" liegt ein Haufen Verantwortung. James Dean ist nicht nur ein Idol der 50er Jahre oder einer ganzen Generation. Er ist es bis heute.

Alessandra Mastronardi, Robert Pattinson, Anton Corbijn (Regie), Dane DeHaan, Kristian Bruun und Luke Davies (Drehbuchautor) auf dem Podium. Robert Pattinson spielt Dennis Stock, dessen Fotografien von James Dean ihn weltberühmt machten, Dane DeHaan verkörpert James Dean. Es ist klar, wer der eigentlich Star dieser Pressekonferenz ist: Das geschossartige Klicken von Kameras, wenn Pattinson ins Mikrofon nuschelt, spricht Bände. Für Pressekonferenzen hatte James Dean schon nichts übrig. Warum sollte es den beiden Helden, die im Film zu Freunden werden, anders gehen? DeHaans Frau hatte zu ihm beim Dreh gesagt: "Sei cool." Robert Pattinson: " Da war die Angst, nicht so gut zu sein wie er." Vielleicht, um die beiden Herren aufzulockern, beginnt der nächste Journalist seine Frage mit dem Hinweis darauf, dass "Dane" dieseelben Buchstaben beinhalte wie "Dean", und sogar im Nachnamen DeHaan stecke "Dean". "Ja, ja, das war der eigentliche Grund für mich zum Drehen", bemerkt DeHaan lachend. Im Ernst, natürlich war diese Rolle ein Geschenk, eine Riesenchance. Um auf den Namen zu kommen, "mein Presse-Plan ist tatsächlich mit DEAN-Tour überschrieben." Viele sehen in ihm den Rebellen, aber er war auch einer, der seine Familie, seine Eltern verloren hatte und unbedingt Schauspieler werden wollte, fügt DeHaan hinzu.

Und wie ging es Robert Pattinson als der berühmte Fotograf, der er zu dem Zeitpunkt ja noch nicht war. "Hm, ich habe am Set mit einer Leica 1953 rumgeknipst und ein paar schreckliche Fotos gemacht", erzählt Pattinson. Einige waren ganz gut und kamen in den Film.

"Wie gehen Sie denn mit dem Ruhm mit, den der Schauspielerberuf mit sich bringt?" wird gefragt. DeHaan: "Es hat alles seine Vor- und Nachteile. Es gibt Schlimmeres." Als er anfing mit der Schauspielerei, mit 16, 17 lernte er die Ikone kennen, sah seine Filme. An James Dean kam keiner vorbei. Seither fühlt er sich ihm verbunden.

Luke Davies, der mit Heath Ledger vor einigen Jahren den Film "Candy" während der Berlinale vorstellte, sagt, ihm ist aufgefallen, dass immer weniger junge Leute wissen, wer James Dean ist. Die Geschichte über die Fotografien und die Freundschaft zwischen Stock und Dean wäre nun mal die Geschichte, die sie erzählen wollen.

Iain Cunning. Was hat ihn denn zum Idol gemacht? Eine unnötige Frage, aber Dane DeHaan äußert sich sehr ernst dazu. Zu spielen, wie sie lebten, wie sie etwas erlebten, emotional offen zu sein, das war etwas völlig Neues.
Jetzt aber mal zur Frau im Film. Moderatorin Jenni Zylka macht auf sich aufmerksam und stellt ihr auch mal eine Frage. "Ich mochte das Skript und wusste auch einiges von Pier Angelis Leben. Ich würde sagen, sie haben sich erkannt, James Dean und sie", bemerkt Alessandra Mastronardi. Er wollte nicht berühmt sein, nur spielen. Und sie hatte eine strenge Mutter und konnte nicht tun, was sie wollte. Kristian Bruun hat als Agent bzw. Vermittler zwischen Dean und dem Studioboss Warner in dem Film einen höchst undankbaren Job. In der Hauptsache bestehe seine Aufgabe darin, zurückgewiesen zu werden.

Vierter Tag
8. Februar 2015
Von Astrid Mathis

Der Tag ist für mich gelaufen, noch bevor ich am Ticketcounter meine Karten für den nächsten Tag abhole. "Life" ist aus, ruft einer. Ich könnte losheulen! Wo das der einzige Film war, den ich wirklich sehen wollte. Kein Jahr vergeht, ohne dass ich mir einen James-Dean-Kalender an die Wand hänge. Wie der Fotograf Dennis Stock und James Dean sich kennen lernten, hätte ich einfach gern im Zoopalast gesehen und nicht auf irgendeiner Murkelleinwand.

Meine Kolleginnen wollen mich trösten und schleppen mich in die Tesiro-Lounge, wo es heißen Milchkaffee und Kekse gibt. Obst schwatzen sie mir außerdem auf, weil das so gesund ist und schließlich Sonntag. Während ich den Kaffee schlürfe, sehe ich die Massen Richtung Berlinalepalast strömen. Terrence Malicks Filme muss man gesehen habe, und weil er zudem noch pressescheu ist, sei das Ganze um so interessanter, kommentieren meine Begleiterinnen. Als wir in den ersten Stock kommen, werden wir gleich weitergeleitet. Na prima. Jeder Film, den ich oben gesehen habe, war eine Katastrophe. Meine Kollegin warnt mich vor: "Ich muss am Rand sitzen. Wenn ich es gar nicht aushalte, gehe ich." Den Film "Tree of Life" habe ich bis heute nicht fertiggeschaut. Ich hatte mal beim Bügeln angefangen, aber nach 40 Minuten den Sender gewechselt, weil das philosophische Gerede mit den Kunstbildern so gar nicht für meine Sache förderlich war. Die Vater-Sohn-Geschichte soll dann aber richtig gut sein. Ich heb's mir für später auf.

Wettbewerb
"Knight of Cups - Ritter der Kelche"
Terrence Malick - Vom Sinn des Lebens

Christian Bale spielt den Helden, einen reichen Lebemann, dem die Models nur so vor die Füße fallen bzw. schweben. Woher sie kommen, wohin sie gehen, weiß kein Mensch. Sie bleiben blass, der Held aalglatt. Seine Ex-Frau spielt immerhin Cate Blanchett, ein dramatischer Moment. Meine Kollegin atmet schon heftig und will mich zum Gehen animieren. Eine halbe Stunde später sitzen wir immer noch da. "Natalie Portman muss doch noch kommen", raune ich ihr zu. Christian Bale sucht den Sinn des Lebens und lässt sich zu Yoga überreden. Der Filmtitel (eine Tarotkarte namens Ritter der Kelche) verrät den esoterischen Touch. Es gibt eine Vielzahl von wunderschönen Landschaftsaufnahmen. Rick sieht darin verloren aus. Die Frauen kommen und gehen, auch Natalie Portman schließlich. Sie spielt die Frau, die ihren Mann mit dem Helden betrügt und ein Kind erwartet. Das Kind verliert. Leben beendet. Es geht um die großen Themen Liebe und Tod und Leben an sich. Wer man ist und wohin man will und Freiheit. Vergebung. Alles so was. Einen Bruder-Vater-Sohn-Konflikt sieht man auch, aber mehr, als dass sie sich streiten, erfährt der Zuschauer nicht. Christian Bales Stimme begleitet das Publikum auf dieser Filmreise. Als Armin Müller-Stahl als Pastor erscheint, gibt mir meine Kollegin ein energisches Zeichen. "Das wird mir jetzt zu katholisch", sagt sie und zieht mich ins Hyatt, wo ich gespannt auf die Pressekonferenz warte. Wir sitzen in der vorletzten Reihe. Die anderen waren eben schon vor uns raus.

Christian Bale und Natalie Portman mit den Produzenten von "Knight of the Cups"

Die Pressekonferenz

Der Regisseur fehlt. Allerdings haben das noch nicht alle Journalisten mitbekommen. Und so sagt einer der Kollegen tatsächlich: "Eine Frage an den Regisseur." Doch alle auf dem Podium sind gut gelaunt und lachen, besonders redselig ist Christian Bale. Jede noch so merkwürdige oder provokante Frage nimmt er ernst. Gleich zu Anfang meint ganz ehrlich, Malick hätte nicht erzählt, worum es ging. Eine Charakterbeschreibung hatte er von diesem Rick, den er verkörpert. Obwohl er alles hätte, sei da eine Lücke, die er zu schließen sucht. Deshalb begibt er sich auf eine Reise. Nach Liebe. "Wir wussten jeden Tag nicht, was er machen sollten", verrät Bale weiter. Natalie Portman schwärmt, sie wäre schon immer ein großer Fan von Terry gewesen und hätte sofort zugesagt, als er ihr einen Part anbot. Er sei eben ein großer Geschichtenerzähler, der sich auf seiner eigenen Reise befände. Zustimmendes Grummeln im Saal.

"Dieser Film ist sehr mutig", spricht ein Journalist die Produzenten an. Nicolas Gonda sagt, es sei kein einfacher Film, und Sarah Green betont, sie würde ja schon seit 15 Jahren mit Terry zusammenarbeiten. Es sei eine Sache des Vertrauens. Darum ist auch das Team dasselbe geblieben. Natalie Portman wird gefragt, was sie beim Dreh gelernt habe. "Dass die Regeln des Filmmachens nicht nötig sind", kontert sie ernsthaft. Nach zwei Jahren Pause und mit ihrer Erfahrung als Mutter war ihr Part im Film besonders intensiv, eine Herausforderung.

Ob er auch so eine Leere kenne wie Rick, will ein Journalist von Christian Bale wissen. Der gibt die Frage zurück und kommentiert dazu: "Diese Depression in der Zivilisation ist doch ein universelles Thema." Nein, mit Tarotkarten hat er nichts am Hut. Er wird dann auch noch gefragt, wie Natalie Portmans Zehen schmecken. Ganz Charmeur erwidert er: "Sie hat sehr hübsche Zehen." Frauen gilt schlicht Ricks erstes Interesse, und die schönen Model-Frauen hätte alle eine wichtige Bedeutung für ihn, darum erinnert er sich an sie, nämlich, weil sie in seinem Leben eine wichtige Rolle spielen, verteidigt er das große Damenaufgebot. Zum Schluss kommt noch eine Frage für Natalie Portman. Wie würde sie den Jurypräsidenten (Darren Aronofsky, Regisseur von "Black Swan" mit Portman in der Hauptrolle) überzeugen, diesem Film den goldenen Bären zu geben? Ach, das würde sie gar nicht erst versuchen, sondern einfach einen mit ihm trinken gehen.

 

Dritter Tag
7. Februar 2015
Von Astrid Mathis

Wettbewerb
"Tagebuch eines Zimmermädchens"
Hände weg!

Frankreich um 1900. In der früheren Zeit möchte man kein Zimmermädchen gewesen sein. Schon die Jobvermittlerin sagt eine gute Karriere voraus, wenn der Anstand außen vor bleibt. Lüsterne Blicke überall, sexuelle Gefälligkeiten von widerwärtigen Herrschaften, der Dreck, die Schikane. Léa Seydoux spielt eines, das solch Schikane kommentiert. In welche Hände sie gerät, erzählt sie in Rückschau, aber letztlich liegen weder Witz noch Spannung darin. Ihr Ton ist durchweg leicht säuerlich, auch wenn eine unglückliche Liebesgeschichte eingebettet ist. Und nachher gemeinsame Sache zu machen mit dem Hausdiener, der womöglich ein junges Mädchen im Wald auf dem Gewissen hat. Also nee! Der Film hätte was von "Moll Flanders" haben können, aber dazu hätte wohl Daniel Defoe das Drehbuch schreiben müssen. Die Hauptdarstellerin erschien nicht mal zur Pressekonferenz. Das Buch zu lesen, wäre wahrscheinlich spannender.


Panorama
"Angelica"
Alles aus Liebe

Ganz anders dagegen "Angelica" nach dem Roman von Arthur Phillips. London 1880. Angelica eilt zum Sterbebett ihrer Mutter und erfährt dort ihre Lebensgeschichte: Als Constance (Jane Malone) ihren Mann kennen lernt, ist sie blutjung. Sie verliebt sich in den jungen Arzt Joseph Barton (Ed Stoppard), der ihr Beschützer sein will. Schon bei ihrem ersten Spaziergang zeichnet sich ab, was sie beide einmal trennen wird: Fasziniert und ehrfürchtig schaut Constance auf die Zirkusleute. Robert, ganz Wissenschaftler und Arzt, glaubt nicht an Zauberei und Magie. Nach der Geburt ihrer Tochter Angelica, die die junge Mutter fast das Leben kostet, verordnet der Doktor Constance Enthaltsamkeit, doch Mann und Frau sehnen sich nach Zärtlichkeit. Als Joseph ihr wieder nahe kommt, zieht sie ins Kinderzimmer, wo sie Dämonen zu sehen glaubt. Die Abstinenz und der erschreckende Besuch bei ihrem Mann, als er inmitten seiner Kollegen Tierversuche unternimmt, haben Folgen. Hilfesuchend wendet sie sich an eine Frau, die angeblich Übersinnliches vertreiben kann. Sie soll auch den Geist vertreiben, der aus ihrem Mann steigt.

Dieser Film ist mehr Psychodrama als Gruselgeschichte. Sexuelle Sehnsucht und Unterdrückung, Sorge um das Kind und Verzweiflung tragen die Geschichte fort, die dank Kamera und Licht, vor allem aber Düsternis, eine unglaubliche Atmosphäre schafft. Regisseur Mitchell Lichtenstein spiegelt darüber hinaus ein Gesellschaftsbild jener Zeit wider und verleiht dem Film einen leicht ironischen Unterton.

Zweiter Tag
6. Februar 2015
Von Astrid Mathis

Wettbewerb
"Taxi"
Kein Film

Um es vorwegzunehmen, der iranische Regisseur Jafar Panahi ist nicht angereist. Wieder einmal. Er darf nicht. Dabei hat er einen so wichtigen Film gemacht - einen Film, in dem er Taxi fährt. Na ja, Filme drehen, das darf er auch nicht.

Schon der dritte Fahrgast erkennt den Regisseur und vermutet sogar, dass die beiden Streithähne, die mit ihm durch Teheran fuhren, Schauspieler waren. Er solle gut auf sein Auto aufpassen, meinte der Mann. Einem Bekannten hatten sie die Räder geklaut und Holzblöcke drunter gestellt. Hinrichten sollte man sie. Die Frau auf dem Rücksitz sieht das gar nicht so. Man müsste doch erst mal die Umstände kenne, der Dieb hätte vielleicht aus der Not heraus gehandelt. Natürlich ist sie Lehrerin und er Straßenräuber. Und das ist sehr komisch und schwer zu glauben. Dass dabei über die Todesstrafe diskutiert wird, ist ein Wink, worauf der Film hinausläuft. Die verschiedenen Einsteiger erzählen und spiegeln damit ein Bild von der Gesellschaft in Iran wider, ihre Ansichten und Träume. Dazu kommt zutage, was sonst nur hinter vorgehaltener Hand erzählt werden dürfte.

Der Fahrgast, der Panahi enttarnt, ist Filmverleiher, er hat auch Filme, die noch gar nicht auf dem Markt sind und würde dem Regisseur gerne Filme geben. Er wittert schließlich ein Geschäft, weil sein Kunde aus Verehrung für Panahi gleich eine Vielzahl ausleiht. Panahi holt schließlich seine Nichte ab. Die erzählt von der Schule, dass die Lehrerin gesagt hat, dass man zwischen real und unreal unterscheiden muss. Was meint sie nur damit, fragt sie ihren Onkel. Der weiß es. Die Antwort darauf gibt eine Bekannte, die von Einsperren berichtet und dieser Ohnmacht der Regierung gegenüber. So etwas soll eben nicht an die Öffentlichkeit.

Wie überhaupt dieser Film. Weshalb der Abspann fehlt. Und auch Panahi, aber er hat ein großartiges, leichtfüßig erzähltes, gesellschaftskritisches Bild gezeichnet, das man sich immer wieder anschauen kann. Wunderbar.


Wettbewerb
"Queen of the Desert - Königin der Wüste"
Ab in den Orient

Werner Herzog ist zurück! Sein erster Film, in der eine Frau die Hauptrolle spielt, basiert auf Briefen und Tagebuchaufzeichnungen von Gertrude Bell. Die Titelheldin ist 1868 geboren, hat in Oxford studiert und macht sich schließlich einen Namen als Königsmacherin. Eine Vorreiterin von Lawrence von Arabien, wenn man so will. Eine Zeitgenossin. Von der wohl weniger vorher etwas gehört haben. Diese Frau spielt Nicole Kidman. Zugegeben für die junge Getrude nicht mehr jung genug, aber daran muss man sich nicht hochziehen. Wichtig ist, dass sie ihren eigenen Kopf hat. Die britische Orient-Forscherin wird eines Tages Schriftstellerin, Archäologin und Historikerin sein.

Aber erst einmal verliebt sie sich in Henry, gespielt von James Franco. Und irgendwie will man das auch glauben, weil da tatsächlich Magie ist zwischen den beiden. Beim Kartentrick und in der Szene mit den Geiern auf dem Turm, die im Kuss im Wüstensand gipfelt, knistert es am meisten. Es ist eben eine große Liebe. Die Geschichte kann nicht gut ausgehen. Und so zieht es Gertrude dann allein in die Wüste. Dort findet sie etwas, das sie sonst nie spürt. Weite. Freiheit. Sie bereist Gegenden, in die nie zuvor ein Mensch kam. Sie spricht die Sprache der Menschen, die sie trifft, ihre Ausstrahlung ist außerdem so stark, dass sich ihr niemand entziehen und keiner sich ihr in den Weg stellen kann. Auch Charles ("Homeland"-Star Damian Lewis) erliegt ihrem Charme. Dass Robert Pattinson in die Rolle des Lawrence von Arabien schlüpft, ist dagegen wirklich kaum zu glauben.

Werner Herzog malt ein Bild von Gertrude Bell, das erklärt, welch Faszination von dieser Frau ausging. Die dazu beitrug, nach Ende des Ersten Weltkriegs die kolonialen Grenzen im Nahen Osten, dem früheren osmanischen Reich, neu zu stecken und darüber hinaus ihren Anteil an der Krönung der Könige in Jordanien und Irak hatte. Immer wieder beeindruckt Werner Herzog mit seinen Wüstenaufnahmen. Sogar durch den Schnee wanderten die Kamele des Filmteams. Wenn nur nicht die dominante Musik wäre! So ist der Film ein Wüsenepos à la Hollywood.

 
Die Pressekonferenz

Gertrude Bell ließ ihn einfach nicht mehr los, seit Werner Herzog von ihr gehört hatte. Das stellt er gleich an den Anfang der Pressekonferenz. Sein Freund der Produzent Nick N. Raslan hatte ihm von ihr erzählt, ihren Briefen und Tagebüchern, auf die er gestoßen war. Darauf basiert auch Herzogs Geschichte. Ein Film über eine besondere Frau, die Wüste und vor allem Poesie. Er wollte die Frau und das, was sie im Innern bewegt, in den Mittelpunkt rücken, nicht die Politik, die sie machte. Dass die Chemie zwischen James Franco und Nicole Kidman stimmte, war ihm wichtig. Die Szene mit dem Kartentrick beschreibt er als erotischste, die er je gedreht hat. Den Trick hat ihm übrigens sein ältester Sohn gezeigt. Und Franco ergänzt, er hätte schon einige Sexszenen gehabt, die nicht die Spur von der Erotik hatten wie diese. Seine Filmpartnerin hatte er vor dem Film zugegeben erst einmal getroffen. Er merkte gleich, dass es passte. Lächelnd fügt Nicole Kidman eine Anekdote an, in der die beiden auf Kamelen reiten sollten. Gleich am ersten Tag bekamen sie Reitstunden. "Kannst du reiten?" Franco: "No, just go for it!" Eine ganz neue Erfahrung. Auch die Geier waren eine spannende Begegnung. James Franco dachte nämlich, das wären trainierte Tiere, aber als einer zuschnappte, bekam er es mit der Angst zu tun.

Als Werner Herzog Nicole Kidman fragte, ob sie zum Drehen nach Marokko kommen würde, fragte sie: "Kann ich meine Kinder mitbringen?" Seine Antwort: "Wir haben ein Zelt für sie." So kam sie an Orte, die sie nie zuvor gesehen hatte, die sie vielleicht nicht wiedersehen wird, bemerkt die Schauspielerin. Das hätte ihren Horizont erweitert. Die Landschaft half, in diese besondere Stimmung zu kommen, erzählt Nicole Kidman weiter, und Herzog gesteht: "Wir haben in einem echten Sandsturm gedreht und auch im Schnee. Wir haben die Welt der Beduinen erlebt." Dass er vorher nie einen Film mit einem weiblichen Protagonisten gedreht hat, wundert ihn inzwischen selbst. Das hätte er schon früher machen sollen, meint Herzog. "Ich bin froh, dass der Stoff zu mir gekommen ist."

Und die Schauspieler sind froh, mit Werner Herzog gedreht zu haben. Er sei so authentisch, meint Nicole Kidman. Ein Walkie-Talkie sei nichts für ihn. Er legt dann lieber weite Strecken zurück und erklärt von Angesicht zu Angesicht, was er will und denkt. James Franco betont, er fühlte sich bei ihm sicher.

Damian Lewis wird nicht viel gefragt, verbreitet aber eine glänzende Laune. Für seine Rolle las auch er Briefe, erotische, wie sie eben für die damalige Zeit erotisch waren. In dem Film geht es ja vor allem um Sehnsucht. Er hatte im übrigen eine lange Kuss-Szene mit Nicole. Die wurde allerdings rausgeschmissen. Ob es daran lag, dass er ein schlechter Küsser sei? Er weiß es nicht. Die Sympathien hat er mit der Geschichte auf jeden Fall auf seiner Seite.

 
Fotos vom roten Teppich

Damian Lewis


Wettbewerb
"45 Jahre"
Alles auf Anfang

Ein älteres Ehepaar um die 70 kurz vor dem 45. Hochzeitstag. Man guckt ihnen gern zu, wie sie sich ihr Leben auf dem Land in Norfolk unweit von London eingerichtet haben. Mit ihren Ritualen wie Zeitunglesen und Spaziergängen. Auf einmal bekommt Geoff einen Brief, aus dem er erfährt, dass seine Freundin von früher tot aufgefunden wurde. Sie waren in den Schweizer Alpen wandern, vor seiner Ehe, also vor über 45 Jahren. Kein Grund zum Aufregen oder zur Eifersucht wegen der langen Zeit, aber es wühlt beide dennoch so auf, dass nichts mehr wie vorher ist. Er sucht nach einem Foto auf dem Dachboden, sagt, es wäre nichts, fängt aber wieder mit dem Rauchen an. Überlegt, in die Schweiz zu fahren, wo sie gefunden wurde. Er romantisiert die Zeit mit ihr so, dass Kate nichts mehr von ihr hören will. Inzwischen plant sie die Feier, soll die Musik auswählen und zerbricht innerlich, fühlt sich betrogen um das Nicht-Erzählte. Erschütternd, wie sie die Diaserie durchklickt und schließlich bei dem Bild von der schwangeren Freundin hängen bleibt. Charlotte Rampling und Tom Courtenay geben ein unglaublich starkes Paar ab. Der verlorene Blick von ihr beim Tanz auf dem Fest bleibt noch lange im Gedächtnis. Regisseur Andrew Haigh gelingt ein bewegendes Drama.

Auf der Pressekonferenz erzählt Charlotte Rampling später, sie hätte sich in Hollywood nie wohl gefühlt und immer gern kleinere Projekte gemacht. Das hätte sich über die Jahrzehnte nicht geändert. Wenn sie der jungen Schauspielergeneration einen Rat geben sollte, und sie würde keinen geben wollen, dann den, niemand sollte einen Rat geben, um den er nicht gebeten wurde.


Erster Tag
5. Februar 2015
Von Astrid Mathis

Warum ich bei der Vorstellung der Jury nicht war? Ganz einfach. Ich wollte es mal ruhig angehen lassen und zur Generalprobe von Sibelius' 1. Sinfonie in die Philharmonie. Sir Simon Rattle dirigierte. Ich musste nur noch schnell meinen Ausweis vom Hyatt abholen. Und da hatte ich schon das erste Problem. Denn der Nord-Süd-Tunnel ist gesperrt, die S-Bahn von Gesundbrunnen zur Schönhauser Allee war weg, und die Regionalbahn hatte natürlich Verspätung. Schlangestehen im Hyatt! Nicht nur ich hatte die Zahlung der Akkreditierung noch vor sich, doch was nützte das, Bargeld mitzuhaben, wenn jeder zweite mit EC-Karte zahlte. Also raus aus dem Laden, rein in die Philharmonie. Der Schnee glitzerte, die Sonne schien. Sir Simon Rattle riss das Orchester und mich mit. Durchatmen. Und zurück zum Hyatt.

Inzwischen lief die Pressekonferenz mit der Jury, ich stand nochmals an, zahlte brav in bar und war justament pleite. Schnell noch Karten für den Freitagabendfilm, schon eilte ich in Richtung Cinemaxx 7. Dort sollte ich für meine Kollegin und ihre Freundin Plätze freihalten. Das klappte nicht lange, denn nicht, dass hier Missverständnisse aufkommen, die resolute Lockenfrau vom Kino war mit der Idee nicht einverstanden. Die beiden verschwanden, und ich saß allein (also mit mir unbekannten Journalistenkollegen) im Film. Und dann, ja, dann wurde es richtig eisig.
 

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"Niemand will die Nacht"
Einmal Nordpol und zurück

Wir schreiben das Jahr 1908. Nein, also wirklich nicht. Nach diesem Film in die Polarnacht zu wollen, wäre Wahnsinn. Und mehr als nur ein bisschen wahnsinnig ist auch Josephine Peary, die ihrem Mann nach Norden folgen will. Immer weiter nach Norden - das war ihrer beider Traum. Juliette Binoche spielt die den Polarforscher liebende Ehefrau. Wider die Gesellschaft, wider die Natur will sie ihrem Mann nach, ihm sozusagen entgegengehen. Aus Liebe. Ihre Begleiter springen ab oder sterben wie Bram, und allein steht sie vor der Hütte, in der sie auf ihren Mann warten will, auf dessen Rückkehr vom Nordpol sie hofft, den er als Erster zu entdecken glaubt. Wobei - sie ist nicht ganz allein. Eine junge Inuitfrau namens Allaka ist dageblieben in ihrem Iglu, nachdem der letzte Mann gegangen ist. Josephine weist sie ab, und Allaka begegnet ihr daraufhin mit der Offenherzigkeit eines Kindes, sie fragt, hilft, rettet Josephine vor dem Erfrieren. Die wiederum muss einsehen, dass sie mehr gemeinsam hat mit ihr als die Weiblichkeit. Sie erwartet ein Kind von ihrem Mann. Alles, was ihre Welt war, zählt in dem Eismeer nichts mehr - keine Kleider, keine Musik. Hat sie eben noch rohes Fleisch abgelehnt und Allaka mit silbernem Besteck konfrontiert, wünscht sie sich bald, überhaupt noch etwas zu essen zu haben. Die Hütte hält den Winden kaum stand, die Naturgewalt hat die beiden Frauen zusammengeschweißt, möchte man meinen. Am Ende steht da tatsächlich, dass nicht hundertprozentig sicher ist, ob Peary der erste Mann am Nordpol war. Tststs.

Es sind die Bilder dieser Weite, der vielzitierten Reinheit, der Sonne, die im Polarwinter für Monate ganz verschwindet, es sind diese Bilder, die bleiben. Das beklemmende Gefühl, das die Geschichte geweckt hat und einen Hauch von Abenteuerlust, Entdecker zu sein, einmal hautnah zu sehen, wohin man sich sonst nicht wagen würde. Und Juliette Binoche in ihrem purpurroten Kleid im Schnee und ihre Verzweiflung, als sie sieht, dass hier andere Gesetze herrschen als erwartet. Aber sonst? Nach diesem Film weiß man, die Polarnacht ist verdammt lang.

 
Die Pressekonferenz

Nach Margarethe von Trotta ist es das zweite Mal, dass eine Frau mit einem Film die Berlinale eröffnet. Isabel Coixet erzählt später, sie wusste, diesen Stoff musste sie verfilmen, egal wie. Und diese Unbedingtheit ist spürbar. Sie sagt uns, ein Leben im Eis ist nun mal alles andere als lustig. Juliette Binoche fragt allerdings in die Runde: "Soll ich die Wahrheit sagen?" und plaudert dann aus, dass es im Studio in Bulgarien sehr warm war, in den zehn Tagen in Norwegen sehr kalt. Dort mussten sie mit anderen Widerständen klarkommen. Im Hotel wurde den Schauspielern mal der Kaffee verwehrt. Überhaupt zeigten sich die Norweger eher unfreundlich, platzte die Regisseurin heraus. Der Kaffee war in Rumänien nicht das Einzige, was besser bei ihr wegkam. Ach, über Geschlechterfragen wollte sie jetzt auch nicht reden. Ihre Erfahrung mit dem Eis teilte sie aber gern. "Ich habe in Norwegen gemerkt, wie alles langsamer wurde, mein Denken gefror - und das mochte ich. Ob es da irgendeine spirituelle Energie gegeben hätte. "Ich bin aus Spanien! Wir sind nicht spirituell", kam es wie aus der Pistole geschossen. Dafür hat sie Jack London gelesen. Vielleicht wurde ich deshalb nicht warm mit dem Film. Ich meine jetzt nicht wegen Jack London.

Vier Jahre zuvor hatte sie Juliette Binoche das Drehbuch gegeben. Die Schauspielerin las daraufhin Josephine Pearys Bücher, die zum Film inspiriert hatten. Ihre Kollegin Rinko Kikuchi sprach in Vorbereitung auf die Rolle mit einer Inuitfrau, unter anderem. Mit Juliette Binoche zu drehen, gefiel ihr übrigens schon deshalb, weil sie mit ihren Filmen aufwuchs und sie da schon schätzen lernte. So viel zum Inhalt der Pressekonferenz. Nicht unerwähnt darf an dieser Stelle bleiben, dass Juliette Binoche (in Weiß!) mit ihrer charmanten Art und ihrem reizenden Lachen wieder alle in die Tasche steckte. Am Abend schwebte sie noch mal ganz in Weiß über den roten Teppich. Wow!

 

Schaulaufen zur Eröffnung


© POTZDAM 2015