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Siebenter Tag
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11. Februar 2015
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Von
Astrid Mathis
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Wettbewerb
"Aferim!"
In der Walachei
Zwei
Männer zu Pferde in einer Landschaft wie aus einer anderen
Zeit. Die Geschichte spielt in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Es fängt so idyllisch an. Das Schwarzweiß zieht den
Zuschauer in die Walachei nach Rumänien. Ein Hauptmann,
den man später Kopfgeldjäger nennen würde, ist
mit seinem Sohn unterwegs und hat den Auftrag, einen Mann einzufangen,
der Zigeuner ist und seinen Herrn mit dessen Frau betrogen haben
soll. Zigeuner werden zu jener Zeit Krähen genannt und
generell schlecht behandelt. Frauen haben übrigens auch
eine niedrige Stellung in jenen Tagen. Als sie ihn gefasst haben,
liegt ein langer Weg vor ihnen. Ein Weg, auf dem sie einander
kennen lernen, sogar zusammen feiern. Nachts beraten Hauptmann
und Sohn, was mit ihm geschehen soll, ob sie seine Strafe verhindern
können. Ein kurzes "Haltet's Maul!" des Betroffenen
unterbindet ihre Unterhaltung. Wie hier, so hat der Zuschauer
immer wieder Grund zum Lachen. Das vergeht ihm jedoch endgültig,
als der Gejagte vom Herrn vorgeführt und kastriert wird.
"Du kannst die Dinge nicht ändern", sagt der
Vater am Ende zum Sohn. Irgendwann wirst du Oberst, machst ein,
zwei Kriege mit usw. So ist es eben.
Die
Geschichte ist nach Aufzeichnungen aus dieser Zeit entstanden,
vor allem nach wahren Dialogen. Das hätte lustig sein können,
wenn es nicht so abschreckend gewesen wäre. Auf jeden Fall
für die Männer ein Film, aus dem sie ob der Kastration
wohl mit unbehaglichem Gefühl gehen. Zwischendurch verliert
der Film ungemein an Spannung. Sein großes Plus ist die
Kamera, die den Eindruck von einer Reise der Helden Don Quichote
und Sancho Pansa erweckt.
Wettbewerb
"Eisenstein in Guanajuato"
Coming-Out eines Regisseurs
Das ist
doch mal ein richtig durchgeknallter Film! Der Zuschauer wird
mit Bildern von dem Filmemacher Sergej Eisenstein zugeballert.
Ein bisschen verrückt sieht der Hauptdarsteller mit seiner
Frisur ohnehin schon aus, aber die Schnitte verstärken
die Verrücktheit, die von ihm ausgeht. Drei Filme gehen
zu dem Zeitpunkt auf sein Konto, als der Zuschauer in die Geschichte
einsteigt. Er hat Kontakt zu sämtlichen Kinogrößen
der Zeit und wird hofiert bis zum Gehtnichtmehr. Seine Reise
nach Mexiko soll eigentlich eine Filmreise werden, aber sie
avanciert zur Erfahrungsreise sexueller Natur. In Mexiko angekommen
hat er einen persönlichen Führer, der ihm nicht nur
die Dusche erklärt, sondern ihn zudem aus unangenehmen
Situationen rettet. Das Zimmermädchen hat nämlich
pornografische Bilder entdeckt. Hui! "Aber das sind doch
Gemälde!" entrüstet sich Eisenstein. So was ist
prinzipiell ein Skandal. Das übergroße Bett steht
mitten im Zimmer - ganz klar soll es eine zentrale Rolle spielen.
Eisensteins persönlicher Begleiter, der eigentlich Frau
und Kinder hat, die dann komischerweise nicht mehr auftauchen,
überredet ihn nicht nur zur Siesta, sondern auch zum Beischlaf.
Eben noch vom Restaurant Öl geklaut, dann erklärt
er seine sexuelle Handlung mit politischen Beziehungen und Geschichte
zwischen Mexiko und Russland. Er kann gar nicht nein sagen,
steht da wie ein verlorenes Kind, das mit großen Augen
auf die versprochene Schokolade wartet. Eine Vereinigung ist
unausweichlich. Natürlich sind sie nackt, Sex gibt's inklusive
zu sehen. Sergej freut sich, nicht mehr der Schüchterne
zu sein und sich mal austoben zu können. Nie zuvor hat
er zu seiner sexuellen Neigung gestanden. Aber er muss aufpassen,
dass er sich nicht unbeliebt macht. Acht Monate hat er schon
in Mexiko zugebracht, viel Filmmaterial bekommt der Zuschauer
nicht präsentiert. Das Ausleben der Sexualität steht
im Vordergrund. Doch eine jede Reise geht einmal zu Ende.
Der Film
ist bunt und schmissig und spart nicht mit Bildern vom Liebesakt
und wilden Kamerafahrten, die längste kreist natürlich
um das Bett. Peter Greenaway ist ein Kunstfilm gelungen, den
ich persönlich kein zweites Mal sehen muss.
Wettbewerb
"Gone
with the Bullets"
Die Friedensmacherinnen
Das letzte
Mal, als ich einen chinesischen Wettbewerbsbeitrag im Cinemaxx
7 gesehen habe, liegt ein Jahr zurück. Ich bin nach zehn
Minuten raus, genau nach der Kamerafahrt mit dem Moped, die
alle nachher als höchst kunstvoll lobten. Später gewann
der Film, und ich rastete total aus, weil ich den Preis lieber
"Boyhood" gegeben hätte. Ich wollte es diesmal
länger aushalten.
Ein junger
Typ klagt einem Mann, der mitten im Leben steht, sein Leid mit
den Frauen. Dass er sie nicht kriegen kann, egal, wohin er sie
ausführen will. Der Auserwählten waren halt die Nudeln
im Restaurant nicht frisch genug. Als der Ältere ihm erklärt,
dass er sich eben immer Frauen aussucht, die eine Nummer zu
groß für ihn sind, finden das noch alle im Saal witzig.
Und als kurz darauf drei Frauen um den Posten der Präsidentin
singen, denkt man wohlwollend: Das ist ganz großes Kino.
Denn "Grüner Drache" singt "Summertime"
und "Weißer Tiger" den Opernhit "O mio
babbino caro". Aber dann beginnt der Wirrwarr. Die Präsidentin
gewinnt zwar, weil sie eine Rede darauf hält, dass die
Männer nicht mehr in den Krieg ziehen, sondern eher ihre
Frauen beglücken sollten. Doch spätestens in der Szene,
in der die Gewinnerin auf Drogentrip ist und sich die Schnitte
und Bilder überschlagen, wird es zu bunt. Als ich gehe,
ist eine Stunde rum. Etwa 50 Kollegen sind schon vor mir raus.
Einige von ihnen treffe ich später, sie sagen mir, sie
hätten gerade einen so schlechten Film gesehen aus China...
Kamera und visuelle Effekte hin oder her, das Ganze war schlichtweg
zu bekloppt.
Panorama
"Studio 54. Director's Cut"
Die Party geht weiter
In "Studio
54" weiß man, was man hat. Ich sitze neben dem Regisseur
Mark Christopher und weiß, alles wird gut. Es wird wirklich
richtig gut. Ich habe den Film damals nicht im Kino gesehen,
aber ziemlich schnell danach. Mein Auslandsjahr in Southampton
hatte ich gerade hinter mir und in Potsdam mit der Uni angefangen.
Berlin war für mich immer die Reise in eine andere Welt.
Ein Kinoausflug wurde für mich jedes Mal zum Abenteuer.
Ja, ich fand Ryan Phillippe toll. Außerdem hatte ich vorher
so einen Film noch nicht gesehen. Wo einfach so Drogen konsumiert
wurden und Sex in einem Club zum guten Ruf gehörte. Die
Welt des berühmtesten Nachtclubs der Welt: Studio 54 in
New York. In diese Welt gerät in den 70er Jahren auch Shane
aus Jersey, obwohl er nicht New Yorker werden will, nur cool
sein. Ins Studio dürfen nur Leute, die Steve auswählt,
und die müssen verdammt gut aussehen. Da drinnen ist Party,
ein Paradies, von dem er seinem Vater und den Schwestern vorschwärmt.
Klar, dass seinem Vater nicht recht ist, wo Shane die Nächte
verbringt. Der Club ist berüchtigt. Mein Gott, Andy Warhol
geht da ein und aus! Shane reitet auf dieser Welle mit, kann
er doch seinem Schwarm, der schönen Julie Black, als Barkeeper
endlich nah sein. Shane freundet sich mit einem jungen Ehepaar
an, das ebenfalls dort arbeitet. Salma Hayek spielt die rassige
Schönheit, die auf eine Gesangskarriere hofft. Wie sich
diese Welt verkehrt, die so reizvoll scheint, auf welche Probe
die Freundschaft der Drei gestellt wird, das zeigt die neue
Fassung noch viel besser als die vorangegangene.
Mark Christopher
schickt der Vorführung voraus, dass er nirgendwo anders
als in Berlin die Weltpremiere wollte. Hier hatte er vor 20
Jahren mal einen Teddy gewonnen, einen richtigen. Zur Vorgeschichte
verrät er, dass in der ersten Fassung von 1998 die Hälfte
des Films geschnitten und eine halbe Stunde nachgedrehtes Material
verwendet wurde (nach Intervention der Produzenten). Jetzt wäre
die Zeit für Nostalgie gekommen. Mit den 17 Jahren bis
zur Fertigstellung könne er glatt mit "Boyhood"
mithalten. Es ist ein anderer Film als damals. Geblieben ist
die Stimmung, das Spiel mit Dunkelheit und Licht (Kamera!).
Die Schwierigkeit war, überhaupt an das Negativ zu kommen.
Eine ausgefranste Rolle - mehr hatten sie nicht zur Restauration.
Gedreht haben sie "Studio 54" seinerzeit in einem
Club in Toronto. Draußen spielt die Szenerie klar in New
York. Acht Wochen drehten sie insgesamt. Warum die Wahl auf
Ryan Phillippe fiel, will eine Dame aus dem Publikum wissen.
"Haben Sie ihn gesehen?" erwiderte der Regisseur lachend,
erklärte dann aber ausführlich. Phillippe war beim
ersten Casting allerdings noch ein 16-jähriges Kind, obwohl
Christopher ihn in der engeren Wahl hatte. Da sie ein Jahr casteten
und der Schauspieler in diesem Jahr zum Mann heranwuchs, war
er schließlich doch die Idealbesetzung. In Vorbereitung
auf den Director's Cut spricht Ryan Phillippe im übrigen
als 40-Jähriger, wie er auf die Zeit im Studio 54 zurückschaut.
Die nächsten
Premieren finden in Lateinamerika und im März in London
statt. Den Soundtrack soll es bald auf Vinyl geben.
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Sechster Tag
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10. Februar 2015
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Von
Astrid Mathis
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Wettbewerb
(außer Konkurrenz)
"Every Thing Will Be Fine"
Keine Frage der Schuld
Staubflocken
tanzen im Licht der Hütte, auf dem Tisch ein Buch, das
Heft eines Schriftstellers. Tomas (James Franco) geht es wie
den Eisfischern vor der Tür, kein Erfolg. Dennoch ist es,
als wollte die kanadische Winteridylle sagen: Alles wird gut.
Dabei wissen wir schon, das kann doch nicht ernst gemeint sein.
Tomas streitet sich mit seiner Freundin (Rachel Mc Adams) am
Telefon im Schneegestöber. Ein Schlitten prescht ihm vors
Auto. "Bitte, lass es nicht wahr sein!" formen seine
Lippen tonlos. Der Junge lebt, er ist schweigsam, geschockt,
aber er lebt. Was für ein Glück! Huckepack trägt
ihn Tomas zum kleinen Haus hinauf. Der Blick der Mutter, Kate
(Charlotte Gainsbourg), trifft ihn, den Zuschauer. Nichts ist
gut. Wie kann es das denn? Sein Bruder war auch auf dem Schlitten.
Tomas zieht sich zurück, von seiner Freundin und dem Leben
da draußen, wirkt noch in sich gekehrter als vorher. Er
will das mit sich ausmachen und mit dem Schreiben. Er kann nicht
anders und sucht doch die Nähe die Mutter, die ihm vergibt
und ein Stückchen mit ihm geht. Sie lässt ihn in ihre
Welt. Einen Moment in der Nacht im Schein des Feuers, als sie
das Buch verbrennt, das sie las, als der Unfall passierte, ist
Frieden, nicht nur im Haus, in Tomas. Es hat etwas Magisches,
das der Regisseur Wim Wenders durch den 3D-Effekt erst richtig
herauskitzelt. Die Jahreszeiten, die Einsamkeit. Man ist einfach
so verdammt nah dran - an dem Verlust der Mutter wie auch an
den Schuldgefühlen von Tomas. Er ist der Schweigsame, der
alles mit sich allein ausmacht und in seine Bücher eintaucht,
auch wenn er die Geschichte nicht darin erzählt, die ihn
geprägt hat. Ist es Verrat, aus einem Schicksalsschlag
künstlerische Stärke zu schöpfen? Für seine
Freundin ist Tomas so unnahbar, dass sie es kaum aushält.
Kann er denn nicht ein einziges Mal die Fassung verlieren, muss
er immer Haltung bewahren? Tomas ist bei sich. Jeder verarbeitet
den Tod anders. Schuldgefühle. Das Leben danach. Man muss
verzeihen können. Das zeigt uns Wim Wenders mit "Every
Thing Will Be Fine". "Sie haben wohl keine Kinder?"
fragt Kate einmal. "Merkt man das?" erwidert Tomas.
Wir begleiten ihn viele Jahre, bis er eine Ahnung davon bekommt,
wie es sich anfühlen kann.
Die
Pressekonferenz
3548
James Franco und Charlotte Gainsbourg
3553
Wim Wenders
Die Deutschen
haben es mit dem Nordischen, sagt Wim Wenders später während
der Pressekonferenz. Ein junger Autor aus Norwegen gab ihm das
Skript, und er fand es großartig. Nach "Pina"
wusste er, mit 3 D ließe sich noch mehr machen, als Tanzwelten
zu schaffen. Er gehe gern auf Risiko. Die Komposition des Raumes
gefällt ihm einfach, und damit meint er nicht nur das nächtliche
Telefonat zwischen Kate und Tomas, das er wie Zauberei parallel
erscheinen lässt, als wären sie gleich nebenan. Der
Titel allein schon habe so etwas Märchenhaftes. Der Titel
"Der Zauberer von Oz" fällt, und letztlich sei
es doch die Frage: Wie können Wunden heilen? Kate und ihr
Sohn Christopher haben ihren Weg gefunden
3559
James Franco,
in der nunmehr dritten Pressekonferenz während einer Berlinale
(Wahnsinn! Hut ab! Hallo?) schon etwas müde der Antworten,
unterbricht gleich mal die Einleitung einer Journalistin, die
ihn auf das Gespräch zwischen ihm und Anke Engelke bringt:
"Ja, wir hatten den Drink!" Berlin ist großartig,
er hätte immer so eine "epische Erfahrung" da
- was auch immer das heißen mag. Wim Wenders wird etwas
konkreter. Seit 1974 sei das sein Zuhause, meistens fahre er
mit dem Rad herum, er möchte nirgendwo anders leben als
hier. Gerade ist die Stimmung wieder oben, als jemand zu James
Franco meint, er hätte so viele Filme in einem Jahr gemacht,
und das sei ja nicht alles - "Ist das nicht ein bisschen
viel?" Wieder schmettert er jedes weitere Wort mit einem
Satz ab: Diesmal mit: "Ich komme klar." Er macht eben
gern Verschiedenes, wie diese Kurse für Drehbuchautoren
zum Beispiel. Franco mag es, den Blickwinkel zu wechseln.
3564
Die wunderbare
Charlotte Gainsbourg sitzt auch auf dem Podium. Man könnte
behaupten, sie hätte so etwas Entrücktes, aber sie
ist ganz da und sagt sehr bestimmt, dass sie nicht darüber
reden möchte, ob sie beim Spielen an ihre persönliche
Situation denke, sie sich vorstelle. Natürlich habe sie
als Mutter eine Vorstellung davon zu trauern. Für Wim Wenders
kam keine andere für diese Rolle in Frage. Charlotte war
für ihn einfach Kate. "Es geht ja so oft im Leben
und in Filmen um das Verletzen, ich wollten einen Film über
das Heilen machen, das Vergeben."
3565
Und noch
einmal, weil er schließlich vergleichen kann, wird James
Franco aus dem Halbschlaf gerissen und soll die Arbeit mit Wim
Wenders mit der Werner Herzogs vergleichen. Hm, er grinst. "Wim
ist lockerer, kommt weicher rüber. Werner ist immer Teil
der Geschichte, voll drin, nimmt es sehr ernst, will mit allen
Abteilungen verbunden sein." Würde er es wieder tun?
Sofort. Diese Ruhe in den Film zu bringen, hatte ihm Spaß
gemacht. Wim Wenders bemerkte immer: "Noch ruhiger. Noch
weniger!" Na, noch ruhiger wurde es erst für James
Franco nach seiner Abreise.
3575
3582
3584
Nun
aber los!
Berlinale
Spezial
"Selma"
Gegen
den Sturm
Zugegeben:
Ich wusste nichts von Selma, und so wie mir mag es noch mehr
Leuten gegangen sein, die den Film vorher nicht gesehen haben.
Dass endlich diesem Teil der amerikanischen Geschichte ein filmisches
Denkmal gesetzt wird, wurde verdammt noch mal Zeit. Danke, Ava
DuVernay. Dass ausgerechnet - und dieser Ausdruck ist doch auch
schon wieder ein Stück Ironie - eine Frau den Stoff auf
die Leinwand bringt, ist ebenfalls eine Aussage. Provoziert
eine Frage.
David Oyelowo spielt Martin Luther King. Wie er vor dem amerikanischen
Präsidenten Lyndon B. Johnson steht und auf das Wahlrecht
für die Schwarzen pocht, hat so eine eindringliche Ruhe,
dass es einem kalt und heiß über den Rücken
läuft. Es ist nicht zu fassen, dass dieses Wahlrecht einmal
keine Selbstverständlichkeit war. In den Tagen vor Selma,
das heißt, bevor der Fußmarsch am 7. März 1965
seinen blutigen Anfang nahm, setzt der Film ein. Die Bürgerrechtsbewegung
ist in vollem Gange, doch in Alabama herrschen andere Gesetze,
werden die Schwarzen von den Behörden mit unsinnigen Fragen
konfrontiert, um ihnen die Stimmabgabe unmöglich zu machen.
Martin Luther King scheitert an der Regierung, nicht aber am
Volk. Nach mehreren Kundgebungen, in denen er sich in Selma
mit klaren, überzeugenden Worten zu einem von ihnen gemacht
hat, sind 600 Bürger bereit, die Brücke zu überqueren,
die nach Montgomery führt. Mit diesem Marsch wollen die
Demonstranten ein Zeichen setzen. Sie haben Koffer dabei, auf
der anderen Seite steht berittene Polizei mit Schlagstöcken
und Tränengas. Auf die gewaltsamen Aufeinandersetzungen
folgt ein Marsch, der wieder an der Brücke endet. Es sind
Weiße dabei, die sich ebenfalls für Gleichberechtigung
einsetzen. Niemand greift an. Martin Luther King kniet nieder
- und mit ihm alle anderen.
Damit setzt er ein Zeichen, denn was hätte alles passieren
können?! Als die Bürgerbewegung am 21. März 1965
den 80 Kilometer langen Fußbarsch nach Montgomery gewaltfrei
hinter sich bringt, hören der Rede von Martin Luther King
25000 Menschen zu.
Der Film
zeigt nicht nur den Martin Luther King, der für die Rechte
seiner Brüdern und Schwestern eintritt. Er zeigt auch einen
Mann, dessen Frau Angst hat, die Kinder zur Schule zu schicken,
dessen Familie so der Öffentlichkeit ausgesetzt ist, dass
die persönlichen Wünsche und Sicherheitsdenken vor
der großen Sache zurückstehen muss.
Als nach
der Kinovorstellung der Abspann läuft, will der Applaus
im Friedrichstadtpalast nicht aufhören. Bis das Filmteam
selbst auf der Bühne steht. Gerührt dankt Regisseurin
Ava DuVernay dem Berliner Publikum. Sie fühlt ihren Film
verstanden, sieht in den Zuschauern Gleichgesinnte, die selbst
mit dem jüdischen Denkmal ein Zeichen gesetzt haben und
um gleiche Rechte kämpfen. Das ist ihr mehr wert als jede
goldene Ehrung durch eine Filmjury.
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Fünfter Tag
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9. Februar 2015
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Von
Astrid Mathis
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Panorama
"I am Michael - Ich bin Michael"
Erst lieben, dann glauben
9 Uhr. Ich
gebe dem spanischen Wettbewerbsbeitrag "El Club" genau
eine halbe Stunde, ehe ich den Saal verlasse. Da hat sich schon
ein Priester erschossen, nachdem drei andere abtrünnige
Pastoren Vorwürfe von Missbrauch aushalten mussten.
Auf dem
Weg zum Ticketcounter hatte ich gesehen, dass die Pressekonferenz
von Anton Corbijns Film "Life", in dem es um die Freundschaft
zwischen James Dean und Dennis Stock geht, nicht mit meinen
abendlichen Filmplänen zu vereinbaren ist. Also sehe ich
mir "I am Michael" schon am Morgen an. James Franco
in seinem zweiten von drei Beiträgen.
Er sagt
auch gleich "I am Michael" und klingt dann sehr christlich,
als er einem jungen Homosexuellen erklärt, jeder hätte
eine Wahl. Moment, ist das derselbe Michael Glatze, der ein
eigenes Magazin für junge homosexuelle Amerikaner (Young
Gay America) herausbringt? Cut! Wir steigen ein in eine wilde
Rave-Party in San Francisco im Jahr 1998. Michael lebt ein unbeschwertes
Leben mit seinem Freund Bennett. Der überredet ihn, nach
Halifax mitzukommen. Michael geht noch einmal zu der Stelle,
wo er die Asche seiner Mutter begrub. In Halifax fehlt ihm offensichtlich
was. Er streitet mit seinem Freund, der das Geld nach Hause
bringt, und will sein eigenes Magazin. Alles scheint in Ordnung,
als er ein neues Projekt startet, schwule Jugendliche in Amerika
zu interviewen, ihr Lebensgefühl einzufangen und Tyler
der Dritte im Bett und in der Partnerschaft wird. Als Michael
einen schwulen und christlichen jungen Mann kennen lernt, wird
das sein neues Thema. Glaube und Homosexualität schließen
sich nicht aus - das will auch er als Botschaft ins Land tragen.
Von nächtlichen Panikattacken gepeinigt, wendet er sich
nach der Diagnose, nicht infarktgefährdet zu sein, verstärkt
der Religion zu. Auf der Suche nach sich selbst entfernt er
sich immer mehr von seinem Freund und seiner früheren Gesinnung.
Sein Aktivismus schlägt um. Er besucht ein Priesterseminar
und distanziert sich von Homosexualität und seiner Vergangenheit.
Zachary
Quinto spielt den Freund, der die Wandlung von Michael Glatze
hinnehmen muss. Die ist so unglaublich, dass ich nur den Kopf
schütteln kann. Die beiden als Paar - okay. Aber so recht
ergriffen bin ich nicht. Der Film ist mehr Beschreibung als
mitreißendes Biopic, aber dafür eine Erzählung,
die mir einen Eindruck von Michael Glatze vermittelt. Man möchte
danach sagen: "Bleib um Gottes willen schwul!" James
Franco urteilt nicht, er lässt offen, wie glaubwürdig
für ihn selbst die Geschichte ist. Gern hätte ich
die Pressekonferenz erlebt, aber die Verspätung zwingt
mich, noch vor dem Auftritt des Filmteams mit Regisseur Justin
Kelly zum Berlinale-Palast zu eilen.
Wettbewerb
"Als wir träumten"
Gewitter im Kopf
Dieser Film
ist anders als das, was der Zuschauer von Regisseur Andreas
Dresen gewohnt ist. Diese Bemerkung muss er sich später
auch auf der Pressekonferenz gefallen lassen. Dresen hat schließlich
den Roman von Clemens Meyer verfilmt und einen jugendlichen
Drive an den Tag gelegt. Mit Überschriften für die
einzelnen Kapitel gibt er den Ton an. "Gewitter im Kopf"
ist eine davon.
Dani sucht
Mark und findet ihn. Beide bleiben im Dunkeln. Von Stoff ist
die Rede. So beginnt der Film, das klingt schon nicht nach Happy
End. Aber dann wird es erst mal lustig. In der Schule wird Feueralarm
geprobt. Die Freunde Mark, Paul, Pitbull, Rico und Dani - noch
Pioniere - beraten, wie sie durch ihre vermeintliche Verletzung
an Zärtlichkeiten kommen. Auch Katja ist dabei, in die
Dani verliebt ist. Dani - das ist der, der so schön das
Gedicht "Ich trage mein Halstuch" aufgesagt hat und
Reporter werden will. Immer wieder erwähnt der Schulleiter
im Film das. Als die Jungs größer sind, wollen sie
davon nichts wissen. Sie wollen die Größten sein,
hängen mit dem coolen Erwachsenen Fred ab, der Autos klaut
und eine hübsche Begleiterin hat, die auch Dani gefällt.
Ihren eigenen Club wollen sie sogar aufmachen, "Underground"
in Leipzig. Erst läuft es nicht, dann brummt es richtig.
Die Clique bekommt Besuch von Kehlmann und seiner Gang, der
den Tekkno-Laden übernehmen will. Bei der Kohlen-Oma, für
die Dani und Co regelmäßig Briketts schleppen, sind
sie schon einmal aneinander geraten. Rico will Boxer werden,
und Dani träumt von der großen Liebe.
Immer wieder
springt der Film zurück in die Pionierzeit kurz vor der
Wende. Schon da zeichnet sich ab, wie unterschiedlich es mal
laufen wird für die Jungs. Rico will den Soldatenscheiß
nicht vorlesen. Dani nimmt ihn vor dem Pionierrat in Schutz,
erklärt, Ricos Vater, der Offizier, wäre abgehauen.
Er will alles richtig machen, weil Katja besonderen Pioniereifer
zeigt. Als sie eines Tages ankündigt, ihre Familie würde
weggehen, trifft es Dani richtig. Später sieht man ihn
bei seiner alleinstehenden Mutter, beide sind mit ihren Sorgen
allein. Er soll was von Kehlmann auf die Fresse bekommen, weil
er die Augen von Kehlmanns Freundin nicht lassen kann. Sternchen.
Die mal Freds Freundin war. Dani kann nicht ewig wegrennen.
Der Film
ist laut und rau. Unbequem, ja, auch das. Das Publikum ist bei
den Schlägereien dabei und beim Kaputtkloppen von Autos,
auch beim Verrat untereinander. Dass sie die Größten
sein werden und Kehlmann eines Tages eine Abreibung kriegt,
sagt Dani (Merlin Rose) immer noch, da kann der Zuschauer das
schon lange nicht mehr glauben. Es ist die Generation "Seid
bereit", die sie geprägt hat. Irgendwie sind sie doch
nicht bereit für das Leben da draußen nach der Wende.
Die
Pressekonferenz
Links:
Autor Clemens Meyer
Wolfgang
Kohlhaase war für Regisseur Andreas Dresen der richtige
Mann für das Drehbuch nach dem Roman des Leipzigers Clemens
Meyer. "Man muss ein Stück weggeben", sagt Kohlhaase.
"Ich habe versucht, das Herz zu verstehen", fügt
Dresen hinzu. Das Buch hätte etwas Wildes, Chaotisches,
sei zärtlich und liebevoll - den Geist der Zeit wollte
er auffangen. Clemens Meyer kannte er schon vorher. Der wusste,
dass sein Buch bei Dresen in guten Händen sein würde.
Es sei nicht zwingend ein DDR-Film, obwohl Leipzig natürlich
nicht Berlin sei. Abschied von der Kindheit und das Privileg
der Jugend, absturzgefährdet zu sein, das kenne man überall,
bemerkt Dresen.
Und die
Gewalt gehöre einfach dazu, diese Wucht soll beim Zuschauer
ankommen. Joel Basmann gesteht: "Autos zu zerkloppen, macht
erstaunlicherweise Spaß. " Das hätte man aus
Anstand schon nicht gemacht, weil ja der DDR-Bürger 13
Jahre auf sein Auto warten musste, ergänzt Dresen. Auf
die Frage an die jungen Schauspieler, wie die Dialogsprache
auf sie wirkte, reagieren alle begeistert. Die Kohlen-Oma lieben
sie außerdem. Die Jungs hätten ihr alle Kohlen der
Welt geschleppt, so der Regisseur. Überhaupt sind sie sich
meist einig. Tekkno hören sie privat auch gern. Dresen
gibt zu: "Ich bin eher der Gitarrentyp." Beim Dreh
im Untergrund hätte er aber einige Tracks kennen gelernt,
die ihm gefallen. Schauspielerin Ruby O. Fee mag alles von Klassik
bis Rock. Mit ihrer unbekleideten Tanzeinlage wusste sie sich
bei "Andy" in guten Händen, hatte aber anschließend
ordentlich Muskelkater. Rico-Darsteller Julius Nitschkoff bezeichnet
die zwei Drehtage mit seinem Boxkampf als die anstrengendsten
seines Lebens. Gar nicht so leicht, wieder runterzukommen.
"Ich
vermisse die Marke Dresen!" haut kurz vor Schluss der PK
eine Journalistin raus, der Film hätte sie nicht erreicht.
"Das tut mir leid", antwortet Andreas Dresen, die
Ruhe in Person, "ich kann nur sagen, es ist ein Film von
mir! Ich mochte die Tonlage und diese Jungs." Es stecke
eine Menge Sehnsucht drin. "Als wir träumten"
- der Titel sage schon alles. Und gegen Ende gibt es Hoffnung,
betont der Regisseur. Denn es heißt ja: "Das Beste
kommt noch." Was nicht zynisch gemeint sei. Er hätte
sein Herzblut reingesteckt. Wolfgang Kohlhaase kommt mit einer
Weisheit um die Ecke: "Am Ende läuft es auf eine Frage
hinaus: Ist eine Geschichte wahr, weil sie schön ist, oder
ist sie schön, weil sie wahr ist?" Hauptsache, es
hat was von Magie. Für richtig schlechte Stimmung sorgt
letztlich noch der Kommentar einer Journalistin, es wundere
sie, dass es zwei Filme mit Problemen männlicher Jugendlicher
gäbe und keine über Frauen im Mittelpunkt. Das sei
ein wirkliches Problem. Clemens Meyer würde offenbar am
liebsten vom Podium springen. Als Autor kann er schreiben, was
er will. Das sei völliger Quatsch, danach zu fragen. Andreas
Dresen will an dieser Stelle schnell Frieden stiften und erklärt,
er würde sich nach verfilmbaren weiblichen Stoffen umsehen.
Jetzt wäre es eben diese Geschichte.
Schauspieler
Marcel Heupermann, Drehbuchautor Wolfgang Kohlhase, Produzent
Peter Rommel (von links)
Roter
Teppich
Joel
Basman (Mark)
Ruby
O. Fee (Sternchen)
Merlin
Rose (Dani)
Schauspielerin
Natalie Portman
Festivalleiter
Dieter Kosslick mit den Shooting-Stars
Ensemble
"Als wir träumten" komplett
Pressekonferenzen
"Woman in Gold" und "Life"
Meine Tickets
für "I am Michael" und "Woman in Gold"
habe ich zurückgegeben. Wichtiger sind ja doch die Pressekonferenzen
für den Film mit Helen Mirren und den mit Robert Pattinson
und Dane DeHaan. Obwohl es komisch ist, sich reinzusetzen, wenn
man den Film noch nicht gesehen hat.
Bevor sich
das Podium füllt, sagt jemand neben mir: "Ich mag
ja Akzente, so wie zum Beispiel Ostdeutsch." Was man sich
alles anhören muss! Erst mal meint die Person Dialekte.
Und was ist bitteschön Ostdeutsch?
"Woman
in Gold - Goldene Adele"
489
Produzent Harvey Weinstein mit Helen Mirren und Ryan Reynolds
Als Helen
Mirren erscheint, habe ich den Spruch schon vergessen. Ryan
Reynolds, Daniel Brühl und Max Irons nehmen mit Regisseur
Simon Curtis Platz. Die erste Frage geht gleich mal an Ryan
Reynolds. Er hätte in dem Film keine Superkräfte und
wäre auch kein Sexsymbol... aber ein anderer Held. Reynolds
hebt die Augenbrauen, schmunzelt. Nein, zu Superkräften
könne er nichts sagen. Er hatte Verbindung zu seinem Großvater
gesucht. Es sei eine Ehre, in dem Film mitzuspielen. Dieser
historische Stoff hatte auch Helen Mirren bewegt. Sie eröffnet
den Journalisten, sie hätte sich immer gesagt: "Spiel'
niemals eine noch lebende Person - ich habe diese Regel gebrochen."
Die Geschichte habe sie überwältigt, sie hätte
Maria Altmann, die sie verkörpert, studiert. Ihr gerecht
zu werden - unmöglich. "Aber ich habe getan, was ich
konnte." Wien war? Einladend, enorm freundlich. Auch im
Museum entgegenkommend. Drei Wochen hatten sie in Wien gedreht.
Die Geschichte mit all den Kunstwerken zu erzählen, das
war schon etwas. Als Produzent Harvey Weinstein zu Simon Curtis
meinte: "Ich habe eine wunderschöne Geschichte für
dich", konnte er gar nicht nein sagen.
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Helen Mirren, Ryan Reynolds und Daniel Brühl
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Ryan Reynolds, Daniel Brühl und Max Irons (von links)
Ob Maria
Altmann ihren Frieden gefunden hat, fragt ein Journalist Helen
Mirren. "Ich denke schon", erwidert die Schauspielerin.
Die Anerkennung hätte ja nicht nur für ihre Familie
stattgefunden. Es sei auch eine Genugtuung, die Gemälde
zurückzubekommen. Welch ein Glück, dass Maria Altmann
die Rückgabe noch erlebte. Das war 2006. Sie starb 2011
im Alter von 94 Jahren. "Diese Geschichten kannst du nie
zu Ende schreiben, so viele Familien haben ihre Gemälde
für immer verloren." Für Helen Mirren geht es
in dem Film um Familie und Gerechtigkeit, einen Moment Gerechtigkeit.
513
Helen Mirren und Ryan Reynolds
515
Berlinale
Spezial "Woman in Gold"
Bilder
von Klimt
Ich habe
immer noch vor Augen, wie Ryan Reynolds sich gegen die Wand
lehnt, nachdem er das Holocaust-Denkmal in Wien berührt
hat, und seine Tränen nicht zurückhalten kann. Den
Film sah ich mir am Publikumstag im Zoo-Palast an. 9.30 Uhr
am Sonntag. Ergriffen und benommen treten die Kinobesucher anschließend
in die Sonne.
Der Film
beginnt 1998, Maria Altmann ist 80 Jahre alt.
Helen Mirren
spielt Maria Altmann, und die wollte aus Amerika nie in ihre
österreichische Heimat zurück. Ihre Familie hat zu
viel durchgemacht, als Juden wurden sie vertrieben oder ermordet.
Aber da gibt es dieses Gemälde von Gustav Klimt, auf dem
ihre Tante Adele Bloch-Bauer porträtiert ist, das ihr keine
Ruhe lässt. Die Nazis haben sich dieses Gemälde neben
anderen unter den Nagel gerissen, die österreichische Regierung
gab es nach 1945 nicht zurück, obwohl es der Familie von
Maria Altmann gehörte. Mit dem jungen amerikanischen Anwalt
E. Randol Schoenberg, der ein Enkel des Wiener Komponisten Arnold
Schönberg ist (Ryan Reynolds), macht sich die Erbin auf
die Reise nach Wien, will Gerechtigkeit, will ihre Bilder. Über
die gemeinsame Vorliebe für das Kinderbuch "Der Struwwelpeter"
interessiert sie ihn für den Fall. Sie haben ja was gemeinsam.
"Verklagen wir halt Österreich!" heißt
es an einer Stelle, und das ist wörtlich zu nehmen. Mit
Charme und Witz und dieser unwiderstehlichen Sprödigkeit
spielt sich in die Herzen des Publikums. Zuerst rennt sie gegen
Mauern und setzt dann doch durch, vor dem Obersten Gerichtshof
zu sprechen. Für den jungen Anwalt, der sich dem Fall erst
zögerlich nähert, wird die Geschichte Maria Altmanns
eine Herzensangelegenheit, schließlich zum beruflichen
Sprungbrett. Er will das Unrecht, das ihrer Familie angetan
wurde, wieder gut machen. Daniel Brühl mimt den österreichischen
Publizisten Hubertus Czernin, der Altmann ebenfalls darin bestärkt,
auf ihrem Recht zu bestehen. Wie erleichtert alle nach der Rechtsprechung
sind, ist bis auf den letzten Kinoplatz spürbar. Eine Genugtuung.
Natürlich auch wegen der Streichermusik von Hans Zimmer.
Ein wunderbarer, ergreifender und einfühlsamer Film nach
einer wahren Begebenheit. Möge es noch viele Momente der
Gerechtigkeit geben!
518
Helen Mirren und Ryan Reynolds
"Life"
Da sitzen
sie nun alle, die Stars, die einen Film über einen Schauspieler
gemacht haben, der über zum Star wurde und noch vor den
Premieren seines zweiten und dritten Films starb: James Dean.
In Elia Kazans "Jenseits von Eden" hatte er seine
erste Hauptrolle, es folgten "Rebel Without a Cause"
("...denn sie wissen nicht, was sie tun") und "Giganten".
In dem Film "Life" liegt ein Haufen Verantwortung.
James Dean ist nicht nur ein Idol der 50er Jahre oder einer
ganzen Generation. Er ist es bis heute.
Alessandra
Mastronardi, Robert Pattinson, Anton Corbijn (Regie), Dane DeHaan,
Kristian Bruun und Luke Davies (Drehbuchautor) auf dem Podium.
Robert Pattinson spielt Dennis Stock, dessen Fotografien von
James Dean ihn weltberühmt machten, Dane DeHaan verkörpert
James Dean. Es ist klar, wer der eigentlich Star dieser Pressekonferenz
ist: Das geschossartige Klicken von Kameras, wenn Pattinson
ins Mikrofon nuschelt, spricht Bände. Für Pressekonferenzen
hatte James Dean schon nichts übrig. Warum sollte es den
beiden Helden, die im Film zu Freunden werden, anders gehen?
DeHaans Frau hatte zu ihm beim Dreh gesagt: "Sei cool."
Robert Pattinson: " Da war die Angst, nicht so gut zu sein
wie er." Vielleicht, um die beiden Herren aufzulockern,
beginnt der nächste Journalist seine Frage mit dem Hinweis
darauf, dass "Dane" dieseelben Buchstaben beinhalte
wie "Dean", und sogar im Nachnamen DeHaan stecke "Dean".
"Ja, ja, das war der eigentliche Grund für mich zum
Drehen", bemerkt DeHaan lachend. Im Ernst, natürlich
war diese Rolle ein Geschenk, eine Riesenchance. Um auf den
Namen zu kommen, "mein Presse-Plan ist tatsächlich
mit DEAN-Tour überschrieben." Viele sehen in ihm den
Rebellen, aber er war auch einer, der seine Familie, seine Eltern
verloren hatte und unbedingt Schauspieler werden wollte, fügt
DeHaan hinzu.
Und wie
ging es Robert Pattinson als der berühmte Fotograf, der
er zu dem Zeitpunkt ja noch nicht war. "Hm, ich habe am
Set mit einer Leica 1953 rumgeknipst und ein paar schreckliche
Fotos gemacht", erzählt Pattinson. Einige waren ganz
gut und kamen in den Film.
"Wie
gehen Sie denn mit dem Ruhm mit, den der Schauspielerberuf mit
sich bringt?" wird gefragt. DeHaan: "Es hat alles
seine Vor- und Nachteile. Es gibt Schlimmeres." Als er
anfing mit der Schauspielerei, mit 16, 17 lernte er die Ikone
kennen, sah seine Filme. An James Dean kam keiner vorbei. Seither
fühlt er sich ihm verbunden.
Luke Davies,
der mit Heath Ledger vor einigen Jahren den Film "Candy"
während der Berlinale vorstellte, sagt, ihm ist aufgefallen,
dass immer weniger junge Leute wissen, wer James Dean ist. Die
Geschichte über die Fotografien und die Freundschaft zwischen
Stock und Dean wäre nun mal die Geschichte, die sie erzählen
wollen.
Iain Cunning.
Was hat ihn denn zum Idol gemacht? Eine unnötige Frage,
aber Dane DeHaan äußert sich sehr ernst dazu. Zu
spielen, wie sie lebten, wie sie etwas erlebten, emotional offen
zu sein, das war etwas völlig Neues.
Jetzt aber mal zur Frau im Film. Moderatorin Jenni Zylka macht
auf sich aufmerksam und stellt ihr auch mal eine Frage. "Ich
mochte das Skript und wusste auch einiges von Pier Angelis Leben.
Ich würde sagen, sie haben sich erkannt, James Dean und
sie", bemerkt Alessandra Mastronardi. Er wollte nicht berühmt
sein, nur spielen. Und sie hatte eine strenge Mutter und konnte
nicht tun, was sie wollte. Kristian Bruun hat als Agent bzw.
Vermittler zwischen Dean und dem Studioboss Warner in dem Film
einen höchst undankbaren Job. In der Hauptsache bestehe
seine Aufgabe darin, zurückgewiesen zu werden.
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Vierter Tag
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8. Februar 2015
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|
Von
Astrid Mathis
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Der
Tag ist für mich gelaufen, noch bevor ich am Ticketcounter
meine Karten für den nächsten Tag abhole. "Life"
ist aus, ruft einer. Ich könnte losheulen! Wo das der einzige
Film war, den ich wirklich sehen wollte. Kein Jahr vergeht,
ohne dass ich mir einen James-Dean-Kalender an die Wand hänge.
Wie der Fotograf Dennis Stock und James Dean sich kennen lernten,
hätte ich einfach gern im Zoopalast gesehen und nicht auf
irgendeiner Murkelleinwand.
Meine
Kolleginnen wollen mich trösten und schleppen mich in die
Tesiro-Lounge, wo es heißen Milchkaffee und Kekse gibt.
Obst schwatzen sie mir außerdem auf, weil das so gesund
ist und schließlich Sonntag. Während ich den Kaffee
schlürfe, sehe ich die Massen Richtung Berlinalepalast
strömen. Terrence Malicks Filme muss man gesehen habe,
und weil er zudem noch pressescheu ist, sei das Ganze um so
interessanter, kommentieren meine Begleiterinnen. Als wir in
den ersten Stock kommen, werden wir gleich weitergeleitet. Na
prima. Jeder Film, den ich oben gesehen habe, war eine Katastrophe.
Meine Kollegin warnt mich vor: "Ich muss am Rand sitzen.
Wenn ich es gar nicht aushalte, gehe ich." Den Film "Tree
of Life" habe ich bis heute nicht fertiggeschaut. Ich hatte
mal beim Bügeln angefangen, aber nach 40 Minuten den Sender
gewechselt, weil das philosophische Gerede mit den Kunstbildern
so gar nicht für meine Sache förderlich war. Die Vater-Sohn-Geschichte
soll dann aber richtig gut sein. Ich heb's mir für später
auf.
Wettbewerb
"Knight
of Cups - Ritter der Kelche"
Terrence
Malick - Vom Sinn des Lebens
Christian
Bale spielt den Helden, einen reichen Lebemann, dem die Models
nur so vor die Füße fallen bzw. schweben. Woher sie
kommen, wohin sie gehen, weiß kein Mensch. Sie bleiben
blass, der Held aalglatt. Seine Ex-Frau spielt immerhin Cate
Blanchett, ein dramatischer Moment. Meine Kollegin atmet schon
heftig und will mich zum Gehen animieren. Eine halbe Stunde
später sitzen wir immer noch da. "Natalie Portman
muss doch noch kommen", raune ich ihr zu. Christian Bale
sucht den Sinn des Lebens und lässt sich zu Yoga überreden.
Der Filmtitel (eine Tarotkarte namens Ritter der Kelche) verrät
den esoterischen Touch. Es gibt eine Vielzahl von wunderschönen
Landschaftsaufnahmen. Rick sieht darin verloren aus. Die Frauen
kommen und gehen, auch Natalie Portman schließlich. Sie
spielt die Frau, die ihren Mann mit dem Helden betrügt
und ein Kind erwartet. Das Kind verliert. Leben beendet. Es
geht um die großen Themen Liebe und Tod und Leben an sich.
Wer man ist und wohin man will und Freiheit. Vergebung. Alles
so was. Einen Bruder-Vater-Sohn-Konflikt sieht man auch, aber
mehr, als dass sie sich streiten, erfährt der Zuschauer
nicht. Christian Bales Stimme begleitet das Publikum auf dieser
Filmreise. Als Armin Müller-Stahl als Pastor erscheint,
gibt mir meine Kollegin ein energisches Zeichen. "Das wird
mir jetzt zu katholisch", sagt sie und zieht mich ins Hyatt,
wo ich gespannt auf die Pressekonferenz warte. Wir sitzen in
der vorletzten Reihe. Die anderen waren eben schon vor uns raus.
Christian
Bale und Natalie Portman mit den Produzenten von "Knight
of the Cups"
Die
Pressekonferenz
Der Regisseur
fehlt. Allerdings haben das noch nicht alle Journalisten mitbekommen.
Und so sagt einer der Kollegen tatsächlich: "Eine
Frage an den Regisseur." Doch alle auf dem Podium sind
gut gelaunt und lachen, besonders redselig ist Christian Bale.
Jede noch so merkwürdige oder provokante Frage nimmt er
ernst. Gleich zu Anfang meint ganz ehrlich, Malick hätte
nicht erzählt, worum es ging. Eine Charakterbeschreibung
hatte er von diesem Rick, den er verkörpert. Obwohl er
alles hätte, sei da eine Lücke, die er zu schließen
sucht. Deshalb begibt er sich auf eine Reise. Nach Liebe. "Wir
wussten jeden Tag nicht, was er machen sollten", verrät
Bale weiter. Natalie Portman schwärmt, sie wäre schon
immer ein großer Fan von Terry gewesen und hätte
sofort zugesagt, als er ihr einen Part anbot. Er sei eben ein
großer Geschichtenerzähler, der sich auf seiner eigenen
Reise befände. Zustimmendes Grummeln im Saal.
"Dieser
Film ist sehr mutig", spricht ein Journalist die Produzenten
an. Nicolas Gonda sagt, es sei kein einfacher Film, und Sarah
Green betont, sie würde ja schon seit 15 Jahren mit Terry
zusammenarbeiten. Es sei eine Sache des Vertrauens. Darum ist
auch das Team dasselbe geblieben. Natalie Portman wird gefragt,
was sie beim Dreh gelernt habe. "Dass die Regeln des Filmmachens
nicht nötig sind", kontert sie ernsthaft. Nach zwei
Jahren Pause und mit ihrer Erfahrung als Mutter war ihr Part
im Film besonders intensiv, eine Herausforderung.
Ob er auch
so eine Leere kenne wie Rick, will ein Journalist von Christian
Bale wissen. Der gibt die Frage zurück und kommentiert
dazu: "Diese Depression in der Zivilisation ist doch ein
universelles Thema." Nein, mit Tarotkarten hat er nichts
am Hut. Er wird dann auch noch gefragt, wie Natalie Portmans
Zehen schmecken. Ganz Charmeur erwidert er: "Sie hat sehr
hübsche Zehen." Frauen gilt schlicht Ricks erstes
Interesse, und die schönen Model-Frauen hätte alle
eine wichtige Bedeutung für ihn, darum erinnert er sich
an sie, nämlich, weil sie in seinem Leben eine wichtige
Rolle spielen, verteidigt er das große Damenaufgebot.
Zum Schluss kommt noch eine Frage für Natalie Portman.
Wie würde sie den Jurypräsidenten (Darren Aronofsky,
Regisseur von "Black Swan" mit Portman in der Hauptrolle)
überzeugen, diesem Film den goldenen Bären zu geben?
Ach, das würde sie gar nicht erst versuchen, sondern einfach
einen mit ihm trinken gehen.
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Dritter Tag
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7. Februar 2015
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Von
Astrid Mathis
|
Wettbewerb
"Tagebuch eines Zimmermädchens"
Hände
weg!
Frankreich
um 1900. In der früheren Zeit möchte man kein Zimmermädchen
gewesen sein. Schon die Jobvermittlerin sagt eine gute Karriere
voraus, wenn der Anstand außen vor bleibt. Lüsterne
Blicke überall, sexuelle Gefälligkeiten von widerwärtigen
Herrschaften, der Dreck, die Schikane. Léa Seydoux spielt
eines, das solch Schikane kommentiert. In welche Hände
sie gerät, erzählt sie in Rückschau, aber letztlich
liegen weder Witz noch Spannung darin. Ihr Ton ist durchweg
leicht säuerlich, auch wenn eine unglückliche Liebesgeschichte
eingebettet ist. Und nachher gemeinsame Sache zu machen mit
dem Hausdiener, der womöglich ein junges Mädchen im
Wald auf dem Gewissen hat. Also nee! Der Film hätte was
von "Moll Flanders" haben können, aber dazu hätte
wohl Daniel Defoe das Drehbuch schreiben müssen. Die Hauptdarstellerin
erschien nicht mal zur Pressekonferenz. Das Buch zu lesen, wäre
wahrscheinlich spannender.
Panorama
"Angelica"
Alles
aus Liebe
Ganz anders
dagegen "Angelica" nach dem Roman von Arthur Phillips.
London 1880. Angelica eilt zum Sterbebett ihrer Mutter und erfährt
dort ihre Lebensgeschichte: Als Constance (Jane Malone) ihren
Mann kennen lernt, ist sie blutjung. Sie verliebt sich in den
jungen Arzt Joseph Barton (Ed Stoppard), der ihr Beschützer
sein will. Schon bei ihrem ersten Spaziergang zeichnet sich
ab, was sie beide einmal trennen wird: Fasziniert und ehrfürchtig
schaut Constance auf die Zirkusleute. Robert, ganz Wissenschaftler
und Arzt, glaubt nicht an Zauberei und Magie. Nach der Geburt
ihrer Tochter Angelica, die die junge Mutter fast das Leben
kostet, verordnet der Doktor Constance Enthaltsamkeit, doch
Mann und Frau sehnen sich nach Zärtlichkeit. Als Joseph
ihr wieder nahe kommt, zieht sie ins Kinderzimmer, wo sie Dämonen
zu sehen glaubt. Die Abstinenz und der erschreckende Besuch
bei ihrem Mann, als er inmitten seiner Kollegen Tierversuche
unternimmt, haben Folgen. Hilfesuchend wendet sie sich an eine
Frau, die angeblich Übersinnliches vertreiben kann. Sie
soll auch den Geist vertreiben, der aus ihrem Mann steigt.
Dieser Film
ist mehr Psychodrama als Gruselgeschichte. Sexuelle Sehnsucht
und Unterdrückung, Sorge um das Kind und Verzweiflung tragen
die Geschichte fort, die dank Kamera und Licht, vor allem aber
Düsternis, eine unglaubliche Atmosphäre schafft. Regisseur
Mitchell Lichtenstein spiegelt darüber hinaus ein Gesellschaftsbild
jener Zeit wider und verleiht dem Film einen leicht ironischen
Unterton.
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Zweiter Tag
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6. Februar 2015
|
|
Von
Astrid Mathis
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Wettbewerb
"Taxi"
Kein Film
Um
es vorwegzunehmen, der iranische Regisseur Jafar Panahi ist
nicht angereist. Wieder einmal. Er darf nicht. Dabei hat er
einen so wichtigen Film gemacht - einen Film, in dem er Taxi
fährt. Na ja, Filme drehen, das darf er auch nicht.
Schon
der dritte Fahrgast erkennt den Regisseur und vermutet sogar,
dass die beiden Streithähne, die mit ihm durch Teheran
fuhren, Schauspieler waren. Er solle gut auf sein Auto aufpassen,
meinte der Mann. Einem Bekannten hatten sie die Räder
geklaut und Holzblöcke drunter gestellt. Hinrichten sollte
man sie. Die Frau auf dem Rücksitz sieht das gar nicht
so. Man müsste doch erst mal die Umstände kenne,
der Dieb hätte vielleicht aus der Not heraus gehandelt.
Natürlich ist sie Lehrerin und er Straßenräuber.
Und das ist sehr komisch und schwer zu glauben. Dass dabei
über die Todesstrafe diskutiert wird, ist ein Wink, worauf
der Film hinausläuft. Die verschiedenen Einsteiger erzählen
und spiegeln damit ein Bild von der Gesellschaft in Iran wider,
ihre Ansichten und Träume. Dazu kommt zutage, was sonst
nur hinter vorgehaltener Hand erzählt werden dürfte.
Der
Fahrgast, der Panahi enttarnt, ist Filmverleiher, er hat auch
Filme, die noch gar nicht auf dem Markt sind und würde
dem Regisseur gerne Filme geben. Er wittert schließlich
ein Geschäft, weil sein Kunde aus Verehrung für
Panahi gleich eine Vielzahl ausleiht. Panahi holt schließlich
seine Nichte ab. Die erzählt von der Schule, dass die
Lehrerin gesagt hat, dass man zwischen real und unreal unterscheiden
muss. Was meint sie nur damit, fragt sie ihren Onkel. Der
weiß es. Die Antwort darauf gibt eine Bekannte, die
von Einsperren berichtet und dieser Ohnmacht der Regierung
gegenüber. So etwas soll eben nicht an die Öffentlichkeit.
Wie
überhaupt dieser Film. Weshalb der Abspann fehlt. Und
auch Panahi, aber er hat ein großartiges, leichtfüßig
erzähltes, gesellschaftskritisches Bild gezeichnet, das
man sich immer wieder anschauen kann. Wunderbar.
Wettbewerb
"Queen of the Desert - Königin der Wüste"
Ab in den Orient
Werner
Herzog ist zurück! Sein erster Film, in der eine Frau
die Hauptrolle spielt, basiert auf Briefen und Tagebuchaufzeichnungen
von Gertrude Bell. Die Titelheldin ist 1868 geboren, hat in
Oxford studiert und macht sich schließlich einen Namen
als Königsmacherin. Eine Vorreiterin von Lawrence von
Arabien, wenn man so will. Eine Zeitgenossin. Von der wohl
weniger vorher etwas gehört haben. Diese Frau spielt
Nicole Kidman. Zugegeben für die junge Getrude nicht
mehr jung genug, aber daran muss man sich nicht hochziehen.
Wichtig ist, dass sie ihren eigenen Kopf hat. Die britische
Orient-Forscherin wird eines Tages Schriftstellerin, Archäologin
und Historikerin sein.
Aber
erst einmal verliebt sie sich in Henry, gespielt von James
Franco. Und irgendwie will man das auch glauben, weil da tatsächlich
Magie ist zwischen den beiden. Beim Kartentrick und in der
Szene mit den Geiern auf dem Turm, die im Kuss im Wüstensand
gipfelt, knistert es am meisten. Es ist eben eine große
Liebe. Die Geschichte kann nicht gut ausgehen. Und so zieht
es Gertrude dann allein in die Wüste. Dort findet sie
etwas, das sie sonst nie spürt. Weite. Freiheit. Sie
bereist Gegenden, in die nie zuvor ein Mensch kam. Sie spricht
die Sprache der Menschen, die sie trifft, ihre Ausstrahlung
ist außerdem so stark, dass sich ihr niemand entziehen
und keiner sich ihr in den Weg stellen kann. Auch Charles
("Homeland"-Star Damian Lewis) erliegt ihrem Charme.
Dass Robert Pattinson in die Rolle des Lawrence von Arabien
schlüpft, ist dagegen wirklich kaum zu glauben.
Werner
Herzog malt ein Bild von Gertrude Bell, das erklärt,
welch Faszination von dieser Frau ausging. Die dazu beitrug,
nach Ende des Ersten Weltkriegs die kolonialen Grenzen im
Nahen Osten, dem früheren osmanischen Reich, neu zu stecken
und darüber hinaus ihren Anteil an der Krönung der
Könige in Jordanien und Irak hatte. Immer wieder beeindruckt
Werner Herzog mit seinen Wüstenaufnahmen. Sogar durch
den Schnee wanderten die Kamele des Filmteams. Wenn nur nicht
die dominante Musik wäre! So ist der Film ein Wüsenepos
à la Hollywood.
Die Pressekonferenz
Gertrude
Bell ließ ihn einfach nicht mehr los, seit Werner Herzog
von ihr gehört hatte. Das stellt er gleich an den Anfang
der Pressekonferenz. Sein Freund der Produzent Nick N. Raslan
hatte ihm von ihr erzählt, ihren Briefen und Tagebüchern,
auf die er gestoßen war. Darauf basiert auch Herzogs
Geschichte. Ein Film über eine besondere Frau, die Wüste
und vor allem Poesie. Er wollte die Frau und das, was sie
im Innern bewegt, in den Mittelpunkt rücken, nicht die
Politik, die sie machte. Dass die Chemie zwischen James Franco
und Nicole Kidman stimmte, war ihm wichtig. Die Szene mit
dem Kartentrick beschreibt er als erotischste, die er je gedreht
hat. Den Trick hat ihm übrigens sein ältester Sohn
gezeigt. Und Franco ergänzt, er hätte schon einige
Sexszenen gehabt, die nicht die Spur von der Erotik hatten
wie diese. Seine Filmpartnerin hatte er vor dem Film zugegeben
erst einmal getroffen. Er merkte gleich, dass es passte. Lächelnd
fügt Nicole Kidman eine Anekdote an, in der die beiden
auf Kamelen reiten sollten. Gleich am ersten Tag bekamen sie
Reitstunden. "Kannst du reiten?" Franco: "No,
just go for it!" Eine ganz neue Erfahrung. Auch die Geier
waren eine spannende Begegnung. James Franco dachte nämlich,
das wären trainierte Tiere, aber als einer zuschnappte,
bekam er es mit der Angst zu tun.
Als
Werner Herzog Nicole Kidman fragte, ob sie zum Drehen nach
Marokko kommen würde, fragte sie: "Kann ich meine
Kinder mitbringen?" Seine Antwort: "Wir haben ein
Zelt für sie." So kam sie an Orte, die sie nie zuvor
gesehen hatte, die sie vielleicht nicht wiedersehen wird,
bemerkt die Schauspielerin. Das hätte ihren Horizont
erweitert. Die Landschaft half, in diese besondere Stimmung
zu kommen, erzählt Nicole Kidman weiter, und Herzog gesteht:
"Wir haben in einem echten Sandsturm gedreht und auch
im Schnee. Wir haben die Welt der Beduinen erlebt." Dass
er vorher nie einen Film mit einem weiblichen Protagonisten
gedreht hat, wundert ihn inzwischen selbst. Das hätte
er schon früher machen sollen, meint Herzog. "Ich
bin froh, dass der Stoff zu mir gekommen ist."
Und
die Schauspieler sind froh, mit Werner Herzog gedreht zu haben.
Er sei so authentisch, meint Nicole Kidman. Ein Walkie-Talkie
sei nichts für ihn. Er legt dann lieber weite Strecken
zurück und erklärt von Angesicht zu Angesicht, was
er will und denkt. James Franco betont, er fühlte sich
bei ihm sicher.
Damian
Lewis wird nicht viel gefragt, verbreitet aber eine glänzende
Laune. Für seine Rolle las auch er Briefe, erotische,
wie sie eben für die damalige Zeit erotisch waren. In
dem Film geht es ja vor allem um Sehnsucht. Er hatte im übrigen
eine lange Kuss-Szene mit Nicole. Die wurde allerdings rausgeschmissen.
Ob es daran lag, dass er ein schlechter Küsser sei? Er
weiß es nicht. Die Sympathien hat er mit der Geschichte
auf jeden Fall auf seiner Seite.
Fotos vom roten Teppich
Damian
Lewis
Wettbewerb
"45 Jahre"
Alles auf Anfang
Ein
älteres Ehepaar um die 70 kurz vor dem 45. Hochzeitstag.
Man guckt ihnen gern zu, wie sie sich ihr Leben auf dem Land
in Norfolk unweit von London eingerichtet haben. Mit ihren
Ritualen wie Zeitunglesen und Spaziergängen. Auf einmal
bekommt Geoff einen Brief, aus dem er erfährt, dass seine
Freundin von früher tot aufgefunden wurde. Sie waren
in den Schweizer Alpen wandern, vor seiner Ehe, also vor über
45 Jahren. Kein Grund zum Aufregen oder zur Eifersucht wegen
der langen Zeit, aber es wühlt beide dennoch so auf,
dass nichts mehr wie vorher ist. Er sucht nach einem Foto
auf dem Dachboden, sagt, es wäre nichts, fängt aber
wieder mit dem Rauchen an. Überlegt, in die Schweiz zu
fahren, wo sie gefunden wurde. Er romantisiert die Zeit mit
ihr so, dass Kate nichts mehr von ihr hören will. Inzwischen
plant sie die Feier, soll die Musik auswählen und zerbricht
innerlich, fühlt sich betrogen um das Nicht-Erzählte.
Erschütternd, wie sie die Diaserie durchklickt und schließlich
bei dem Bild von der schwangeren Freundin hängen bleibt.
Charlotte Rampling und Tom Courtenay geben ein unglaublich
starkes Paar ab. Der verlorene Blick von ihr beim Tanz auf
dem Fest bleibt noch lange im Gedächtnis. Regisseur Andrew
Haigh gelingt ein bewegendes Drama.
Auf
der Pressekonferenz erzählt Charlotte Rampling später,
sie hätte sich in Hollywood nie wohl gefühlt und
immer gern kleinere Projekte gemacht. Das hätte sich
über die Jahrzehnte nicht geändert. Wenn sie der
jungen Schauspielergeneration einen Rat geben sollte, und
sie würde keinen geben wollen, dann den, niemand sollte
einen Rat geben, um den er nicht gebeten wurde.
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Erster Tag
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5. Februar 2015
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Von
Astrid Mathis
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Warum
ich bei der Vorstellung der Jury nicht war? Ganz einfach. Ich
wollte es mal ruhig angehen lassen und zur Generalprobe von
Sibelius' 1. Sinfonie in die Philharmonie. Sir Simon Rattle
dirigierte. Ich musste nur noch schnell meinen Ausweis vom Hyatt
abholen. Und da hatte ich schon das erste Problem. Denn der
Nord-Süd-Tunnel ist gesperrt, die S-Bahn von Gesundbrunnen
zur Schönhauser Allee war weg, und die Regionalbahn hatte
natürlich Verspätung. Schlangestehen im Hyatt! Nicht
nur ich hatte die Zahlung der Akkreditierung noch vor sich,
doch was nützte das, Bargeld mitzuhaben, wenn jeder zweite
mit EC-Karte zahlte. Also raus aus dem Laden, rein in die Philharmonie.
Der Schnee glitzerte, die Sonne schien. Sir Simon Rattle riss
das Orchester und mich mit. Durchatmen. Und zurück zum
Hyatt.
Inzwischen
lief die Pressekonferenz mit der Jury, ich stand nochmals an,
zahlte brav in bar und war justament pleite. Schnell noch Karten
für den Freitagabendfilm, schon eilte ich in Richtung Cinemaxx
7. Dort sollte ich für meine Kollegin und ihre Freundin
Plätze freihalten. Das klappte nicht lange, denn nicht,
dass hier Missverständnisse aufkommen, die resolute Lockenfrau
vom Kino war mit der Idee nicht einverstanden. Die beiden verschwanden,
und ich saß allein (also mit mir unbekannten Journalistenkollegen)
im Film. Und dann, ja, dann wurde es richtig eisig.
Wettbewerb
"Niemand will die Nacht"
Einmal Nordpol und zurück
Wir
schreiben das Jahr 1908. Nein, also wirklich nicht. Nach diesem
Film in die Polarnacht zu wollen, wäre Wahnsinn. Und mehr
als nur ein bisschen wahnsinnig ist auch Josephine Peary, die
ihrem Mann nach Norden folgen will. Immer weiter nach Norden
- das war ihrer beider Traum. Juliette Binoche spielt die den
Polarforscher liebende Ehefrau. Wider die Gesellschaft, wider
die Natur will sie ihrem Mann nach, ihm sozusagen entgegengehen.
Aus Liebe. Ihre Begleiter springen ab oder sterben wie Bram,
und allein steht sie vor der Hütte, in der sie auf ihren
Mann warten will, auf dessen Rückkehr vom Nordpol sie hofft,
den er als Erster zu entdecken glaubt. Wobei - sie ist nicht
ganz allein. Eine junge Inuitfrau namens Allaka ist dageblieben
in ihrem Iglu, nachdem der letzte Mann gegangen ist. Josephine
weist sie ab, und Allaka begegnet ihr daraufhin mit der Offenherzigkeit
eines Kindes, sie fragt, hilft, rettet Josephine vor dem Erfrieren.
Die wiederum muss einsehen, dass sie mehr gemeinsam hat mit
ihr als die Weiblichkeit. Sie erwartet ein Kind von ihrem Mann.
Alles, was ihre Welt war, zählt in dem Eismeer nichts mehr
- keine Kleider, keine Musik. Hat sie eben noch rohes Fleisch
abgelehnt und Allaka mit silbernem Besteck konfrontiert, wünscht
sie sich bald, überhaupt noch etwas zu essen zu haben.
Die Hütte hält den Winden kaum stand, die Naturgewalt
hat die beiden Frauen zusammengeschweißt, möchte
man meinen. Am Ende steht da tatsächlich, dass nicht hundertprozentig
sicher ist, ob Peary der erste Mann am Nordpol war. Tststs.
Es
sind die Bilder dieser Weite, der vielzitierten Reinheit, der
Sonne, die im Polarwinter für Monate ganz verschwindet,
es sind diese Bilder, die bleiben. Das beklemmende Gefühl,
das die Geschichte geweckt hat und einen Hauch von Abenteuerlust,
Entdecker zu sein, einmal hautnah zu sehen, wohin man sich sonst
nicht wagen würde. Und Juliette Binoche in ihrem purpurroten
Kleid im Schnee und ihre Verzweiflung, als sie sieht, dass hier
andere Gesetze herrschen als erwartet. Aber sonst? Nach diesem
Film weiß man, die Polarnacht ist verdammt lang.
Die Pressekonferenz
Nach
Margarethe von Trotta ist es das zweite Mal, dass eine Frau
mit einem Film die Berlinale eröffnet. Isabel Coixet erzählt
später, sie wusste, diesen Stoff musste sie verfilmen,
egal wie. Und diese Unbedingtheit ist spürbar. Sie sagt
uns, ein Leben im Eis ist nun mal alles andere als lustig. Juliette
Binoche fragt allerdings in die Runde: "Soll ich die Wahrheit
sagen?" und plaudert dann aus, dass es im Studio in Bulgarien
sehr warm war, in den zehn Tagen in Norwegen sehr kalt. Dort
mussten sie mit anderen Widerständen klarkommen. Im Hotel
wurde den Schauspielern mal der Kaffee verwehrt. Überhaupt
zeigten sich die Norweger eher unfreundlich, platzte die Regisseurin
heraus. Der Kaffee war in Rumänien nicht das Einzige, was
besser bei ihr wegkam. Ach, über Geschlechterfragen wollte
sie jetzt auch nicht reden. Ihre Erfahrung mit dem Eis teilte
sie aber gern. "Ich habe in Norwegen gemerkt, wie alles
langsamer wurde, mein Denken gefror - und das mochte ich. Ob
es da irgendeine spirituelle Energie gegeben hätte. "Ich
bin aus Spanien! Wir sind nicht spirituell", kam es wie
aus der Pistole geschossen. Dafür hat sie Jack London gelesen.
Vielleicht wurde ich deshalb nicht warm mit dem Film. Ich meine
jetzt nicht wegen Jack London.
Vier
Jahre zuvor hatte sie Juliette Binoche das Drehbuch gegeben.
Die Schauspielerin las daraufhin Josephine Pearys Bücher,
die zum Film inspiriert hatten. Ihre Kollegin Rinko Kikuchi
sprach in Vorbereitung auf die Rolle mit einer Inuitfrau, unter
anderem. Mit Juliette Binoche zu drehen, gefiel ihr übrigens
schon deshalb, weil sie mit ihren Filmen aufwuchs und sie da
schon schätzen lernte. So viel zum Inhalt der Pressekonferenz.
Nicht unerwähnt darf an dieser Stelle bleiben, dass Juliette
Binoche (in Weiß!) mit ihrer charmanten Art und ihrem
reizenden Lachen wieder alle in die Tasche steckte. Am Abend
schwebte sie noch mal ganz in Weiß über den roten
Teppich. Wow!
Schaulaufen
zur Eröffnung
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©
POTZDAM 2015 |
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